Rezension
von Sabine Ibing
Fauststarker Herzschlag
von Thomas Hartl und Mirjam Zels
Luke hat Wut im Bauch, er musste deshalb die Schule wechseln, denn er hatte sich geprügelt. Und darum muss er nun seine Termine bei der Schulpsychologin wahrnehmen. Wider Erwarten ist sie ganz cool. Neu in der Klasse sucht er auch neue Freunde. Ali scheint in Ordnung zu sein, einer den die anderen gern mobben – so etwas kann Luke gar nicht leiden. Zu Hause geht gerade alles drunter und drüber. Lukes Mutter liegt nach einem Gehirnschlag im Wachkoma, seinem Vater entgleiten die täglichen Dinge, seine Schwester ist mitten in der Pubertät und auch nicht zu gebrauchen. Früher hat sich Papa um gar nichts gekümmert, der Schriftsteller kam nur zum Essen und Schlafen aus seinem Arbeitszimmer heraus. Dementsprechend sieht es nun zu Hause aus. Papa ist bemüht, er aber kann Mama nicht ersetzen. Mamas Einkommen fehlt – und irgendetwas treibt Papa um; die Raten für das Haus können nicht mehr bezahlt werden. Sein Kumpel hat ihn bei der Beratung zur Finanzierung ziemlich über das Ohr gehauen. Alles nur Mist, Mist, Mist! Wird Mama jemals wieder aufwachen? Und wenn, so sagen die Ärzte, dann wird sie wahrscheinlich im Rollstuhl landen – die Folgen des Gehirnschlags sind nicht absehbar.
Papa wird von einem aggressiven Typen auf der Straße geschlagen, doch Papa wehrt sich nicht! Luke ist anders, er will sich nichts gefallen lassen. Er trainiert jeden Tag mit dem Boxsack. Und da ist die Sache mit Nelly ... Luke und Ali wären gern Supermann, die Rächer der Schwachen. Und irgendwann nimmt «das magische Duo» sich vor, sich in einer einzigen Nacht an den Bösen zu rächen – und sie wollen das Familienproblem bereinigen.
Auf der einen Seite hat mir die Geschichte gefallen, aber andererseits wurde ich nicht ganz warm mit den Figuren. Ich kann nicht mal sagen, warum – wahrscheinlich die Figurendistanz. Thomas Hartl schreibt in der Perspektive von Luke, die Geschichte klingt fast wie ein Tagebuch. Trotz der hohen Emotion bleiben Erzähldistanz und Erzählhaltung zurückhaltend. Luke ist für mich insgesamt eine schwierige Figur. Der Tag der Rache gefiel mir nicht. Was will ich Jugendlichen mitgeben mit einem Buch? Was ist die Message? Mach kaputt, was dich kaputt macht? Hä, hä, du bist erst zwölf, juristisch kann dir keiner was? Und wenn man nicht erwischt wird, muss man sowieso für nichts geradestehen. Prima, man landet für den Mist, den man anstellt auch noch mit zwei Artikeln in der Zeitung! Das ganze Ende läuft im Galopp; zack, zack, wird auf fünf Seiten eine Menge abgearbeitet – ich will hier nicht spoilern. Das klang für mich so, als wenn der Autor am Tag des Abgabetermins schnell ein Ende zusammenschreiben musste, das eigentlich fünf Kapitel wert gewesen ist. Der Schluss hat mich stark enttäuscht: Der Tag der Rache und alles, was folgt ... Die Wut von Luke ist verständlich – doch seine Racheakte in einem Jugendbuch als Heldentaten darzustellen: «Man muss auch tun. Wollen allein reicht nicht», und ihn davonkommen zu lassen, halte ich persönlich für pädagogisch zweifelhaft. Genau deswegen keine Empfehlung!
Die Zeichnungen von Miriam Zels haben mir gefallen. Zwischen dem Text gibt es jede Menge «Kritzelein», die an Tagebuchzeichnungen erinnern. Einige Grafiken sind farbig gestaltet, stellen Situationen der Geschichte nach und lockern das Buch auf. Sie wirken wie Stiftzeichnungen, die am Computer nachbearbeitet sind und passen prima in die Geschichte hinein. Der Kunstanstifter Verlag gibt keine Altersvorgabe an. Der Held ist zwar anfangs ein Zwölfjähriger, doch die gesamte Geschichte und die Art, wie sie sprachlich gestaltet ist, würde ich ab 14 Jahren einordnen.
