Rezension
von Sabine Ibing
Heim schwimmen
von Deborah Levy
Der erste Satz:
Als Kitty Finsch das Lenkrad losließ, und zu ihm sagte, dass sie ihn liebe, da wusste er nicht mehr, ob sie sich mit ihm unterhielt oder ihm drohte.
Die Luft vibriert vor Hitze. Sie sind aus London angereist, um wie jedes Jahr in diesem Haus bei Nizza ihre Ferien zu verbringen: Jozef und Isabel Jacobs, Schriftsteller und Kriegsberichterstatterin, begleitet von ihrer vierzehnjährigen, pubertierenden Tochter Nina. Dabei wie immer, das befreundete Ehepaar, Mitchell und Laura, dessen Laden gerade den Bach runtergeht, sie aber das Geld raushauen, als gäbe es kein Morgen mehr. Schweißnass angekommen, dann der Schreck: Im Pool treibt ein nackter Frauenkörper! Doch dieses wunderhübsche junge Ding namens Kitty Finch lebt. Angeblich hat sie die Buchungszeiten für das Haus verwechselt. Da kein Hotel mehr aufzutreiben ist, bittet Isabel sie, zu bleiben, denn ein Zimmer der Villa steht noch zur Verfügung.
Der Wirbelwind bringt eine frische Brise in die Gesellschaft
Diese junge Frau war ein Fenster, das nur darauf wartete, dass jemand einstieg. Ein Fenster, das allen Anschein nach einen Sprung hatte.
Die schräge Kitty, selbsternannte Botanikerin, läuft am liebsten nackt durch die Gegend und hat eine Menge Absonderlichkeiten zu bieten. Ihr Gepäck ist ziemlich klein, und als Bewunderin von dem großartigen Dichter Jozef Jacobs, führt sie alle Gedichtbände von ihm mit sich. Und sie wünscht sich nichts mehr, als dass der Dichter sich mit ihr und ihrem Gedicht «Heim schwimmen» beschäftigt. Dem Hippie-Hausmeister Jürgen passt das gar nicht, denn er ist schon lange scharf auf Kitty, die sich jederzeit bei ihm hätte einquartieren können.
Niemand ist hier der, der er vorgibt zu sein.
Der Geruch von verbranntem Zucker machte sie gierig auf die Nüsse, und sie hoffte, dass sie daran endlich ersticken würde. Ihre Nägel wurden spröde, ihre Knochen schwach, ihr Haar dünn und ihre Taille gehörte endgültig der Vergangenheit an. Sie hatte sich im Alter in eine Kröte verwandelt, und wenn irgendjemand mutig genug wäre, sie zu küssen, so würde sie sich nicht in eine Prinzessin zurückverwandeln, denn sie war nie eine gewesen.
Die Ehe zwischen dem erfolgreichen Dichter und seiner Frau ist schon lange kaputt – genau darum ist sie Kriegsreporterin geworden, immer auf Achse. Hat Isabel Kitty eingeladen, um etwas zu provozieren, um diesem Possenspiel ein Ende zu setzen? Das Mädchen sei nicht ganz dicht, sagen die Leute im Ort. Zumindest sorgt sie gleich für Turbulenzen. Britischer Humor am türkisfarbenen Swimmingpool in Nizza bei sirrender Hite mit dem Geruch von Pinien und Lavendel zwischen den Blättern. Ein süffiger Sommerroman, der Spaß macht. Deborah Levy erzählt aber nicht nur eine Geschichte. Versteckt integriert sie viele kleine Randgeschichten um ihre Protagonisten – fein gezeichnete Charaktere, Menschen, die vom Leben enttäuscht wurden. Hier genügen ein paar Zeilen, eine kleine präzise Nebengeschichte, die der Figur eine Tiefe zu gibt. Zweideutigkeit liegt unter den Zeilen. Der schillernde Pool wird irgendwann trüb und modrig, «Insekten in verschiedenen Stadien des Todeskampfs» schwimmen darin. Die Masken fallen, das Schmutzige kommt nach oben, Deborah Levy entblättert die Protagonisten, bis sie alle nackt dastehen wie Kitty – denn niemand ist hier der, der er vorgibt zu sein.
Alles war wie vorher, nur ein klein wenig anders.
Deborah Levy, 1959 in Südafrika geboren, lebt als Autorin in London. Nach einigen Prosaarbeiten schrieb sie vor allem Drehbücher und Theaterstücke, die unter anderem von der Royal Shakespeare Company aufgeführt wurden. Ihr erstes Buch auf Deutsch «Heim schwimmen» sorgte weltweit für Furore und war unter den Finalisten des Man Booker Prize 2012.
Heim schwimmen
Originaltitel: Swimming Home
Aus dem Englischen übersetzt von Richard Barth.
Roman, englische Literatur
Taschenbuch, 168 Seiten
Klaus Wagenbach Verlag, 2021
Zeitgenössische Literatur
Hier verbirgt sich manche Perle der Literatur. Ich lese auch mal einen Bestseller, natürlich, aber mein Blick ruht immer auf den kleinen Verlagen, auf den freien Verlagen. Sie trauen sich was - und diese Werke sind in der Regel besser als der Mainstream der meistgekauften Bücher …Zeitgenössische Romane
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