Rezension
von Sabine Ibing
Kleine Probleme
von Nele Pollatschek
Es war Freitag, der 31. Dezember, und ich musste noch was erledigen. Also alles.
Und dann fängt man eben beim Wetter an, weil das ein Anfang ist, und gerade am Anfang muss man es sich einfach machen, denn, das weiß man, aller Anfang ist schwer, und, das weiß man auch, Mitten sind noch viel schwerer.
Immer alles auf den letzten Drücker … Lars Messerschmitt (49) ist Schriftsteller, derzeit allein im Haus. Vor ihm liegt eine To-do-Liste, dreizehn Dinge, die er vor dem Jahreswechsel zu erledigen hat, denn die Familie kommt heim. Wir haben den 31. Dezember – also nichts wie ran an die Arbeit: Putzen, das Ikea-Bett der Tochter zusammenbauen, Steuererklärung machen, Nudelsalat zubereiten … Ein urkomischer Roman, den man mit herzlichem Lachen begleitet, während man schaudernd Lars verfolgt, wie Lars Pizzakartons, leere Flaschen, herumliegende verschwitzte Kleidung zusammensammelt und volle Aschenbecher an jeder nur möglichen Stelle entleert, die Sitzecke vom klebrig-süßem Milchkaffee entfernt, und dabei ungeschickt neue Baustellen eröffnet. Der Geruch hängt dem Leser in der Nase – denn ach, Lüften und Duschen sollte er auch mal.
Die Pleumel waren der Fixpunkt, an dem er sich durch die in den Plodden vorgebohrten Azen ein Knülp befestigen ließ. Die Niezen sollten überhaupt nichts halten, nicht mal die Pleumel oder Knülpe. Es war eben genau das Zusammenspiel der unterschiedlichen, in sich ungenügenden Elemente, das dem Ganzen Halt geben sollte, und ich glaube, da ist eine tiefe Wahrheit drin über die menschliche Existenz oder zumindest eine mitteltiefe.
Das Bett von «Korea». Holz und so viele Schrauben, man muss diese Bauzeichnung erstmal verstehen … «Keine Ahnung, was mir die Männchen mitteilen wollen, außer dass ein Schlaganfall nicht der richtige Zeitpunkt zum Möbelaufbau sei». Und damit Lars eine Beziehung zum Material bekommt, gibt er den Einzelteilen einen Namen. Jetzt funktioniert es! Pleumel, Knülpe, Plodden und Azen verbinden das Holz und das Bett steht! Slapstick mit Niveau! Die Steuererklärung muss gemacht werden – die Bons, die Belege … Und Papa zum Jahresende anrufen … Früher haben das die Frauen erledigt, sich gegenseitig angerufen, kommuniziert. Johanna (Lars Frau) hat von Lars grüßen lassen und Mama von Papa – so wie jetzt Johanna mit Makena (Freundin vom Sohn Yannis) redet … Doch Mama ist tot und Johanna nicht da. Das müssen Lars und Papa nun alleine hinbekommen. Die Krönung ist für mich der Nudelsalat! Der ist nämlich versprochen nach Mamas Rezept, das Johanna aufgeschrieben hatte. Nur das ist nicht aufzufinden, und Lars hat nicht eingekauft! Doch einen guten Koch kann nichts erschrecken. Majo bekommt man auch auf andere Art hin. «…aber wer den Geruch von Gorgonzola problematisch findet, sollte niemals an abgelaufener Soja-Milch riechen.» Der Erfindungsgeist von Lars strapaziert die Lachmuskeln. Einfach genial!
Und die Welt denkt dann vielleicht, man sei faul, dabei ist man den ganzen Tag schwer damit beschäftigt, nicht hinzusehen. Und das wissen die wenigsten, wie anstrengend es ist, wie viel Kraft es kostet, den Fuß nach jedem Schritt abzustreifen und trotzdem nicht zu putzen.
Putzen ist nicht Lars Lieblingsbeschäftigung. Und er sieht den Dreck! Klar – und er stört ihn. Die Kunst ist es eben, nicht hinzusehen! Kleine Probleme sind zu bewältigen, wo er doch eigentlich mit dem größten beschäftigt ist: einen großen Roman zu schreiben … Die Überforderung, alles gleichzeitig zu organisieren und die großen Probleme der Welt, die ihm parallel durch den Kopf gehen – das alles ist nicht einfach für den Autor. Neben den urkomischen Szenen fließen innere Monologe ein über Gott und die Welt, zu seiner Familie, zum Zeitgeschehen. Das ist tiefgreifender Humor – ein Lars, der selbstironisch sein Innerstes vor uns auszieht. Der anfängliche Ekel, als man sich in den Haushalt hineinfühlt, fällt ab – der Dreck ist entsorgt, es riecht nach Putzmitteln. Man fängt an, Lars lieb zu gewinnen, mit all seinen Fehlern: «Wenn ich die Wahl gehabt hätte, ich hätte mich auch verlassen, nur ich habe die Wahl eben nicht.». Und wenn wir ehrlich sind, ist jeder von uns ein wenig Lars … Ein Roman mit schrägem Humor, Slapstick pur, der gleichzeitig tief berührt mit seinen Fragen. Die Kombination muss man erst mal hinbekommen! Chapeau!
Und wenn man es nicht mit neunundvierzig schafft, dann wird man es niemals schaffen. Und dann ist man genau so, nicht nur jetzt, sondern für immer. Dann hilft auch kein morgen und kein später und nicht mal demnächst. Nicht mal das neue Jahr hilft dann noch. Dann ist man für immer genau das. Ein alter Sack, der in einem Drecksloch sitzt und raucht und davon erzählt, was er morgen machen wird.
Nele Pollatschek, 1988 in Berlin geboren, hat Englische Literatur und Philosophie in Heidelberg, Cambridge und Oxford studiert und wurde darin 2018 promoviert. Für ihren Debütroman Das Unglück anderer Leute (2016) erhielt sie den Friedrich-Hölderlin-Förderpreis (2017) und den Grimmelshausen-Förderpreis (2019). Es folgte das Sachbuch Dear Oxbridge. Liebesbrief an England (2020). Nele Pollatschek schreibt für die Süddeutsche und erhielt 2022 den Deutschen Reporterpreis.
Kleine Probleme
Zeitgenössische Literatur, Slapstick, Humor
Hardcover mit Schutzumschlag, 208 Seiten
Galiani Verlag, 2023
Zeitgenössische Literatur
Hier verbirgt sich manche Perle der Literatur. Ich lese auch mal einen Bestseller, natürlich, aber mein Blick ruht immer auf den kleinen Verlagen, auf den freien Verlagen. Sie trauen sich was - und diese Werke sind in der Regel besser als der Mainstream der meistgekauften Bücher …Zeitgenössische Romane
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