Direkt zum Hauptbereich

Falke von Helen Macdonald - Rezension

Rezension

von Sabine Ibing



Falke

 
von Helen Macdonald 

Biographie eines Räubers 


Ein Buch, das in keinem Genre Platz hat; ich würde es schlicht als die Hommage an den Falken bezeichnen: Der Mensch und seine Beziehung zum Falken im Laufe der Jahrhunderte in verschiedenen Kulturepochen. Aus jeder Seite sprüht die Begeisterung für diesen Vogel hervor. Denn Falken sind nicht nur die schnellsten Tiere der Erde, sie haben bei dem Menschen im Laufe seiner Kultur Spuren hinterlassen. Der Falke ist nicht einfach ein Vogel, ein Raubvogel, sondern er ist ein Symbol. Helen Macdonald schafft in diesem Sachbuch eine Verbindung von Natur- und Kulturgeschichte, beschreibt den Vogel in seiner Gattung, wobei sie nie versucht, das Tier zu vermenschlichen, geht dann weiter zum Bezug zum Menschen. Das verdeutlicht am besten die Inhaltsangabe: Naturgeschichte, Mythische Falken, Abgerichtete Falken, Bedrohte Falken, Militärische Falken, Urbane Falken. 




Wenn ein Falke seinen Blick auf einen Gegenstand gerichtet hat, nickt er typischerweise einige Male mit dem Kopf. Mithilfe dieser sogenannten Bewegungsparallaxe ermittelt er dessen Größe und Entfernung. Seine Sehschärfe ist dabei erstaunlich. Ein Turmfalke kann ein zwei Millimeter großes Insekt auf eine Entfernung von achtzehn Metern erkennen.


Helen MacDonald forscht in Cambridge am Institut für Geschichte und Philosophie der Naturwissenschaften, ist selbst Falknerin. Sie beschreibt, wie die Welt für einen Falken aussieht, wie der Vogel seine immense Geschwindigkeit erreicht und wie er seine Beute schlägt. Der Falke schießt im Sturzflug mit mehr als dreihundert Stundenkilometern auf seine Beute zu, das Opfer stirbt durch die Wucht des Aufpralls. Es gibt einige phänomenale Leitungen, die diesen Vogel wahrscheinlich seinen Kultstatus verliehen haben. Federkleidpflege, Aufzucht der Jungen, die verschiedenen Gattungen und Lebensräume – soweit eine Menge Informationen zum Raubvogel. Bereits im historischen Ägypten verehrte man den Falken als Gott (Horus), ebenso als Gott im Altiranischen, in manchen alten Kulturen gilt er als der Schöpfergott. In der germanischen-nordischen Mythologie kann Freya mit einem Gewand Menschen in Falken verwandeln. Der Mensch richtet die Vögel seit mindestens 6.000 Jahren zur Jagd ab, Falken wurden von Dichtern besungen und zur Spionage eingesetzt, sie dienten als erotische Symbole und für militärische Zwecke. Macdonald beschreibt hauptsächlich Wander- und Wüstenfalken. Zu denen gehört auch der Gerfalke. Interessant, dass diese Vögel seit dem Mittelalter bis heute als «wertvollste diplomatische Geschenke» überreicht werden. Es gibt eine breite Palette der Verbindung zwischen Menschen und Falken. Erwähnt wird auch die Bedrohung der Falken durch menschliche Bejagung, Pestizide und Verlust des Lebensraums, z. B. lässt das Pflanzenschutzmittel DDT die Schalen der Falken-Eier so dünn werden, dass ein brütendes Weibchen sie mit ihrem Gewicht zerdrückt.



Ich habe schon Falkner jammern hören, die Falknerei habe ihre Karriere ruiniert, ihre Beziehung zerstört und ihnen unvorstellbaren Kummer, Unkosten und Strapazen bereitet – wobei ihnen ein glückseliges Lächeln im Gesicht stand.


