Direkt zum Hauptbereich

Mein Sternzeichen ist der Regenbogen von Rafik Schami - Rezension

Rezension

von Sabine Ibing



 

Mein Sternzeichen ist der Regenbogen

 
von Rafik Schami


Der Anfang: 


Es war Antoinette, meine erste Freundin, die mir zum ersten Mal die Frage stellte: ‹Wann bist du geboren?›

Ich war vierzehn Jahre alt, Antoinette sechzehn — und für mich eine einzige Verführung. Sie war mir mindestens ein Jahrzehnt voraus, aber wir liebten uns leidenschaftlich. Natürlich heimlich. Ihr Bruder Gibran, ein Arabisch sprechender Gorilla, hätte sonst aus mir einen um Gnade bettelnden Knetgummi gemacht. Ich versicherte ihr immer wieder, dass ich nicht nur bereit war, mich von ihrem Bruder walken, sondern auch kreuzigen zu lassen. Das hat ihr sehr imponiert.



Jeder Roman von Rafik Schami ist ein Gedicht; man sollte sie alle lesen. In diesem Band präsentiert er Kurzgeschichten. Was bedeutet eigentlich ein Geburtstag in Syrien? Nichts – denn viele kennen nicht den genauen Tag der Geburt. Antoinette beschäftigt sich neuerdings mit Sternzeichen und stellt fest, der vierzehnjährige Freund sei schon ein typischer Krebs, aber einige seiner Charaktereigenschaften passen so gar nichts zum Krebs – er hätte auch Typisches vom Widder, vom Skorpion, vom Löwen usw. Das stimme sie nachdenklich. Sein eingetragenes Geburtsdatum stimmt nicht – das ist ihm klar. Aber wann ist er wirklich geboren? So klappert der Junge einige Verwandte ab, die zugegen waren, beginnt mit Mutter und Vater. Jeder hat eine wundervolle Geschichte zu seiner Geburt zu berichten, jeder eine völlig andere, insbesondere was die Zeitangabe betrifft ... daraus schließt: Sein Sternzeichen ist der Regenbogen. So die erste humorige Erzählung.


Liebe, Verrat, Enttäuschung

Und dann in Deutschland die Überraschung: Es stellte sich heraus, dass die Untersuchung in Damaskus gefälscht gewesen war. Nun hieß es, die Kinderlosigkeit liege mit absoluter Sicherheit an Habib. Seine Samenzellen seien nicht lebensfähig. Eine Mumpserkrankung in der Kindheit sei die Ursache. Vier ähnliche Diagnosen anderer Ärzte hatte Habib Salma verheimlicht. ‹Da wurde er in meinen Augen klein›, gestand sie ihrer Freundin Claudia. ‹und ein Stück Liebe bröckelte ab.›


Eine Geburtstagsfeier und eine Liebe, die sich Stück für Stück aufgelöst hat, nimmt die sechzigjährige Salma zum Anlass, ihrem Mann Habib, ein renommierter Arzt, in aller Öffentlichkeit die Meinung zu sagen; ihn demütigen, so wie er sie das halbe Leben gedemütigt hat. Danach will sie ihn verlassen. Ihre Koffer sind bereits in einer Pension platziert. Wird es dazu kommen? Denn dieses Fest wird von einigen Offenbarungen begleitet und es entgleitet ...


Wie kaum ein Zweiter beherrscht Rafik Schami die arabische Erzählweise

Die Örtlichkeiten wechseln, Damaskus, Heidelberg, München, Italien, die Pfalz oder irgendwo; Geheimnisse, menschliche Verfehlungen, Lügen, Verrat oder Liebe, Einsamkeit und Sehnsucht; jede Geschichte ist eine Überraschung für sich. Ein Liebhaber, der zum Messer greift, als er die Geliebte in den Armen ihres Ehemannes sieht; eine Kreuzfahrt, bei der alle Männer ihr Geschlechtsteil verlieren; ein Witz, der einen Diktator stürzt. Wie kaum ein Zweiter beherrscht Rafik Schami die arabische Erzählweise, eine Mischung aus: Dramatik, das Einbeziehen von Nebengeschichten, tiefe Traurigkeit, die mit herzlichem oder spöttelndem Humor eingeht. Geschichten, die das Leben schreibt, bestimmt durch Tragik, Zuversicht, Begierde, Eifersucht, Scham und Gier; und Liebe, egal wie tief das Schicksal zuschlägt. Selbstbetrug und Eitelkeit ist oft ein Thema, Sehnsucht und Heimweh; Menschlichkeit.


