Direkt zum Hauptbereich

Rätselhafte Ereignisse in Perfect – Hüter der Fantasie von Helena Duggan - Rezension

Rezension

von Sabine Ibing



Rätselhafte Ereignisse in Perfect –  Hüter der Fantasie 


von Helena Duggan


Der Anfang: 

Durch die Abenddämmerung getarnt, lehnte er im dichten Gebüsch des Gartens an einer Eiche und wartete. Beobachtete. Von seinem Versteck aus hatte er das Haus und die kiesbedeckte Auffahrt vollständig im Blick. Es war ein seltsames Gefühl, Angst zu haben, dass ihn jemand sehen könnte.


Violet muss mit ihrer Familie in den Ort Perfect ziehen, da ihr Vater, ein berühmter Forscher und Augenarzt, dort einen guten Job angeboten bekommen hat. Ein Umzug ist immer schwer. Doch als sie gleich beim Einzug erfährt, dass in Perfect alle Leute blind sind, bekommt sie einen Schreck. Kein Problem, sagt man der Familie, jeder im Ort trägt eine Brille, mit der man fantastisch gut sehen kann. Sie bekommen einen köstlich schmeckenden Tee geschenkt – jeder in Perfect trinkt ihn, eine frische Portion Teeblätter wird morgens gratis vor die Tür gestellt. Und richtig! Am nächsten Morgen ist die Familie blind. Dank der Brillen ist das Problem behoben. Violet wundert sich: Alles in Perfect ist eklig perfect, die Stadt ist gepflegt bis in den letzten Winkel, alle Menschen sind freundlich und sehen perfect aus, in der Schule sind die Kinder diszipliniert und fleißig. «Hier in Perfect erwarten wir perfektes Betragen!» Diese Stadt erscheint ihr unheimlich. Die Mutter ist plötzlich verändert, kocht, backt, putzt und werkelt im Garten, tritt dem Buchclub bei, tauscht Rezepte mit den Nachbarinnen aus – verlangt von Violet absolute Disziplin. Wie ausgetauscht scheint die Mutter. Der Vater, ein Familienmensch, arbeitet bis in die Nacht hinein, ist kaum zu Hause. Irgendetwas stimmt hier nicht!


Der andere Teil der Stadt


Ich glaube, sie war zwölf, als sie aus Perfect geholt worden ist. Inzwischen ist sie deutlich älter, mindestens zwanzig oder so. Hier gibt es viele wie sie.› 

‹Aber warum holen sie die Kinder?› Violet war entsetzt. ‹Was ist mit ihren Eltern? Merken die denn nicht, wenn sie auf einmal weg sind?› 

‹Nein. Du hast doch selbst gesagt, dass du das Gefühl hast, deine Eltern wären gar nicht mehr deine Eltern. Genau das ist der Grund. Irgendwas geschieht mit den Menschen in Perfect.


Violet hört immer wieder diese Stimme! Und dann liegt diese komische Brille in ihrem Bett. Die Stimme gehört Boy, mit der neuen Brille kann sie ihn sehen. Boy zeigt Violet den verborgenen Teil der Stadt und die Hüter, vor denen man sich in Acht nehmen muss. Nur mit dieser Brille kann man sie sehen. Mitten in der Stadt leben verborgen hinter einer Mauer die Ausgesetzten im Niemandsland – die Menschen, die sich dem System nicht anpassen konnten. Sie haben sich längst aufgegeben, sich in ihrem Schicksal ergeben, weil die Perfecten sie aus ihrem Gedächtnis gelöscht haben. Eine anfängliche Rebellion war von den Hütern niedergeschlagen worden. Wer aufbegehrt, wird von den Hütern hart bestraft. Die Perfecten wissen nichts von den anderen. Und nun ist auch noch Violets Vater verschwunden! Zeit für Violet, den Kampf aufzunehmen, die künstlich erstellte Perfektion niederzureißen. Nur wie? Niemand würde ihr glauben. Auch Boy ist bereit zu kämpfen. Zuerst aber müssen sie dem Geheimnis von Perfect auf den Grund gehen. Wie hängt das alles zusammen?


Trotz aller Fantasy ein hochaktuelles Thema


Ich glaub, ich hab eine Idee› verkündete Violet, als sie ihre Tasse absetzte. 

‹Oh nein! Nicht schon wieder›, stöhnte Boy grinsend. ‹Deine letzte Idee hat damit geendet, dass die Hüter uns in der Geistersiedlung an den Kragen wollten!