Der erste Satz des Kapitels, stammt von einem Falkner: «Falknerei ist kein Sport, sondern eine Krankheit.» Er behauptet, wenn man erst einmal beginnt, lässt die Falknerei einen nicht mehr los, es wird eine Obsession daraus. Unter den Falknern gibt es eine Menge Fanatiker und derzeit hat die Falknerei weltweit großen Zulauf. Auch hier ist die Technik eingezogen, das Glöckchen am Fuß ist heute durch einen elektronischen Funkempfänger ausgetauscht worden. Es sind Greifvögel, die zu Kriegszeiten feindliche Brieftauben abfingen, heute die Rollfelder und deren Umgebung von Vögeln und Kaninchen freihalten. Das Buch ist mit reichlich Bildmaterial liebenswert aufgemacht worden, und ist so eine Mischung zwischen kulturhistorischer Beschreibung und naturhistorischer Tierbeobachtung, auf hohem Niveau des Fachwissens; die einseitige Beziehungsgeschichte zwischen Mensch und Falke. Allerdings würde ich das Buch auf keinen Fall zum Nature Writing zählen. Mit Leidenschaft erzählt, eine Monographie, die viel vereint und gerade darum Spaß macht zu lesen: Naturgeschichte, Biologie, Religion, Mythen und Legenden, Literatur, Falknerei, Militärgeschichte bis hin zum Weltraumprogramm und natürlich Umweltschutz. Am Ende gibt es eine Zeittafel zur Geschichte der Bedeutung des Falken. Ein literarisch-wissenschaftliches Sachbuch, das sich wunderbar lesen lässt.


Helen Macdonald ist Autorin, Dichterin, Illustratorin und Wissenschaftshistorikerin, forscht am Institut für Geschichte und Philosophie der Naturwissenschaften in Cambridge. Sie hat als professionelle Falknerin gearbeitet und Jagdfalke gezüchtet. Ihr Buch H wie Habicht wurde zum international gefeierten Bestseller, der u. a. mit dem Samuel-Johnson-Preis, dem Prix du Meilleur Livre Etranger und als Costa Book of the Year ausgezeichnet wurde. Sie schreibt regelmäßig für das New York Times Magazine und lebt in Suffolk.


Helen Macdonald 
Falke
Biographie eines Räubers
Originaltitel : Falcon
Übersetzt aus dem Englischen von Frank Sievers
Monographie, Zoologie, Naturliteratur, Falken, Raubvögel, Falknerei
Hardcover, 240 Seiten, mit 71 Abbildungen
Verlag C. H. Beck, 2017


Sachbücher

Hier stelle ich Sachbücher vor, die im Prinzip nichts mit Fachliteratur zu tun haben. Eben Sachbücher jeder Art, die ein breites Publikum interessieren könnte.
Sachbücher

Kommentare

Beliebte Posts aus diesem Blog

Rezension - Wolfssommer von Hans Rosenfeldt

  Ein atmosphärisch dichter und spannender Schweden-Krimi von Hans Rosenfeldt, bekannter Krimiautor und Drehbuchautor (skandinavische TV-Serie «Die Brücke», britische Fernsehserie «Marcella» über Netflix) erwartet uns mit dem Auftakt einer neuen Serie. Die Erwartungen waren hoch. Rosenfeldt hat geliefert. Die Kleinstadt Haparanda, nahe der finnischen Grenze, wird zufällig zum Schauplatz eines Drogendeals. Wer hat die Drogen und das Geld, wer wird sie am Ende bekommen? Der einzige der durchblickt, ist der Leser – Dank Mehrperspektivität. Denn alle Protagonisten tappen im Dunkeln – wissen nichts voneinander. Ein komplexer und spannungsreicher Thriller! Weiter zur Rezension:    Wolfssommer von Hans Rosenfeldt

