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Toxin von Kathrin Lange und Susanne Thiele - Rezension

Rezension

von Sabine Ibing



Toxin 


von Kathrin Lange und Susanne Thiele


Die Polizei musste jeden von ihnen einzeln vom Asphalt pulen. … Graf hatte in der Folge die Aktionen immer sehr geschickt für ihre Zwecke ausgenutzt, indem er die von ihm finanzierten Trolle – Löbnitz`Influenzer – beauftragt hatte, den Ärger der Bürger hübsch hochzujazzen. …

‹Alles was wir brauchen, sind ein paar geschickte Kampagnen unserer Trollarmee. Mit denen können wir in den sozialen Medien den Eindruck erzeugen, dass die Klimaaktivisten dazu übergegangen sind, Menschenleben für ihre Sache aufs Spiel zu setzen.


Was wäre, wenn eine jahrhundertealte Seuche aus der Arktis zurückkehren würde? Als in Berlin Obdachlose an Milzbrand sterben, ist Wissenschaftsjournalistin Nina Falkenberg alarmiert. Die Fälle erinnern an ein Ereignis in Alaska vor 10 Jahren, als das Auftauen des Permafrostbodens einen tödlichen Erreger freisetzte. Parallel dazu ist Ninas Freund, der Milzbrand-Forscher Gereon Kirchner plötzlich nicht mehr erreichbar, der sich zu Forschungszwecken in Alaska befindet. Sein Start-up-Unternehmen Janus Therapeutics, das Medikamente für Krebserkrankungen entwickelt, die aus Milzbrandviren herangebildet werden, befindet sich in dem Bezirk, in dem die Obdachlosen gefunden wurden. Zufall? 


Wer hat den Tunnel gesprengt?

Die Panke hatte Hochwasser, das auch in die Keller der Laboratorien von Janus Therapeutics überschwemmte. Hochgesichert hatte das System Alarm geschlagen, automatisch alle Proben vernichtet, damit diese nicht nach außen gelangen können; auch wenn Labore sich in den oberen Stockwerken befinden. Top Sicherheit! Doch nun können die Forscher nicht weiterarbeiten, dass, wo sie vor dem Durchbruch mit ihrem Medikament stehen. Ein Desaster. In einem Permafrosttunnel in Alaska, in dem Wissenschaftler die Entwicklung des Auftauens des Permafrosts untersuchen, werden Karibus gefunden, die an Milzbrand verstorben waren. Die Chance für Gereon, neues Material zu sichern! Doch während er sich unten im Tunnel befindet, taucht plötzlich jemand auf und es wird auf ihn geschossen. Er rennt um sein Leben, als sich hinter ihm eine Explosion den Tunnelabschnitt einstürzen lässt. Verletzt kann er entkommen – er muss seine Proben retten … 


Der Thriller an sich plätschert spannungslos vor sich hin

Die Polizei von Alaska findet in dem Tunnel eine tote Frau – mit Kopfschuss niedergestreckt. Ist der verschwundene Wissenschaftler Gereon der Mörder, hat er den Tunnelabschnitt in die Luft gejagt? Nina und Gereons Geschäftspartner Mike sind durch den Wind, können das nicht glauben. Die Berliner Polizei ermittelt nun gegen Janus Therapeutics. Und wo ist Gereon? Ein kurzer Anruf von ihm an Nina, er hat die Probe, Handy gleich leer. Und schon ist das Gespräch zu Ende. Nina bittet ihren Exfreund Tom Morell, einen Reise- und Foodblogger, der sich gerade in der Nähe befindet, nach Gereron zu suchen, sendet ihm Gereons letzte Geodaten. Tom macht sich auf die Suche – für Nina. Verschiedene Themen werden angerissen, sehr gut erklärt, insofern ein wichtiger Roman. Klimaerwärmung, die Bedeutung des Auftauens vom Permafrost, Freisetzung von uralten Viren und Bakterien, die Wichtigkeit der Genmedizin, bezahlte Trolle, die von Konzernen gesteuert werden, um die Wissenschaft zu boykottieren – die Klimaverleugnerliga, usw. Aber der Thriller an sich plätschert spannungslos vor sich hin. 


Sorgfältig recherchiert, dafür ein dickes Lob


Taut der Permafrost, werden die darin eingefrorenen Mikroben aktiv und fangen an, die Pflanzenreste zu zersetzen. Dadurch entstehen Treibhausgase wie Lachgas, Methan, Kohlendioxid, die in die Atmosphäre gelangen und den Klimawandel weiter antreiben. Methan ist in der Erdatmosphäre rund fünfzig Mal so wirksam wie Kohlendioxid, Lachgas sogar fast dreihundert Mal. Und wenn man jetzt weiß, dass allein im oberen Bereich der weltweiten Permaforstböden bis zu 1.600 Milliarden Tonnen Kohlenstoff stecken, also fast doppelt so viel, wie sich derzeit schon in der gesamten Erdatmosphäre befindet, dann bekommt man eine ungefähre Vorstellung von dem, was uns bevorsteht.


