Direkt zum Hauptbereich

Sonnenfinsternis von Arthur Koestler - Rezension

Rezension

von Sabine Ibing




Sonnenfinsternis 

von Arthur Koestler


Der erste Satz: Die Zellentür knallte hinter Rubaschow ins Schloss.

Interessant ist die Geschichte dieses Romans. Er erschien zunächst 1940 in England in englischer Sprache,  wurde dann ins Deutsche übersetzt und erschien 1948 erstmalig in Deutschland (Koesters eigene Rückübersetzung). Arthur Koestler war nämlich sein Originalmanuskript verloren gegangen, an dem er 1938-1040 in Frankreich gearbeitet hatte. Als er die Hälfte bereits geschrieben hatte, wurde er von der französischen Polizei verhaftet, unter dem Verdacht, er sei ein Sowjetagent. Mangels Beweise wurde er bald wieder freigelassen. Er lebte mit der englischen Kunststudentin Daphne Hardy zusammen, die sein Werk unter starkem Zeitdruck ins Englische übersetzte. Die Zwanzigjährige kannte sich nicht detailliert in der deutschen Sprache aus und so war ihre Übersetzung auch nicht besonders gut. Sie konnte ihre Übersetzung gerade noch nach England schaffen, bevor das Paar wieder auf der Flucht war, denn der jüdische Ex-Kommunist konnte sich ausmalen, was ihm blühen würde, wenn die Deutschen ihn erwischten. 1941 waren lediglich 2500 Exemplare in England verkauft. In Amerika lief es besser, insbesondere, da der Roman wichtige Bewunderer gefunden hatte, wie George Orwell, und er wurde in der Time Magazin besprochen. Nach dem 2. Weltkrieg erschien eine Neuauflage, die Verkaufszahlen explodierten, allein die französische Auflage erreichte über 300.000. Jean-Paul Sarte, Simone de Beauvoir und Camus feierten Koester nach seiner Rückkehr nach Frankreich. 75 Jahre lang blieb das Original-Manuskript verschollen, bis der junge deutsche Literaturwissenschaftler Mattias Weßel es im verstaubten Archiv eines Züricher Verlags entdeckte. Der Elsinor Verlag hat nun dies Originalmanuskript neu verlegt.

Sie standen zu dritt vor dem Bett Rubaschows, der junge und der alte Beamte in ihren Uniformen, der Junge mit dem Revolver in der Hand, der Alte in strammer Haltung, wie man vor Vorgesetzten steht. 'Bürger Rubaschow, Nicolas Salmanowitsch, wir verhaften Sie im Namen des Gesetzes', sagte der Junge.

Moskauer Schauprozesse von 1936-38

Koestler war flammender Kommunist, Mitglied der KPD. Die Moskauer Schauprozesse von 1936-38, bei dem Stalin seine eigne Parteiführung hinrichten ließ, änderten allerdings Koesters Weltbild und er trat aus der KPD aus. Sein Roman widmet sich dem Thema des sowjetischen Totalitarismus. Er selbst kannte Bucharin und Radek und fragte sich, weshalb sie die unvorstellbaren Taten im Gefängnis gestanden, der sie bezichtigt wurden, die sie aber nie verübt hatten. Warum wurden plötzlich Führungsoffiziere treue Anhänger verhaftet und liquidiert? Welches System steckte dahinter? Der Protagonist in »Sonnenfinsternis« heißt hier Volkskommissar Rubaschow, einer der inhaftiert wird für Dinge, die er nie gemacht hat, lächerliche Beschuldigungen. Im Gefängnis denkt er über sein Leben nach. Ja, er hatte sich schuldig gemacht, unschuldige Menschen getötet, Gräueltaten verübt – allerdings im Namen der Partei, im Namen der Revolution. Und das war falsch. Dafür will er geradestehen, dafür will er büßen. Nicht für den Unsinn, den man ihm vorwirft. Allerdings hatte er anderen ja Gleiches angetan. Koester nennt weder ein Land, noch reale Namen – allerdings sind alle Protagonisten-Namen und Beschreibungen eindeutig auf die Sowjetunion hindeutend. Wenn er vom »Hampelmann mit dem kleinen Schnurrbärtchen« redet, wissen wir, wer gemeint ist.

Die Definition des Individuums lautete: eine Masse von einer Million, dividiert durch eine Million. Die Partei leugnete den freien Willen des Individuums – und forderte gleichzeitig seine freiwillige Hingabe. Das Individuum stand im Zeichen der ökonomischen Fatalität, ein Rad im Uhrwerk, und die Partei verlangte, dass das Rad gegen das Uhrwerk aufstehe und seinen Ablauf ändere. Irgendwo musste ein Fehler sein in dieser Rechnung stecken; die Gleichung ging nicht auf.

Der Gefangene Rubaschow wird von seinem Freund und Parteigenossen Iwanow verhört, der Rubaschow rät, seinen Verrat freiwillig zu gestehen: konterrevolutionäres Verhalten, oppositionelle Neigungen. Iwanoff geht recht gemäßigt mit Rubaschow um. Ihm folgt Gletkin, ein junger Genosse, der Karrieregedanken verfolgt, der eine härtere Tonart anlegt, der Widerstand von Genosse Rubaschow wird gebrochen. Gletkin erklärt ihm:

Der Bürger Iwanoff wurde gestern Nacht in Vollzug einer administrativen Entscheidung erschossen.

