Direkt zum Hauptbereich

Freefall – Die Wahrheit ist dein Tod von Jessica Barry - Rezension

Rezension

von Sabine Ibing


Freefall – Die Wahrheit ist dein Tod 


von Jessica Barry


Der Anfang:  Atme. Atme.

Ich öffne die Augen. Über mir ein Baldachin aus Bäumen. Ein Vogelschwarm starrt zu mir herunter und fliegt davon.

Ich habe überlebt.

Er vielleicht auch.


Ich frage mich, warum man diesem Thriller so viel Werbeaufwand gewidmet hat – mir war es insgesamt zu wenig von allem. Die 30-jährige Ally überlebt einen Flugzeugabsturz in den Rocky Mountains von Colorado – zwei Personen waren an Bord, der Pilot und sie selbst. Sie erinnert sich der Ratschläge ihres Vaters, wenn sie in ihrer Kindheit in der Wildnis unterwegs waren, durchsucht ihr Gepäck und das des Piloten, packt nützliche Dinge ein, macht sich auf den Weg, die Zivilisation zu finden – ahnt, dass ihr jemand auf den Fersen ist. 


Wer ist ist ihre Tochter?

Das abgestürzte Flugzeug wird gefunden, völlig ausgebrannt, und Ally und ihr Verlobter werden als tot erklärt, obwohl Allys Leiche nicht gefunden wurde. Die zweite Perspektive ist Allys Mutter Maggie Carpenter, die in Owl Creek in Maine wohnt und nicht glauben mag, dass ihre Tochter tot ist. Seit dem Tod ihres Manns hatte sie keinen Kontakt mehr zu ihrer Tochter, die im Zorn gegangen war. Wer war Ally, die mit dem superreichen Ben Gardner, Sohn eines Pharmamoguls, verlobt war – die Hochzeit stand kurz bevor. Ben Gardner selbst war der CEO eines eigenen erfolgreichen Pharmaunternehmens. Maggie recherchiert. An dieser Stelle ist es für mich nicht glaubwürdig, dass niemand im Umfeld von Maggie, die gut in der Nachbarschaft vernetzt ist, mitbekommen hat, was aus Ally geworden ist. Zur bevorstehenden Hochzeit gibt es genügend Artikel in Klatschzeitschriften. Maggy nimmt nach ein paar Tagen den Tod ihrer Tochter an, kontaktiert Bens Eltern auf, die auch zur Beerdigung von Ally anreisen. 


Viele nicht nachvollziehbare Ereignisse

Diese Figur drosselt die Handlung mit Vollbremsung. Ally ist klug, teilt Essen und Trinken auf, findet den richtigen Weg, sucht sich schützende Schlafplätze beim Abstieg, versorgt ihre Wunde. Immer am Limit kommt sie doch stetig voran. Die Autorin arbeitet mit Cliffhangern zwischen Mutter und Tochter. Ally überzeugt mich nicht. Sie weiß alles, kennt sich gut aus, Erinnerungen aus der Kindheit. Sie findet den Weg – gut, sie muss theoretisch nur abwärts steigen – aber auch hier kann man sich heftig verlaufen, wenn man sich nicht auskennt. Und irgendwie scheint man oben in den Rockys verletzt gut laufen zu können … Zufällig findet Ally eine Hütte, in die es sich einbrechen lässt, zufällig helfen ihr später Menschen weiter, die sie nach dem Bild aus der Zeitung sogar erkannt haben. Ziemlich viel Scharfblick und Glücksfälle am laufenden Band, das alles nimmt dem Plot die Spannung. Noch mehr bremsen die Kapitel der Mutter, die für mich eine tote Figur, weil sie passiv ist. Sie bewegt sich kaum, fährt nicht einmal zum Showplatz, um die Suche ihrer Tochter in die Wege zu leiten – zu der Zeit, als sie meint, Ally hätte überlebt. Maggy recherchiert über Ally, erinnert sich an früher. Irgendwann erfährt sie von außen, dass ihr zukünftiger Schwiegersohn wohl doch Dreck am Stecken hatte. Würde man die Kapitel der Mutter herausnehmen, würde sie nicht fehlen. Denn alles, was die Mutter recherchiert, erfahren wir auch von Ally. 


