Direkt zum Hauptbereich

So sorry von Adam Fletcher - Rezension

Rezension 

von Sabine Ibing



So sorry 


von Adam Fletcher

Ein Brite erklärt sein komisches Land 


Das Einzige, wofür sich ein Brite nicht entschuldigt, sind wirklich bedeutende Fehltritte und größere Sünden. Wo die Bitte um Entschuldigung also wirklich angebracht wäre, sind unsere Schande und die Scham darüber so groß, dass sie niemals angesprochen werden dürfen.

Die Briten sind unsere europäischen Nachbarn – ein etwas anderes Volk – sie fahren auf der falschen Straßenseite, messen in Fahrenheit und Meilen, kurz, sie machen alles anders als der Rest Europas. Sie sind Meister der Extrawürste – apropos Würste, die britische Küche genießt keinen guten Ruf – und nun steigen sie ganz aus Europa aus: Brexit. Mit Kopfschütteln blickt der Rest Europas über den Ärmelkanal, fragt sich, was auf der Insel derzeit abgeht. Kein Vorschlag zum Brexitabkommen wird angenommen – no, no, ist die Antwort, auf konkrete Vorschläge seitens der Briten dürfen wir wohl noch lange warten. Sorry, we`re so sorry – wir hätten euch gern bei uns behalten, liebe Nachbarn. Wir würden euch gern verstehen …



Heilige Kühe, die niemand schlachten darf. Für uns Briten ist das der National Helth Service, äh, ich meine unser glorreiches, staatliches Gesundheitssystem. Es ist so unantastbar wie die Queen, Adele, Stephen Fry, Lady Di und die BBC. ›Die NHS kommt einer nationalen Religion Englands am nächsten‹, hat der Politiker Nigel Lawson gesagt. Ich glaube, damit meint er: Man darf ihn nicht kritisieren, er steckt voller falscher Götzenbilder und passt nicht in die moderne Welt.

Wer sind die Briten und wie ticken sie? Sorry oder I’m so sorry, der beliebteste Satz. Einfach mal entschuldigen, ob man etwas gemacht hat oder nicht, für alles das, was man noch zu tun gedenkt … Niemanden stören, niemandem zur Last fallen, immer freundlich und höflich sein. I’m so sorry, dass ich es so formuliere, es wäre sicher eine geschliffenere Version möglich gewesen, sorry. Gesundheitssystem, Klassengesellschaft, Kameraüberwachung, britischer Humor – Banter, es gibt eine Menge zu erfahren über unsere Nachbarn. Frag mal jemanden, ob er Hilfe benötigt – natürlich braucht er keine! Dreimal fragen, dreimal ablehnen, das gehört zum Spiel. Beim vierten Mal nicht fragen, einfach anpacken – alles andere wäre jetzt unhöflich.



Eins habe ich in Deutschland rasch gelernt: Wenn ich fürchte, dass mir die Antwort nicht gefallen könnte, sollte ich die Frage nicht stellen. Bei uns Crumpet-Fans haben Sie das umgekehrte Problem: Sie stellen Fragen und bekommen Antworten und müssen dann zu deuten versuchen, was wir damit gemeint haben. Gar nicht fine.

Please und thank you – wie kaufen wir ein? Nach sorry, die nächsten wichtigen Vokabeln. Danke, Danke, Danke, und nicht vergessen – sorry – wofür auch immer. Englische Höflichkeit, eine Hürde ist zu nehmen und alles was als fine bezeichnet wird, ist nicht wirklich fein. Groß Britannien, das Land der Zwischentöne, Adam Fletcher erklärt uns die Briten mit einer ordentlichen Portion britischen Humors. Bei so viel Höflichkeit und Rücksichtnahme ist folgende Tatsache nicht verwunderlich: die herbesten und obzönsten Flüche können die Briten ebenso für sich verbuchen. Adam Fletcher ist Wahlberliner, mit einer Deutschen liiert. Er blickt mit Liebe und gleichzeitigem Kopfschütteln – sorry, mit britischem Humor – auf sein Volk. Das ganze ist hinterlegt mit Vergleichstabellen (die übrigens nicht neu sind) und ein paar Grafiken. Amüsant und gut zu lesen, ein Buch, dass man vor seinem Urlaub auf den Britischen Inseln lesen sollte. Brav in Reihe aufstellen, in die öffentlichen Kameras schauen und einfach mal sorry sagen – für alles, was man in den nächsten Stunden falsch machen wird. Empfehlenswert!

Adam Fletcher, 1983 in England geboren, lebt seit 2010 in Berlin. Er hat die halbe Welt bereist, hat sich in die Deutschen verliebt und ist daher nun bereit, uns die letzten Geheimnisse der britischen Seele preiszugeben.


