Direkt zum Hauptbereich

Schecks kulinarischer Kompass von Dennis Scheck - Rezension

Rezension

von Sabine Ibing



Schecks kulinarischer Kompass 


von Dennis Scheck

Köstliches und Kurioses aus meiner Küche und aller Welt


Als 13-, 14-jähriger Schüler reservierte ich mir gern mittags einen Tisch für mich allein in einem Ein-Sternelokal einer schwäbischen Kleinstadt. ... Diese Restaurantbesuche waren vielmehr ein stiller Protest gegen den schleichenden sozialen Abstieg meiner Familie, den ich als Kind miterlebte.


Denis Scheck ist ein echter Dandy – das ist mir mit diesem Buch klar. Als Jugendlicher «lehnte mich auf, indem ich die dreiteiligen Anzüge meines Großvaters anzog, mir einen Gehstock mit Silberknauf zulegte wie Dagobert Duck»: dazu trug er goldfarbene Krawatten und manikürte sich die Fingernägel. Und diesem Stil ist er sich immer treu geblieben. Wenn er zu sich nach Hause einlädt, gehört bei ihm eine gestärkte weiße Tischdecke zum Menü, wie auch das Tafelsilber, Serviettenringe und die Halter für die Platzkarten. Scheck ist ein Genießer – er lässt sich gern bekochen und er kocht selbst sehr gern. Und darum geht es in diesem Buch. Immer auf Achse durch die Welt lernt er viele Lokale kennen, Sternerestaurants – und darüber berichtet er anekdotenhaft, und er plaudert aus der eigenen Küche. Er schimpft über Industriefutter, schlechte Bäcker, gefälschte Trüffel, lässt sich aus über das Woke-Kochen, über Quälfleisch, Kochutensilien, die Aneignung von Pflanzen in der heimischen Küche aus den Kolonien herübergetragen. Literatur zum jeweiligen Thema fließt ein. Jede Menge Restauranttipps ... 




Ich jage. Ich mache das, weil ich Fleisch essen möchte. Ich bin alles andere als ein Nimrod, ich töte nicht gern. Ich weiß, wie es sich anfühlt, mit der Verantwortung zu leben, einen tödlichen Schuss abgegeben zu haben … Wir möchten uns unbedingt einreden, das Fleisch wachse an einem Schnitzelbaum und komme nicht von niedlich dreinblickenden Tieren, die dafür sterben müssen.


Was hatte ich erwartet? Jedenfalls mehr Tiefe; Erzählungen. Dies hier ist eher ein Aneinanderreihen von Sachlichkeiten, plaudernd, aufzählend, ohne literarische Kraft; Anekdoten aus dem Leben des Schecks. Er springt von Thema zu Thema ohne roten Faden. Er schwärmt von den fast süßen Meyer-Zitronen mit dünner Schale, die man in den Kalifornien erhält (so gut wie gar nicht in Deutschland), springt dann im nächsten Satz zu Restaurantempfehlungen von italienischen Restaurants in Baden Württemberg. Er erzählt vom Pariser Sternelokal «Jules Verne» auf den Eiffelturm (wo Damen zum Abschied eine Madeleine im Seidenstofftuch erhalten), vom «Pergola» gegenüber dem Petersdom (hier kocht der deutsche Drei-Sterne-Koch Heinz Beck und Scheck nennt ihn den «besten Pastakoch Italiens»), berichtet von den Ständen der Markthalle «La Boqueria» in Barcelona (die Imbisshölle des Tourismus vertrieb hier die Kulinarik). Oder von dem Kölner Metzger, der seine Mettbrötchen als «German Sushi» verkauft. Rezepte findet man in diesem Buch selten, auch nur am Rande erwähnt, im Fließtext – z.B. wie Scheck seine Aioli selbst erstellt oder das Spätzlerezept seiner Großmutter (12 Eigelb auf 250 Gramm Mehl). Als passionierter Hobbykoch leidet Scheck natürlich an einer Krankheit, die viele Hobbyköche betrifft: Kaufsucht von Geräten rund ums Kochen. Und womit ich so gar nicht gerechnet hätte – der Gourmet kocht mit Thermomix! Die Namen von Personen, Restaurants, Firmen und Literatur sind in blauer Farbe abgehoben und am Ende gibt es ein gutsortiertes Register, um alles schnell wiederzufinden. Manchmal ließ bei mir das Gefühl bei mir nicht nach, mich in einem Werbekatalog zu befinden.