Klischee und fehlende Spannung

Beide Charaktere sind ziemlich flach angelegt – genauso flach wie die gesamte Handlung. Eingeflochten ist ein Pharmaskandal, den man sicher intensiver mit Hintergrundmaterial spannend hätte einbringen können. Sprachlich erinnerte mich der Thriller eher an ein Jugendbuch, in Konstruktion und Pathetik. Reiche Menschen sind schön, dürre, bzw. athletisch und viele davon sind böse. Schwer verletzt kämpft man sich durch die Wildnis, findet den Weg – alle Amerikaner haben anscheinend Indianerinstinkt und zum Glück steht dann in wirklich ausweglosen Situationen ein Egel vor der Tür. Der Verfolger kommt nicht mal in die Nähe des Opfers. Zwischentöne fehlen, besonders in den Figuren. Gut und Böse sind eindeutig, man weiß gleich, woran man ist. Das Ende ist so voraussehbar! Selbst die sogenannte Überraschung zum Ende war klar, wie ein sonniger Tag – schon früh erkennbar. Logik nein Danke, Charaktertiefe braucht nicht, alles geht immer gut, Spannung vergessen – so schreibt man langweilige Romane – immerhin passt die einfache Tonalität gut dazu. Am Ende fragt man sich, warum solche Bücher übersetzt werden und obendrauf auch noch mit riesigem Marketingaufwand beworben werden. 


Jessica Barry wuchs in einer Kleinstadt in Massachusetts auf und studierte an der Boston University und am University College London Englisch und Kunstgeschichte. Heute ist sie in der Verlagsbranche tätig und lebt mit Ehemann und zwei Katzen in London.


Jessica Barry    
Freefall – Die Wahrheit ist dein Tod
Übersetzt aus dem Englischen von Susanne Goga-Klinkenberg
Thriller
Taschenbuch, 432 Seiten 
dtv Verlag, 2019



Krimis und Thriller

Ich liebe Krimis und Thriller. Natürlich. Spannend, realistisch, gesellschaftskritisch oder literarisch, einfach gut … so stelle ich mir einen Krimi vor. Was ihr nicht oder nur geringfügig bei mir findet: einfach gestrickte Krimis und blutrünstige Augenpuler.
Krinis und Thriller

Kommentare

Beliebte Posts aus diesem Blog

Rezension - Sex in echt von Nadine Beck, Rosa Schilling und Sandra Bayer

  Offene Antworten auf deine Fragen zu Liebe, Lust und Pubertät Ein Aufklärungsbuch, das locker Fragen beantwortet und kurze Erfahrungsberichte von jungen Menschen einstreut, das alles mit knalligen Illustrationen unterlegt. Du bist, wie du bist, und du bist, wie du bist okay. Das Jugendbuch erklärt, stellt Fragen. Die Lust im Kopf, genießen mit allen Sinnen; was verändert sich am Körper in der Pubertät?, die Vagina, die Monatsblutung, der Penis, Solosex, LGBTQIA, verliebt sein, wo beginnt Sex?, Einvernehmlichkeit, wie geht Sex?, Verhütung, Krankheiten, Sextoys – das Buch spart nichts aus. Informieren, anstatt tabuisieren! Locker und sensibel werden alle Themenfelder sachlich vorgestellt. Prima Antwort auf offene Fragen; ab 11 Jahren. Empfehlung! Weiter zur Rezension:   Sex in echt von Nadine Beck, Rosa Schilling und Sandra Bayer

Rezension - Das Nest von Sophie Morton-Thomas

  Ein Küstenort in Großbritannien, wo das Marschland auf den Ozean trifft, wo Vögel die bessere Gesellschaft sind, lebt Fran eine ereignislose Routine. Sich um den Campingplatz kümmern, der mit Mobilheimen ausgestattet ist, ihren Sohn von der Schule abholen, Abendessen kochen. Mit Dom, ihrem Mann, läuft es nicht mehr so, ihre Schwester lebt mit ihrer Familie in einem Wagen, zahlt keine Miete, dem Schwager hatte sie den Entzug finanziert und jetzt trinkt er wieder, hat keine Arbeit. Freude findet Fran nur an den verschiedenen Vogelarten, die sie am Strand beobachten kann; sie hat auch ein Häuschen zur Beobachtung finanziert. Und nun entdeckt sie ein Nest mit einer seltenen Vogelart, hofft, dass die Jungen ausschlüpfen werden. Und verschwindet die Lehrerin … Ein leiser Thriller. Weiter zur Rezension:    Das Nest von Sophie Morton-Thomashttps

