Rezension
von Sabine Ibing
Guantanamo Kid
von Jérôme Tubiana und Alexandre Franc
Die wahre Geschichte des Mohammed el Gharani
Mohammed el Gharani, 14 Jahre alt, verhaftet zusammen mit vielen anderen in einer Moschee in Pakistan. Der Vorwurf: Er sei Terrorist. In Saudi Arabien geboren mit einem Pass aus dem Tschad galt er dort als Mensch zweiter Klasse: Araber dürfen alles, z. B. zur Schule gehen - Ausländer sind dreckige Sklaven. Mohammed bekommt ein wenig privaten Unterricht, arbeitet 14 Stunden täglich als Straßenverkäufer, wie sein Freund, dessen Familie aus Pakistan einwanderte. Der schlägt ihm vor, nach Pakistan zu gehen, zum Onkel. Der habe eine Computerschule und gibt Englischunterricht. Mit dem Wissen könne man was mit Computern machen oder zumindest einen Job in einem Hotel bekommen. Gesagt getan. Mohammed wohnt bei diesem Onkel, geht zur Schule, regelmäßig zum beten in die Moschee. Das Problem bei der Verhaftung ist sein Pass. Er wird geschlagen, gefoltert: Wo ist Osama Bin Laden? - Wer soll das sein?, Mohammed kennt ihn nicht. Nach einer grausamen Zeit im pakistanischen Gefängnis führen die Amerikaner den Jungen ab. Es geht nach Amerika, juhu! Das Land der Freiheit kennt Mohammed aus dem TV, Serien und Western schaut er gern. Dort gibt es Anwälte und Gerechtigkeit. – Dem Jungen wird ein Sack über dem Kopf gezogen – Amerika liegt zwar nicht weit entfernt – aber er landet am äußersten Zipfel von Kuba: Guantánamo. Wo ist Osama Bin Laden? Lüg uns nicht an! Mohammed schafft es, nach 8 Jahren Haft in Guantanamo einen Freispruch zu erhalten.
So war das mit der Musik in Guantanamo. Ich sang meine eigenen Lieder, zu denen ich mir Texte ausdachte, auf Arabisch oder Englisch. Und andere Häftlinge sangen sie mit. Das bekannteste Lied hieß Nummer Zwei!
Inhaftiert unter grausamen Bedingungen wird Mohammed zusammen mit den anderen Häftlingen orangefarben eingekleidet, weiter verhört, gedemütigt, gefoltert, in der Einzelzelle isoliert, ohne menschliche Kontakte (die Gefangenen können sich nur durch Zurufen unterhalten), ohne Zuneigung, von widerlichen US-Soldaten misshandelt, die als Wärter agieren. Die Häftlinge werden als Nummer angesprochen, die Soldaten haben ihre Namensschilder auf der Uniform überklebt. Nie erfolgte eine Anklage gegen Mohammed. Offiziell ist die Inhaftierung von Jugendlichen unter 18 Jahren in Guantánamo verboten. Im Gefängnis kann man den Jungen nicht brechen, er gilt als Aufrührer, denn er schlägt zurück, fordert die anderen Gefangenen auf, die Soldaten anzuspucken, ihre Fäkalieneimer durch die Gitter der Zellen auf die Wärter kippen. Man hatte den Gefangenen drei Eimer gegeben: Nr. 1 Pisse, Nr. 2 Kacke, und ein Wassereimer gleichzeitig Getränk und Waschgelegenheit. Damit ein Fäkalieneimer abgeholt wurde, müssen sie rufen: Nr. 1 oder Nr. 2. Immer wieder fordert Mohammed seine Mitgefangenen zu zivilem Ungehorsam auf, schafft es, vor Gericht zu kommen und wird freigesprochen. – Und wenn man meint, alles wir nun gut, dann liegt man falsch. Aber lest selbst!
Der Journalist Jérôme Tubiana hat die Geschichte genau im Vorfeld recherchiert, wollte wissen, wie glaubhaft Mohammed El Gharani ist, bevor er sich mit ihm traf. Sie haben sich dann entschlossen, die Biografie von Mohammed als Graphic Novel zu veröffentlichen – die Illustrationen stammen von Alexandre Franc. Mohammed war in die Entwicklung eingebunden, konnte zu Text und Zeichnung Einwände geben. Aber es waren nicht viele Korrekturen notwendig. Man liest die Graphik Novel mit einem Kloß im Bauch. Ständige Schläge, Pfefferspray am laufenden Band, Elektroschocks, grelles Licht, das niemals ausgeht, brüllend laute Popmusik oder Staubsaugergeräusche, Klimaanlagen, die eiskalt eingestellt sind, sadistische Wärter. Nichtstun in einer fast leeren Zelle. Warum hatte man den Jungen inhaftiert? Aufgrund einer Aussage eines anderen Gefangenen. Inhaftierte wurden damit gelockt, freizukommen, bessere Haftbedingungen zu erhalten, wenn sie andere verraten. Der Vorwurf gegen Mohammed lautete: er habe sich bereits 1993 einer geheimen Al Quaida Zelle in London angeschlossen. Ganz davon ab, dass er nie in Großbritannien war (was nie geprüft wurde), war er 1993 erst sechs Jahre alt. Seinen Hinweis darauf haben die Verhörspezialisten ignoriert.
Alexandre Franc hat diese Geschichte schlicht mit schwarzem Zeichenstift illustriert – ein Leben ohne Farbe. Aber was er zeichnet, ist punktgenau, Freude und Leid, Hilflosigkeit, tumbe Dummheit, Zynismus oder Brutalität in den Gesichtern der handelnden Figuren. An manchen Stellen sind arabische Schriftzeichen eingearbeitet und sie fliegen als Vogel, durch die vergitterten Fenster. Das Gefängnisleben ist eindrucksvoll dargestellt.
Ein wichtiges Werk, das ein breites Publikum verdient - nicht nur für Jugendliche geeignet, sondern für alle, die sich um die großen Themen unserer Zeit interessieren. Die Inhaftierung von Menschen, die unter Verdacht stehen, Terroristen zu sein, ist eine Sache. Aber völlig an Gesetzen vorbeizuagieren, zeigt, wie menschenverachtend der amerikanische Staat nach 9/11 vorgegangen ist – aber Guantánamo ist sicher kein Einzelfall: Ohne Anklage, ohne Prozess, ohne anwaltlichen Beistand Menschen zu inhaftieren, ist unverzeihlich! Der Staat handelt gegen die Menschenrechte und gegen die US-Verfassung! Wer in Guantánamo landete, sollte dort nie wieder herauskommen – klar, dann würden die Menschen draußen etwas über Folter erfahren, über Militär und CIA, über sadistische Soldaten, über unmenschliche Haftbedingungen und widerliche Hygiene in den Gefangenenlagern. Tief ausatmen, wenn man am Ende des Buchs angekommen ist. Meine Hochachtung Mohammed El Gharani, nicht viele Menschen haben so viel Mut und Courage, immer wieder aufzustehen und sich zu wehren!
Jérôme Tubiana ist als Journalist spezialisiert auf die Sahara-Region (Tschad, Niger) das Horn von Afrika (Sudan, Südsudan) und Lateinamerika. Alexandre Franc wurde 1973 in Lyon geboren. Er arbeitet als Illustrator für verschiedene Jugend- und Schulpublikationen und in der Kommunikation. In Frankreich erschienen bereits ein Dutzend Comicalben und Graphic Novels von ihm, darunter eine Agatha-Christie-Biografie.
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