 

Die Angst. Austern? Die leben ja noch, wenn man sie isst. Wie zum Teufel kann man sich so was in den Mund stecken, was noch lebt? Etwas, das glitschig im Mund herumzuckt ... Dann aber führte mich eine mütterliche Freundin mit französischen Wurzeln zur Feier meiner Volljährigkeit groß aus. ... bestellte sie zum Auftakt, ohne groß zu fragen, Champagner und les huitres. Diese ersten Austern meines Lebens, ganz selbstverständlich sechs nur mit einem Spritzer Zitronensaft, sechs mit einer Rotwein-Schalotten-Vinaigrette verzehrt, erforderten nicht geringe Überwindung. Aber sie waren ein Erweckungserlebnis. Klar, dieses schlonzige Gefühl im Mund war zunächst nicht angenehm. Aber da musste ich durch. Denn nach ein, zwei Bissen entfaltete sich ein Aroma, nach dem ich bis heute süchtig bin. Diese Klarheit. Diese Frische. Diese Jodigkeit. Diese Mineralität! Ein puristischer Genuss!


Man kann diesen Erzählband chronologisch lesen oder querbeet Kapitel herauspicken; wie gesagt, einen roten Faden gibt es nicht. Es gibt keine guten Bäcker mehr, selbst Glühwein und Lebkuchen auf dem Weihnachtsmarkt sind Industrieware, viel zu süß. Wir sollten weniger Fleisch essen – ein Hoch auf das Gemüse. Alles seit über 30 Jahren bekannt. Witzig fand ich das Kapitel zur Bouillabaisse (Muscheln darin geht für Scheck gar nicht), als er das weltweit hochgelobte «Chez Camille» besuchte. Die Brühe sehr gut, der Fisch zerkocht, nicht immer ist das seit 40 Jahren Angesagte gut. Ein Teller Suppe für 72 € oder 122 € mit Languste darin – immerhin, die Aussicht war fantastisch. Erzählerisch empfand ich die Geschichten kraftlos, inhaltlich belanglos. Für mich hat das Buch keinen Mehrwert, einen Micheline benötige ich nicht. Als Literaturkritiker, der auch die Bestseller monatlich bewertet, ballert Scheck Bücher, die er für nicht würdig hält, gern in die Tonne. Zack rein, Herr Scheck, niemand verpasst etwas, wenn er dieses Werk umgeht. 


Denis Scheck, geboren 1964 in Stuttgart, lebt heute in Köln. Bereits im Alter von 13 Jahren gründete er eine eigene literarische Agentur. Als literarischer Übersetzer und Herausgeber engagierte er sich für Autoren wie Michael Chabon, William Gaddis und David Foster Wallace, Antje Strubel und Judith Schalansky. Lange arbeitete er als Literaturkritiker im Radio, heute ist er Moderator der Fernsehsendungen „Lesenswert“ im SWR und „Druckfrisch“ in der ARD..

Torben Kuhlmann, geboren 1982, lebt als freiberuflicher Illustrator und Kinderbuchautor in Hamburg.



Denis Scheck
Schecks kulinarischer Kompass
Erzählungen, Kulinarisches, Sterneküche, Kurzgeschichten
Hardcover, 304 Seiten, mit 17 Schwarz-Weiß-Abbildungen von Torben Kuhlmann
Piper Verlag, 2022





Kulinarische Bücher 

Kochbücher, Backbücher und alles rund um Lebensmittel findet sich kompakt auf dieser Seite. Auch Genussromane, soweit ich welche lese. Schleckermäulchen also hierher klicken:

Kommentare

Beliebte Posts aus diesem Blog

Rezension - Das Totenschiff von B. Traven

  Gesprochen von: Nicolas Batthyany Ungekürztes Hörbuch, Spieldauer: 10 Std. und 57 Min. Der amerikanische Seemann Gales verpasst in den Kneipen Antwerpens nach einer Liebesnacht sein Schiff, auf dem sich sein einziges Identitätsdokument, seine Seemannskarte, befindet – und er ist pleite; seine Heuer befindet sich an Bord. Die niederländische Polizei greift ihn auf und müsste ihn eigentlich für Jahre einsperren. Doch sie schieben ihn über die Grenze zu den Belgiern ab. Eine Abschiebe-Odyssee beginnt. Ohne Seemannskarte darf ihn kein Schiff anheuern. Doch es gibt Skipper von Schmugglerschiffen, denen ist das egal, weil sie dringend Personal suchen. Man nennt sie Totenschiffe … Ein spannender Abenteuerroman mit Gesellschaftskritik – ein Klassiker, den es sich lohnt zu lesen. Weiter zur Rezension:    Das Totenschiff von B. Traven 

