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Hope Hill Drive von Garry Disher - Rezension

Rezension

von Sabine Ibing


Hope Hill Drive

 
von Garry Disher


Der Anfang:  So kurz vor Weihnachten hatte die winterliche Sonne ordentlich Kraft, und Ziegelwände, Blechdächer, Asphalt und das roterdige Flachland strahlten die aufgestaute Hitze all der heißen Tage ab. An diesem Donnerstagvormittag kam obendrein noch ein Grasfeuer dazu.


Die Dezemberhitze brennt auf die trockenen Felder im australischen Tiverton. Constable Paul Hirschhausen fährt durchs staubige Outback Streife, kümmert sich um Bagatelldiebstähle, Kupferdiebstahl, Gewalt, Trunkenheit am Steuer und soziale Schwierigkeiten. Er muss an Weihnachten Dienst schieben – auch noch den Kleinstadtweihnachtsmann geben – Vorsicht ist geboten, an solchen Tagen steigt der Alkoholkonsum und somit eskalieren Gewaltausbrüche. Der Leser begleitet Hirschausen, der auf seinen weiten Touren über abgelegene Farmen, jeden Tag eine andere Tour fährt – hier eine Tasse Tee, dort ein paar Plätzchen, sich Sorgen und Nöte anhören, Streit schlichten, nach Alten und psychisch Kranken schauen, nicht immer alles gleich zur Anzeige bringen, Vertrauen schaffen, einen Überblick über die Gemeinde halten. 


Polizist und Sozialarbeiter

Hunderte Kilometer die Woche an Kontrollfahrten. Ein älterer Viehzüchter hier, eine Witwe mit einem schizophrenen Sohn da. Polizeipräsenz – das bedeutete eine Tasse Tee, einen Schwatz, eine Nachsorge. Tut mir leid, aber Ihr Wagen ist ausgebrannt unten in Salisbury aufgefunden worden. Ihr Nachbar beschwert sich, dass Ihre Hunde seine Schafe belästigen. Ich bin dazu verpflichtet nachzuschauen, dass Ihr Gewehr und Ihre Schrotflinte ordnungsgemäß eingeschlossen sind. Und haben Sie den rätselhaften Laster wiedergesehen, den Sie letzte Woche gemeldet haben?


Bei Disher geht es anfänglich meist geruhsam zu. Doch dann kommt es zu einem spektakulären Fall: Vier der Zwergponys der Züchterin Nancy liegen morgens aufgeschlitzt auf dem Hof. Dann wird er zu einem Auto gerufen, in dem ein Kleinkind eingeschlossen ist, zu ersticken droht. Als das Autofenster eingeschlagen ist und Hirschausen das Kind herauszieht, kommt die Mutter aus einem Haus, stürzt sich wie wild auf ihn. Wie es seine Art ist, kann er die Situation deeskalieren, verzichtet auf Anzeigen, meint, die Mutter sei bestraft genug, fährt sie nach Hause. Am nächsten Tag findet man die Frau und ihren Sohn erschossen in ihrem Haus auf, die beiden Mädchen sind verschwunden. Sie hatte Hirsch falsche Angaben über Namen und Anzahl der Kinder gemacht. Hatte sie sich in diesem abgelegenen Haus versteckt und was steckt dahinter? Etwas Großes scheint sich hier anzubahnen.


Spannung steigt, Fäden laufen zusammen

Es machte keinen Spaß, eine Weihnachtswaise zu sein, dachte er plötzlich, keinen Spaß, ein Kleinstadtbulle am Weihnachtstag zu sein. Er stapfte zum Revier zurück und fragte sich, wann denn der Ärger so richtig losgehen würde. Das mulmige Gefühl ließ keine Sekunde nach und legte sich über ihn wie eine Decke in sengender Hitze.


Disher präzisiert das Gesellschaftsbild aus dem Outback, zeigt die verschiedene Charaktere: hartgesotten, misstrauisch, verschroben. Er holt den Leser hinein in eine staubige vor Hitze flirrende Landschaft, hinein in die Weihnachtszeit und Sylvester der Provinzstädte und Käffer einer kargen Landschaft. Was hängt wie zusammen, wer mit wem? Die Spannung steigt, Fäden laufen zusammen. Alles spitzt sich zu – gleich an mehreren Enden. In dieser Gegend gibt es nicht nur Giftschlangen, die zwischen Steinen lauern, auch solche mit zwei Beinen.


Noir-Krimi der Spitzenklasse

Eine von Tod geprägte Landschaft, fand Hirsch. Hoffnungen starben, Menschen starben. Hier draußen konnte ein Mord geschehen und unentdeckt bleiben, dachte er. Nirgendwo hier draußen ist es neutral. Die Landschaft ist aufgeladen, mitschuldig.


Mit dem Krimi «Bitter Wash Road» ließ Garry Disher Hirschhausen erstmalig auftreten, von Melbourne strafversetzt ins Outland. Und wieder schafft er es, mit diesem Noir-Krimi zu überzeugen. Überraschenden Wendung, falsche Spuren, tief in die Gesellschaft blickend, sprachlich auf hohem Niveau – genauso macht Krimi Spaß!


Eileen Pitcher war winzig, wie ihre Tochter groß war, eine vertrocknete runzlige Frau mit einer Seele aus Stein. Sie sog gierig an einer Zigarrete und bot ein klitzekleines Stück Weihnachtsfreude an: ‹Tee?›

Der alte Hirsch hätte wohl gesagt: Sorry, viel zu tun, aber der aktuelle Hirsch hatte den Blues. Vielleicht half da eine Tasse Tee.


Garry Disher, geboren 1949, wuchs im ländlichen Südaustralien auf. Er schreibt Romane, Kurzgeschichten, Kriminalromane und Kinderbücher. Sein Werk wurde für den Booker Prize nominiert und mehrfach ausgezeichnet, u. a. dreimal mit dem Deutschen Krimipreis sowie mit dem wichtigsten australischen Krimipreis, dem Ned Kelly Award. Garry Disher lebt an der Südküste von Australien in der Nähe von Melbourne.


Weitere Rezensionen zu Garry Disher

Leiser Tod von Garry Disher


  

Garry Disher 
Hope Hill Drive
Originaltitel: Peace
Ein Constable-Hirschhausen-Roman (2)
Aus dem australischen Englischen von Peter Torberg
Kriminalroman, literarischer Krimi, Noir-Krimi, australische Literatur
Gebunden, 336 Seiten
Unionsverlag, 2020





Krimis und Thriller

Ich liebe Krimis und Thriller. Natürlich. Spannend, realistisch, gesellschaftskritisch oder literarisch, einfach gut … so stelle ich mir einen Krimi vor. Was ihr nicht oder nur geringfügig bei mir findet: einfach gestrickte Krimis und blutrünstige Augenpuler.
Krinis und Thriller

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