Direkt zum Hauptbereich

Kurs auf die Freiheit von Ralph Roger Glöckler - Rezension

Rezension

von Sabine Ibing



Kurs auf die Freiheit 


von Ralph Roger Glöckler


Die meisten Fischer von Viana, sagt er, sagt er, sind etwa vierzig oder fünfzig Jahre alt. So wie er. Viele von ihnen vermögen es deshalb nicht, sich von einem alten Fehler zu befreien und nur für den patrão den Bootseigentümer, zu arbeiten, der sechs Anteile des Fanges einsteckt. Die ‹Herren› führen ein heiliges Leben. Haben sie erst einmal ein Boot, lassen sie dreizehn oder vierzehn Männer für sich schuften.


Dieser Reisebericht von R.R. Glöckler ist eine Neuauflage (Erstauflage 1980). Der Ethnologe reiste Ende der 1970er Jahre nach Portugal, nach der Nelkenrevolution 1974, als das Volk sich von seinen Diktatoren Salazar und Caetano befreit hatte. Portugal nannte man damals das Armenhaus Europas; Armut, Analphabetismus und die Geheimpolizei regierten das Land. Glöckler bereiste das Land, berichtet von Wäldern, Küsten, Dörfern, von der Hauptstadt Lissabon und er erlebt große Gastfreundschaft, erzählt von den Lebens- und Arbeitsbedingungen der Fischer und Bauern. «Rumo à Liberdade» - Kurs auf die Freiheit, so nennen die Männer ihr neues Boot – ein ganz modernes Schiff, das einer Kooperative gehört. Weg mit der Diktatur, alte Zöpfe abgeschnitten; wer überleben will, muss vorwärtsgehen, so die Devise. Am Patronatstag der Fischer zu Ehren der Senhora d´ Agonia fährt er mit dem Boot mit, das eingeweiht wird und er erlebt das Fest, das tiefkatholische Portugal, Menschen die in der Religion tief verankert sind. Andere Fischer trauen der Idee der Kooperative nicht, denn mit den neuen Booten muss man weit rausfahren, bleibt tagelang draußen – sie arbeiten weiter nach alten Methoden. Sie wollen sich nicht auf diese Weise hoch verschulden. Im Nachwort der Auflage von 1989 berichtet der Autor, dass dieses Schiff verkauft wurde, die Kooperative aus menschlichen und politischen Gründen gescheitert war. Auch die Landreform der Kooperativen war in vielen Teilen gescheitert.


Ein Reisebuch, das sich direkt in den Lebensraum der Menschen begibt


Da viele Häuser nicht über sanitäre Einrichtungen verfügen, wird manche dringende Notdurft im Freien verrichtet, wenn es zu weit ist, im Maisfeld zu verschwinden. Ich muss in der Sonne glänzenden Exkrementen ausweichen, von denen sich ein brummender Schwarm Fliegen erhebt. Kinder spielen ungeachtet darum herum.


Glöckler beschreibt die Landschaft, aber viel mehr interessieren ihn die Menschen. Das ist das Interessante an diesem Buch. Es ist ein Stück Geschichtsschreibung. Empathisch berichtet er von Gesprächen, Einladungen, von Festen – von der Armut der Menschen, die sich irgendwie in ihrem Leben zurechtfinden, von der Hand in den Mund leben. Ein Reisebuch, das sich direkt in den Lebensraum der Menschen begibt. Noch vor vierzig Jahren waren die Portugiesen vorwiegend Bauern und Fischer und der Autor gibt ihnen hier das Wort.


Der Strand ist in Dunst gehüllt. Es scheint, das Meer habe sich eine Daunendecke bis unter das Kinn gezogen. Die sichelförmigen Fischerboote von Praia Mira liegen wie bunte Monde eines orientalischen Traums auf dem hellen Sand.


Ralph Roger Glöckler (geb. 1950) studierte in Tübingen u. a. Ethnologie. Er lebt in Frankfurt a. M. und zeitweise in New York. Seit vierzig Jahren ist Portugal eines der zentralen Themen in Glöcklers Werk. Den Azoren widmete er eine eigenständige Erzähltrilogie. Zudem hat er Romane und Erzählungen der portugiesischen Autoren Mário de Carvalho, João Aguiar und José Riço Direitinho («Willkommen in der Finsternis», 2006) übersetzt.



