Rezension
von Sabine Ibing
Flugfedern
von Simone Regina Adams
eine Novelle
Der Anfang: Der Nashornvogel … reist sich die Flugfedern aus … und polstert damit das Nest aus. Mit Lehm mauert er die Höhle sorgfältig zu, bis auf eine kleine Öffnung, durch die er seinen Kopf stecken kann. Und während sie sicher, geschützt ihre Eier legt, bringt er ihr unermüdlich Futter und Wasser, drei Monate lang, bis die Jungen geschlüpft und groß genug sind; auch die Flugfedern sind dann nachgewachsen.
Der junge Thibaut kehrt von einem Sommerfest zurück nach Hause und greift in eine Vergewaltigung am Wegesrand ein, das Schlimmste konnte er nicht mehr verhindern. Die verstörte junge Frau, Sophie, lässt sich von ihm mitnehmen, zur Großmutter, der Mémé, bei der auch er wohnt. Am nächsten Tag fährt er sie nach Hause, sieht aber gleich, dass sie dort nicht willkommen ist und nimmt sie wieder bei sich auf. Thibaut liebt Sophie, möchte, dass sie bleibt. Aber ein Vogel lässt sich nicht lange einsperren. Mémé stammt aus Frankreich, war einem jungen Deutschen in sein Land gefolgt, der aus dem Krieg als Wrack zurückkehrte, bald verstarb. Auch sie konnte ihre Tochter nicht halten, die sie mit dem Enkel allein zurückließ ohne ein Wort, sich nie wieder meldete. - Thibaut ist heute mit Helen verheiratet, sie haben eine gemeinsame Tochter. Urplötzlich meldet sich Sophie - nach Jahren. Sie will Thibaut treffen. Warum kontaktiert sie ihn, fragt er sich und wird ihm das guttun, soll er ihrem Ruf folgen? Viele Jahre sind vergangen.
Kann Liebe erdrücken?
… dahinter eine Frau in der Tür des Hauses, die Hände vor dem Mund; er sah einen Mann, sein rotes, verzerrtes Gesicht, die Hosenträger überm Unterhemd, eine große, noch immer zum Schlag ausholende Hand. Sophie stürzt sich ins Auto, sie fahren zurück zu Mémé.
In kleinen szenischen Rückblenden rollt Simone Regina Adams den Beginn der Beziehung und die Zeit dazwischen bis heute auf. Auch Mémé und die Mutter von Thibaut haben hier ihren Platz, sowie Walther, der eine wichtige Rolle in Thibauts Leben spielt. Es geht in dieser Novelle um Liebe und Erwartungen auf verschiedenen Ebenen. Thibaut lebt anfangs in den Tag hinein, hat nur diffuse Vorstellungen von der Zukunft, bis Sophie in ein Leben tritt. Plötzlich sieht er seinen Lebensweg genau vor sich, bekommt die Energie, nun alles anzupacken. Er geht davon aus, sein Ziel ist auch das von Sophie. Sind es ihre Ziele? Sie wird nicht gefragt und irgendwie kommt sie nur als Randfigur vor, sagt ihr Gefühl. Mémé hatte sich für ihre Liebe aufgegeben, ging in ein fremdes Land, gab sich für die Tochter auf, für den Enkel. Ihre eigenen Wünsche gingen nie in Erfüllung, weder mit dem Mann, noch mit der Tochter. Thibaut wuchs ohne Vater und Mutter auf, ihn treibt die Angst vor dem Verlassenwerden, er will alles richtig machen, sehnt sich nach einem Nest.
Komprimierte Szenen prägen den Stil
Von vorne. Er war so müde. Nie war es genug gewesen, was er ihr hatte geben können. Sie würde sich doch nicht halten lassen. Sie würde jedes Mal davonfliegen, kaum dass ihr Federn nachgewachsen waren. Sophie redete, erklärte, hatte Tränen in den Augen. Er hörte nicht mehr zu.
In kleine Szenen verpackt, atmosphärisch dicht, Ausschnitte, in denen alles gesagt wird, was zum Verständnis wichtig ist, führt uns die Autorin zu der Frage der Bedeutung von Liebe. Was ist eigentlich Liebe? Ein emotionaler Überfall – Selbstaufgabe für das große Ganze? Doch was ist das große Ganze, was ist man selbst von diesem Teil, wer ist man selbst? Und wie lebt es sich damit, wenn die, die ich mit Liebe überschütte, Angst haben, zu ertrinken? Was geschah in den vergangenen Jahren mit Thibaut und was mit Sophie? Eine große Geschichte, klein verpackt, die Filetstücke seziert und zusammengesetzt hat Simone Regina Adams durch ein feinfühliges Gespür für Menschen hier in einer Novelle letztendlich einen ganzen Roman verpackt. Eine Geschichte, die berührt, bei der sprachlich jedes Wort sitzt.
Die Saarländerin Simone Regina Adams, lebt in Freiburg im Breisgau. Sie studierte Literaturwissenschaft und Psychologie und hat sich als Psychotherapeutin mit eigener Praxis niedergelassen. Sie war mehrfach Stipendiatin des Förderkreises deutscher Schriftsteller in Baden-Württemberg (2006-2013), Stipendiatin des Stuttgarter Schriftstellerhauses (2014) sowie Stipendiatin in Friedrichskoog an der Nordsee (2016). Ihr Roman »Die Halbruhigen« wurde 2011 mit dem Werner-Bräunig-Preis ausgezeichnet.
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