Direkt zum Hauptbereich

Trophäe von Gaea Schoeters - Rezension

Rezension

von Sabine Ibing




Trophäe 


von Gaea Schoeters


Seit zwei Jahren treibt diesen Hunter White schon der Plan des Abschusses eines Nashorns um. Viel Geld hat er berappt, um dort in Afrika endlich ein Exemplar vor seine Büchse zu bekommen. Und nun ist es endlich soweit.

Ich würde mal sagen: Dieser Roman ist mein Lesehighlight in diesem Jahr! Gaea Schoetersʼ preisgekrönter Roman ist von einer außerordentlichen erzählerischen Wucht und inhaltlichen Tiefe, dabei so abgründig und perfide. Die Schärfe, mit der sie die Geräusche und Gerüche der Natur beschreibt, lässt einen sinnlich erleben, was einen moralisch an die Grenzen zwischen Richtig und Falsch führt. Ein hammerharter Roman! Hunter White (wenn ein Amerikaner schon so heißt …), steinreich und begeisterter Jäger, hatte schon fast alles vor dem Lauf. Für seine Big Five fehlt ihm nur noch ein Spitzmaulnashorn, das ihm sein Freund und Jagdführer Van Heeren nun anbietet. Denn Hunter ist einer von den Guten – er wildert nicht, schießt nur das, was die Regierung eines Staats ihm anbietet. Ein uralter Nashornmann hat sich als aggressiver Störfaktor für das Naturreservat herauskristallisiert und ist freigegeben. Hunter zahlt für seinen Abschuss eine Menge Geld!


Ein vielschichtiger Roman


Das hier, begreift er, ist das, wonach er immer so sehr verlangt hat: das echte, wilde Afrika. In all seiner Schönheit und all seiner Grausamkeit.

Das mit dem Spitzmaulnashorn läuft schief, man muss sich überzeugen, ob es das Richtige ist – nicht dass man ein falsches Tier erledigt. Das Rino zeigt sein Zottelohr zu spät, entkommt. Bevor die Jäger die Spur aufnehmen können, knallen Schüsse. Wilderer kommen ihnen zuvor. Ärgerlich, denn die Anti-Jagd-Lobby behauptet, der Trophäenjäger hätte die Wilderer erst auf die Spur der zwei Nashörner gebracht, die getötet wurden. Es wird eine amtliche Untersuchung geben und Hunter darf das Land nicht verlassen. Da fragt ihn Van Heeren, ob er je von den Big Six gehört habe. Zunächst ist Hunter geschockt, nie würde er auf Menschenjagd gehen. Van Heeren versucht Hunter Afrika zu erklären, eine Welt, in die sich Hunter schwer hineinversetzen kann. Würde man ihn fragen, würde er wahrscheinlich antworten, er kenne sich mit Afrika und den Schwarzen gut aus, bereise das Land seit zig Jahren. Die anderen Protagonisten würden nur lächeln. Du hast keine Ahnung von diesem Land, geschweige denn von uns. Fangen wir mit dem Einfachsten in diesem vielschichtigen Roman an. Feinstes Nature Writing mit allen Sinnen – ich konnte den Schweiß der Männer, den Geruch der Tiere förmlich riechen, schaute durch das Gras der Savanne auf die Jagdopfer. 


Postkolonialismus der perfiden Art


Hunter mag Afrika nicht. Für ihn ist Afrika ein großes Naturreservat, von Gott geschaffen, um ihm Freude zu bereiten; dass dort auch Menschen leben, hat er nie wirklich realisiert. Afrika ist sein Vergnügungspark, sein Jagdgebiet. Mehr nicht.


