Rezension
von Sabine Ibing
Köstliches und Kostbares
von Maryse Condé
Kulinarische Reisen
Ich weiß nicht, ob ich eine gute Schriftstellerin bin, aber ganz sicher bin ich eine hervorragende Köchin.
Maryse Condé, geboren1937 in Pointe-à-Pitre auf Guadeloupe, ist eine der wichtigsten Autorinnen der Frankophonie. Ihr großer Roman «Ségou» wurde ein Weltbestseller und 2018 erhielt sie den alternativen Nobelpreis, da die Verleihung des regulären Nobelpreises für Literatur für ein Jahr ausgesetzt wurde. Ihr Buch «Mein Lachen und Weinen» hatte ich kürzlich vorgestellt, eine autobiografische Erzählung, die die Kindheit auf Guadeloupe und den Umzug nach Frankreich beinhaltet. In einer ähnlichen Tonalität ist auch dieser Band verfasst. Schon früh interessierte sich Maryse Condé für das Kochen. Für ihre Mutter befremdlich – eine Sache, die Angestellte zu erledigen haben. «Nur Dummköpfe begeistern sich fürs Kochen.» Das Verhältnis zwischen beiden – so hatten wir es den vorigen Erzählungen vernommen – ist nicht das Beste. Und so steckt Maryse weiterhin den Kopf in die Töpfe, riecht, schmeckt und aus ihr wird später eine leidenschaftliche Köchin werden. Neben den kulinarischen Reiseerinnerungen beschreibt sie ihre Eindrücke zu den vielen Ländern, die sie besucht, einschließlich ihrer Wahrnehmung zu Land und Menschen.
Auch Traditonen lassen sich verändern
Es heißt immerhin Kochkunst. Und Kunst stützt sich auf Einbildungskraft, Erfindungsgabe, die Freiheit der Einzelnen.
Bereits die Köchin der Familie, die Maryse hin und wieder in der Küche experimentieren ließ, war nicht immer begeistert vom Ergebnis. In den Flan gehört kein Rum, im Nationalessen «Zicklein-colombo» hat Zimt nichts zu suchen. Als sie das Schweinefleisch mit Landkrabben dazu mit jungem Spinat kombiniert, hat die Köchin nur folgende Worte: «Was ist denn das für ein Schweinefraß?». Immerhin, Schwester Michelle meint, sie habe «nie im Leben etwas Besseres gekostet». Der Fantasie ihren Lauf lassen ... Ihre Kreativität hat die Autorin auch beim Kochen nie verlassen. Der typische Turkey an Thanksgiving in den USA ist ihr zu trocken und zu fad; also setzt sie ihren amerikanischen Gästen eine Gans vor, die sie mit Orangen und Rum gebraten hat. Die Gäste genießen es. Rum, eine Zugabe, die immer wieder vorkommt. Nicht zum Trinken, sondern zum Würzen.
Zusammenhänge zwischen Politik und Küche
Die Heimat von Fish and Ships in fettigen, essigdurchtränkten Papiertüten aus alten Zeitungen, was uns nie jemand erzählt hatte. Die Küche eines Landes offenbart den Charakter seiner Menschen und übersteigt die Vorstellungskraft.
Als Studentin besucht Maryse, die in Paris studiert, häufig England. Hier wohnt sie bei der netten Familie Cooper. Etwas befremdlich scheint der schwarzen Studentin der Theaterverein. Der Sohn der Collins schminkt sich zum Othello, dem «Mohren von Venedig», die blonde Tochter darf die Rolle der Lady Macbeth spielen, doch Maryse fiel jedes Mal die Hexenrolle zu, obwohl sie gern auch die Ladyrolle übernommen hätte. Das dies verdeckter Rassismus ist, wir ihr erst später klar. Auch bei den Briten ist Tradition die Pflicht. Ihre spätere englische Schwiegermutter wird sie rügen, als sie zum Schweinebraten Minzsauce serviert: «Minzsauce passt nur zur Lammkeule. Basta.» Von der französischen Küche ist die junge Studentin übrigens nicht begeistert, wundert sich, dass man diese als Königin der Esskultur bezeichnet. Nach Abschluss ihres Studiums tingelt sie durch mehrere afrikanische Länder. Sie erlebt die Loslösung von den Kolonialmächten; doch leider sind die neuen Präsidenten «alles Diktatoren, schlimmer als die Kolonisten». Kuba entpuppt sich als kulinarische Katastrophe – allerdings nur in Hotels und Restaurants. Denn sie wird zu jemandem nach Hause eingeladen und die gleichen Gerichte werden geschmacklich zauberhaft präsentiert. Man schwärmt ihr vor vom reichhaltigen Nahrungsangebot und den Gerichten, die vor der Revolution in Fülle zu haben waren. Nun ist man froh, wenn man Grundnahrungsmittel erhalten kann.
Gute Erinnerungen und Katastrophen
Sie hätten gründlich Gesellschaft in Indien lesen sollen, da steht alles drin. Offenbar haben Sie nicht bedacht, dass die indische Gesellschaft auf einem Kastensystem basiert, wobei Hautfarbe ein wichtiges Element darstellt. Wenn man dann noch Ihr Gesicht und Ihre Haare nimmt, die sich ja deutlich von denen der Inderinnen unterscheiden, dürfen Sie sich nicht wundern, dass Sie die Leute auf der Straße irritieren.
