Direkt zum Hauptbereich

Liebewesen von Caroline Schmitt - Rezension

Rezension

von Sabine Ibing



Liebewesen 


von Caroline Schmitt


Vor drei Monaten war ich sicher, dass ich nicht schwanger werden konnte. Dann war ich sicher, dass der Abbruch erfolgreich gewesen und ich in meinem Körper wieder allein war. Ich lag in beiden Fällen daneben.


Ein Liebesroman aus der Realität, gnadenlos, der zeigt, wie schwer Liebe zu definieren ist. Mariam ist der Meinung, dass Lio, um die 30 Jahre alt, jetzt endlich mal eine Beziehung haben muss, setzt sie auf eine Datingapp. Lio ist Jungfrau, denn ihr Körper ist ihr Albtraum. Sie mag sich nicht anfassen lassen, hat Angst vorm ersten Mal aus verschiedenen Gründen. Max möchte sich mit ihr treffen, der ihr schreibt, das er sich das erste Treffen in seiner Badewanne vorstellt. Lio schreibt: klar, warum nicht – Max muss tief Luft holen, bietet dann doch ein neutrales erstes Treffen an. Beim zweiten Mal geht es in die Badewanne und eine dysfunktionale Beziehung nimmt ihren Lauf. Halt, nicht wie ihr jetzt denken mögt. Es dauert eine Weile, bis Max Lio berühren darf – er ist sehr rücksichtsvoll, ein feinfühliger Mensch mit Geduld. 


‹Ich wünschte, ich hätte dich nie geboren.›

Es war eine Feststellung, mehr an sie selbst, als an mich gerichtet. Der Inhalt überraschte mich weniger als die Tatsache, dass meine Mutter mir Einblick in ihr Gefühlsleben gewährte.


Lio ist Biologin und arbeitet in einem Labor, Max hat Soziologie studiert, ist allerdings Radiosprecher in der Frühsendung. Sie leidet unter der Beziehung zu ihrer narzisstischen, gewalttätigen Mutter. Max hat immer darunter gelitten, keinen Vater zu haben. Er ist ein gutaussehender Partylöwe, der sich gern Alkohol und Drogen hingibt, sich oft verhält wie ein Kind, ein nettes Kind. Lio ist ehrgeizig und ein eher sachlicher Typ, ist froh, dass er rücksichtsvoll mit ihr umgeht. Sie sucht die körperliche Nähe, kann aber schwer über ihr inneres Gefühl der Ablehnung springen: «abwechselnd wie ein Roboter und wie ein Tier, das gerade geboren wurde und sich sofort verteidigen musste, aber nicht wusste, wie». Die beiden ziehen zusammen, doch die Beziehung läuft eher schlecht als recht. Die beiden sind zu verschieden. Max macht seinen kleinen Job, aber ansonsten lebt er in den Tag hinein, pflegt seine Depressionen. Sie hasst seine «schnoddrige Selbstverständlichkeit, mit der Max Luxus aufaß oder wegtrank» – sie, die aus sehr armen Verhältnissen stammt, wo jeder Pfennig umgedreht wurde und es doch nie reichte.


In seiner Schulzeit hatte Max vor allem gelernt, sich durchzusetzen. Er war faul, schlau und unbesiegbar. Da er alles verargumentieren konnte, zog kein Vergehen je Konsequenzen nach sich.


Später stellt sich raus, Lio ist vor langer Zeit auf einem Dorffest vergewaltigt worden. Als sie nun ungeplant schwanger von Max wird, beschließt sie sofort, abzutreiben. Max hätte gern ein Kind mit ihr – sie verschweigt ihre Schwangerschaft. Doch sie hat reichlich Zeit bis zum Termin, um nachzudenken. Nun werden die Kapitel mit Beschreibungen des Fötus in der jeweiligen Schwangerschaftswoche eingeleitet. Lios Gedanken kehren zurück in die Kindheitstage – eine üble Kindheit. Sie liebt Max. Liebt sie ihn wirklich oder nur deshalb, weil er Lio nimmt, so wie sie ist? Doch sie erträgt seine Ausrutscher nicht, seinen Partyrausch, die Abstürze, seine Unordnung, seine Planlosigkeit und Sorglosigkeit mit allem. Sie hat sich alles erarbeitet, was sie ist. Er hat alles hinterhergeworfen bekommen und nichts draus gemacht. Zwei gegenteilige Biografien, zwei verlorene Seelen, die ihre Schmerzen nie aufgearbeitet haben.


