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Toskanische Täuschung von Belinda Vogt - Rezension

Rezension 

von Sabine Ibing



Toskanische Täuschung 

von Belinda Vogt


... und ihn schon von Weitem erkannt: Jeans, Jackett und ein zur Schlaufe gebundener Schal. Er sah gut aus, nicht umwerfend, aber doch etwa so attraktiv wie ein Schauspieler in einer Vorabendserie. Sympathisches Gesicht, rotbraune, lässig zur Seite gekämmte Haare, blaue Augen und ein breiter Mund mit schönen weißen Zähnen.

Ein Krimi, den man zur seichten Unterhaltung lesen kann. Man ist schnell hindurch, denn hier bleibt der Blick nicht haften an Absätzen, Sätzen, in die man sich hineinfallen lässt, die man noch einmal liest, an denen die Gedanken sich kreisen. Es gibt keine Bilder, die den Leser in andere Lebenswelten transportieren. Gefallen hat mir die Beschreibung des Schlaflabors, Menschen zu helfen, die Schlafprobleme haben, von Albträumen geplagt werden. Zur Story: In Arezzo wird ein Museumsdirektor ermordet, einen Tag bevor eine Schimäre aus der Etruskerzeit der Öffentlichkeit vorgestellt werden soll. An dieser Stelle bekommt der Krimi einen leichten mystischen Kitzel, der gut eingearbeitet ist. Leider plätschert dann die Geschichte vor sich hin, erst am Ende kommt Spannung auf. Kommissar Fabbri besichtigt den Tatort, aber die Ermittlung scheint ihn nicht weiter zu reizen, auch nicht die Autorin. Die verstorbene Frau des Commissario hat Vorrang, die ganze Chronik des Kennenlernes bis zum Tod, die Tochter wird vorgestellt, in ausführlicher Beschreibung – beide Personen sind nicht in die Ereignisse involviert und auch die Backstory ist nicht relevant. – Der Chef von Fabbri ähnelt extrem der Figur »Vice Questore«, dem Vorgesetzten des bekannten Kommissars »Brunetti«. – Wochenende, niemand arbeitet bei der Polizei und der Kommissar fragt Montag mal nach, was die Untersuchungen der Spusi und des rechtsmedizinischen Instituts ergeben haben, hat dann aber eher Privates zu tun. Der zweite Strang dreht sich um Pia, eine Psychologin, die an einem Institut in Arezzo an der Traumforschung arbeitet. Sie findet die zweite Leiche, einen Patienten. Auch der erste Tote war Kunde im Institut. Der Commissario verbringt viel Zeit mit der Psychologin, fährt sie während der Dienstzeit nach Siena, wo sie ihr Auto abholen kann, verweilt dort den ganzen Tag mit ihr – wozu auch ermitteln ... Eigentlich geht es in diesem Roman um die beiden.

Oberflächliche Charaktere

Siehst du endlich ein, dass du nach Deutschland zurückkommen musst? Du bist da unten in Gefahr. Was muss denn noch geschehen, bis du deine Koffer packst?

Sagt der Freund der Psychologin von Deutschland aus, nachdem in Arezzo ein Mord geschieht, nicht mal wissend, dass der Tote Patient seiner Freundin war. Dann fragt man sich als Leser, was ist das denn? Pia hatte einen Zweijahresvertrag von der Klinik in Arezzo zu Forschungszwecken erhalten.
Die gesamten Protagonisten gingen mir nicht nahe, weil sie allesamt schablonenhaft gestrickt sind. Die Beziehung zwischen Pia und ihrem Freund, der auch in Arezzo auftaucht, ist psychologisch gesehen arg konstruiert und die Figur Pia handelt häufig psychologisch nicht nachvollziehbar.

Bald erreichten sie die Stadt. Fabbri parkte den Dienstwagen auf einem kleinen Stellplatz im Zentrum. Dann liefen sie in Richtung der Piazza del Campo, des berühmten halbrunden Platzes, dessen leicht abschüssige Fläche fast wie ein Amphitheater wirkte. Zweimal im Jahr fand hier der Palio statt, ein atemberaubendes Pferderennen, bei dem die siebzig Contraden, allesamt Nachbarschaftsgemeinden, gegeneinander antraten…

Der Krimi ist aus der Sicht der beiden Hauptprotagonisten Pia und Fabbri geschrieben. Etwas verwundert haben mich die ständig eingeschobenen Leserinfos der Autorin. Warum muss man von Arezzo nach Siena fahren, um ein Auto abzuholen? Um dann eine Menge Leserinfo in Form eines Reiseführers über Siena einzuschieben, um dem Text Toscanagefühl einzuhauchen? Und warum Siena, wenn die Handlung in Arezzo spielt, das sein eigenes mittelalterliches Pferdespektakel auf einem schönen Platz hat? Hier klemmt der Roman ziemlich häufig. Anstatt Bilder zu transportieren, die Protagonisten einzubinden in eine Welt, stehen sie draußen und der Leser erhält Info aus dem Reiseführer usw. Der Fluss der Geschichte bricht ein und man fragt sich an diesen Stellen, was man mit den Infos nun anfangen soll. Toscanaambiente kam bei mir nicht auf. Ich kenne Arezzo, aber kein Gedanke daran kam mir beim Lesen an die Stadt auf. Insgesamt fehlte mir Ermittlungsarbeit – es ist ja ein Krimi – dafür ist die Story mit einer Menge Nebenhandlungen und Personalbeschreibungen aufgeplustert, die nichts mit der Sache zu tun haben. Bremsen der Handlung und Bremsen der Spannung. Die Hauptermittlungsarbeit läuft letztendlich über die Psychologin Pia. Was macht eigentlich Commissario Fabbri in dieser Story, habe ich mich die ganze Zeit gefragt – doce vita und herumtelefonieren, was die anderen herausgefunden haben? Man kann die nette Geschichte um die Annäherung zwischen Pia und Fabbri schnell lesen, denn hier ist nichts, was bleibt, weder sprachlich noch inhaltlich. Echte Krimileser werden enttäuscht sein.

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