Rezension - Sex in echt von Nadine Beck, Rosa Schilling und Sandra Bayer

  Offene Antworten auf deine Fragen zu Liebe, Lust und Pubertät Ein Aufklärungsbuch, das locker Fragen beantwortet und kurze Erfahrungsberichte von jungen Menschen einstreut, das alles mit knalligen Illustrationen unterlegt. Du bist, wie du bist, und du bist, wie du bist okay. Das Jugendbuch erklärt, stellt Fragen. Die Lust im Kopf, genießen mit allen Sinnen; was verändert sich am Körper in der Pubertät?, die Vagina, die Monatsblutung, der Penis, Solosex, LGBTQIA, verliebt sein, wo beginnt Sex?, Einvernehmlichkeit, wie geht Sex?, Verhütung, Krankheiten, Sextoys – das Buch spart nichts aus. Informieren, anstatt tabuisieren! Locker und sensibel werden alle Themenfelder sachlich vorgestellt. Prima Antwort auf offene Fragen; ab 11 Jahren. Empfehlung! Weiter zur Rezension:   Sex in echt von Nadine Beck, Rosa Schilling und Sandra Bayer

Rezension - Kalte Füße von Francesca Melandri

  Im Winter 1942/43 flohen italienische Soldaten in Schuhen mit Pappsohlen vor der Roten Armee, Zehntausende erfroren. Der «Rückzug aus Russland» hat sich als Trauma im kollektiven Gedächtnis Italiens eingebrannt - auch in der Familie von Francesca Melandri, einer der wichtigsten Autorinnen Italiens. Ihr Vater hat ihn überlebt. Doch erst als Anfang 2022 Bilder und Orte des Kriegs in der Ukraine omnipräsent sind, wird ihr klar: Der Vater ist vor allem in der Ukraine gewesen. Sie tritt mit ihrem verstorbenen Vater in ein Zwiegespräch, wobei sie den Krieg damals mit dem Heutigen in der Ukraine vergleicht. Und es ist eine Abrechnung mit der italienischen Linken. Empfehlung, unbedingt lesen! Weiter zur Rezension:    Kalte Füße von Francesca Melandri 

Rezension - Die Grille in der Geige von Anna Haifisch

  Eines Sommers findet eine wandernde Grille im Wald eine alte Geige . «Wie praktisch!», ruft sie und zieht in das geräumige Instrument ein. Sie töpfert und zieht Nudeln und des Nachts zupft sie die Saiten, erfreut alle Insekten und Mäuse in der Umgebung mit ihrer Musik. Doch als ein bitterkalter Winter das Land überzieht, stürmen die Insekten das Heim der Grille , zerhacken es und zünden es an … Ein humorvolles Bilderbuch ab 4 Jahren – Empfehlung! Weiter zur Rezension:    Die Grille in der Geige von Anna Haifisch 

Rezension - Lázár von Nelio Biedermann

  «Ein wirklich großer Schriftsteller betritt die Bühne, im Vollbesitz seiner Fähigkeiten.», so wird von ihm geschrieben. Nelio Biedermann schreibt mit 20 Jahren sein erstes Buch und das Manuskript geht in die Versteigerung – die Verlage überbieten sich, es wird in 20 Sprachen verkauft, man redet über ein sechsstelliges Vorschusshonorar – über den neuen Thomas Mann . Uff. Ich war gespannt. Mich konnte der Familienroman nicht überzeugen – leider. Weiter zur Rezension:    Lázár von Nelio Biedermann

Was ist eigentlich Kriminalliteratur? - Ein Abend mit Else Laudan in der Wyborada

Am 08.11.2019 war ich zu einer Mischung aus Lesung und Definition des Begriffs Kriminalliteratur in St. Gallen in der Wyborada zu Gast, im Literaturhaus & Bibliothek in St. Gallen in der Frauenbibliothek und Fonothek Wyborada. Else Laudan sprach zum Thema Kriminalliteratur, erzählte ihren Weg mit ihrem freien Verlag Ariadne, ein Verlag, der ausschließlich literarische Kriminalliteratur von Frauen veröffentlicht. Weiter zum Artikel:    Was ist eigentlich Kriminalliteratur? - Ein Abend mit Else Laudan in der Wyborada 