Was ist eigentlich Kriminalliteratur? - Ein Abend mit Else Laudan in der Wyborada

Am 08.11.2019 war ich zu einer Mischung aus Lesung und Definition des Begriffs Kriminalliteratur in St. Gallen in der Wyborada zu Gast, im Literaturhaus & Bibliothek in St. Gallen in der Frauenbibliothek und Fonothek Wyborada. Else Laudan sprach zum Thema Kriminalliteratur, erzählte ihren Weg mit ihrem freien Verlag Ariadne, ein Verlag, der ausschließlich literarische Kriminalliteratur von Frauen veröffentlicht. Weiter zum Artikel:    Was ist eigentlich Kriminalliteratur? - Ein Abend mit Else Laudan in der Wyborada 

Interview mit Christina Clemm von Sabine Ibing

  © Sibylle Baier, Antje Kunstmann Verlag Christina Clemm arbeitet als Strafverteidigerin und als Nebenklagevertreterin von Opfern sexualisierter und rassistisch motivierter Gewalt. Deutschlands bekannteste Fachanwältin für Straf- und Familienrecht in Berlin und war Mitglied der Expertenkommission zur Reform des Sexualstrafrechts des BMJV, Aktivistin und politisch aktiv für Geflüchtete und von Gewalt Betroffene. Nach den neuesten Zahlen des BKA ist jede dritte Frau in Deutschland von physischer und/oder sexualisierter Gewalt betroffen. In ihrem Buch «AktenEinsicht – Geschichten von Frauen und Gewalt» nimmt sie uns mit auf eine Reise in die Gerichtssäle der Republik, an die Tatorte, in die Tatgeschehen. Mit  «Gegen Frauenhass» zeigt sie die Mechanismen patriarchaler Gewalt und fordert, dass sich endlich etwas ändert. Hier mein Interview mit Christina Clemm. Weiter:   Interview mit Christina Clemm von Sabine Ibing

Rezension - Lázár von Nelio Biedermann

  «Ein wirklich großer Schriftsteller betritt die Bühne, im Vollbesitz seiner Fähigkeiten.», so wird von ihm geschrieben. Nelio Biedermann schreibt mit 20 Jahren sein erstes Buch und das Manuskript geht in die Versteigerung – die Verlage überbieten sich, es wird in 20 Sprachen verkauft, man redet über ein sechsstelliges Vorschusshonorar – über den neuen Thomas Mann . Uff. Ich war gespannt. Mich konnte der Familienroman nicht überzeugen – leider. Weiter zur Rezension:    Lázár von Nelio Biedermann

Rezension - Motte und die Metallfischer von Sanne Rooseboom und Sophie Pluim

  Der Sommer, in dem Motte ein U-Boot fand, fing ziemlich normal an. Langweilig sogar. Doch auf einmal liegt das Schicksal der ganzen Stadt in ihren Händen. Es sind Ferien, aber Mottes Mutter muss arbeiten, einen Urlaub könnten sie sich nicht leisten. Sie ist als Personalcoach unterwegs: Mode, Schminke, Sport, Gesundheit, Ernährung. Und genau das interessiert Motte so gar nicht. Am Kai zeigt ihr Lukas das Metallfischen – ein perfektes Hobby für Motte, die neben schwarzer Kleidung das Unperfekte an Dingen liebt. Sie kauft sich einen Magneten zum Metallangeln. Vielleicht kann man sich etwas verdienen, wenn man Altmetall zur Altmetallhändlerin bringt; sie sammelt ihre ersten Schätze, die die Mutter eklig findet. Plötzlich hängt etwas ganz Großes an der Angel! Spannender Kinderroman ab 9/10 Jahren. Empfehlung! Weiter zur Rezension:   Motte und die Metallfischer von Sanne Rooseboom und Sophie Pluim

