Rezension
von Sabine Ibing
Franz – oder warum Antilopen nebeneinander laufen
von Christoph Simon
Der Anfang: Ich war Gymnasiast und kiffte. Ich kam aus dem Kiffen gar nicht mehr heraus, und wenn ich nicht gerade eine Socke missbrauchte, die Klasse wiederholte oder bei den Eltern im Lerchenfeld das Bewusstsein verlor, dann kiffte ich: Auf dem Radweg zum Gymnasium, in den dunklen Ecken der Fahrradeinstellhalle, im Holunderbusch, die ganzen sechs Jahre lang – Anschlussklasse, Terzia, Terzia zum Zweiten, Sekunda, Prima zum Zweiten -, und ich war so bekifft wie ein Maulwurf auf dem Hochseil.
Ein Schweizer Kultbuch von 2001, neuaufgelegt, ein Comming of age – Roman. Hier schreibt Franz, ein Schüler aus den 90ern für Schüler in schnoddriger Form über seine Schulzeit. Er hat keine Lust auf Schule, andererseits liebt er die Schule, denn sie ist seine Heimat. Unterricht liegt ihm weniger, noch weniger das Lernen. Und er weiß, dass er sich keinen Ausrutscher mehr leisten kann, dieses Jahr ist seine letzte Chance, die Matura zu erreichen. Das ist scheinbar das einzige Ziel, das er hat, irgendwie die Matura in den Händen zu halten. Sein Kumpel, kurz Rambo Riedel genannt, ist dabei und das Mädchen Venezuela, in das Franz verliebt ist, unerreichbarer, im Schlepptau MC, den Dachs, das Haustier von Franz. Ein weiterer Kumpel ist Hausmeister Eryilmaz, der an der Flasche hängt und tragischerweise im Laufe der Handlung an Leberzirrhose stirbt. Doro Apfel, eine Lehrerin, die aus der DDR stammt, die an Hartleibigkeit leidet, dauernd zum Klo rennt, meint es gut mit Franz. Die neue Lehrerin für Betriebswirtschaft heißt Frau Brunisholz und Rambo Riedel muss sie auch gleich beschimpfen. Franz ist sich da noch nicht bewusst, dass die junge Lehrerin und er sich kennen. Das Schuljahr fängt gut an …
Sie explodierte. »Sie haben vor fünf Jahren auf dem Pausenhof – Sie waren in der Anschlussklasse und ich in der Oberprima -, Sie haben mich damals am Ohr gepackt und hineingeschrien, so Frauen wie mich würden Sie am liebsten solange anfurzen, bis sie erstickten!«
»Was?« Es verschlug mir den Atem.
»Ich habe ein Pfeifen in meinem Ohr, verstehen Sie?« Sie kreischte jetzt. »Es pfeift die ganze Zeit, weil Sie mir ein Loch ins Trommelfell geschrien haben. Sie erinnern sich doch?!«
Ich verneinte, heiser vor Schreck, zermarterte mir das Gehirn, verneinte abermals.
Hier wird ziemlich viel Blödsinn gemacht
Franz dümpelt in seinem Leben voran, ist sich bewusst, dass er was tun muss, aber er bekommt es nicht auf die Reihe, sich zu bewegen, geschweige denn, erwachsen zu werden. Typisch für Jungs in diesem Alter, da wäre er nicht alleine. Er hat jede Menge Blödsinn im Kopf, fühlt sich hingezogen zu der ziemlich militanten Venezuela, die gern Briefkästen von Tierquälern in die Luft sprengt. Die Schildkröte von Julian, der behinderte Bruder von Franz, wird vom Nachbarn Neuenschwander zu Kartoffelchips gefahren und Venezuela schreitet zur Tat, was Rache und gefährliche Gegenattacken auslöst, nebst Gewehr und Polizeieinsatz. Franz ist aber auch ein empathischer Junge, was sich im Umgang mit seinem behinderten Bruder und dem Hausmeister Eryilmaz zeigt. Später kommt Johann dazu, ein musikalisches Talent, skurril, menschenscheu, der den Frust hineinfrisst, von dem sich Franz erhofft, dass er ihm hilft, die Matura zu bestehen. Doch bis dahin hat Franz noch einiges durchzustehen, z.B. Noten zu lernen, die für Franz lediglich schwarze Punkte auf Papier darstellen.
Schräg, amüsant, empathisch, spleenig
Der Roman ist schräg, amüsant, empathisch, spleenig. Franz ist einer, der weiß, dass er irgendwie die Schule überstehen muss, mit Abschluss, aber wozu das alles gut sein soll, hat er noch lange nicht kapiert. Schule ist irgendwie ein Stück Heimat, wenn nur der Unterricht nicht wäre. Ein typisches Jugendbuch, allerdings in einer Form, das auch Erwachsenen gefällt. Es ist ein Buch der Neunziger und sicher fühlt sich mach Erwachsener zurückversetzt in diese Zeit. Ob der Roman auch bei der heutigen Jugend ankommt, bezweifele ich. Es gibt Bücher, die haben ihre Zeit, oder eben die Zeit für bestimmte Generationen. Mir hat die Geschichte viel Spaß gemacht. Meine Empfehlung eher an die Leser, die ihr Abitur schon 20 Jahre in der Tasche haben.Wann ich gerne leben würde, wäre in einem Lebensabschnitt, wo ich keinen Anlass sähe, mich selbst zu s, wo ich erst gar nicht die Energie dazu aufbrächte; ich meine eine Zeit, die so überfrachtet ist mit wunderbaren Dingen, dass ich sie unmöglich allesamt kaputtmachen kann.
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