Rezension
von Sabine Ibing
Sprache und Sein
von Kübra Gümüsay
Türkisch ist für mich die Sprache der Liebe und Melancholie. Arabisch eine mystische, spirituelle Melodie. Deutsch die Sprache des Intellekts und der Sehnsucht. Englisch die Sprache der Freiheit.
Ich bin eigentlich davon ausgegangen, dass dieses Buch sich mit Sprache beschäftigt. Aber letztendlich steht Kübra Gümüsay im Mittelpunkt, ihr Problem mit Anerkennung in der Gesellschaft. Sie gibt eine Menge Anekdoten aus ihrem Leben preis. Hier kommt eben viel zusammen, Sprache ist nur ein kleiner Teil davon. Das anders sein – Anerkennung für jeden, egal wie er / sie aussieht, spricht, sich verhält, welche Religion er hat. Sie berichtet, wie sie selbst, mehrsprachig, Sprachen benutzt. Und es ist völlig klar, dass man seine Muttersprache für die Gefühlswelt benutzt – die Ursprache der Kindheit.
Deutsche Sprache sei maskulin durchzogen
Wir müssen uns mit der Architektur der Sprache beschäftigen, die unsere Realität erfassen soll. Damit wir aussprechen können, was ist. Damit wir sein können, wer wir sind. Damit wir sehen können, wer die jeweils anderen sind.
Der Anfang ist interessant, hat mir aber keine neue Erkenntnis gebracht. Der Lehrer, die Lehrerin, die Lehrer - die deutsche Sprache klammert die Frau aus. Das Englische ist einfacher. The teacher, teachers, da es im Englischen lediglich ein Neutrum gibt, kein Feminin und Maskulin, fühlt sich niemand benachteiligt. Die Deutsche Sprache sei maskulin durchzogen, ein generisches Maskulinum. Ich habe mir schon immer ähnliche Gedanken gemacht, allerdings nicht darüber, ob Nomen zu maskulin seien, sondern ich habe mir eher den Kopf darüber zerbrochen, warum es in Nachbarländern eben nicht der Tisch, sondern die Tisch heißt und selbst die Romaner sind sich nicht immer einig.
Aus der Opferrolle argumentiert
Nach Frau Gümüsay müssten wir die Artikel gentrifizieren, aber nicht nur in unserem Land. Nehmen wir uns ein das: Das Lehrer - die Lehrers? Ich finde das Ganze ein wenig polemisiert, abstrahiert und unlogisch. Die Lösung des * ist ja schon in Sicht. Die deutsche Sprache ist maskulin, eine rassistische Sprache, die Männer bevorzugt. Türkisch, Gümüsays Muttersprache, kennt kein Genus. So fühlt man sich als Frau nicht benachteiligt. Dann schauen wir mal rüber in die Türkei und fragen uns, wo man sich nun als Frau benachteiligt fühlen muss! Und immer argumentiert Gümüsay aus ihrer Opferrolle, hoch emotional. Sie benennt einige Strukturen, die sie als Feministin bemängelt, zeigt aber keine Lösungsmöglichkeiten auf. Noch schlimmer, sprachwissenschaftlich wird hier nichts analysiert. Wie kann man analysieren, wenn man ständig einseitig aus der Opferrolle argumentiert?
Sprache ist im Laufe des Buches gar nicht mehr das Thema. Es geht um verletzende Ansprache. Aber wenn ich Menschen beschimpfe, hat das etwas mit mir selbst zu tun, nicht mit meiner Sprache an sich. Rassismus gibt es überall. Aber hier muss ich sauber trennen. Jemanden herabzudegradieren, zu verletzen, das funktioniert in jeder Sprache. Hier kommt es auf das Wie an.
Türkisch hat keine Bedeutung?
Türkisch lernt man nicht, Türkisch verlernt man.