Rezension - So weit der Fluss uns trägt von Shelley Read

  Am Fuße der Elk Mountains in Colorados strömt der Gunnison River an einer alten Pfirsichfarm vorbei. Hier lebt in fünfter Generation in den 1940ern die 17-jährige Victoria mit ihrem Vater, dem Onkel und ihrem Bruder Seth. In der Stadt begegnet sie Wilson Moon, und beide fühlen sich sofort zueinander hingezogen. Dramatische Ereignisse zwingen Victoria, selbst das Leben in die Hand zu nehmen. Ein wenig schwülstig, doch gut lesbar, atmosphärisch, ein Familienroman, ein Coming-of-age – gute Unterhaltung … eine Hollywood-Geschichte. Die Pilcher-Fraktion wird begeistert sein!  Weiter zur Rezension:    So weit der Fluss uns trägt von Shelley Read

Rezension - Wenn das Wasser steigt von Dolores Redondo

  1983 , der Polizist Noah Scott ist besessen davon, den Serienmörder Bible John zu erwischen. Er steht im Verdacht, Frauen, die aus Diskotheken verschwanden, nie wieder auftauchten, ermordet zu haben. Seit Jahren ist Noah an dem Fall dran, und er glaubt, den Täter identifiziert zu haben. Er folgt John Clyde und es gelingt ihm, auf seinem persönlichen Friedhof die Handschellen anzulegen – doch dann krampft sich etwas in seiner Brust zusammen und es wird schwarz vor seinen Augen … Ein spanischer literarischer Thriller vom Feinsten! Weiter zur Rezension:    Wenn das Wasser steigt von Dolores Redondo

Rezension - Motte und die Metallfischer von Sanne Rooseboom und Sophie Pluim

  Der Sommer, in dem Motte ein U-Boot fand, fing ziemlich normal an. Langweilig sogar. Doch auf einmal liegt das Schicksal der ganzen Stadt in ihren Händen. Es sind Ferien, aber Mottes Mutter muss arbeiten, einen Urlaub könnten sie sich nicht leisten. Sie ist als Personalcoach unterwegs: Mode, Schminke, Sport, Gesundheit, Ernährung. Und genau das interessiert Motte so gar nicht. Am Kai zeigt ihr Lukas das Metallfischen – ein perfektes Hobby für Motte, die neben schwarzer Kleidung das Unperfekte an Dingen liebt. Sie kauft sich einen Magneten zum Metallangeln. Vielleicht kann man sich etwas verdienen, wenn man Altmetall zur Altmetallhändlerin bringt; sie sammelt ihre ersten Schätze, die die Mutter eklig findet. Plötzlich hängt etwas ganz Großes an der Angel! Spannender Kinderroman ab 9/10 Jahren. Empfehlung! Weiter zur Rezension:   Motte und die Metallfischer von Sanne Rooseboom und Sophie Pluim

Rezension - Was danach kommt von Anika Suck

  Karmen passt einen Moment beim Autofahren nicht auf und verursacht einen Verkehrsunfall mit tragischem Ausgang – ein Kind ist tot. Es sind nur ein paar Sekunden, die Karmens Leben in seinen Grundfesten erschüttern. Denn im darauffolgenden Prozess muss sie sich einer Schuld stellen. Von der Presse Kindsmörderin getauft und von der Empörungsgesellschaft vorverurteilt, wird sie auch von ihrem sozialen Netz fallen gelassen. Am Ende muss Karmen selbst entscheiden, ob sie schuldig ist oder nicht. Mich konnte das Buch nicht überzeugen, da für mich die Darstellung der Geschichte absoluter Gerichts-Nonsens ist. Weiter zur Rezension:    Was danach kommt von Anika Suck