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Heimkehren von Yaa Gyasi - Rezension

Rezension

von Sabine Ibing



Heimkehren 


von Yaa Gyasi 

Gesprochen von: Bibiana Beglau, Wanja Mues, Britta Steffenhagen, Götz Schubert, Bjarne Mädel, Felix Goeser
Ungekürztes Hörbuch, Spieldauer: 11 Std. und 58 Min.


Der Anfang: 

In der Nacht, als Effia Otcher in der nach Moschus riechenden Hitze von Fante-Land geboren wurde, wütete ein Feuer durch den Wald direkt vor dem Compound ihres Vaters. Es breitete sich rasch aus, zog tagelang eine Schneise. Es speiste sich von Luft; es schlief in Höhlen und versteckte sich in Bäumen; es brannte, loderte auf und schlug sich durch ohne Rücksicht auf die Verwüstungen, die es hinterließ, bis es zu einem Asante-Dorf kam. Dort verschwand es, wurde eins mit der Nacht.


Dieser berührende Roman ist episodenhaft geschrieben, fügt das Schicksal einer schwarzen Familie über Generationen zusammen. Die Geschichte zieht den Leser sofort hinein, bildgewaltig. Effia und Esi sind Halbschwestern, lernen sie sich jedoch nie kennen, denn ihre Lebenswege verlaufen von Anfang an getrennt. Im Ghana des 18. Jahrhunderts wird Effia mit einem Engländer verheiratet, der im Sklavenhandel zu Reichtum und Macht gelangt. Esi dagegen wird als Sklavin nach Amerika verkauft. Während Effias Nachkommen über Jahrhunderte sowohl als Opfer als auch Profiteure des Sklavenhandels werden, fristen Esis Kinder und Kindeskinder ihr Leben zunächst auf den Baumwoll-Plantagen der Südstaaten. 


Die Festung von Cape Coast


Ja, mein Mann hat meiner Mutter zehn Pfund gezahlt, und das vor fünfzehn Jahren! Stimmt schon, Schwester, es ist gutes Geld, aber ich für meinen Teil bin froh, dass meine Tochter einen Fante geheiratet hat. Selbst wenn mir ein Soldat zwanzig Pfund bieten würde, wäre sie doch nicht die Frau eines Häuptlings. Und schlimmer noch, sie müsste in der Festung leben, weit weg von mir. Nein, nein, es ist besser, einen Mann aus dem Dorf zu heiraten, damit deine Tochter in deiner Nähe bleibt.


Effias Stiefmutter behandelt sie hart, und sie verwendet einen Trick, um sie loszuwerden: Sie redet ihr ein, dass sie zu ihrem Vorteil nur ihr verraten soll, wenn ihre Monatsblutung einsetzt, ansonsten darüber schweigen muss. Effia die Schöne, ist Abeeku versprochen, den sie liebt. Doch weil ihr die Mutter verbietet, zu verkünden, dass sie zur Frau gereift ist, hält man sie für unfruchtbar. Eines Tages erscheint James Collins, der neu ernannte Gouverneur der Festung von Cape Coast – der weiße Häuptling – hält bei Baaba um Effias Hand an. Die Stiefmutter rät ihrem Mann, sie den Weißen zu verkaufen, denn das Mädchen sei verflucht und der weiße Häuptling wisse ja nicht, dass sie unfruchtbar ist. Aus dem Dorf wird sie sowieso niemand nehmen. Ein prächtiges Brautgeld wird ausgehandelt, eins dass Abeeku nicht zahlen kann ... Zum Abschied erhält Effias «einen schwarzen Stein, der schimmerte, als wäre er mit Goldstaub überzogen.» In der Festung von Cape Coast, an der Goldküste, werden im Keller unter bestialischen Verhältnissen die Sklaven eingesperrt, bevor sie weitertransportiert werden. Der Auftakt der Erzählung.


Sklavenfänger und Sklavenhändler


Esi war seit zwei Wochen in einem Frauenverlies der Festung von Cape Coast. ... An ihrem vierzehnten Geburtstag war sie noch im Herzen von Asante-Land gewesen, im Compound ihres Vaters, des Großen Mannes. Er war der beste Krieger des Dorfes, und alle waren gekommen, um der Tochter, die mit jedem Tag schöner wurde, ihre Aufwartung zu machen.