Rezension - Vielleicht von Kobi Yamada und Gabriella Barouch

Die Welt steht derzeit ein wenig still. Zeit zum Reden mit der ganzen Familie. Zunächst wundert man sich, ein Bilderbuch für Kinder von 4 - 8 Jahren, sehr textreduziert. Aber es ist kein Buch zum Vorlesen, sondern eins zum miteinander reden, eins, über sich selbst nachzudenken. Wer bin ich und was kann ich, was sind meine Stärken, was werde ich später einmal machen? Jeder Mensch ist einzigartig und jeder Mensch besitzt besondere Fähigkeiten. Um selbst reflektieren zu können, braucht es eine gewisse Reife. «Vielleicht werde ich einmal etwas erfinden!» Was könnte man erfinden? «Vielleicht werde ich einmal Leute begeistern!» Der Fantasie ist freien Lauf gesetzt. Ausprobieren, scheitern lernen, weitermachen. Ein feines Buch zur Stärkung von Selbstbewusstsein. Weiter zur Rezension:    Vielleicht von Kobi Yamada und Gabriella Barouch

Rezension - Was macht die Nacht? von Dirk Gieselmann und Stella Dreis

  Eine fantasievolle poetische Gutenachtgeschichte, eine Bilderbuch-Reise über das, was in der Nacht geschieht. Eine Tochter fragt den Papa: «Was ich dich schon immer mal fragen wollte ..... Was passiert eigentlich, wenn ich schlafe?» Und der Papa beginnt zu erzählen. Es beginnt um neun Uhr. Stunde um Stunde verändert sich die Nacht und zeigt uns ihr wahres, ihr traumgleiches Antlitz: Statuen spielen verstecken, Telefone rufen sich gegenseitig an, der Wal im Schwimmbad traut sich an die Wasseroberfläche, die Laternen trinken aus Pfützen… Ist das möglich, was Papa erzählt? Oder will er uns einen Bären aufbinden? Eine wunderschöne Gutenachtgeschichte ab 4 Jahren, die zu herrlichen Träumen einlädt. Empfehlung! Weiter zur Rezension:    Was macht die Nacht? von Dirk Gieselmann und Stella Dreis

Was ist eigentlich Kriminalliteratur? - Ein Abend mit Else Laudan in der Wyborada

Am 08.11.2019 war ich zu einer Mischung aus Lesung und Definition des Begriffs Kriminalliteratur in St. Gallen in der Wyborada zu Gast, im Literaturhaus & Bibliothek in St. Gallen in der Frauenbibliothek und Fonothek Wyborada. Else Laudan sprach zum Thema Kriminalliteratur, erzählte ihren Weg mit ihrem freien Verlag Ariadne, ein Verlag, der ausschließlich literarische Kriminalliteratur von Frauen veröffentlicht. Weiter zum Artikel:    Was ist eigentlich Kriminalliteratur? - Ein Abend mit Else Laudan in der Wyborada 

Rezension - Das geheime Leben der Bäume von Peter Wohlleben, Benjamin Flao, Fred Bernard

  Der Weltbesteller, der den Blick auf die Bäume verändert hat, gibt es jetzt als Graphic Novel. Peter Wohlleben hat sich lange und intensiv mit Bäumen beschäftigt, sie erforscht. Und sein wundervolles erzählendes Sachbuch über Bäume wurde zum Bestseller. Der Förster hat sie beobachtet und analysiert, sich alles Wissen über Bäume angeeignet – uns Lesern sein Wissen in empathischer Weise weitergegeben. Neue Perspektiven und Hintergründe haben uns den Baum nähergebracht. In diesem Comic gibt es eine andere Perspektive – die Gezeichnete. Inhaltlich ist alles das enthalten, was das erzählende Sachbuch ausmacht. Hervorragend! Weiter zur Rezension:    Das geheime Leben der Bäume von Peter Wohlleben, Benjamin Flao, Fred Bernard

Rezension - WAS IST WAS Dinosaurier und andere Urzeittiere von Dr. Manfred Baur

  Dieses Sachkinderbuch mit großen Illustrationen liefert alle wichtigen und spannenden Fakten rund um Dinosaurier und andere Urzeittiere. Wie konnten die Dinosaurier, Meeressaurier und Flugsaurier zu so vielfältigen Tiergruppen werden und das Erdmittelalter beherrschen? Das Buch beschäftigt sich mit den Anfängen der Dinosaurier und legt den Schwerpunkt auf das Mesozoikum, also die Zeitspanne von Trias bis Kreide. Ein feines, umfangreiches Kinderbuch ab 8 Jahren für Dinofans. Weiter zur Rezension:    WAS IST WAS Dinosaurier und andere Urzeittiere von Dr. Manfred Baur 

