Rezension
von Sabine Ibing
Kochen am offenen Herzen
von Max Strohe
Lehr- und Wanderjahre
Max Strohe ist Schulabbrecher und Kochlehrling aus Sinzig am Rhein. Er hat die zweifelhafte Gabe, alles vor die Wand zu fahren. Zuallererst das eigene Leben. Erst mit fünfzehn begegnet er seinem Vater, ein Lebemann und unter Antiquitätenhändlern eine Koryphäe. An seiner Seite lernt er eine Welt kennen, in der guter Geschmack alles bedeutet. Vom Koch aus der Provinz zum Sternekoch mit Bundesverdienstkreuz – die Geschichte von Max Strohe ist einzigartig. Doch ich war doch enttäuscht von diesem Buch – eine Autobiografie, die dort abbricht, wo es meiner Meinung nach interessant wird: Auf dem Weg nach oben. Offen und ehrlich beschreibt er die Zeit als Schnitzelkoch davor: Sex and Drugs and Rock`n Roll bestimmen sein Leben; Marihuana, Koks, Speed. An diesem Buch werden sich die Geister scheiden. Entweder man findet es absolut cool oder auch nicht.
Der Vater zeigt ihm Gourmettempel
Wollüstig reiben wir uns die Hände, sind bereit zu sündigen und bekennen uns sehenden Auges zur Völlerei. Wir bestellen zur Vorspeise zweimal die getrüffelte Roulade von Périgord-Gänsestopfleber mit Feigenconfit und dazu zwei Gläser Sauternes. Dann eine Délice vom Taschenkrebs mit grünem Apfel und Staudensellerie, das sei herrlich lecker, schön leicht und würde uns erfrischen, sagt der Vater. Als dritten Gang nehmen wir bretonischen Hummer auf winterlicher Gemüsemelange mit Kalamansi-Marinade. Zum Hauptgang bestellt der Vater die Brust von der Étouffée-Taube mit gebratener Entenstopfleber und Rouennaiser Sauce, und ich entscheide mich für ein Entrecôte mit Nadelböhnchen und Kartoffel-Parmesan-Püree. Hinterher nähmen wir gerne noch zweimal eine sehr großzügige Portion des Kalbsbries Facon Rossini, mit schwarzem Wintertrüffel aus dem Périgord, gebratener Foie gras und Macaroni-Charlotte.
Max bricht mit fünfzehn die Schule ab, geht vom Gymnasium direkt in die Ausbildung zum Koch. Er lernt in der Wendelinusstube in Sinzig-Koisdorf, eine Dorfgaststätte mit typischer Regionsküche. Mit dem Vater, den er erst jetzt kennenlernt, unternimmt er einen Trip nach NY, wo er die Sterneküche kennenlernt, von Restaurant zu Restaurant wandert, Fressorgien mit dem Vater hält. Die Ausbildung stresst. Die ersten Alkohol- und Drogenexzesse beginnen. Max wird gefeuert, kann dank der Mutter seine Ausbildung im Hotel-Restaurant Hohenzollern in Bad Neuenahr-Ahrweiler beenden. Hier tut sich für Max eine völlig neue Welt der Gastronomie auf. Die Küche besteht aus mehreren Spezial-Küchen und er stellt fest, das erste Ausbildungsjahr hat mehr drauf als er nach dem Zweiten. Sein erster Kontakt als Koch in der gehobenen Küche – was auch lange Zeit der Letzte sein bleiben wird. Die Ausbildungszeit ist fein beschrieben und die IHK-Prüfung war der Knaller!
Sex and Drugs and Rock`n Roll
Das Kochen am Molteni-Herd, das sich Verbrennen, Schwitzen, die Romantik und die Demütigung. Die unendlichen Stunden an den unendlich langen Arbeitstagen. Die Berufsehre und das Pathos und das Ich, das sich verdünnisiert, zäh dahinfließt in die Fußbodenentwässerung und den rettenden Morgen der nächsten Schicht.