Verhöre, fast wie aus einem realen Protokoll 

Was diesen Roman so ergreifend macht, sind die Verhöre, die aus einem realen Protokoll hätten stammen könnten. Egal, was der Gefangene sagt, gesteht oder auch nicht gesteht, das Urteil steht schon vorher fest: Er wird hingerichtet. Es geht um Macht und um Machterhalt. Um nichts anderes. Koester zeigt den Irrsinn von totalitären Machthabern auf. Genau darum ist der Roman immer noch aktuell. In einem solchen Staat darf man sich nie sicher sein, ob man nicht der Nächste ist, der baumelt, auch wenn man still ist und sich nichts zuschulden kommen lässt. Besonders gefährlich leben Führungskräfte, der Herrschende darf ihnen niemals zu viel Macht zugestehen.

Ein wirklich guter Roman, der sich mit Macht und Machtmissbrauch totalitärer Staaten befasst, mit blindem Hinterherrennen von Ideologien.

Kommentare

Beliebte Posts aus diesem Blog

Rezension - Ambivalenz von Amélie Nothomb

  Eben noch war Claude mit Reine im Bett. Beim Anziehen erklärt sie, sie würde ihn für den erfolgreicheren Jean-Louis verlassen; eiskalt sie offeriert ihm, der habe mehr zu bieten. Claude schwört, sich an Reine zu rächen. Claude heiratet Dominique; Frau und Tochter interessieren ihn nicht, er hat andere Pläne. In Zeitraffern und Extrakten teilt der Leser das Leben der Familie – hier geht es um Liebe, Rache und Vergeltung auf mehreren Ebenen, die radikale Bloßstellung menschlicher Ruchlosigkeit. Feiner kurzer Roman! Weiter zur Rezension:    Ambivalenz von Amélie Nothomb

Rezension - Comfort von Ottolenghi und Helen Goh

  Rezepte, die du lieben wirst Der Israeli Yotam Ottolenghi hat zusammen mit seinem dreiköpfigen Küchenteam das nächste Kochbuch entwickelt. Das Team widmet sich dem Comfort Food und liefert inspirierende Gerichte, die nach Zuhause und Geborgenheit schmecken. Aber auch nach Kindheitserinnerungen und Reiseeindrücken. Comfort Food bedeutet für jeden etwas anderes, auf jeden Fall etwas wie Geborgenheit und Wohlfühlgefühl: ein Gefühl von Nostalgie, aber auch Vertrautheit. So sind über 100 Rezepte entstanden, von der Bolognese (mit asiatischen Gewürzen) bis zu Eier-Gerichten, von der One-Pot-Pasta bis zum Apfelkuchen. Rezepte, die zugleich originell aber auch vertraut und bewährt sind. Und immer mit dem gewissen Ottolenghi-Twist. Weiter zur Rezension:    Comfort von Ottolenghi und Helen Goh

Rezension - O du schreckliche: Ein garstiger Weihnachtskanon

  Kurzgeschichten herausgegeben von Felix Jácob Felix Jácob liebt Weihnachten und fürchtet es zugleich. Im Kreis seiner großen Familie wird an den Feiertagen zelebriert, beschenkt – und lautstark gestritten. Als passionierter Leser, studierter Philologe und langjähriger Büchermacher in europäischen Verlagen sammelt er seit Jahren die schönsten und bösesten Geschichten zum Fest. Wer spricht davon, Weihnachten zu feiern? Überstehen ist alles! Garstige, schräge Weihnachtsgeschichten für Lesende, die schwarzen Humor lieben. Weiter zur Rezension:     O du schreckliche: Ein garstiger Weihnachtskanon

Rezension - Der Rückwärtsdieb - Mehr als nur ein Trick! von Ulrich Fasshauer von Ulla Mersmeyer

  Der Vater des 11-jährigen Nachwuchs-Zauberkünstler Lenny ist Antiquar. Die wertvollsten Bücher hält er im Tresor verschlossen. Das eine will er nun verkaufen, es ist ziemlich viel wert. Es sei ein uraltes, wertvolles Zauberbuch. Lenny glaubt, es können ihm weiterhelfen, berühmt zu werden; und so stibitzt er den Band, nur ausgeliehen! Was soll denn schon passieren? Doch dann wird Lenny selbst bestohlen! Wer könnte es auf das alte Buch abgesehen haben? Spannend, turbulent, witzige Dialoge. Lesespaß ab 10 Jahren.  Weiter zur Rezension:    Der Rückwärtsdieb - Mehr als nur ein Trick! von Ulrich Fasshauer von Ulla Mersmeyer

Rezension - Chronisch gesund statt chronisch krank von Dr. med. Bernhard Dickreiter