Am Anfang habe ich etwas die Augen verdreht, weil mir hier Grundlagenwissen erklärt wird – ein Journalist verdeutlicht einem anderen den Unterschied zwischen Viren und Bakterien – kann der eine Studierte so dumm sein, der auch noch zum Thema recherchiert? Ich kam mir vor, als säße ich in einem Vortrag. Gut, in der Form kommt das nicht wieder vor. Für mich kein guter Anfang. Die restlichen wissenschaftlichen Fakten werden verständlich in die Handlung eingebaut. Allerdings zu oft als Mantra in der Wiederholung. Mehrfach wird der Milzbrand Anthrax (Bacillus anthracis) ausgiebig erklärt und auch andere Dinge in der Häufung (wo ist hier das Lektorat?). Das bremst und nervt. Die Autorinnen versuchen Spannung durch ständigen Perspektivwechsel mit Cliffhängern zu erzeugen – manchmal nach einer halben Seite. Doch das reicht nicht. In Berlin Nena, die Wissenschaftsjournalistin, Mike, der Compagnon von Gereon, LKA, der Staatsschutz und das ZBS; in Alaska Gereon, dann der Mann, der das Feuer im Tunnel legte, Tom der Foodblogger, die Polizei vor Ort. Viele Stränge, ein Hin und Her, aber wirklich spannende Szenen gibt es leider nicht. Gut und Böse sind klar und deutlich definiert, die Grauzonen fehlen. Alles sehr durchschaubar ohne Wendungen, bis auf eine kleine. Manche Situationen sind unglaubwürdig konstruiert, auch die einzige Wendung. Und es ist nicht glaubwürdig, dass die US-Polizei einen Foodblogger in die Ermittlung einbezieht, ihm Informationen gibt – wie auf der anderen Seite der Informationsaustausch zwischen Nina und den Ermittlungsbehörden in Berlin. Das i-Tüpfelchen ist das Überleben von Personen, die sich mit dem übelsten Milzbranderreger angesteckt haben, der ja recht schnell die infizierten Menschen killen soll. Das, nachdem wissenschaftlich erklärt, mehrfach genau das ausgeschlossen ist. Sehr konstruiert. Resümee: Kann man lesen. Die wissenschaftlichen Inhalte werden gut transportiert, sind sorgfältig recherchiert, dafür ein dickes Lob. Dafür ist der Science-Thriller lesenswert. Wer aber einen glaubhaften, fesselnden Kriminalroman sucht, dem ist eher abzuraten. 


Kathrin Lange wurde 1969 in Goslar am Harz geboren. Obwohl sie sich beruflich der Hundestaffel der Polizei anschließen wollte, siegte am Ende ihre Liebe zu Büchern, und sie wurde zuerst Buchhändlerin und dann Schriftstellerin. Heute ist sie Mitglied beim PEN und bei den International Thriller Writers und schreibt erfolgreich Romane für Erwachsene und Jugendliche. Sie lebt mit ihrem Mann und zwei Söhnen in einem kleinen Dorf in Niedersachsen, wo sie sich für Leseförderung und die Integration von Geflüchteten engagiert.

Susanne Thiele - geb .1970, Leiterin der Presse- und Kommunikationsstelle des Helmholtz-Zentrums für Infektionsforschung in Braunschweig. Die studierte Mikrobiologin und Biochemikerin hat für verschiedene Tageszeitungen und Journale geschrieben. Sie moderiert Expertendiskussionen und ist in der Medienszene hoch vernetzt. Zu Risiken und Nebenwirkungen fragen Sie Ihre Türklinke – Wie Mikroben unseren Alltag bestimmen war ihr erstes Sachbuch zum Trendthema Mikrobiom und gute und schädliche Keime in unserem Alltag.



Kathrin Lange, Susanne Thiele
TOXIN
Thriller, Science-Thriller, Kriminalliteratur, Kriminalroman, Permafrost, Alaska, Klimawandel, Milzbrand, Anthrax, Klimaleugner
Klappenbroschur, 460 Seiten
Lübbe Verlag, 2023






Krimis und Thriller

Ich liebe Krimis und Thriller. Natürlich. Spannend, realistisch, gesellschaftskritisch oder literarisch, einfach gut … so stelle ich mir einen Krimi vor. Was ihr nicht oder nur geringfügig bei mir findet: einfach gestrickte Krimis und blutrünstige Augenpuler.
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