Adam Fletcher 
So sorry
Mit Illustrationen von Robert M. Schöne.
Aus dem Englischen von Ingo Herzke
C.H. Beck Verlag, 2018
Softcover, 208 Seiten, mit 39 Abbildungen

Kommentare

Beliebte Posts aus diesem Blog

Rezension - Sex in echt von Nadine Beck, Rosa Schilling und Sandra Bayer

  Offene Antworten auf deine Fragen zu Liebe, Lust und Pubertät Ein Aufklärungsbuch, das locker Fragen beantwortet und kurze Erfahrungsberichte von jungen Menschen einstreut, das alles mit knalligen Illustrationen unterlegt. Du bist, wie du bist, und du bist, wie du bist okay. Das Jugendbuch erklärt, stellt Fragen. Die Lust im Kopf, genießen mit allen Sinnen; was verändert sich am Körper in der Pubertät?, die Vagina, die Monatsblutung, der Penis, Solosex, LGBTQIA, verliebt sein, wo beginnt Sex?, Einvernehmlichkeit, wie geht Sex?, Verhütung, Krankheiten, Sextoys – das Buch spart nichts aus. Informieren, anstatt tabuisieren! Locker und sensibel werden alle Themenfelder sachlich vorgestellt. Prima Antwort auf offene Fragen; ab 11 Jahren. Empfehlung! Weiter zur Rezension:   Sex in echt von Nadine Beck, Rosa Schilling und Sandra Bayer

Rezension - Das Nest von Sophie Morton-Thomas

  Ein Küstenort in Großbritannien, wo das Marschland auf den Ozean trifft, wo Vögel die bessere Gesellschaft sind, lebt Fran eine ereignislose Routine. Sich um den Campingplatz kümmern, der mit Mobilheimen ausgestattet ist, ihren Sohn von der Schule abholen, Abendessen kochen. Mit Dom, ihrem Mann, läuft es nicht mehr so, ihre Schwester lebt mit ihrer Familie in einem Wagen, zahlt keine Miete, dem Schwager hatte sie den Entzug finanziert und jetzt trinkt er wieder, hat keine Arbeit. Freude findet Fran nur an den verschiedenen Vogelarten, die sie am Strand beobachten kann; sie hat auch ein Häuschen zur Beobachtung finanziert. Und nun entdeckt sie ein Nest mit einer seltenen Vogelart, hofft, dass die Jungen ausschlüpfen werden. Und verschwindet die Lehrerin … Ein leiser Thriller. Weiter zur Rezension:    Das Nest von Sophie Morton-Thomashttps

Rezension - Lázár von Nelio Biedermann

  «Ein wirklich großer Schriftsteller betritt die Bühne, im Vollbesitz seiner Fähigkeiten.», so wird von ihm geschrieben. Nelio Biedermann schreibt mit 20 Jahren sein erstes Buch und das Manuskript geht in die Versteigerung – die Verlage überbieten sich, es wird in 20 Sprachen verkauft, man redet über ein sechsstelliges Vorschusshonorar – über den neuen Thomas Mann . Uff. Ich war gespannt. Mich konnte der Familienroman nicht überzeugen – leider. Weiter zur Rezension:    Lázár von Nelio Biedermann

Rezension - Dunkle Sühne von Karin Slaughter

  Gesprochen von NinaPetri  Ungekürztes Hörbuch, Spieldauer: 19 Stunden und 55 Minuten  Willkommen in North Falls - einer kleinen Stadt, in der jeder jeden kennt. Das glauben zumindest alle. Bis zum großen Feuerwerk am 4. Juli . Als in dieser Nacht zwei Teenager-Mädchen verschwinden, ist die Stadt in Aufruhr. Für Deputy Emmy Clifton wird der Fall zur Bewährungsprobe – beruflich und persönlich, ihr Vater ist der Sheriff der Kleinstadt. Eines der vermissten Mädchen ist die Tochter ihrer besten Freundin, und Emmy weiß, dass sie sie nach Hause bringen muss, um eine alte Schuld zu begleichen. Doch je tiefer Emmy in die Ermittlungen eintaucht, desto stärker wird ihr bewusst, dass hinter den vertrauten Gesichtern der Kleinstadt dunkle Abgründe lauern. Ein klasse Auftakt für eine Serie,  Copkrimi , Whodunnit , ein düsterer, stimmungsvoller literarischer Krimi aus den ländlichen Südstaaten, gut aufgebaute Charaktere, toxische Männlichkeit , Spannung, Familiendramen, Wendun...

Rezension - Motte und die Metallfischer von Sanne Rooseboom und Sophie Pluim

  Der Sommer, in dem Motte ein U-Boot fand, fing ziemlich normal an. Langweilig sogar. Doch auf einmal liegt das Schicksal der ganzen Stadt in ihren Händen. Es sind Ferien, aber Mottes Mutter muss arbeiten, einen Urlaub könnten sie sich nicht leisten. Sie ist als Personalcoach unterwegs: Mode, Schminke, Sport, Gesundheit, Ernährung. Und genau das interessiert Motte so gar nicht. Am Kai zeigt ihr Lukas das Metallfischen – ein perfektes Hobby für Motte, die neben schwarzer Kleidung das Unperfekte an Dingen liebt. Sie kauft sich einen Magneten zum Metallangeln. Vielleicht kann man sich etwas verdienen, wenn man Altmetall zur Altmetallhändlerin bringt; sie sammelt ihre ersten Schätze, die die Mutter eklig findet. Plötzlich hängt etwas ganz Großes an der Angel! Spannender Kinderroman ab 9/10 Jahren. Empfehlung! Weiter zur Rezension:   Motte und die Metallfischer von Sanne Rooseboom und Sophie Pluim