Ein spannendes, fantasievolles Kinderbuch mit viel Humor. Man klebt förmlich an den Seiten. «Die Frauen von Stepford» hatte ich anfangs vor Augen. Es passiert ein Menge und Violet und Boy sind gar nicht so allein, wie sie dachten. Geheimnis für Geheimnis lüftet sich und der Roman strotzt vor Fantasie. Am Ende ist die Geschichte abgeschlossen ... doch halt, einer konnte entwischen. Wer weiß, ob dieser Bösewicht nicht in einem weiteren Band seine Machenschaften weitertreibt, denn dies ist der Auftakt einer atmosphärischen Mystery-Trilogie. Ein starkes Kinderteam rüttelt die resignierenden Erwachsenen auf, und eine Kinderschar trägt zur Rettung bei. Schlingpflanzen, die bluten, wenn du sie abreißt, auf denen Augen wachsen, die nach dir schnappen, wenn du zu nahe kommst, marode Hängebrücken, geheime Türen, dunkle, unterirdische Gänge, urige Erfindungen und fiese Hüter, vor denen du auf der Hut sein musst – das Buch hat so alles, was ein spannendes Kinderbuch ausmacht. Das Thema ist Überwachung von Menschen und das Austreiben der Fantasie, die Unterdrückung der Individualität. Eigenständiges Denken und Meinungsfreiheit sind abgeschafft in dieser Dystopie, und wer nur einen Funken Aufmüpfigkeit zeigt, der wird weggesperrt. Insofern ist dieses Kinderbuch trotz aller Fantasy hochaktuell! Ich freue mich auf den zweiten Teil. Die Altersempfehlung wird vom Loewe Verlag ab 10 Jahren angesetzt, was ich passend finde. 


Nachts schleichen die Hüter in die Häuser, stecken die Brillen in ein Spezialgerät, das sich ‹Aushöhler› nennt, und zapfen die gespeicherte Fantasie ab. Die bringen sie dann zu meinen Brüdern in den Laden, wo die sie abfüllen und aufbewahren.


Helena Duggan stammt aus Kilkenny, einer mittelalterlichen Stadt im Süden Irlands, die sie zu dem Ort „Perfect“ inspirierte. Helena schreibt besonders gerne abenteuerliche Geschichten, da sie sich immer sehr schnell langweilt. Doch sie ist nicht nur Autorin, sondern auch Grafikdesignerin und Illustratorin.



Rätselhafte Ereignisse in Perfect, Band 1
Aus dem Englischen übersetzt von Ulrike Köbele
Kinderbuch, Mystery, Fantasy, Dystopie, irische Literatur, Trilogie
Hardcover mit Spotlack und Folienprägung, 432 Seiten
Loewe Verlag, 2021
Altersempfehlung ab 10 Jahren



Kinder- und Jugendliteratur

Kinder- und Jugendliteratur hat mich immer interessiert. Selbst seit der Kindheit eine Leseratte, hat mich auch die Literatur für Kinder nie verlassen. Interesse privat, später als Pädagogin, als Leserin, als Mutter oder Oma. Kinder- und Jugendbücher kann man immer lesen! Hier geht es zu den Rezensionen.
Kinder- und Jugendliteratur


Fantasy, Fantastic, Dystopien

Hier bin ich leider in letzter Zeit etwas ratlos. In dieser Rubrik wird wenig auftauchen. Leider habe ich das Gefühl, dass hier keine neuen Ideen kommen. Ich mag nicht immer wieder das gleiche Buch in Abwandlung lesen ... Aber auch hier lasse ich mich gern überraschen. Meist findet man unter den Dystopien doch mal was Neues.
Fantasy

Kommentare

Beliebte Posts aus diesem Blog

Rezension - Sex in echt von Nadine Beck, Rosa Schilling und Sandra Bayer

  Offene Antworten auf deine Fragen zu Liebe, Lust und Pubertät Ein Aufklärungsbuch, das locker Fragen beantwortet und kurze Erfahrungsberichte von jungen Menschen einstreut, das alles mit knalligen Illustrationen unterlegt. Du bist, wie du bist, und du bist, wie du bist okay. Das Jugendbuch erklärt, stellt Fragen. Die Lust im Kopf, genießen mit allen Sinnen; was verändert sich am Körper in der Pubertät?, die Vagina, die Monatsblutung, der Penis, Solosex, LGBTQIA, verliebt sein, wo beginnt Sex?, Einvernehmlichkeit, wie geht Sex?, Verhütung, Krankheiten, Sextoys – das Buch spart nichts aus. Informieren, anstatt tabuisieren! Locker und sensibel werden alle Themenfelder sachlich vorgestellt. Prima Antwort auf offene Fragen; ab 11 Jahren. Empfehlung! Weiter zur Rezension:   Sex in echt von Nadine Beck, Rosa Schilling und Sandra Bayer

