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Sag den Wölfen, ich bin zu Hause von Carol Rifka Brunt - Rezension

Rezension

von Sabine Ibing





Sag den Wölfen, ich bin zu Hause 

von Carol Rifka Brunt


Sprecherin: Jodie Ahlborn
Ungekürztes Hörbuch, Spieldauer: 13 Std. und 17 Min.



Der Anfang: Meine Schwester Greta und ich saßen an diesem Nachmittag Modell für ein Gemälde, das mein Onkel Finn von uns anfertigte, weil er wusste, dass. er bald sterben würde.

Gleich vorweg, ich hatte mir unter diesem Roman mehr versprochen. Ja, auch ich falle hin und wieder auf Titel und Cover herein. Hätte ich gewusst, dass dies ein Taschentuch-Roman ist (das hatte ich von diesem Titel nicht erwartete), eins von der herzigen Seite, dann hätte ich das Buch nicht angefasst. Literarisch ist die Geschichte gut geschrieben, da gibt es nichts dran auszusetzen, Carol Rifka Brunt hat wundervolle Sätze, Beschreibungen, in diesem Buch geliefert. Die Story zu mögen, die sich hinter diesem Allage-Jugendbuch verbirgt, ist Geschmacksache

Es lullt dich ein, du hältst es für vergnüglich und harmlos, es summt so vor sich hin, und auf einmal, wumm, erhebt es sich drohend vor dir. Lautes Trommeln und schrille, kreischende Geigen und tiefe dunkle Stimmen. Und dann zieht es sich genauso schnell wieder zurück. Verstehst du, Krokodil?

AIDS ist ein heikles Thema

Der Roman spielt in New York in den achtziger Jahren, AIDS ist ein heikles Thema, Menschen die daran erkrankt sind, werden wie Aussätzige behandelt, sind selbst Schuld, und auf keinen Fall spricht man über dieses Thema. Auch spricht man nicht über Homosexualität. Das sind abartige Menschen. June Elbus Onkel Finn ist ein berühmter Maler und der einzige Mensch, der June versteht, er ist ihr einziger Freund, Finn nennt sie Krokodil. Und genau dieser Onkel ist sehr krank mit irgendwas, muss bald sterben, malt ein letztes Bild von der vierzehnjährigen June und ihrer ein wenig älteren Schwester. – irgendwann kapiert auch June, was alle wissen: Dieser Onkel ist schwul, aidskrank, ein doppelter Aussätziger. Auf der Beerdigung begegnet ihr Toby, der unerwünscht ist, auch wie ein Aussätziger behandelt wird, der die Frechheit besitzt, in Finns Apartment zu wohnen. Es ist Finns Lebenspartner. June und Toby freunden sich heimlich an. So entsteht für June Stück für Stück die gleiche innige Verbindung zu Toby wie früher zu Onkel Finn, und sie erfährt, dass sich Toby im Keller verstecken musste, wenn June mit Mutter und Schwester zu Besuch kam. Auch Toby hat AIDS und muss bald sterben, auch Toby hat keine Freunde. Trauerbewältigung, gegenseitiger Trost, beide finden durch das Erzählen alter Geschichen über den Tod von Finn hinweg, können sich arrangieren in Erinnerungen.

Wie immer fingen sie mit Bildern von irgendeinem aufgeheizten Nachtclub in der Stadt an, in dem ein Haufen schwuler Männer in idiotischen Lederklamotten wie wild herumtanzten. Ich konnte mir Finn nicht einmal ansatzweise als halb bekleideten Cowboy beim Tanzen vorstellen. Es wäre doch ausnahmsweise mal nett, wenn sie ein paar Männer zeigen würden, die in ihrem Wohnzimmer Tee tranken und sich über Kunst oder Filme unterhielten. Wenn sie das zeigen würden, dann würden die Leute vielleicht sagen: »Oh, okay, so anders ist das ja gar nicht.