Was ist eigentlich Kriminalliteratur? - Ein Abend mit Else Laudan in der Wyborada

Am 08.11.2019 war ich zu einer Mischung aus Lesung und Definition des Begriffs Kriminalliteratur in St. Gallen in der Wyborada zu Gast, im Literaturhaus & Bibliothek in St. Gallen in der Frauenbibliothek und Fonothek Wyborada. Else Laudan sprach zum Thema Kriminalliteratur, erzählte ihren Weg mit ihrem freien Verlag Ariadne, ein Verlag, der ausschließlich literarische Kriminalliteratur von Frauen veröffentlicht. Weiter zum Artikel:    Was ist eigentlich Kriminalliteratur? - Ein Abend mit Else Laudan in der Wyborada 

Interview mit Christina Clemm von Sabine Ibing

  © Sibylle Baier, Antje Kunstmann Verlag Christina Clemm arbeitet als Strafverteidigerin und als Nebenklagevertreterin von Opfern sexualisierter und rassistisch motivierter Gewalt. Deutschlands bekannteste Fachanwältin für Straf- und Familienrecht in Berlin und war Mitglied der Expertenkommission zur Reform des Sexualstrafrechts des BMJV, Aktivistin und politisch aktiv für Geflüchtete und von Gewalt Betroffene. Nach den neuesten Zahlen des BKA ist jede dritte Frau in Deutschland von physischer und/oder sexualisierter Gewalt betroffen. In ihrem Buch «AktenEinsicht – Geschichten von Frauen und Gewalt» nimmt sie uns mit auf eine Reise in die Gerichtssäle der Republik, an die Tatorte, in die Tatgeschehen. Mit  «Gegen Frauenhass» zeigt sie die Mechanismen patriarchaler Gewalt und fordert, dass sich endlich etwas ändert. Hier mein Interview mit Christina Clemm. Weiter:   Interview mit Christina Clemm von Sabine Ibing

Rezension - Was danach kommt von Anika Suck

  Karmen passt einen Moment beim Autofahren nicht auf und verursacht einen Verkehrsunfall mit tragischem Ausgang – ein Kind ist tot. Es sind nur ein paar Sekunden, die Karmens Leben in seinen Grundfesten erschüttern. Denn im darauffolgenden Prozess muss sie sich einer Schuld stellen. Von der Presse Kindsmörderin getauft und von der Empörungsgesellschaft vorverurteilt, wird sie auch von ihrem sozialen Netz fallen gelassen. Am Ende muss Karmen selbst entscheiden, ob sie schuldig ist oder nicht. Mich konnte das Buch nicht überzeugen, da für mich die Darstellung der Geschichte absoluter Gerichts-Nonsens ist. Weiter zur Rezension:    Was danach kommt von Anika Suck  

Rezension - Kalte Füße von Francesca Melandri

  Im Winter 1942/43 flohen italienische Soldaten in Schuhen mit Pappsohlen vor der Roten Armee, Zehntausende erfroren. Der «Rückzug aus Russland» hat sich als Trauma im kollektiven Gedächtnis Italiens eingebrannt - auch in der Familie von Francesca Melandri, einer der wichtigsten Autorinnen Italiens. Ihr Vater hat ihn überlebt. Doch erst als Anfang 2022 Bilder und Orte des Kriegs in der Ukraine omnipräsent sind, wird ihr klar: Der Vater ist vor allem in der Ukraine gewesen. Sie tritt mit ihrem verstorbenen Vater in ein Zwiegespräch, wobei sie den Krieg damals mit dem Heutigen in der Ukraine vergleicht. Und es ist eine Abrechnung mit der italienischen Linken. Empfehlung, unbedingt lesen! Weiter zur Rezension:    Kalte Füße von Francesca Melandri 

Rezension - A GOOD GIRL’S GUIDE TO MURDER von Holly Jackson

Ein überraschend guter Jugendkrimi ab 14 Jahren! Für ein Schulprojekt will Pippa, genannt Pip, den Vermisstenfall «Andie Bell» rekonstruieren, wobei sie die Bedeutung der Printmedien und Social Media untersuchen will. Andie Bell war fünf Jahre zuvor in einer Nacht verschwunden. Ihr Freund Sal Singh wurde verdächtigt, denn es gabt einige Spuren, die zu ihm führten, die Medien fuhren sich auf ihn ein. Sal Singh hatt kurz darauf Suizid begonnen, sich an einem Baum aufgehängt. Für den gesamten kleinen Ort und für die Polizei war die Sache klar: Andie ist ermordet worden, Sal bringt sich um und gesteht somit den Mord. Pip will genau wissen, was damals geschah. Weiter zur Rezension:  A GOOD GIRL’S GUIDE TO MURDER von Holly Jackson