Rezension - Das Nest von Sophie Morton-Thomas

  Ein Küstenort in Großbritannien, wo das Marschland auf den Ozean trifft, wo Vögel die bessere Gesellschaft sind, lebt Fran eine ereignislose Routine. Sich um den Campingplatz kümmern, der mit Mobilheimen ausgestattet ist, ihren Sohn von der Schule abholen, Abendessen kochen. Mit Dom, ihrem Mann, läuft es nicht mehr so, ihre Schwester lebt mit ihrer Familie in einem Wagen, zahlt keine Miete, dem Schwager hatte sie den Entzug finanziert und jetzt trinkt er wieder, hat keine Arbeit. Freude findet Fran nur an den verschiedenen Vogelarten, die sie am Strand beobachten kann; sie hat auch ein Häuschen zur Beobachtung finanziert. Und nun entdeckt sie ein Nest mit einer seltenen Vogelart, hofft, dass die Jungen ausschlüpfen werden. Und verschwindet die Lehrerin … Ein leiser Thriller. Weiter zur Rezension:    Das Nest von Sophie Morton-Thomashttps

Was ist eigentlich Kriminalliteratur? - Ein Abend mit Else Laudan in der Wyborada

Am 08.11.2019 war ich zu einer Mischung aus Lesung und Definition des Begriffs Kriminalliteratur in St. Gallen in der Wyborada zu Gast, im Literaturhaus & Bibliothek in St. Gallen in der Frauenbibliothek und Fonothek Wyborada. Else Laudan sprach zum Thema Kriminalliteratur, erzählte ihren Weg mit ihrem freien Verlag Ariadne, ein Verlag, der ausschließlich literarische Kriminalliteratur von Frauen veröffentlicht. Weiter zum Artikel:    Was ist eigentlich Kriminalliteratur? - Ein Abend mit Else Laudan in der Wyborada 

Rezension - Lázár von Nelio Biedermann

  «Ein wirklich großer Schriftsteller betritt die Bühne, im Vollbesitz seiner Fähigkeiten.», so wird von ihm geschrieben. Nelio Biedermann schreibt mit 20 Jahren sein erstes Buch und das Manuskript geht in die Versteigerung – die Verlage überbieten sich, es wird in 20 Sprachen verkauft, man redet über ein sechsstelliges Vorschusshonorar – über den neuen Thomas Mann . Uff. Ich war gespannt. Mich konnte der Familienroman nicht überzeugen – leider. Weiter zur Rezension:    Lázár von Nelio Biedermann

Interview mit Christina Clemm von Sabine Ibing

  © Sibylle Baier, Antje Kunstmann Verlag Christina Clemm arbeitet als Strafverteidigerin und als Nebenklagevertreterin von Opfern sexualisierter und rassistisch motivierter Gewalt. Deutschlands bekannteste Fachanwältin für Straf- und Familienrecht in Berlin und war Mitglied der Expertenkommission zur Reform des Sexualstrafrechts des BMJV, Aktivistin und politisch aktiv für Geflüchtete und von Gewalt Betroffene. Nach den neuesten Zahlen des BKA ist jede dritte Frau in Deutschland von physischer und/oder sexualisierter Gewalt betroffen. In ihrem Buch «AktenEinsicht – Geschichten von Frauen und Gewalt» nimmt sie uns mit auf eine Reise in die Gerichtssäle der Republik, an die Tatorte, in die Tatgeschehen. Mit  «Gegen Frauenhass» zeigt sie die Mechanismen patriarchaler Gewalt und fordert, dass sich endlich etwas ändert. Hier mein Interview mit Christina Clemm. Weiter:   Interview mit Christina Clemm von Sabine Ibing

Rezension - Motte und die Metallfischer von Sanne Rooseboom und Sophie Pluim

  Der Sommer, in dem Motte ein U-Boot fand, fing ziemlich normal an. Langweilig sogar. Doch auf einmal liegt das Schicksal der ganzen Stadt in ihren Händen. Es sind Ferien, aber Mottes Mutter muss arbeiten, einen Urlaub könnten sie sich nicht leisten. Sie ist als Personalcoach unterwegs: Mode, Schminke, Sport, Gesundheit, Ernährung. Und genau das interessiert Motte so gar nicht. Am Kai zeigt ihr Lukas das Metallfischen – ein perfektes Hobby für Motte, die neben schwarzer Kleidung das Unperfekte an Dingen liebt. Sie kauft sich einen Magneten zum Metallangeln. Vielleicht kann man sich etwas verdienen, wenn man Altmetall zur Altmetallhändlerin bringt; sie sammelt ihre ersten Schätze, die die Mutter eklig findet. Plötzlich hängt etwas ganz Großes an der Angel! Spannender Kinderroman ab 9/10 Jahren. Empfehlung! Weiter zur Rezension:   Motte und die Metallfischer von Sanne Rooseboom und Sophie Pluim