Der Mann, dem morgens die ganze Stadt zuhören konnte und der abends seine Freund:innen traf, war gut gelaunt, charmant und ironisch. Der Mann, mit dem ich zusammenlebte, war nicht in der Lage, seine Teller abzuwaschen oder staubzusaugen. Nur zu Hause und bei mir ging es ihm schlecht, für alle anderen blieb Max ein Magnet, der Strahlkraft für zehn hatte.


Ich habe mich nicht gelangweilt, aber gefesselt hat mich der Roman nicht. Die Beziehungen zu der Kindheit, den Eltern, werden nur angerissen und so war es schwierig, sich in Gründe hineinzufinden, insbesondere bei Max. Beide Protagonist:innen gingen mir leicht auf die Nerven, auf keinen Fall konnten sie mich berühren. Der schludrige Dany Max auf der einen Seite, der eigentlich nichts auf die Reihe bekommt und eine sich selbst bemitleidende Lio, die auch nicht zurecht käme, würde nicht Mariam jeden Atemzug von ihr stützen. Das Buch ist ok – mir persönlich inhaltlich etwas zu flach und sprachlich ist es schlicht Durchschnitt. Der Plot lief auf einer Nulllinie, weder gab es dramaturgische Tiefen, noch Höhen. Mittelmaß, mehr springt bei mir nicht heraus. Ich sage selten etwas über Cover, weil sie mir egal sind. Das hier ist allerdings das Unpassendste, was man sich für genau diesen Roman aussuchen könnte. Es lockt dazu noch die falschen Leser:innen an – gewollt?


Caroline Schmitt, Jahrgang 1992, studierte Journalismus an der University of the Arts London. Sie lebt in Berlin und arbeitet als freie Journalistin für Deutsche Welle, ZDF und funk. LIEBEWESEN ist ihr erster Roman.  



Caroline Schmitt 
Liebewesen 
Zeitgenössische Literatur, Liebesroman
Hardcover mit Schutzumschlag, 219 Seiten
Eichborn Verlag, 2023



Zeitgenössische Literatur

Hier verbirgt sich manche Perle der Literatur. Ich lese auch mal einen Bestseller, natürlich, aber mein Blick ruht  immer auf den kleinen Verlagen, auf den freien Verlagen. Sie trauen sich was - und diese Werke sind in der Regel besser als der Mainstream der meistgekauften Bücher …
Zeitgenössische Romane


Kommentare

Beliebte Posts aus diesem Blog

Rezension - Sex in echt von Nadine Beck, Rosa Schilling und Sandra Bayer

  Offene Antworten auf deine Fragen zu Liebe, Lust und Pubertät Ein Aufklärungsbuch, das locker Fragen beantwortet und kurze Erfahrungsberichte von jungen Menschen einstreut, das alles mit knalligen Illustrationen unterlegt. Du bist, wie du bist, und du bist, wie du bist okay. Das Jugendbuch erklärt, stellt Fragen. Die Lust im Kopf, genießen mit allen Sinnen; was verändert sich am Körper in der Pubertät?, die Vagina, die Monatsblutung, der Penis, Solosex, LGBTQIA, verliebt sein, wo beginnt Sex?, Einvernehmlichkeit, wie geht Sex?, Verhütung, Krankheiten, Sextoys – das Buch spart nichts aus. Informieren, anstatt tabuisieren! Locker und sensibel werden alle Themenfelder sachlich vorgestellt. Prima Antwort auf offene Fragen; ab 11 Jahren. Empfehlung! Weiter zur Rezension:   Sex in echt von Nadine Beck, Rosa Schilling und Sandra Bayer