Drei Jahrhunderte, sieben Generationen und zwei Kontinente: der Aschanti-Fante-Krieg, Sklaverei, der Amerikanische Bürgerkrieg, die sogenannte «Große Migration», die Kohleminen Alabamas, bis ins 20. Jahrhundert, zu den Jazzclubs und Drogenhäusern Harlems führt uns der Roman durch die Epochen. Schwarze als Menschen zweiter Klasse ... Sklaverei, brutale Ausnutzung von Arbeitskraft, Willkür, ungerechte Behandlung durch die Justiz; das Buch fasst alles Leid zusammen, das die weiße Welt beschert. Macht und Gier im Kolonialismus, Ketten und Peitschen, immer wieder unerträgliche Gewalt. Auf der anderen Seite die Sklavenfänger in Afrika, die Sklavenhändler, die Mithilfe der verfeindeten Stämme, die lieber andere auslieferten, als selbst gefangen zu werden, beteiligt waren – etwas, das gern unter den Tisch gekehrt wird. Das Aschantireich streckte sich zu Beginn des 19. Jahrhunderts über nahezu das gesamte Staatsgebiet des heutigen Ghanas mit Ausnahme eines schmalen Küstenstreifens, der von den Fante-Staaten gebildet wurde.


Vom Feuer geprägt


Weil sein Körper bereits wusste, was seine Gedanken noch nicht ganz zusammengesetzt hatten: dass du in Amerika nichts Schlimmeres sein konntest als ein schwarzer Mann. Das war schlimmer als tot, du warst ein lebender Toter.


Trotz aller Brutalität ist der Roman unterhaltsam, gibt Einblick in die Familien, in deren Leben, das in großartigen Bildern. Yaa Gyasi hat gut recherchiert und schreibt eine Familiengeschichte entlang von historisch korrekten Ereignissen, gibt berührend authentisch die jeweilige Epoche wieder. Selbst als nach dem Bürgerkrieg die Slaverei aufgelöst wird, ist Freiheit nur ein Traum: «So was wie einen freien Nig... gibt es nicht.» Traumata, die sich durch die Generationen ziehen, eine Kette mit einem schwarzen Stein, die weitergereicht wird, eine Verknüpfung zur nächsten Generation. Zwei parallele Erzählstränge. Yaa Gyasi sagt in einem Interview, sie habe sich gezwungen, jeder Figur nur 20 bis 30 Seiten zu geben. Nicht das ganze Leben einer Person wird auserzählt, lediglich wichtige Stationen werden episodenhaft eingeschoben. Nach je einem Kapitel zu jedem Strang beginnt eine neue Generation. Das Feuer spielt eine wichtige Rolle. Effia wurde während eines Feuers geboren, dass Unglücks ihrer Geburt. Ebenso sind ihre Kinder und Kindeskinder vom Feuer geprägt; Brandmale, Narben der Peitschenhiebe, Hautfarbe, alles brennt sich in die Seele. Innere Narben der Identität. Trotz der kurzen Kapitel blättern sich im Kopf mit allen Sinnen die Szenerien breit aus und auch die Charaktere sind klar und mitreißend geschildert. Eine vielschichtige Erzählung, ein historischer Abriss der Afroamerikaner, eine berührende Familiengeschichte. Meine Empfehlung! 


Warum sollte ein Schwarzer schwimmen wollen? Der Boden des Ozeans sei übersät mit schwarzen Leichen.


Yaa Gyasi wurde 1989 in Ghana geboren. 1991 zog sie mit ihrer Familie in die USA und lebte zunächst in Illionois und Tennessee. Von ihrem zehnten Lebensjahr an wuchs sie in Alabama auf. Sie hat Englische Literatur an der Stanford University studiert und einen Abschluss des Iowa Writers’ Workshop. Ihr Roman wurde mehrfach ausgezeichnet, u. a. mit dem Pen/Hemingway Award for Debut Fiction und dem «5 under 30» Award 2016 der National Book Foundation. Heimkehren ist ihr erster Roman. Die Autorin lebt in den USA.


Yaa Gyasi 
Heimkehren
Originaltitel: Homegoing, 2016
Aus dem amerikanischen Englisch übersetzt von Anette Grube
Gesprochen von: Bibiana Beglau, Wanja Mues, Britta Steffenhagen, Götz Schubert, Johann von Bülow, Stefan Kaminski, Felix Goeser, Bjarne Mädel, Max Mauff, Rike Schmid, Jodie Ahlborn, Jule Böwe, Judith Engel, Lisa Wagner
Roman, Familienroman, amerikanische Literatur, Kolonialismus, Rassismus, Sklaverei, historischer Roman, Festung von Cape Coast, Afrikanische Geschichte, amerikanische Geschichte, Aschanti-Fante-Krieg
Ungekürztes Hörbuch, Spieldauer: 11 Std. und 58 Min.
Der Audio Verlag, Audible, 2017
DuMont Verlag, 2017, Hardcover, 416 Seiten




Historische Romane und Sachbücher

Im Prinzip bin ich an aller historischer Literatur interessiert. Manche Leute behaupten ja, historisch seien Bücher erst ab Mittelalter.  Historisch - das Wort besagt es ja: alles ab gestern - aber nur was von historischem Wert ist. Was findet ihr bei mir nicht? Schmonzetten in mittelalterlichen Gewändern. Das mag ganz nett sein, hat für mich jedoch keine historische Relevanz.  Hier gibt es Romane und Sachbücher mit echtem historischen Hintergrund.
Historische Romane


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