Hunter White reist in sein Jagdrevier, ins schwarze Afrika, viel Geld in der Tasche, prall gefüllte Konten, moralisch integer. Er ist noch einer von den echten Jägern, der über Tage zu Fuß die Spur verfolgt und Auge in Auge mit dem Tier den finalen Schuss ansetzt. Er tut etwas Gutes, kauft sich für ziemlich viel Geld eine Jagdtrophäe, damit das Land die Natur schützen kann, die Ranger zahlen, die die Tiere vor dem Aussterben beschützen – «white gaze». Er ist einer von den Guten, so sein Selbstbild! Sein Geld schützt die Natur, schafft Arbeitsplätze. Darauf, das als Postkolonialismus zu bezeichnen, käme er sicher nicht. Doch sein reines Gewissen bekommt in diesem Spiel immer mehr Sprünge. Weshalb sind die Menschen hier eigentlich so arm, weshalb ist die Umwelt zerstört und was der Klimawandel im Land mit ihm zu tun? So weit kann Hunter nicht denken. Der Kolorismus des weißen Mannes hat Afrika zerstört, beutet es noch heute auf vielen Wegen aus. Ein zusammenhängendes Denken diesbezüglich ist nicht von der Hand zu weisen – doch die meisten Europäer und Amerikaner sind nicht bereit, die Fakten zu verknüpfen. 


Die Story ist gründlich recherchiert


Denn nur er, Hunter, und niemand anderes, steht ganz oben in der Nahrungskette.


Fast philosophisch nimmt sich Gaea Schoeters der Themen an. Welten prallen aufeinander. Der Egozentriker mitten in einer Gesellschaft, in der die Gemeinschaft zählt, in der der Einzelne ein Glied der Kette ist, sich zu opfern bereit ist. Ein Roman von radikaler Konsequenz. Hunter schließt einen gefährlichen Deal; egal, was jetzt passiert, das Dorf ist gerettet. Dawid wird ihm als Fährtensucher beiseitegestellt. Kann er ihm wirklich trauen? Am Ende bleibt die Frage: Was ist ein Menschenleben wert? Und was ist eigentlich Moral? Die Story ist gründlich recherchiert, auch wenn wir uns manchmal wünschen, in einen Fantasieroman vertieft zu sein – wir sitzen im Busch von Afrika, lesen realen Stoff. Ein Drama, das man nicht vor der letzten Seite aus der Hand legt, dem man atemlos folgt, das noch Wochen nach der Lektüre im Kopf herumspukt. Der Roman überzeugt in seiner Vielschichtigkeit, der die gesellschaftlichen und politischen Themen mit dem Abenteuer verknüpft. Für den ein oder anderen Leser wird es eine Bewusstseinsveränderung sein.


Gaea Schoeters, geboren 1976, ist eine flämische Autorin, Journalistin, Librettistin und Drehbuchautorin. 2012 hat sie den Großen Preis Jan Wauters für ihren kreativen Umgang mit Sprache gewonnen. Für Trophäe wurde sie mit dem Literaturpreis Sabam for Culture ausgezeichnet. Der Roman wurde von der niederländischen Presse sehr positiv besprochen.





Gaea Schoeters
Trophäe
Originaltitel: ‎Trofee
Aus dem Niederländischen übersetzt von Lisa Mensing
Afrika, Abenteuerroman, Drama, Politische Literatur, Zeitgenössische Literatur, Kolonialismus, Postkolonialismus, Safari, Jagd, Jagdtrophäe
Hardcover, ‎ 256 Seiten
Paul Zsolnay Verlag, 2024



Zeitgenössische Literatur

Hier verbirgt sich manche Perle der Literatur. Ich lese auch mal einen Bestseller, natürlich, aber mein Blick ruht  immer auf den kleinen Verlagen, auf den freien Verlagen. Sie trauen sich was - und diese Werke sind in der Regel besser als der Mainstream der meistgekauften Bücher …
Zeitgenössische Romane





Kommentare

Beliebte Posts aus diesem Blog

Rezension - Der Schriftsteller und die Katze von Nabiha Mheidly und Walid Taher

  Ein Buch über das Schreiben, die Entwicklung einer Geschichte, von Figuren. und der Beziehung des Schriftstellers zu seinen Charakteren. Am Anfang sucht man eine Idee, überlegt, verwirft und endlich passt eine … Ein Bilderbuch, eine gute Geschichte, ein Kindersachbuch über das Schreiben – aber nicht nur für Kinder! Weiter zur Rezension:    Der Schriftsteller und die Katze von Nabiha Mheidly und Walid Taher