Rezension - Das Nest von Sophie Morton-Thomas

  Ein Küstenort in Großbritannien, wo das Marschland auf den Ozean trifft, wo Vögel die bessere Gesellschaft sind, lebt Fran eine ereignislose Routine. Sich um den Campingplatz kümmern, der mit Mobilheimen ausgestattet ist, ihren Sohn von der Schule abholen, Abendessen kochen. Mit Dom, ihrem Mann, läuft es nicht mehr so, ihre Schwester lebt mit ihrer Familie in einem Wagen, zahlt keine Miete, dem Schwager hatte sie den Entzug finanziert und jetzt trinkt er wieder, hat keine Arbeit. Freude findet Fran nur an den verschiedenen Vogelarten, die sie am Strand beobachten kann; sie hat auch ein Häuschen zur Beobachtung finanziert. Und nun entdeckt sie ein Nest mit einer seltenen Vogelart, hofft, dass die Jungen ausschlüpfen werden. Und verschwindet die Lehrerin … Ein leiser Thriller. Weiter zur Rezension:    Das Nest von Sophie Morton-Thomashttps

Rezension - Motte und die Metallfischer von Sanne Rooseboom und Sophie Pluim

  Der Sommer, in dem Motte ein U-Boot fand, fing ziemlich normal an. Langweilig sogar. Doch auf einmal liegt das Schicksal der ganzen Stadt in ihren Händen. Es sind Ferien, aber Mottes Mutter muss arbeiten, einen Urlaub könnten sie sich nicht leisten. Sie ist als Personalcoach unterwegs: Mode, Schminke, Sport, Gesundheit, Ernährung. Und genau das interessiert Motte so gar nicht. Am Kai zeigt ihr Lukas das Metallfischen – ein perfektes Hobby für Motte, die neben schwarzer Kleidung das Unperfekte an Dingen liebt. Sie kauft sich einen Magneten zum Metallangeln. Vielleicht kann man sich etwas verdienen, wenn man Altmetall zur Altmetallhändlerin bringt; sie sammelt ihre ersten Schätze, die die Mutter eklig findet. Plötzlich hängt etwas ganz Großes an der Angel! Spannender Kinderroman ab 9/10 Jahren. Empfehlung! Weiter zur Rezension:   Motte und die Metallfischer von Sanne Rooseboom und Sophie Pluim

Rezension - Lázár von Nelio Biedermann

  «Ein wirklich großer Schriftsteller betritt die Bühne, im Vollbesitz seiner Fähigkeiten.», so wird von ihm geschrieben. Nelio Biedermann schreibt mit 20 Jahren sein erstes Buch und das Manuskript geht in die Versteigerung – die Verlage überbieten sich, es wird in 20 Sprachen verkauft, man redet über ein sechsstelliges Vorschusshonorar – über den neuen Thomas Mann . Uff. Ich war gespannt. Mich konnte der Familienroman nicht überzeugen – leider. Weiter zur Rezension:    Lázár von Nelio Biedermann

Rezension - Dunkle Sühne von Karin Slaughter

  Gesprochen von NinaPetri  Ungekürztes Hörbuch, Spieldauer: 19 Stunden und 55 Minuten  Willkommen in North Falls - einer kleinen Stadt, in der jeder jeden kennt. Das glauben zumindest alle. Bis zum großen Feuerwerk am 4. Juli . Als in dieser Nacht zwei Teenager-Mädchen verschwinden, ist die Stadt in Aufruhr. Für Deputy Emmy Clifton wird der Fall zur Bewährungsprobe – beruflich und persönlich, ihr Vater ist der Sheriff der Kleinstadt. Eines der vermissten Mädchen ist die Tochter ihrer besten Freundin, und Emmy weiß, dass sie sie nach Hause bringen muss, um eine alte Schuld zu begleichen. Doch je tiefer Emmy in die Ermittlungen eintaucht, desto stärker wird ihr bewusst, dass hinter den vertrauten Gesichtern der Kleinstadt dunkle Abgründe lauern. Ein klasse Auftakt für eine Serie,  Copkrimi , Whodunnit , ein düsterer, stimmungsvoller literarischer Krimi aus den ländlichen Südstaaten, gut aufgebaute Charaktere, toxische Männlichkeit , Spannung, Familiendramen, Wendun...