Rezension - Yrsa von Alexandra Bröhm

  Journey of Fate (Yrsa. Eine Wikingerin 1)  Yrsa ist eine junge Wikingerin , die sich nach dem Tod der alleinerziehenden Mutter seit vier Jahren allein um ihrem Bruder Sjalfi kümmert. Als sie eines Tages von der Jagd nach Hause kommt, ist Sjalfi verschwunden. Verzweifelt macht sie sich auf die Suche und den gefährlichen Weg nach Haithabu . Denn es heißt, es würden Kinder entführt und versklavt. Unterwegs lernt sie Krieger kennen. Ihr Traum war immer schon, eine Kämpferin zu werden. Der Krieger Avidh hat es ihr besonders angetan. Ich würde den Roman ins Genre Young Adult einordnen. Wer softe Literatur, einen Liebesroman zur Entspannung mag, liegt hier richtig.  Weiter zur Rezension:    Yrsa von Alexandra Bröhm

Rezension - Hase Hollywood und das Geheimnis des Drachenlandes von Stefan Rasch, Simon Rasch und Anja Abicht

  Ein mächtiges Kinderbuch! Schwer an Gewicht, eine lange witzige, fantasievolle Geschichte. Der Hase Hollywood und seine Freunde betreiben ein Gasthaus in einer einsamen Bucht am Ende der Welt. Eines Tages taucht ein gefürchteter Piratenkapitän bei ihnen auf und vergisst doch glatt seinen Seesack unter dem Tisch. Darin befindet sich alte Schatzkarte und ein geheimnisvoller rosa Glitzerball. Der Ball entpuppt sich als Ei, aus dem ein kleiner Drachen schlüpft. Und damit beginnt eine abenteuerliche Reise zur Schatzinsel, denn auf der Karte sind auch die Drachen verzeichnet, den das Hasen-Team zu seinen Eltern bringen möchte. Sehr feine Illustrationen, grundsätzlich eine gute Geschichte, aber grobe handwerkliche Fehler für den Kinderroman. Weiter zur Rezension:     Hase Hollywood und das Geheimnis des Drachenlandes von Stefan Rasch, Simon Rasch und Anja Abicht 

Rezension - Der Freund von Tiffany Tavernier

  Mit dem Haus im Grünen hat sich Thierry einen Traum erfüllt. Zusammen mit Élisabeth genießt er die Ruhe und Abgeschiedenheit des Wohnens nahe einem Wald. Die einzigen Nachbarn weit und breit, gleich nebenan, Guy und Chantal. Eins Tages im Morgengrauen stürmt die Polizei das Gelände. Die Nachbarn und gute Freunde, werden in Handschellen abgeführt. Was haben sie getan? Journalisten belagern das Gelände. Ein psychologischer Kriminalroman , der sich mit den Folgen der «Opfer» befasst, denn letztendlich sind die schockierten Freunde auch Opfer des Massenmörders. Weiter zur Rezension:    Der Freund von Tiffany Tavernier

Rezension - Rath von Volker Kutscher

  Gelesen von David Nathan Ungekürztes Hörbuch, Spieldauer: 21 Std. und 49 Min. Gereon und Charlotte Rath warten im Herbst 1938 nur noch auf den richtigen Moment, Deutschland zu verlassen, um nach Amerika zu gehen. Sie treffen sich heimlich in Hannover , denn Charly lebt immer noch in Berlin und Gereon, der als verstorben gilt, wohnt inkognito in Rhöndorf am Rhein , weil er seinen im Sterben liegenden Vater nicht im Stich lassen will. Charly sucht ihren ehemaligen Pflegesohn Fritze, der ausgerissen ist und unter Mordverdacht steht. Als sich die Lage zuspitzt, muss Gereon sein Versteck verlassen und Charly zu Hilfe kommen, nach Berlin reisen. Der 10. und letzte Band der Gereon Rath-Reihe - wie immer hochspannend, historisch gut recherchiert. Noirliteratur , ein feiner literarischer Krimi ! Empfehlung!  Weiter zur Rezension:    Rath von Volker Kutscher