Abbruch – In Schönheit sterben von Stefan Ulrich

Der erste Sat: Die Männer schwitzten unter ihren Motorradhelmen. Dies ist keine Rezension, sondern ein Abbruchbericht. Nach drei Seiten war ich eigentlich so weit, gebe aber einem Buch grundsätzlich 50 Seiten, manchmal verzeiht man die ersten Seiten, wenn sich Sprache und Geschichte zum Besseren wenden. Der erste Satz, nun ja, danach soll man nicht urteilen … Der »Tiber fließt Richtung Meer«. Ach nee, hätte ich nicht gedacht. Sprachlich haben mich die ersten Seiten so gar nicht begeistern können, aber vielleicht macht es die Story wett. Gianluca starrte auf ihre gewölbten Hüften. ›Che razza di culo!‹, entfuhr es ihm. ›Was für ein Wahnsinnsarsch!‹  Starrt auf die Hüften, benennt aber den A… und sagt das auch noch zweisprachig? Diese Frau ist die Tochter eines Gastwirts, der angeblich Geld mit der Tochter macht. Die Leute kommen zum Essen, um diesen Hintern zu sehen. Nicht wegen der guten Küche?  Die gewölbte Stirn, die geröteten Wangen, die schmalen, hochgeschwung

Rezension - Chronisch gesund statt chronisch krank von Dr. med. Bernhard Dickreiter

Von der Schulmedizin bis heute ignoriert: Die wahren Ursachen der chronischen Zivilisationskrankheiten – und was man dagegen tun kann Noch nie hat es so viele chronisch Kranke gegeben wie heute: Arthrose, Diabetes, Alzheimer, Rückenleiden, Krebs, Burnout usw. Der Internist, Reha-Experte und Ganzheitsmediziner Dr. med. Bernhard Dickreiter ist überzeugt, dass diese Patienten selbst aktiv etwas dagegen unternehmen können. Sein Standpunkt: Wir müssen alles dafür tun, damit es den Zellen in unserem Organismus gut geht. Jede Zelle ist von einer organtypischen Umgebung eingeschlossen, in die sogenannte extrazelluläre Matrix (EZM). Dort zieht die Zelle ihre Nährstoffe, den Sauerstoff, und hier entsorgt sie ihre Abfallstoffe. Ist die Zellumgebung nicht gesund, werden wir krank. Die Schulmedizin bekämpft meist nur Symptome: Schmerzen – Schmerztablette. Die Ursachen werden oft nicht hinterfragt, bzw. operabel versucht zu beheben: neues Knie, neue Hüfte usw. Dickreiter geht ganzheitlich vor.

Was ist eigentlich Kriminalliteratur? - Ein Abend mit Else Laudan in der Wyborada

Am 08.11.2019 war ich zu einer Mischung aus Lesung und Definition des Begriffs Kriminalliteratur in St. Gallen in der Wyborada zu Gast, im Literaturhaus & Bibliothek in St. Gallen in der Frauenbibliothek und Fonothek Wyborada. Else Laudan sprach zum Thema Kriminalliteratur, erzählte ihren Weg mit ihrem freien Verlag Ariadne, ein Verlag, der ausschließlich literarische Kriminalliteratur von Frauen veröffentlicht. Weiter zum Artikel:    Was ist eigentlich Kriminalliteratur? - Ein Abend mit Else Laudan in der Wyborada 

Rezension - Medusa und Perseus von André Breinbauer

  Der Mythos Medusa neu erzählt als Graphic Novel. War Medusa ein Monster? War Perseus ein Held? Der Wende-Comic erzählt die bekannte Überlieferung aus der Perspektive beider Figuren ein wenig anders: Medusa ist nicht das Ungeheuer, das aus Bosheit Menschen zu Stein verwandelt. Von einem Gott missbraucht und einer Göttin dafür bestraft ist sie ein zweifaches Opfer der Götter. Perseus hingegen ist noch ein Kind und wird zum Spielball der Mächtigen. Mit eindrücklichen Bildern erkläret der Comic, der von zwei Seiten zu lesen ist, die griechische Mythologie. In der Mitte treffen die beiden zusammen; das unvermeidbare Ende für Medusa. Allage-Comic ab 14 Jahren. Empfehlung! Weiter zur Rezension:   Medusa und Perseus von André Breinbauer