Kulturen nebeneinandergestellt


Weil ihr hier euer ganzes Lachen in zwei Wochen des Jahres verbraucht, auf der Kirchweih oder Kerwe, wie ihr sagt, und in der Fastnacht. Die Iraner aber, ein uraltes Kulturvolk, verteilen ihr Lachen sehr geübt auf alle zweiundfünfzig Wochen des Jahres, deshalb können sie leichter lachen, obwohl sie es schwerer haben als wir.


Herr Moritz begibt sich nach dem Tod seiner Frau auf Weltreise. Dabei wird er Deutschland nicht verlassen, eine wundervolle Geschichte zum Thema Einsamkeit. «Die alte Frau und der eigenwillige Geist» klingt wie eine Geschichte der Sherazade. Auch der Verleger Sander, der seinen 60. Geburtstag allein in einer Pizzeria feiert, an einer Grabrede arbeitet, wird sich wundern, wenn er sich plötzlich  Frauen gegenüber sieht, die sich konspirativ in an ihrem ehemaligen Liebhaber rächen wollen. Und wir erfahren auch, warum der Vatikan den Himmel für Heilige aus Europa reserviert hat. Die Art des Erzählens und er er Sprachwitz von Rafik Schami sind zauberhaft; z.B. «Und wirklich log Oskar das Blaue vom Himmel herunter und Wolken in den klaren Sonnentag hinein.» Solch einen Satz muss man sich einfach auf der Zunge zergehen lassen, sich visualisieren! Wer die Kunst des Erzählens liebt, kommt an Rafik Schami nicht vorbei. 


Vorwort des Autors:


Themen wie Geburt, Lachen, Sehnsucht, Tiere, Reisen oder Geheimnis durchziehen den größten Teil der Weltliteratur, und immer geht es dabei auch um Liebe. Der Geburtstag hat in Syrien eine andere Bedeutung als hierzulande, Geheimnisse um Liebe wie um Verbrechen spielen in der arabischen und in der westlichen Literatur eine zentrale Rolle, von der Sehnsucht können nicht nur die Romantiker, sondern auch alle Menschen im Exil ein Lied singen, und das Reisen beschäftigt die Literatur im wörtlichen wie im übertragenen Sinne. ... Dass die Geschichten, bei aller Tragik, oft zum Lachen animieren, hängt damit zusammen, dass ich das Lachen für den besten Schmuggler von Gedanken halte.


Rafik Schami wurde 1946 in Damaskus geboren und lebt seit 1971 in Deutschland. 1979 promovierte er im Fach Chemie. Sein umfangreiches Werk wurde in 33 Sprachen übersetzt und mit zahlreichen Preisen ausgezeichnet, so u.a. mit dem Hermann-Hesse-Preis, dem Nelly-Sachs-Preis, dem Preis „Gegen Vergessen - Für Demokratie“, dem Gustav-Heinemann-Friedenspreis und der Carl-Zuckmayer-Medaille. Im Hanser Kinder- und Jugendbuch erschien u.a. Das ist kein Papagei (illustriert von Wolf Erlbruch, 1994), Die Sehnsucht der Schwalbe (2000), Wie ich Papa die Angst vor Fremden nahm (2003, illustriert von Ole Könnecke), Der Kameltreiber von Heidelberg (2006, illustriert von Henrike Wilson), Das Herz der Puppe (2012, illustriert von Kathrin Schärer), Meister Marios Geschichte (2013, illustriert von Anja Maria Eisen), Elisa oder Die Nacht der Wünsche (2019, illustriert von Gerda Raidt); im Erwachsenenprogramm des Verlages Die dunkle Seite der Liebe (Roman, 2004), Das Geheimnis des Kalligraphen (Roman, 2008), Die Frau, die ihren Mann auf dem Flohmarkt verkaufte (2011), Sophia oder Der Anfang aller Geschichten (Roman, 2015), Die geheime Mission des Kardinals (Roman, 2019) und Mein Sternzeichen ist der Regenbogen (2021).



Rafik Schami
Mein Sternzeichen ist der Regenbogen
Erzählungen, Kurzgeschichten
Gebundene Ausgabe, 320 Seiten
Carl Hanser Verlag, 2021




Weitere Rezensionen zu Rafik Schami:



Zeitgenössische Literatur

Hier verbirgt sich manche Perle der Literatur. Ich lese auch mal einen Bestseller, natürlich, aber mein Blick ruht  immer auf den kleinen Verlagen, auf den freien Verlagen. Sie trauen sich was - und diese Werke sind in der Regel besser als der Mainstream der meistgekauften Bücher …
Zeitgenössische Romane