Ralph Roger Glöckler 
Kurs auf die Freiheit 
Reiseliteratur, Reisebuch, Portugal, Sachbuch
Taschenbuch, 248 Seiten
Elfenbein Verlag, 2021 


Sachbücher

Hier stelle ich Sachbücher vor, die im Prinzip nichts mit Fachliteratur zu tun haben. Eben Sachbücher jeder Art, die ein breites Publikum interessieren könnte.
Sachbücher

Kommentare

Beliebte Posts aus diesem Blog

Was ist eigentlich Kriminalliteratur? - Ein Abend mit Else Laudan in der Wyborada

Am 08.11.2019 war ich zu einer Mischung aus Lesung und Definition des Begriffs Kriminalliteratur in St. Gallen in der Wyborada zu Gast, im Literaturhaus & Bibliothek in St. Gallen in der Frauenbibliothek und Fonothek Wyborada. Else Laudan sprach zum Thema Kriminalliteratur, erzählte ihren Weg mit ihrem freien Verlag Ariadne, ein Verlag, der ausschließlich literarische Kriminalliteratur von Frauen veröffentlicht. Weiter zum Artikel:    Was ist eigentlich Kriminalliteratur? - Ein Abend mit Else Laudan in der Wyborada 

Rezension - Sex in echt von Nadine Beck, Rosa Schilling und Sandra Bayer

  Offene Antworten auf deine Fragen zu Liebe, Lust und Pubertät Ein Aufklärungsbuch, das locker Fragen beantwortet und kurze Erfahrungsberichte von jungen Menschen einstreut, das alles mit knalligen Illustrationen unterlegt. Du bist, wie du bist, und du bist, wie du bist okay. Das Jugendbuch erklärt, stellt Fragen. Die Lust im Kopf, genießen mit allen Sinnen; was verändert sich am Körper in der Pubertät?, die Vagina, die Monatsblutung, der Penis, Solosex, LGBTQIA, verliebt sein, wo beginnt Sex?, Einvernehmlichkeit, wie geht Sex?, Verhütung, Krankheiten, Sextoys – das Buch spart nichts aus. Informieren, anstatt tabuisieren! Locker und sensibel werden alle Themenfelder sachlich vorgestellt. Prima Antwort auf offene Fragen; ab 11 Jahren. Empfehlung! Weiter zur Rezension:   Sex in echt von Nadine Beck, Rosa Schilling und Sandra Bayer

Rezension - Drainting: Die Kunst, malen und zeichnen zu verbinden von Felix Scheinberger

  Als Drainting bezeichnet Felix Scheinberger die intuitive Kombination von Malen und Zeichnen. Damit hebt er die jahrhundertealte heute vollkommen unnötige Trennung zwischen Flächen malen und Linien zeichnen auf und verbindet das Beste aus beiden Welten. Früher machten wir einen Unterschied zwischen Zeichnen und Malen und damit fingen die Schwierigkeiten an. Wo es nämlich gar keine Umrisslinien gibt, gilt es, diese abstrakt zu (er)finden. Die intuitive Kombination aus Zeichnen (Drawing) und Malen (Painting) garantiert gute Ergebnisse und unendlichen Spaß! Eine gute Einführung erklärt das Knowhow und Grundsätzliches zum Malen und Zeichnen – gute Ideen, die man selbst umsetzen kann. Empfehlung! Weiter zur Rezension:    Die Kunst, malen und zeichnen zu verbinden von Felix Scheinberger 

Rezension - Alt, fit, selbstbestimmt: Warum wir Alter ganz neu denken müssen von Lutz Karnauchow und Petra Thees

  Alter könnte so schön sein. Doch ältere Menschen werden in unserer Gesellschaft diskriminiert. Schlimmer noch, sie denken sich alt und grenzen sich selbst aus, sagen die Autor:innen. Das hat Folgen: Krankheit und Gebrechlichkeit im Alter gelten als normal. Altenpflege folgt daher dem Prinzip «satt, sauber, trocken». Und genau dieses Prinzip kritisieren Dr. Petra Thees und Lutz Karnauchow und gehen mit ihrem Ansatz neue Wege. Dieses Buch stellt einen neuen Blick auf das Alter vor - und ein radikal anderes Instrument in der Altenpflege. «Coaching statt Pflege» lautet die Formel für mehr Lebensglück im Alter. Ältere Menschen werden nicht nur versorgt, sondern systematisch gefördert. Das Ziel: ein selbstbestimmtes Leben. Bewegung, Physiotherapie und Sport statt herumsitzen! Ein interessantes Sachbuch, logisch in der Erklärung, ein mittlerweile erfolgreiches, erprobtes Konzept. Weiter zur Rezension:    Alt, fit, selbstbestimmt: Warum wir Alter ganz neu denken müssen von Lutz...

Rezension - Lügen, die wir uns erzählen von Anne Freytag

  Helene hätte ihren Mann, Georg, verlassen können – damals – für Alex. Aber sie hat es nicht getan. Und jetzt hat ihr Mann sie verlassen – weil er sich in eine andere verliebt hat. ‹Es ist einfach passiert.›, sagt er, zieht bei Mariam ein. Aber vielleicht ist das Ende gar kein Ende? Vielleicht ist es ein Anfang für die Mittvierzigerin. Vielleicht ist sie gekränkt weil Georg einfach ging – eifersüchtig, eben auch, weil die Kinder diese junge Yogalehrerin mögen. Doch gleichzeitig ist sie jetzt frei – vielleicht für Alex, denn die beiden haben sich seit ihrer Studienzeit in Paris nie aus den Augen verloren. Eine verdammt gut geschriebene Familiengeschichte. Empfehlung!  Weiter zur Rezension:     Lügen, die wir uns erzählen von Anne Freytag