Nach der Ausbildung ist es nicht einfach, einen Job zu finden. Max sucht etwas, das nicht so stresst und landet so beim Care-Catering in einem Altersheim. So geht es von einer Schnitzelbude zur nächsten, Stellen wechseln wie die Unterhosen. Eine Zeitlang nach Kreta als Hotelkoch – nirgends bleibt er länger, wird rausgeschmissen oder geht selbst, weil viele Arbeitsplätze schlicht eine Zumutung sind. Oft wird ihm Schwarzarbeit angeboten. Pleiten, Pech und Pannen; Sex and Drugs and Rock`n Roll bestimmen sein Leben; Marihuana, Koks, Speed. Wir erfahren, welche Songs und Bands er liebt. Und alles das beschreibt Max Strohe ausgiebig. Mal ehrlich, mich hat nicht interessiert, mit wem er wo, auf welche Weise er überall ausschweifend Sex hatte. Auch nicht, wo er in der eigenen Kotze benebelt aufgewacht ist. Wenn man diesen verkrachten Lebensweg liest, ist man verwundert, wie es Max Strohe geschafft hat, zum Sternekoch aufzusteigen. Mich hätte eher interessiert, wie ihm genau das dann doch noch gelungen ist. «Ich habe verantwortungslos gelebt, Freundschaften zerstört, verbrannte Erde zurückgelassen.» Der Teil der Biografie ist grottenehrlich unverblümt präsentiert, und es ist bewundernd, wie es ihm geglückt ist, die Kurve zu bekommen. Ein Leben in der Achterbahn des Drogenrausches und Stellenwechsel in banalen Küchen war für mich eher uninteressant; die Sexszenen hätte sich der Autor schenken können. Alles Geschmacksache.
Für wen lässt Max Strohe die Hosen runter?
Der wirklich attraktive Teil des Werdegangs des Sternekochs für mich als Leser kommt leider nicht vor. Gefallen hat mir die Beschreibung der beiden Ausbildungsstellen, die Prüfung und ebenso die wenigen Momente, wenn Strohe seine Arbeitsplätze beschreibt: Die verheerende Ausnutzung der Arbeitskräfte, Missstände in der Branche, Angebote zu Schwarzarbeit, Analogkäse und Formfleisch, Convenience-Produkte, System-Gastronomie die Verwendung von Lebensmitteln, deren Mindesthaltbarkeitsdaten längst überschritten sind. Ein Mittagessen bei Tim Raue, den Strohe bewundert, sowie ein ausschweifendes Dinner mit dem Vater im Restaurant von Helmut Thieltges bildet den Schluss der Autobiografie. Literarisch lebt das Buch von Schnoddersprache, auch das ist Geschmacksache. Versucht Strohe pathetisch oder literarisch zu werden, poltert es, als hätte er Wackersteine gegessen. Meine Erwartungshaltung wurde nicht annähernd getroffen. Will ich den ganzen Mist so detailliert lesen, dass einem teilweise sich der Magen umdreht? Nein! Für wen lässt Max Strohe die Hosen runter? Ich habe kürzlich in einem Interview gelesen, er habe das Buch so geschrieben, wie er gerne eins lesen würde, mit Sexszenen bespickt und eben in dieser Sprache. Solch ein Genre gibt es ...
Max Strohe, geboren 1982 in Bonn. Er machte eine Lehre in der Wendelinusstube in Sinzig-Koisdorf und schloss sie im Hotel-Restaurant Hohenzollern in Bad Neuenahr-Ahrweiler ab. 2015 eröffnete er gemeinsam mit Ilona Scholl in Berlin das Lokal «tulus lotrek». 2017 bekam das Restaurant seinen ersten Michelin-Stern verliehen. Strohe ist auch als Fernsehkoch zu sehen, u. a. in «Kitchen Impossible» mit Tim Mälzer. Während der Coronapandemie 2020 initiierte er «Kochen für Helden», wofür er das Bundesverdienstkreuz erhielt.
Kochen am offenen Herzen
Lehr- und Wanderjahre
Autobiografie, Kulinarisch, Gastronomie
Hardcover mit Schutzumschlag, 256 Seiten
Tropen Verlag
Roman zum Thema:
Weiter zur Rezension: Der Hund von Akiz
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