Leider läuft die Geschichte so verdammt voraussehbar

Junes Schwester Greta ist sehr hübsch, beliebt, sie hat schauspielerisches Talent, nicht nur in der Theatergruppe. Sie ist eine richtige Giftnudel, die June heftig traktiert, sie regelmäßig seelisch und körperlich verletzt. Onkel Finn hatte demonstrativ June vorgezogen, sich allein mit ihr getroffen, logisch, dass Greta eifersüchtig reagiert. Klar, sie hasst auch den aussätzigen Toby. Und natürlich wird es am Ende ausgerechnet Toby sein, der Greta zur Seite stehen wird. Taschentuch nicht vergessen. Warum müssen solche Bücher immer so voraussehbar sein? Ich hatte gehofft, dass eine solche Szene nicht auftaucht … Die Geschichte zog sich für mich hin wie Kaugummi, detailliert ausgeschmückt. Ich dachte die ganze Zeit, jetzt muss doch mal irgendwas Gewaltiges passieren! Ein paar Mal dachte ich an Abbruch, wartete auf DAS Ereignis. Viele kleine Dinge geschehen und ich bin nur drangeblieben, weil die Autorin gut schreiben kann. Eine Coming-of-Age-Geschichte, die Freundschaft zwischen einer Jugendlichen und einem erwachsenen Mann. Mehr ist hier für mich nicht zu sagen. June ist eine Einzelgängerin, die Familie wohnt sehr ländlich und wenn June von ihrer Schwester traktiert wird, sie mit irgendetwas nicht fertigwird, geht sie hinaus in den Wald, in die Einsamkeit und heult mit den Wölfen. Das Thema AIDS wird nicht ernsthaft angegangen.


Die Autorin spielt dem Leser etwas vor

Der Autorin sitzt die verlogene amerikanische Prüderie im Nacken. Wir haben ja im Allgemeinen nichts gegen Schwule, aber … Mit diesem Schreibstil, der nach Außen eine Offenheit vorspielt und nach innen die Wand zieht, eine vorgespielte Liberalität offenbart, gefällt mir nicht. Es gibt so viele kleine Einzelheiten, Subtext, die zeigen, wie unehrlich die angebliche Offenheit gegenüber Homosexualität der Autorin ist. Am Besten festzumachen ist Einstellung an der Figur der Mutter. Die Mutter von June hatte ein sehr distanziertes Verhalten zu ihrem Bruder Finn, noch mehr der Rest der Familie, Toby durfte das Haus nicht betreten. Die Autorin erfindet hier eine Frau, die noch talentierter als der Bruder war, aber die Kunst nicht auslebte, weil geheiratet hat, nun aber ein wenig neidisch auf den erfolgreichen Bruder ist. Das nimmt der Geschichte die Aussagekraft. Hier hätte die Autorin die Chance gehabt, etwas offen zu legen. Warum wird nicht klar gesagt, wir wollen den Mann nicht im Haus haben, noch weniger seinen Freund, weil wir solche Menschen nicht mögen? Noch eine Ausrede: Toby ist ein Mörder, der hat Finn angesteckt (obwohl das nicht wahr ist). Und noch einer obendrauf: Die Geschichte hat sich angeblich Finn selbst ausgedacht, damit die Familie einen Aggressor hat, einen Judas. Nein, diese Familie hat nichts gegen Schwule. Die Mutter ist lediglich sauer auf den Bruder, der ihren Traum ausgelebt hat und mit Mördern verkehrt man halt nicht. Die Geschichte hätte theoretisch Potenzial gehabt, in der Auseinandersetzung mit Homosexualität, mit AIDS, mit der Gesellschaft. Auseinandersetzung gibt es hier nicht. Nur Freundschaftskitsch. Hier stand mir zu viel nettes Gewaber im Vordergrund, statt den Kern zu bearbeiten. Wie gesagt, viele Leser lieben den Roman. Für mich war er vertane Zeit. Nett geschrieben, mehr für mich nicht.







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