Man muss im Kontext immer bedenken, dass Maryse Condé 1937 geboren wurde. In jungen Jahren freuen sich sie und ihr weißer, englischer Mann sehnsüchtig auf eine Reise nach Indien. Für Maryse wird dieser Urlaub ein Spießrutenlauf, den sie in sehr schlechter Erinnerung behalten wird: «Ich hatte mich geirrt. Die Inder waren nicht meine Brüder.» Krausköpfig und schwarz wird sie ausgelacht oder mit Abscheu behandelt, traut sich kaum mehr aus dem Hotel heraus. Der viele Schmutz stößt sie ab, das Essen ekelt sie. Als ihr Mann in der Hitze auf der Straße zusammenklappt, kümmert sich niemand darum. Sie muss den Körper schützen, damit Rikschas nicht über ihn hinwegfahren. Das Kastensytem ist für Maryse nicht fassbar. Nie wieder Indien. Die Familie zieht um, da Maryse Condé eine Anstellung im Süden der USA erhält, in einer beschaulichen Kleinstadt, wechselt dann später an die Columbia ins turbulente New York. Sie bemüht sich, Teil der afroamerikanischen Community zu sein. Sie lernt, Hautfarbe ist nicht alles. Es wird ihr deutlich gemacht, dass sie nicht erlitten habe, was den anderen widerfahren sei, Nachkommen von Sklaven, Erniedrigung im eigenen Land, sie könne das nicht fühlen – drum gehöre sie nicht dazu.
Mit allen Sinnen durch die Welt
20 Kapitel, in denen Maryse Condé ihre Reisen durch die ganze Welt beschreibt. Aufenthalte über längere Zeit, Stippvisiten. In jungen Jahren eher ein Erkunden, verbunden mit Arbeit, Urlaubsreisen, später als international anerkannte Schriftstellerin folgt sie Einladung von Hochschulen und kulturellen Einrichtungen. Land und Leute kennenlernen und natürlich die Küche. Mit viel eingestreutem Humor berichtet die Autorin von ihren Eindrücken, ihren eigenen Versuchen, das ein oder andere selbst auszuprobieren. Kochen als Statement einer Persönlichkeit. Japan hat sie sehr beeindruckt und sie liebt die japanische Küche, die Ästhetik, die ihr unterliegt, die Feinheit, die Zelebration. Doch Maryse hat sich nie an ein japanisches Menü herangewagt, weil sie sicher ist, dies grobschlächtig zu versemmeln. Anschauungen aus anderen Zeiten, Maryse mit sympathischem Dickschädel. Aber auch die eigene Unfähigkeit, die Freiheit und Entscheidung anderer zu akzeptieren – viel Persönliches, wie das Entzweien mit ihrem Sohn, dessen Homosexualität sie nicht akzeptieren will, weil etwas nicht sein kann, das es nicht gibt. Ein autobiografisches Buch, das geprägt ist aus Zeitgeschichte, der Erfahrung von vielen Reisen, Wohnorten, Kulturen, Kulinarisches, der Duft und Geschmack der Welt aus eigener Sicht. Empfehlung!
Maryse Condé, eine der wichtigsten Autorinnen der Frankophonie, wurde am 11. Februar 1937 in Pointe-à-Pitre auf Guadeloupe geboren. Sie studierte Vergleichende Literaturwissenschaften an der Sorbonne und promovierte über Stereotypen von Schwarzen in der karibischen Literatur. Anschließend lebte sie in Afrika, unter anderem in Mali, wo sie zu ihrem Bestseller Segu angeregt wurde. 1993 erhielt sie als erste Frau für ihr Gesamtwerk den Puterbaugh-Preis. Sie lebt abwechselnd auf Guadeloupe und in New York, wo sie an der Columbia University lehrt. 2018 wurde ihr für ihr Gesamtwerk der alternative Nobelpreis verliehen.
Köstliches und Kostbares
Kulinarische Reisen
Aus dem Französischen übersetzt von Ina Böhme
Erzählungen, Reiseliteratur, Kulinarisches, Autobiografie, französische Literatur
Hardcover, 256 Seiten
Litradukt Verlag, 2022
Die Kindheitserinnerungen der Nobelpreisträgerin Maryse Condé aus Guadeloupe aus den vierziger und fünfziger Jahren sind in diesem Band als Kurzgeschichten erschienen. Sie wächst in einer Beamtenfamilie der schwarzen Oberschicht auf. Die Zwänge ihrer Gesellschaft und Rassenkonflikte lassen sie rebellieren. Ihre Eltern fühlen sich als privilegierte «Grands Nègres», als vollwertige Franzosen, das Heimatland ist Frankreich – obwohl sie in der Kolonie Guadeloupe geboren sind, hier ihre familiären Wurzeln haben. Maryse fühlt sich in der «Hauptstadt» Paris nicht wohl. Im Nachkriegs-Paris sehen die Leute anders aus, nämlich weiß, aber nicht nur wegen der Hautfarbe fällt die Familie auf. Und die Afrikaner sprechen gut französisch, stellen die Pariser fest … Frankophonie, Rassismus, Dekolonialisierung sind die Themen, die hier fein mitschwingen. Empfehlung!
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