Kommentare

Beliebte Posts aus diesem Blog

Rezension - Sex in echt von Nadine Beck, Rosa Schilling und Sandra Bayer

  Offene Antworten auf deine Fragen zu Liebe, Lust und Pubertät Ein Aufklärungsbuch, das locker Fragen beantwortet und kurze Erfahrungsberichte von jungen Menschen einstreut, das alles mit knalligen Illustrationen unterlegt. Du bist, wie du bist, und du bist, wie du bist okay. Das Jugendbuch erklärt, stellt Fragen. Die Lust im Kopf, genießen mit allen Sinnen; was verändert sich am Körper in der Pubertät?, die Vagina, die Monatsblutung, der Penis, Solosex, LGBTQIA, verliebt sein, wo beginnt Sex?, Einvernehmlichkeit, wie geht Sex?, Verhütung, Krankheiten, Sextoys – das Buch spart nichts aus. Informieren, anstatt tabuisieren! Locker und sensibel werden alle Themenfelder sachlich vorgestellt. Prima Antwort auf offene Fragen; ab 11 Jahren. Empfehlung! Weiter zur Rezension:   Sex in echt von Nadine Beck, Rosa Schilling und Sandra Bayer

Rezension - Wolfssommer von Hans Rosenfeldt

  Ein atmosphärisch dichter und spannender Schweden-Krimi von Hans Rosenfeldt, bekannter Krimiautor und Drehbuchautor (skandinavische TV-Serie «Die Brücke», britische Fernsehserie «Marcella» über Netflix) erwartet uns mit dem Auftakt einer neuen Serie. Die Erwartungen waren hoch. Rosenfeldt hat geliefert. Die Kleinstadt Haparanda, nahe der finnischen Grenze, wird zufällig zum Schauplatz eines Drogendeals. Wer hat die Drogen und das Geld, wer wird sie am Ende bekommen? Der einzige der durchblickt, ist der Leser – Dank Mehrperspektivität. Denn alle Protagonisten tappen im Dunkeln – wissen nichts voneinander. Ein komplexer und spannungsreicher Thriller! Weiter zur Rezension:    Wolfssommer von Hans Rosenfeldt

Rezension - Die Grille in der Geige von Anna Haifisch

  Eines Sommers findet eine wandernde Grille im Wald eine alte Geige . «Wie praktisch!», ruft sie und zieht in das geräumige Instrument ein. Sie töpfert und zieht Nudeln und des Nachts zupft sie die Saiten, erfreut alle Insekten und Mäuse in der Umgebung mit ihrer Musik. Doch als ein bitterkalter Winter das Land überzieht, stürmen die Insekten das Heim der Grille , zerhacken es und zünden es an … Ein humorvolles Bilderbuch ab 4 Jahren – Empfehlung! Weiter zur Rezension:    Die Grille in der Geige von Anna Haifisch 

Rezension - Kalte Füße von Francesca Melandri

  Im Winter 1942/43 flohen italienische Soldaten in Schuhen mit Pappsohlen vor der Roten Armee, Zehntausende erfroren. Der «Rückzug aus Russland» hat sich als Trauma im kollektiven Gedächtnis Italiens eingebrannt - auch in der Familie von Francesca Melandri, einer der wichtigsten Autorinnen Italiens. Ihr Vater hat ihn überlebt. Doch erst als Anfang 2022 Bilder und Orte des Kriegs in der Ukraine omnipräsent sind, wird ihr klar: Der Vater ist vor allem in der Ukraine gewesen. Sie tritt mit ihrem verstorbenen Vater in ein Zwiegespräch, wobei sie den Krieg damals mit dem Heutigen in der Ukraine vergleicht. Und es ist eine Abrechnung mit der italienischen Linken. Empfehlung, unbedingt lesen! Weiter zur Rezension:    Kalte Füße von Francesca Melandri 

Rezension - Lázár von Nelio Biedermann

  «Ein wirklich großer Schriftsteller betritt die Bühne, im Vollbesitz seiner Fähigkeiten.», so wird von ihm geschrieben. Nelio Biedermann schreibt mit 20 Jahren sein erstes Buch und das Manuskript geht in die Versteigerung – die Verlage überbieten sich, es wird in 20 Sprachen verkauft, man redet über ein sechsstelliges Vorschusshonorar – über den neuen Thomas Mann . Uff. Ich war gespannt. Mich konnte der Familienroman nicht überzeugen – leider. Weiter zur Rezension:    Lázár von Nelio Biedermann

Was ist eigentlich Kriminalliteratur? - Ein Abend mit Else Laudan in der Wyborada