Thomas Hartl ist Schriftsteller, Autor und Journalist. Der Doktor der Rechtswissenschaften hat seinen alten Beruf hinter sich gelassen und schreibt nun über die Dinge, die ihm unter den Nägeln brennen. Nach mehreren veröffentlichten Büchern für Erwachsene ist »Fauststarker Herzschlag« sein erstes Jugendbuch und von seinem Sohn Lukas inspiriert.
Mirjam Zels, geboren 1989 in Regensburg, aufgewachsen in Dresden. Ausbildung in Illustration und Grafikdesign in Nürnberg, Hamburg und Tel Aviv. Wenn sie nicht durch die Weltgeschichte reist, arbeitet Mirjam Zels als selbstständige Illustratorin in Hamburg.
+++ Nachtrag und Spoiler!!! +++
Der Autor Thomas Hartl hat mich per Mail gebeten, meine Rezension zu ändern, sie positiver zu schreiben, und er schrieb:
Und Luke ist allein. Er hat sich entschieden, zu handeln. Ich meine, das ist gut so. Wer nicht handelt, geht in Richtung Depression. Ob die Mittel (Sachbeschädigung) den vermeintlichen Zweck (der Mutter das Leben zu retten) heiligen, darüber möge bitte diskutiert werden. Mit den Eltern, mit den Lehrern etc. Das würde vielleicht so manchem helfen, der tatsächlich Probleme hat, und das sind nicht wenige.
Und darum spoilere ich an dieser Stelle, wie das Buch ausgeht, damit jeder versteht, was ich meine. Luke hat Wut im Bauch, weil zu Hause alles schief geht, er seinen Vater für einen hält, der sich nicht wehren kann, der nichts auf die Reihe bekommt. Ein Mann hatte den Vater geschlagen, weil er an der Ampel bei Grün mit dem Wagen nicht anfuhr, völlig in Gedanken versunken. Der Vater erklärt Luke: So war es nur ein Schlag, aber hätte er sich gewehrt, würde er wahrscheinlich im Krankenhaus gelandet sein. Luke erkennt den Mann später wieder, es ist ein Metzger. Und Luke sinnt auf Rache.
Die Rachenacht: Zuerst ist der Metzger dran: Die beiden Jugendlichen schmeißen die Scheibe mit Backsteinen ein, klettern in den Laden, haben Gülle dabei, die sie über Fleisch und Wurstwaren und den ganzen Laden verteilen. (Anmerkung: Nachts wird die Ware normalerweise im Kühlraum gelagert, bei dieser Metzgerei wohl nicht.) Die weite Tat: Stonys Rad wird demoliert, als er dazu kommt, gibt es was auf die Zwölf und der am Boden liegende wird mit auf dem Handy festgehalten. Dritte Tat: Ein Bankomat soll zwecks Geldbeschaffung in die Luft gejagt werden, mittels Gasflaschen und Benzinkanister, was der Autor detailgenau beschreibt. Es gibt auch einen Riesenknall mit großer Sachbeschädigung, Luke bekommt durch die Druckwelle etwas ab, ist ohnmächtig. Ali kann ihn vom Tatort wegziehen - aber Luke muss später ins Krankenhaus. Das mit dem Geld hat eben nicht funktioniert.
Der Jurist Dr. Thomas Hartel schreibt in diesem Jugendbuch:
Und wenn ihr euch fragt, warum wir überhaupt so lustig auf unseren Rädern herumfahren dürfen und nicht irgendwo in einem Knast sitzen, dann überlegt doch mal: Erstens waren wie in der Nacht der Rache, wie Ali sie gern nennt, erst dreizehn. Mit Dreizehn wird kein Mensch eingesperrt. Höchstens die Eltern, weil die nicht auf dich aufgepasst haben. Und zweitens, und das ist viel wichtiger, kein Mensch weiß, das wir das waren.
Jetzt kann sich jeder selbst Gedanken machen, warum ich es nicht gut finde, wenn ein Jugendbuch - auch noch von einem Juristen verfasst - zur Selbstjustiz aufruft! Klar, sonst wird man ja depressiv ...
Fauststarker Herzschlag
Jugendbuch, Kinder- und Jugendliteratur
Hardcover, 160 Seiten
Kunstanstifter Verlag, 2021
Kinder- und Jugendliteratur
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