Von der Schulmedizin bis heute ignoriert: Die wahren Ursachen der chronischen Zivilisationskrankheiten – und was man dagegen tun kann Noch nie hat es so viele chronisch Kranke gegeben wie heute: Arthrose, Diabetes, Alzheimer, Rückenleiden, Krebs, Burnout usw. Der Internist, Reha-Experte und Ganzheitsmediziner Dr. med. Bernhard Dickreiter ist überzeugt, dass diese Patienten selbst aktiv etwas dagegen unternehmen können. Sein Standpunkt: Wir müssen alles dafür tun, damit es den Zellen in unserem Organismus gut geht. Jede Zelle ist von einer organtypischen Umgebung eingeschlossen, in die sogenannte extrazelluläre Matrix (EZM). Dort zieht die Zelle ihre Nährstoffe, den Sauerstoff, und hier entsorgt sie ihre Abfallstoffe. Ist die Zellumgebung nicht gesund, werden wir krank. Die Schulmedizin bekämpft meist nur Symptome: Schmerzen – Schmerztablette. Die Ursachen werden oft nicht hinterfragt, bzw. operabel versucht zu beheben: neues Knie, neue Hüfte usw. Dickreiter geht ganzheitlich vor. ...

Rezension - Die Schatzinsel von Sebastià Serra, nach Robert Louis Stevenson

In diesem hochwertigen Pappbilderbuch wird der Klassiker «Die Schatzinsel» in Reimform erzählt. Es ist die Geschichte einer abenteuerlichen Suche nach einem Piratenschatz, bei der der Junge Jim eine Hauptfigur ist; ebenso eine Schatzkarte. Ich war ja ehrlich gesagt skeptisch, ob man einen dicken, spannenden Roman in eine kurze Reimform bringen kann. Das ist gelungen. Spannendes Bilderbuch ab 3 bis 4 Jahren. Empfehlung! Weiter zur Rezension:    Die Schatzinsel von Sebastià Serra, nach Robert Louis Stevenson

Rezension - Mittelmeer: Tauche ein in die mediterrane Welt von Katharina Vlcek

Dieses Sachkinderbuch bietet viel Hintergrundwissen zur Mittelmeerregion. Das Buch entführt uns zu Zeugnissen großer Kulturen, Geografie, Geschichte, die Geschichte ihrer Besiedlung und lädt uns ein, ein die Tiefe der Unterwasserwelt zu tauchen. Die mediterrane Region ist aber nicht nur ein Urlaubsort: Schon seit über 42 000 Jahren leben Menschen am und vom Mittelmeer, mit einer 46.000 Kilometer langen Küstenlinie und 521 Millionen Menschen, die in den 24 angrenzenden Staaten leben. Eine runde Information, grafisch hervorragend begleitet, ein Kinderbuch ab 9 Jahren. Empfehlung! Weiter zur Rezension:    Mittelmeer: Tauche ein in die mediterrane Welt von Katharina Vlcek

Rezension - Franz – oder warum Antilopen nebeneinander laufen von Christoph Simon

Ein Schweizer Kultbuch von 2001, neuaufgelegt, ein Comming of age – Roman, schräg, amüsant, empathisch, spleenig. Franz ist einer, der weiß, dass er irgendwie die Schule überstehen muss, mit Abschluss, aber wozu das alles gut sein soll, hat er noch lange nicht kapiert. Schule ist irgendwie ein Stück Heimat, wenn nur der Unterricht nicht wäre. Ein typisches Jugendbuch, allerdings in einer Form, das auch Erwachsenen gefällt. Hier geht es zur Rezension:    Franz – oder warum Antilopen nebeneinander laufen von Christoph Simon

Was ist eigentlich Kriminalliteratur? - Ein Abend mit Else Laudan in der Wyborada

Am 08.11.2019 war ich zu einer Mischung aus Lesung und Definition des Begriffs Kriminalliteratur in St. Gallen in der Wyborada zu Gast, im Literaturhaus & Bibliothek in St. Gallen in der Frauenbibliothek und Fonothek Wyborada. Else Laudan sprach zum Thema Kriminalliteratur, erzählte ihren Weg mit ihrem freien Verlag Ariadne, ein Verlag, der ausschließlich literarische Kriminalliteratur von Frauen veröffentlicht. Weiter zum Artikel:    Was ist eigentlich Kriminalliteratur? - Ein Abend mit Else Laudan in der Wyborada 

Rezension - L’Osteria Grande Amore von L’Osteria und Diana Binder

  Die Geheimnisse unserer Küche L’Osteria Grande Amore – das erste Restaurant eröffnete 1999 in Nürnberg. Systemgastronomie – heute hat die Kette gut 200 Restaurants in neun Ländern mit rund 8.000 Beschäftigten. Seitdem hat sich das Ursprungskonzept mehr als bewährt: Frische italienische Küche, lässiges Ambiente, Pizze, die über den Tellerrand hinausragen und Systemgastronomie, die schmeckt. Im Buch sind in der Einführung einige Fotos zu den Lokalitäten enthalten. Und dann geht es los zu den Rezepten aus L’Osteria Grande. Neues Rezepte zu Pasta und Pizza! Empfehlung! Weiter zur Rezension:    L’Osteria Grande Amore von L’Osteria und Diana Binder