Rezension - Origins - Indigene Kulturen der Welt von Nat Cardozo

  Für viele Menschen ist unsere Art zu leben die einzige, die sie kennen, bzw. für richtig halten. Die Europäer haben vor ein paar hundert Jahren einen Großteil der Welt erobert und mit dem Schwert ihre Kultur und ihren Glauben durchgesetzt, aus verschiedenen Gründen viele alte Kulturen ausgelöscht. Doch einige sind übriggeblieben, Menschen, die im Einklang mit Natur und Umwelt leben. Dieses Sachkinderbuch ab 8 Jahren vermittelt einen Einblick in traditionelle Kulturen und natürliche Lebensarten. Ein atmosphärisches Kinderbuch, spannend und informativ zum Thema Kulturvielfalt. Empfehlung! Weiter zur Rezension:    Origins - Indigene Kulturen der Welt von Nat Cardozo

Rezension - Wie der Hase läuft von Rebekka Salm

  Amsterdam, 1943: Emma de Vries und ihr Mann, der singende Bäcker Cees, lieben sich sehr. Eines Tages fällt in der Bäckerei ein Schuss, hinter dem Tresen stirbt der Inhaber, der immer wieder Juden versteckte. Seine Witwe, gerade volljährig, wird von der Patentante im Baselland aufgenommen. 2022, die junge Teresa arbeitet in der Brockenstube und sie ist mit Mirco zusammen. Durch die Räumung von Emmas Wohnung gibt es Spuren: Teresas Großvater hat wahrscheinlich als blutjunger deutscher Soldat den Bäcker in Amsterdam erschossen, der erste Mann von Mircos Großmutter; und sie begibt sich auf Spurensuche. Erinnerungen zweier Familien, die sich nicht erinnern wollen. Klang gut – konnte mich aber nicht packen. Weiter zur Rezension:    Wie der Hase läuft von Rebekka Salm 

Rezension - Franz – oder warum Antilopen nebeneinander laufen von Christoph Simon

Ein Schweizer Kultbuch von 2001, neuaufgelegt, ein Comming of age – Roman, schräg, amüsant, empathisch, spleenig. Franz ist einer, der weiß, dass er irgendwie die Schule überstehen muss, mit Abschluss, aber wozu das alles gut sein soll, hat er noch lange nicht kapiert. Schule ist irgendwie ein Stück Heimat, wenn nur der Unterricht nicht wäre. Ein typisches Jugendbuch, allerdings in einer Form, das auch Erwachsenen gefällt. Hier geht es zur Rezension:    Franz – oder warum Antilopen nebeneinander laufen von Christoph Simon

Rezension - Eisbären von Marie Luise Kaschnitz illustriert von Karen Minden

Marie Luise Kaschnitz war in meiner Jugendzeit meine Lieblingsautorin und so war für mich dies von Karen Minden illustriere Buch ein Genuss, Bleistiftzeichnungen, die sich wunderschön mit der Kurzgeschichte verbinden. »Eisbären«, die Novelle ist Kaschnitz-Fans geläufig: Eine Frau hatte schon geschlafen, wacht auf vom Geräusch des Türschlosses. Endlich kommt ihr Mann nach Hause. Doch er macht kein Licht. Ein Einbrecher? Seine Stimme bittet sie, das Licht nicht auszulassen. Sie soll die Wahrheit erzählen – damals im Zoo – auf wen habe sie gewartet? Weiter zur Rezension:    Eisbären – Novelle von Marie Luise Kaschnitz, illustriert von Karen Minden

Rezension - Saucen und Pasta von Fabian Lange und Antonio Colaianni

  Der Saucier Fabian Lange der Sternekoch Antonio Colaianni haben eine Woche lang in der Toscana 9 Stunden täglich gekocht und fotografiert auf Basis von klassischen und neu interpretierten Saucen. Auch Fabians Familie wurde wieder eingespannt. Seine Frau Kathrin – Grafikerin und Illustratorin – hat das Buch gestaltet, und die beiden Kinder haben fleißig Pasta hergestellt. Diese ganze Liebe (auch zum Detail) vom starken Autorenpaar findet sich in diesem Buch voller feiner, vielfältiger und frischer Pasta-Rezeptideen wieder: in nahbaren, authentischen, familiären Bildern – und wie sie sagen, wohl das spontanste Kochbuch der Welt. Lieblingsrezepte, kulinarische Highlights, das Kochbuch ist auf jeden Fall eine Bereicherung zur italienischen Küche. Weiter zur Rezension:    Saucen und Pasta von Fabian Lange und Antonio Colaianni