Am 08.11.2019 war ich zu einer Mischung aus Lesung und Definition des Begriffs Kriminalliteratur in St. Gallen in der Wyborada zu Gast, im Literaturhaus & Bibliothek in St. Gallen in der Frauenbibliothek und Fonothek Wyborada. Else Laudan sprach zum Thema Kriminalliteratur, erzählte ihren Weg mit ihrem freien Verlag Ariadne, ein Verlag, der ausschließlich literarische Kriminalliteratur von Frauen veröffentlicht. Weiter zum Artikel:    Was ist eigentlich Kriminalliteratur? - Ein Abend mit Else Laudan in der Wyborada 

Rezension - Motte und die Metallfischer von Sanne Rooseboom und Sophie Pluim

  Der Sommer, in dem Motte ein U-Boot fand, fing ziemlich normal an. Langweilig sogar. Doch auf einmal liegt das Schicksal der ganzen Stadt in ihren Händen. Es sind Ferien, aber Mottes Mutter muss arbeiten, einen Urlaub könnten sie sich nicht leisten. Sie ist als Personalcoach unterwegs: Mode, Schminke, Sport, Gesundheit, Ernährung. Und genau das interessiert Motte so gar nicht. Am Kai zeigt ihr Lukas das Metallfischen – ein perfektes Hobby für Motte, die neben schwarzer Kleidung das Unperfekte an Dingen liebt. Sie kauft sich einen Magneten zum Metallangeln. Vielleicht kann man sich etwas verdienen, wenn man Altmetall zur Altmetallhändlerin bringt; sie sammelt ihre ersten Schätze, die die Mutter eklig findet. Plötzlich hängt etwas ganz Großes an der Angel! Spannender Kinderroman ab 9/10 Jahren. Empfehlung! Weiter zur Rezension:   Motte und die Metallfischer von Sanne Rooseboom und Sophie Pluim

Rezension - Was danach kommt von Anika Suck

  Karmen passt einen Moment beim Autofahren nicht auf und verursacht einen Verkehrsunfall mit tragischem Ausgang – ein Kind ist tot. Es sind nur ein paar Sekunden, die Karmens Leben in seinen Grundfesten erschüttern. Denn im darauffolgenden Prozess muss sie sich einer Schuld stellen. Von der Presse Kindsmörderin getauft und von der Empörungsgesellschaft vorverurteilt, wird sie auch von ihrem sozialen Netz fallen gelassen. Am Ende muss Karmen selbst entscheiden, ob sie schuldig ist oder nicht. Mich konnte das Buch nicht überzeugen, da für mich die Darstellung der Geschichte absoluter Gerichts-Nonsens ist. Weiter zur Rezension:    Was danach kommt von Anika Suck  

Rezension - Dunkle Sühne von Karin Slaughter

  Gesprochen von NinaPetri  Ungekürztes Hörbuch, Spieldauer: 19 Stunden und 55 Minuten  Willkommen in North Falls - einer kleinen Stadt, in der jeder jeden kennt. Das glauben zumindest alle. Bis zum großen Feuerwerk am 4. Juli . Als in dieser Nacht zwei Teenager-Mädchen verschwinden, ist die Stadt in Aufruhr. Für Deputy Emmy Clifton wird der Fall zur Bewährungsprobe – beruflich und persönlich, ihr Vater ist der Sheriff der Kleinstadt. Eines der vermissten Mädchen ist die Tochter ihrer besten Freundin, und Emmy weiß, dass sie sie nach Hause bringen muss, um eine alte Schuld zu begleichen. Doch je tiefer Emmy in die Ermittlungen eintaucht, desto stärker wird ihr bewusst, dass hinter den vertrauten Gesichtern der Kleinstadt dunkle Abgründe lauern. Ein klasse Auftakt für eine Serie,  Copkrimi , Whodunnit , ein düsterer, stimmungsvoller literarischer Krimi aus den ländlichen Südstaaten, gut aufgebaute Charaktere, toxische Männlichkeit , Spannung, Familiendramen, Wendun...

Rezension - Aggie und der Geist von Matthew Forsythe

  Aggie freut sich darauf, endlich in ihr eigenes Haus einzuziehen – bis sie feststellt, dass dort bereits ein Geist wohnt. Das Zusammenleben läuft mehr schlecht als recht; nirgendwo hat sie ihre Ruhe. Also stellt Aggie Regeln auf. Doch der Geist hält sich leider nicht gerne an Regeln, bricht sie alle. Aggie fordert ihn völlig entnervt zu einem Wettkampf in Tic-Tac-Toe heraus – wer gewinnt, bekommt das Haus. Ein herrliches Bilderbuch an 4 Jahren, das mit viel Humor geschrieben ist und eine Menge Diskussionen zum Zusammenleben bietet. Weiter zur Rezension:    Aggie und der Geist von Matthew Forsythe