Gümüşay bemängelt, dass ihre Muttersprache in Deutschland nicht als attraktiv gilt. Bevor man eine solche Aussage macht, sollte man überlegen, was die Ursache ist. Früher einmal war Französisch die Sprache, die die bessere Gesellschaft sprach. Noch heute ist die Postsprache Französisch, ebenso die Küchensprache. Heute ist Englisch zur Weltsprache geworden, Spanisch ist interessant, das spricht die halbe Welt, Chinesisch ist geschäftlich am Kommen, Französisch und Italienisch sind als Urlaubssprachen beliebt. Nebenbei, zur Zeit von Goethe war es schick, in der Gesellschaft sächsischen Dialekt zu sprechen. Die Frage stellt sich, wann jemals in der Geschichte bis heute, hat Türkisch eine Bedeutung gehabt? Sprachen lernt man, um sie anzuwenden, sonst vergisst man sie. Natürlich liebt Frau Gümüşay ihre Muttersprache, das soll sie auch. Aber warum wirft sie den Deutschen vor, dass diese Sprache an unseren Schulen keine allgemeine Bedeutung hat?
Schubladendenken auf allen Ebenen
Wenn ich, eine sichtbare Muslimin, bei Rot über die Straße gehe, gehen mit mir 1,9 Milliarden Muslim*innen bei Rot über die Straße. Eine ganze Weltreligion missachtet gemeinsam mit mir die Verkehrsregeln.
Gümüşay betont ständig, dass Rassismus stets mit sprachlichem Handeln beginnt, da sind wir alle bei ihr. Natürlich! Aber immer wieder taucht die Kopftuchfrage auf, die Kübra Gümüsay nicht lösen kann – ein Problem der Muslim untereinander. Ich kenne viele muslimische Frauen, die das Kopftuch als das Bild von Zwang und übelstem Patriarchat ansehen – sich auf nimmer Wiedersehen von Kopftuch und der Familie trennten, um frei zu sein. Genauso kenne ich muslimische Frauen, die das Kopftuch freiwillig mit Stolz tragen als religiöses Zeugnis, teils sogar gegen den Willen der Familie. Insofern ist die Kopftuchdiskussion nicht meine! Rassismus in der Sprache und gegen adere gibt es in Gümüsays eigenen Religionsgemeinschaft genügend. Das spricht sie leider nicht an. Und gelebter Rassismus, den die Autorin ständig beschreibt, hat nicht unbedingt etwas mit Sprache zu tun. Wenn man sie auf Grund ihrer Kleidung und Kopftuch als die Reinigungskraft wahrnimmt, nicht als die geladene Rednerin, dann hat das nichts mit Sprache zu tun, sondern mit Schubladendenken. Wir, also auch ich, sehen alles durch eine weiße Brille und und müssen sensibel werden für Rassismus, sagt sie. Sie beschreibt hier das Problem der Benennenden und Benannten; die Benennenden sprechen von denen da: «Die Ausländer, die Flüchtlinge, die jüdische Frau, der schwarze Mann, die Frau mit Behinderung». Sie fühlt sich als kopftuchtragende Muslima als Benannte. «Die Benannte kämpft darum, sich selbst benennen zu dürfen.» Liebe Kübra Gümüsay, Sie reden ständig von wir, wen auch immer Sie damit meinen. Und Sie reden von weißen Privilegierten als Gegengruppe, diese würden die «Begrenztheit ihrer Perspektive» nicht sehen. Allein damit schießen Sie sich ins Aus. Ich fühle mich damit als Benannte. Pauschal benutzen Sie genau das: die da! Auf Deutsch nennt man Wir und Ihr Schubladendenken. Genau das Kritisierte finde ich in diesem Buch angehäuft. Ich mag es auch nicht, wenn man Menschen in Schubladen steckt. Unsere Sprache hat eine «weiße Perspektive», eine kolonialistische, sagt sie. Eine diskriminierungsfreie Sprache nützt nichts, wenn sie in den Köpfen nicht