Helisee - Der Ruf der Feenkönigin von Andreas Sommer

  Im 10. Jahrhundert gehört der westliche Teil der heutigen Schweiz zum Königreich Birgunt, erzählt uns diese Geschichte. Es ist eine wilde Gegend voller Wälder und Sümpfe, wo viele Menschen noch im Glauben an die alten Götter und Geister leben. Die Mauren greifen das Land an. Die Königin Bertha schützt das Land tapfer gegen räuberische Einfälle der mediterranen Mauren. Als der Hirtenjunge Ernestus, den die Leute im Dorf Erni nennen, einer ausgerissenen Ziege in den Wald folgt, überschreitet er unabsichtlich die Grenze des verrufenen Landstriches Nuithônia, dem Land der Feen. Seit Menschengedenken ist es verboten, dieses Gebiet am Fuß der Alpen zu betreten. Und er findet dort einen besonderen weißen Kiesel … Ein epischer Roman der High Fantasy, ein wenig Schweizer Sagenwelt, gut zu lesen. Weiter zur Rezension:    Der Ruf der Feenkönigin von Andreas Sommer

Rezension - Der Kaffeedieb von Tom Hillenbrand

  Gesprochen von Hans Jürgen Stockerl Ungekürztes Hörbuch, Spieldauer: 12 Std. und 7 Min. Wir schreiben das Jahr 1683. Der junge Engländer Obediah Chalon, Spekulant, Händler und Filou, hat sich in London gerade mit der Investition von Nelken verspekuliert und eine Menge Leute um ihr Geld gebracht, das mit gefälschten Wechseln. Conrad de Grebber, Direktoriumsmitglied der Vereinigten Ostindischen Compagnie bietet Obediah  die Möglichkeit, der Todesstrafe zu entgehen: Er wird auf eine geheime Reise geschickt, um etwas zu stehlen: Kaffeepflanzen. Spannender Abenteuerroman rund um den Kaffee. Empfehlung! Weiter zur Rezension:   Der Kaffeedieb von Tom Hillenbrand

Rezension - Die Legende von John Grisham

  Die Schriftstellerin Mercer Mann wird auf ein Drama aufmerksam, das sich quasi direkt vor ihren Augen abspielt: Ein skrupelloses Bauunternehmen will eine verlassene Insel zwischen Florida und Georgia bebauen, ein Touristenparadies mit Hafen, Golfplatz, Spielcasino, Hotels, Villen, Apartmenthäusern – ein Luxusreservoir. Lovely Jackson, die letzte Bewohnerin der Insel hingegen behauptet, die Insel gehöre ihr, als letzte Nachfahrin der entflohenen Sklaven, die dort seit Jahrhunderten gelebt haben. Sie will das Naturparadies aufrechterhalten, die Gräber ihrer Vorfahren pflegen. Die Geschichte der Sklaverei, verbunden mit einem Gerichtsurteil im Jetzt. Kann man lesen, aber nicht der beste Grisham. Weiter zur Rezension:    Die Legende von John Grisham

Rezension - Der Gott des Waldes von Liz Moore

Im August 1975 findet wie jedes Jahr ein Sommercamp in den Adirondack Mountains für Kinder und Jugendliche statt. Als Barbara eines Morgens nicht wie sonst in ihrer Koje liegt, beginnt eine großangelegte Suche nach der 13-Jährigen. Barbara ist keine gewöhnliche Teilnehmerin: Sie ist die Tochter der reichen Familie Van Laar, der das Camp und das umliegende Land in den Wäldern gehören. Viele Jahre zuvor verschwand hier der achtjährige Bear, ihr Bruder, der seit 14 Jahren vermisst wird. Hängen die Vermisstenfälle zusammen? Liz Moore zeigt mit ihrem literarischen Krimi ein Gesellschaftsbild, bei dem Frauen nichts zu sagen haben. Spannender Gesellschaftsroman, ein komplexer Kriminalroman. Empfehlung! Weiter zur Rezension:    Der Gott des Waldes von Liz Moore

Rezension - Lindis und der verschwundene Honigtopf von Viola Eigenbrodt

Bendix, der Häuptling des Keltendorfs Taigh, ist außer sich: Jemand hat seinen Honigtopf gestohlen! Lindis, der Ziehsohn der Dorfdruidin Kundra und dessen Freunde Finn und Veda wollen der Sache auf den Grund gehen. War der Dieb hinter der wertvollen Amphore her oder hinter deren speziellem Inhalt? War es einer der fahrenden Händler? Und dann ist auch noch die kleine Tochter der Sklavin verschwunden! Unter dem Vorwand, fischen gehen zu wollen, machen sich die drei Jugendlichen heimlich auf die Suche nach den Händlern und kommen dabei einem Geheimnis auf die Spur … Weiter zur Rezension:    Lindis und der verschwundene Honigtopf von Viola Eigenbrodt