Rezension - Was danach kommt von Anika Suck

  Karmen passt einen Moment beim Autofahren nicht auf und verursacht einen Verkehrsunfall mit tragischem Ausgang – ein Kind ist tot. Es sind nur ein paar Sekunden, die Karmens Leben in seinen Grundfesten erschüttern. Denn im darauffolgenden Prozess muss sie sich einer Schuld stellen. Von der Presse Kindsmörderin getauft und von der Empörungsgesellschaft vorverurteilt, wird sie auch von ihrem sozialen Netz fallen gelassen. Am Ende muss Karmen selbst entscheiden, ob sie schuldig ist oder nicht. Mich konnte das Buch nicht überzeugen, da für mich die Darstellung der Geschichte absoluter Gerichts-Nonsens ist. Weiter zur Rezension:    Was danach kommt von Anika Suck  

Was ist eigentlich Kriminalliteratur? - Ein Abend mit Else Laudan in der Wyborada

Am 08.11.2019 war ich zu einer Mischung aus Lesung und Definition des Begriffs Kriminalliteratur in St. Gallen in der Wyborada zu Gast, im Literaturhaus & Bibliothek in St. Gallen in der Frauenbibliothek und Fonothek Wyborada. Else Laudan sprach zum Thema Kriminalliteratur, erzählte ihren Weg mit ihrem freien Verlag Ariadne, ein Verlag, der ausschließlich literarische Kriminalliteratur von Frauen veröffentlicht. Weiter zum Artikel:    Was ist eigentlich Kriminalliteratur? - Ein Abend mit Else Laudan in der Wyborada 

Rezension - Die Grille in der Geige von Anna Haifisch

  Eines Sommers findet eine wandernde Grille im Wald eine alte Geige . «Wie praktisch!», ruft sie und zieht in das geräumige Instrument ein. Sie töpfert und zieht Nudeln und des Nachts zupft sie die Saiten, erfreut alle Insekten und Mäuse in der Umgebung mit ihrer Musik. Doch als ein bitterkalter Winter das Land überzieht, stürmen die Insekten das Heim der Grille , zerhacken es und zünden es an … Ein humorvolles Bilderbuch ab 4 Jahren – Empfehlung! Weiter zur Rezension:    Die Grille in der Geige von Anna Haifisch 

Rezension - Kalte Füße von Francesca Melandri

  Im Winter 1942/43 flohen italienische Soldaten in Schuhen mit Pappsohlen vor der Roten Armee, Zehntausende erfroren. Der «Rückzug aus Russland» hat sich als Trauma im kollektiven Gedächtnis Italiens eingebrannt - auch in der Familie von Francesca Melandri, einer der wichtigsten Autorinnen Italiens. Ihr Vater hat ihn überlebt. Doch erst als Anfang 2022 Bilder und Orte des Kriegs in der Ukraine omnipräsent sind, wird ihr klar: Der Vater ist vor allem in der Ukraine gewesen. Sie tritt mit ihrem verstorbenen Vater in ein Zwiegespräch, wobei sie den Krieg damals mit dem Heutigen in der Ukraine vergleicht. Und es ist eine Abrechnung mit der italienischen Linken. Empfehlung, unbedingt lesen! Weiter zur Rezension:    Kalte Füße von Francesca Melandri 

Rezension - A GOOD GIRL’S GUIDE TO MURDER von Holly Jackson

Ein überraschend guter Jugendkrimi ab 14 Jahren! Für ein Schulprojekt will Pippa, genannt Pip, den Vermisstenfall «Andie Bell» rekonstruieren, wobei sie die Bedeutung der Printmedien und Social Media untersuchen will. Andie Bell war fünf Jahre zuvor in einer Nacht verschwunden. Ihr Freund Sal Singh wurde verdächtigt, denn es gabt einige Spuren, die zu ihm führten, die Medien fuhren sich auf ihn ein. Sal Singh hatt kurz darauf Suizid begonnen, sich an einem Baum aufgehängt. Für den gesamten kleinen Ort und für die Polizei war die Sache klar: Andie ist ermordet worden, Sal bringt sich um und gesteht somit den Mord. Pip will genau wissen, was damals geschah. Weiter zur Rezension:  A GOOD GIRL’S GUIDE TO MURDER von Holly Jackson