ankommt! Das lösen wir nicht auf, wenn wir Sprache gendergerecht zerlegen, das liegt an jedem selbst. Wenn ich das Wort «Indianer» verbiete, wie Gümüsay das vorschlägt (ich habe nichts dagegen, im Englischen heißt es auch: Native American), weil es die Morde des Kolonialismus wiederauferstehen lasse, dann ändert dies nichts an der Einstellung der Menschen – hieran muss vorrangig gearbeitet werden. Und wollen wir die Ausrottung der Ureinwohner in Amerika vergessen, historische Fakten ausradieren? Wenn wir begreifen und umdenken wollen, müssen wir begreifen, welch Leid der Kolonialismus der Welt zugefügt hat. Mit keinem Wort allerdings erwähnt Gümüsay die sprachliche, rassistische Ausgrenzung von Menschen in ihrem eigenen Kulturbereich gegen andere. Ich will hier nicht punktuell darauf eingehen, denn die Liste ist lang. Gümüsay schlägt vor, wir sollen in deutschen Schulen Necip Fazýl Kýsakürek lesen, den Dichter, den Deniz Yücel «einen ordinären Antisemiten, der dazu aufrief, Aleviten und andere Abweichler vom sunnitischen Islam ‹wie Unkraut auszureißen und wegzuwerfen›» nannte. Meine Deutschlehrerin hat mit uns Nazim Hikmet gelesen.
Dies ist ein emotionales Essay über Rassismus, ein persönliches, was ich als solches akzeptiere, die Sicht der Autorin. Ich kann aus ihrer Position die Emotionalität verstehen. Die Beispiele, die sie zu Rassismus bringt sind gut und wir alle kennen die Situationen. Es gibt ein paar interessante Denkanstöße, aber letztendlich nichts Neues. Rassismus darf nicht sein, aber jeder von uns tappt, vielleicht auch mal unbewusst, in die Falle. Sensibilisieren, aufmerksam sein! Allerdings mit Sprachwissenschaft hat dieses Buch weniger zu tun. Leider. Hier geht es um Vorurteile, Diskriminierungen und Stereotype – wobei die Autorin das auch selbst gegen andere anwendet. Natürlich ist Sprache auch eine Waffe, wenn man sie anzuwenden weiß. Dazu gibt es eine Menge interessanter Bücher. Was mir hier fehlte, in diesem Kontext, was es für Kinder bedeutet, wenn Sprache sie ausgrenzt, weil sie sie nicht lernen dürfen. Kulturkreise, die mit ihren Kindern ausschließlich die Muttersprache sprechen, entsprechende Medien zu Hause hören, sehen, lesen und sich ausschließlich in ihrem Kulturkreis bewegen, Kinder, die die Landessprache deshalb nur unzureichend in der Schule erlernen und genau darum in der Schule benachteiligt sind. Die Diskussion wäre interessant gewesen. Denn hier fängt Sein und Sprache, Identität, bereits an.
Kübra Gümüsay, geboren 1988 in Hamburg, ist eine der einflussreichsten Journalistinnen und politischen Aktivistinnen unseres Landes. Sie studierte Politikwissenschaften in Hamburg und an der Londoner School of Oriental and African Studies. 2011 wurde ihr Blog Ein Fremdwörterbuch für den Grimme Online Award nominiert. Sie war Kolumnistin der tageszeitung und stand mehrfach auf der TEDx-Bühne. Die von ihr mitbegründete Kampagne #ausnahmslos wurde 2016 mit dem Clara-Zetkin-Frauenpreis ausgezeichnet. Nach Jahren in Oxford lebt sie mit ihrem Mann und ihrem Sohn wieder in Hamburg.
Sachbuch, Rassismus, Sprache
Gebunden, 208 Seiten
Sachbücher
Hier stelle ich Sachbücher vor, die im Prinzip nichts mit Fachliteratur zu tun haben. Eben Sachbücher jeder Art, die ein breites Publikum interessieren könnte.Sachbücher
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