Rezension - Yrsa von Alexandra Bröhm

  Journey of Fate (Yrsa. Eine Wikingerin 1)  Yrsa ist eine junge Wikingerin , die sich nach dem Tod der alleinerziehenden Mutter seit vier Jahren allein um ihrem Bruder Sjalfi kümmert. Als sie eines Tages von der Jagd nach Hause kommt, ist Sjalfi verschwunden. Verzweifelt macht sie sich auf die Suche und den gefährlichen Weg nach Haithabu . Denn es heißt, es würden Kinder entführt und versklavt. Unterwegs lernt sie Krieger kennen. Ihr Traum war immer schon, eine Kämpferin zu werden. Der Krieger Avidh hat es ihr besonders angetan. Ich würde den Roman ins Genre Young Adult einordnen. Wer softe Literatur, einen Liebesroman zur Entspannung mag, liegt hier richtig.  Weiter zur Rezension:    Yrsa von Alexandra Bröhm

Rezension - Hase Hollywood und das Geheimnis des Drachenlandes von Stefan Rasch, Simon Rasch und Anja Abicht

  Ein mächtiges Kinderbuch! Schwer an Gewicht, eine lange witzige, fantasievolle Geschichte. Der Hase Hollywood und seine Freunde betreiben ein Gasthaus in einer einsamen Bucht am Ende der Welt. Eines Tages taucht ein gefürchteter Piratenkapitän bei ihnen auf und vergisst doch glatt seinen Seesack unter dem Tisch. Darin befindet sich alte Schatzkarte und ein geheimnisvoller rosa Glitzerball. Der Ball entpuppt sich als Ei, aus dem ein kleiner Drachen schlüpft. Und damit beginnt eine abenteuerliche Reise zur Schatzinsel, denn auf der Karte sind auch die Drachen verzeichnet, den das Hasen-Team zu seinen Eltern bringen möchte. Sehr feine Illustrationen, grundsätzlich eine gute Geschichte, aber grobe handwerkliche Fehler für den Kinderroman. Weiter zur Rezension:     Hase Hollywood und das Geheimnis des Drachenlandes von Stefan Rasch, Simon Rasch und Anja Abicht 

Rezension - Der Freund von Tiffany Tavernier

  Mit dem Haus im Grünen hat sich Thierry einen Traum erfüllt. Zusammen mit Élisabeth genießt er die Ruhe und Abgeschiedenheit des Wohnens nahe einem Wald. Die einzigen Nachbarn weit und breit, gleich nebenan, Guy und Chantal. Eins Tages im Morgengrauen stürmt die Polizei das Gelände. Die Nachbarn und gute Freunde, werden in Handschellen abgeführt. Was haben sie getan? Journalisten belagern das Gelände. Ein psychologischer Kriminalroman , der sich mit den Folgen der «Opfer» befasst, denn letztendlich sind die schockierten Freunde auch Opfer des Massenmörders. Weiter zur Rezension:    Der Freund von Tiffany Tavernier

Rezension - Rath von Volker Kutscher

  Gelesen von David Nathan Ungekürztes Hörbuch, Spieldauer: 21 Std. und 49 Min. Gereon und Charlotte Rath warten im Herbst 1938 nur noch auf den richtigen Moment, Deutschland zu verlassen, um nach Amerika zu gehen. Sie treffen sich heimlich in Hannover , denn Charly lebt immer noch in Berlin und Gereon, der als verstorben gilt, wohnt inkognito in Rhöndorf am Rhein , weil er seinen im Sterben liegenden Vater nicht im Stich lassen will. Charly sucht ihren ehemaligen Pflegesohn Fritze, der ausgerissen ist und unter Mordverdacht steht. Als sich die Lage zuspitzt, muss Gereon sein Versteck verlassen und Charly zu Hilfe kommen, nach Berlin reisen. Der 10. und letzte Band der Gereon Rath-Reihe - wie immer hochspannend, historisch gut recherchiert. Noirliteratur , ein feiner literarischer Krimi ! Empfehlung!  Weiter zur Rezension:    Rath von Volker Kutscher