Rezension
von Sabine Ibing
Ich würde so etwas nie ohne Lippenstift lesen
von Michaela Karl
Maeve Brennan – eine Biografie
… ich hab mich oft gefragt, wovon sie gelebt hat, erinnert sich eine Cousine. Viel war es vermutlich nicht: hartgekochte Eier und Martini sollen Maeve Brennans Hauptnahrungsmittel gewesen sein. Ihren makellosen Porzellanteint betonte sie durch dunkel getuschte Wimpern und einen rotgeschminkten Mund. Das dichte braune Haar trug sie … kunstvoll zu einem Beehive aufgetürmt … Im kleinen Schwarzen mit Perlenkette wurde sie zu einer Stilikone … die bevorzugt bei Tiffany frühstückte und schlechte Nachrichten nicht ohne geschminkten Mund entgegennahm.
Meave Brennan, geboren 1917, ist in Irland aufgewachsen und erlebt eine traumatische Kindheit. Der irische Bruderkampf bestimmt ihr Leben, denn beide Eltern sind aktiv in der Untergrundbewegung unterwegs. Der Vater, Robert Brennan, ist selten zu Hause, wechselt ständig seine Verstecke. Immer wieder durchkämmen brutale Soldaten der irischen Armee das Haus der Brennans in der Nacht, verhören die ältesten Kinder stundenlang, stellten das Haus auf den Kopf. Bomben und Tote in Dublin. 1922 wird der irische Freistaat ausgerufen, der in die Republik Irland übergehen wird. Waffenstillstand 1923, mehr als 12.000 IRA-Mitglieder befinden sich in Gefangenschaft – Ende des Bürgerkriegs. 1929 tritt Meave zusammen mit ihrer Schwester in ein katholisches Nonneninternat ein. Eine brutale Zeit beginnt für die Schwestern – Maeve hält die Tyrannei der Nonnen in der Geschichte »Der Teufel in uns« fest, bezeichnet die Nonnen als »Krückstöcke des Teufels«. 1934 tritt Robert Brennen als Legationsratsmitglied der irischen Gesandtschaft in Washington D.C. seinen Dienst an, die Familie folgt. Ein neues Leben beginnt für Meave in den USA, ein luxuriöses, ein anderer Start als der von vielen bettelarmen irischen Einwanderern. Sie wird später nicht mehr nach Irland zurückkehren, anders als ihre Eltern und die meisten Geschwister. Bei späteren Besuchen in Irland wird es sie erschrecken, dass »sich der Einsatz der irischen Frauen für die irische Unabhängigkeit allerdings dadurch würdigt, dass er sie auffordert, sich nun wieder in die Küche zurückzuziehen …«. Die Frauenrechte werden in den folgenden Jahren in Irland massiv eingeschränkt.
Maeve ist das, was man heute eine Influencerin nennen würde, und so ganz nebenbei ist sie auf dem Sprung zur gefeierten Stilikone. Ihr späterer Chef William Maxwell fasst dies in einem Satz zusammen: ›In ihrer Nähe zu sein bedeutete mitzuerleben, wie Stil erfunden wurde.‹ In einer Stadt, in der die Redakteurinnen von Modemagazinen selbst zu Modeikonen werden, ist Maeve genau richtig.
Eigentlich wollte sie Bibliothekarin werden, studiert zunächst englische Literatur und Bibliothekswesen, sattelt später Bibliothekswissenschaften drauf. Sie liebte Bücher und das Schreiben. Doch ihre erste feste Stelle wird Meave als Werbetexterin bei dem Modejournal »Harper's Bazaar« in New York antreten, bekommt dort alsbald den Job einer Moderedakteurin. Sie ist eine hervorragende Trendforscherin, entdeckt früh das, was später Mode werden wird, auch wenn sie selbst sich stets treu bleibt mit dem kleinen Schwarzen, Hochsteckfrisur und Perlenkette. Später wird sie zu einer der landesweit bekanntesten Autorin werden, beim legendären »New Yorker«, wo sie ab 1949 Kolumnen, Essays, Kurzgeschichten und Rezensionen schreibt, zur journalistischen und literarischen Avantgarde von New York gehört. Ab 1969 erschienen ihre Erzählungen auch in Buchform: »Die Besucherin«, »Mr. und Mrs. Derdon«, »Der Teppich mit den großen pinkfarbenen Rosen«, »Der Morgen nach dem großen Feuer« und »Tanz der Dienstmädchen«. Die Historikerin Michaela Karl hat es geschafft, diesem Lebenslauf, der einer Tragik nicht entbehrt, einen eine sachlich erzählende Nuance zu geben, die die Biografie lesenswert macht. An manchen Stellen erschlagen allerdings Namen von Personen, die mir unbekannt sind, Namen aus Journalismus und Modebranche vergangener Zeiten, die auch für mich heute keine Bedeutung