Rezension - Das Lexikon der erstaunlisten Fakten von Jacqueline McCann, Camilla de la Bédoyère, Andrea Mills, Liz Adcock, Tony Fleetwood

  Thematisch geordnetes, witzig illustriertes Lexikon, das die Themen Tiere, Dinosaurier, Fahrzeuge, Ozeane, Vögel, Krabbeltiere, Wälder, Körper, Roboter und Weltall abdeckt – so der Verlag. Ein Lexikon ist das Bilderbuch für mich nicht. Denn das würde beinhalten, ich könnte hier zum Thema von A-Z etwas nachschlagen. Fangen wir mit der Thematik an: Erstes Kapitel, Tiere (hier kommen auch Vögel vor). In späteren Verlauf haben wir Dinosaurier, die ja Tiere sind, Ozeane (hier gibt es einiges über Tiere), Vögel, Krabbeltiere, Wälder und Körper, auch in diesen Kapiteln kommen Tiere vor. Wo ist hier die Systematik? Auch die Illustration konnte mich nicht überzeugen. Bilderbuch ab 5 Jahren. Weiter zur Rezension:    Das Lexikon der erstaunlisten Fakten von Jacqueline McCann, Camilla de la Bédoyère, Andrea Mills, Liz Adcock, Tony Fleetwood

Rezension - Konratt - Held der Unterwelt - Eine gefährliche Nacht von Sibylle Rieckhoff, Elli Bruder

  Ratte Konratt hat Hunger. So treibt es ihn aus der Unterwelt der Kanäle nach oben. An dieser Stelle ist die Unterwelt passé. Eine Enttäuschung für mich, denn der Titel versprach etwas vom «Held der Unterwelt», die in diesem Kinderbuch gar nicht vorkommt. Gleich findet er einen Wurstzipfel und rettet Katze Fee vor einem Hund. Sie sind nun auf dem Weg zum Hafen, um ein Fischfilet zu finden, und immer mehr Tiere schließen sich an. Eine nette Kettengeschichte zum Vorlesen, für Erstleser zum Selbstlesen. An dieser Stelle hört für mich die Bewertung fast schon auf. Ab 5 / 6 Jahren Weiter zur Rezension:   Rezension - Konratt - Held der Unterwelt - Eine gefährliche Nacht von Sibylle Rieckhoff, Elli Bruder

Rezension - Sommer auf der Fahrradinsel von Ariane Pinel

  In den Sommerferien fährt Zoé zu ihrer Cousine Louise. Louise lebt auf einer Insel, auf der Autos nicht erlaubt sind. Hier fahren alle mit dem Fahrrad. Die beiden Mädchen erleben einen wundervollen gemeinsamen Sommer und Zoé genießt die autofreie Zeit. Zurück in der Stadt darf sie wegen der vielen Autos nicht mehr mit dem Rad fahren – zu gefährlich, sagen ihre Eltern. Doch Zoé findet: Alle sollten nur noch mit dem Fahrrad fahren. Eine Bloggerin wird auf das Mädchen aufmerksam … Leider konnte mich diese Geschichte nicht mitnehmen, da sie völlig einseitig aggressiv gegen das Auto gestaltet ist. Doch allein nur das Fahrrad kann nicht die Lösung sein. Weiter zur Rezension:    Sommer auf der Fahrradinsel von Ariane Pinel 

Rezension - Meine geniale Freundin von Chiara Lagani und Mara Cerri nach Elena Ferrante

Die Neapolitanische Saga Band 1 Ein moderner Klassiker als Graphic Novel umgesetzt – ich war gespannt, da Elena Ferrante sehr ausführlich in ihrer Tetralogie nicht nur die Freundschaft zwischen Elena und Lila beschreibt, sondern gleichzeitig ein Sittengemälde der Zeit wiedergibt, soziale und politische Strukturen aufnimmt, die Übernahme der Camorra in Neapel beschreibt. Wenn ich das zusammenziehe, ist der Comic missglückt. Denn der bezieht sich wirklich nur auf einen wesentlichen Kern: auf die Beziehung zwischen Elena und Lila, zwei Lebensläufe, die gemeinsam beginnen, aber auseinanderdriften. Zeichnerisch ist das Buch sehr gelungen.  Weiter zur Rezension:    Meine geniale Freundin von Chiara Lagani und Mara Cerri nach Elena Ferrante