haben. Michaela Karl bezeichnet Meave als »Königin des Flüchtigen«. Eine Persönlichkeit, die sich nahm, was sie wollte, machte, was sie wollte und immer ein unstetes Leben führte, immer maßlos über ihre Verhältnisse lebte. Verpflichtungen, festgelegte Termine und sich auf irgendetwas festzulegen im Leben, damit kam sie nicht klar. Sie wechselte ihre Liebhaber wie die Unterwäsche, sie war ein paar Mal verheiratet, aber die Ehen hielten nie lange, und sie wechselte ihre Wohnungen am laufenden Band. Einkaufsrausch, feinste Kleidung, dabei aber immer pleite – der »New Yorker« glich immer wieder ihre Schulden aus, was ich sehr bemerkenswert fand, da es sich keinesfalls um kleine Summen handelte. »Nächtelange Sauf- und Diskursgelage im Lokal Costello’s waren Teil des Jobs, pleite war man eigentlich auch immer, sah aber sehr gut dabei aus«, zitiert die Autorin Bennan. Die Mischung aus Kultur und Literatur in der Redaktion gefallen Maeve, denn damals waren viele bekannte Schriftsteller dort beschäftigt – Literatur zu veröffentlichen, gehörte zum Tagesgeschehen. Am liebsten wohnte Maeve in New Yorker Hotels, immer auf der Suche nach etwas, das sie nie gefunden haben mag. Mitte der Sechziger geht es langsam mit ihr bergab. Im »New Yorker« haben nun andere Leute das Sagen, die sicher nicht mehr ihre offenen Rechnungen begleichen, denn es herrscht ein anderer Wind, William Maxwell hat man aufs Altenteil geschickt. Steuerschulden, Hotelrechnungen, Rechnungen aus Modehäusern, das alles interessierte Maeve nicht. Doch nun bleibt ihr nichts anderes mehr übrig und sie muss auf günstige Hotels umschwenken. In dieser Zeit, nach ihrem 50. Lebensjahr, stellt sich bei Meave Brennan eine Schizophrenie ein. In den Achtzigern ist Maeve dann häufig verwirrt, irrt obdachlos durch Manhatten, landet in Krankenhaus und in der Psychiatrie. 1990 wird Maeve Brennan in ein Pflegeheim in einer heruntergekommenen Gegend von New York untergebracht, wo sie allein ein kümmerliches Dasein fristet. 1993 stirbt sie mit 76 Jahren an Herzversagen. Zu ihrer Beerdigung erscheinen nur wenige alte Freunde, niemand aus der Familie aus Irland reist an.
Maeve Brennan wurde nie explizit mit Aktionen oder Ideen der Frauenbewegung in Verbindung gebracht, und doch war sie eine Feministin durch und durch – lange bevor der Feminismus als Idee wieder en vogue wurde. Ihre Arena waren ihre Kurzgeschichten und die seelisch verkrüppelten Frauenfiguren, die sie zeichnete. Frauen, denen das Recht auf ein eigenes Leben verwehrt worden war. Frauen, denen man schon als Kind verboten hatte, zu fühlen, zu reflektieren und zu kommunizieren.
Maeve Brennan war mir bis dato nicht bekannt. Ich bin froh, sie über diese Biografie kennengelernt zu haben. 1,50 Meter groß, sehr hübsch, sie wirkt wie eine Elfe, sagt man – aber eine, der auch ein fu… you über die Lippen kommen konnte. Michaela Karl schreibt sachlich, hat akribisch recherchiert, und gibt dem Leser eine Menge Zitate aus den Kolumnen und Kurzgeschichten, fasst sie zusammen. So kann man sich ein gutes Bild über Mave Brennan machen. Hier wird auch kein verherrlichter Kult getrieben. Saufen bis der Arzt kommt, das gehörte zu dieser Zeit in dazu. Maeve schrieb über New York, über ihr Manhattan, über die Menschen. Gerade deshalb sind ihre Kolumnen ein Dokument des Zeitgeschehens, denn sie war eine gute Beobachterin und ihre Kurzgeschichten sind bravouröse Milieustudien. Eine interessante Frau, die ihr Leben in vollen Zügen genossen hat, immer Vollgas, ohne Rücksicht auf andere, immer mit Abstand zu anderen, einen großen Freiraum für sich selbst zu behalten, unstet und beziehungslos. Und genau das war am Ende ihr trauriges Schicksal.
Michaela Karl, geboren 1971, studierte in Berlin, München und Passau Politologie, Geschichte und Psychologie. 2001 promovierte sie an der FU Berlin mit einer Arbeit über Rudi Dutschke. Ihre Biographien über Dorothy Parker, Zelda und F. Scott Fitzgerald und ihr Buch über Bonnie und Clyde waren Bestseller. Michaela Karl ist Mitglied der Münchner Turmschreiber.
Kommentare
Kommentar veröffentlichen