Rezension
von Sabine Ibing
English Monsters
von James Scudamore
Der erste Satz:
Mein Großvater ging gern vor den Neun-Uhr-Nachrichten ins Bett, daher begann er schon früh zu trinken und arbeitete sich schnell vor.
Max Denyer ist 10 Jahre alt, seine Eltern arbeiten im Ausland, und bisher hatte er ein glückliches Leben, ist in Mexiko zur Schule gegangen. Die Sommerferienerien verbringt er bei den Großeltern in England auf dem Land. Besonders zum pensionierten Großvater hat er ein inniges Verhältnis, ein Bastler, der Landmaschinen repariert und Tischlerarbeiten zum Hobby hat. Die Eltern entscheiden, Max sollte eine gute Schule besuchen, die «Firma» (der Vater arbeitet für den Geheimdienst) zahlt die Kosten für ein renommiertes Internat, das unweit vom Haus der Großeltern liegt. Und hier beginnt das Martyrium. Eine englische Prep-School, die Geschichte spielet in den späten 1980er Jahren. Hier ist alles verboten, besonders der Kontakt mit dem Elternhaus. Wer heimlich zur Dorftelefonzelle geht, wird heftig bestraft, Briefe an die Eltern werden zensiert, müssen neu geschrieben werden, wenn der Inhalt den Lehrern nicht genehm ist. Hier wird geprügelt, was das Zeug hält. Für Max beginnt es gleich hart, denn die Wasserheizung ist eingefroren, die Kinder müssen eimerweise Schnee mit zur Toilette nehmen, sich die Zähne mit Schnee putzen. Die Räume sind schlecht beheizt, das Essen ist miserabel. Die Erziehung ist extrem hart, Zynismus und Hinterhältigkeit der Lehrkörper und Erzieher stehen an der Tagesordnung, Prügel hagelt es täglich. Die Schüler halten fest zusammen, bilden eine feste Gemeinschaft gegen die Lehrerfront, es entstehen Freundschaften, die die Schulzeit überdauern werden. Die Brutalität färbt sich auch auf den Umgang der Schüler untereinander ab. Ein Lichtblick in diesem Internat ist Crimble, ein empathischer Lehrer, der viel durchgehen lässt, den Schülern beisteht und weiterhilft. Als Max nach ein paar Jahren in den Ferien etwas über die schlechten Seiten der Schule herauslässt, sind Großeltern und Eltern entsetzt, nehmen ihn von der Schule.
Kindesmissbrauch
Diejenigen, die hier gewesen waren, fanden es normal, dass du geschlagen werden konntest, wenn du eine Regel gebrochen hattest, die du nicht mal verstanden hattest. Dass schmutzige Fingernägel mit Stockschlägen auf den Hintern quittiert werden konnten. Dass das falsche Paar Schuhe oder das richtige, nicht ordentlich geputzte Paar Anlass dafür sein konnte, von jemandem, der unglaublich stark und wütend war, durch ein Zimmer geschleudert zu werden. Dass du für ein Gespräch mit deiner Familie oder dem Besitz von Essbarem bestraft werden konntest.
Jahre später überschattet ein Skandal diese Schule. Max liest in der Zeitung, dass Weather-Davis, ein Lehrer, wegen Kindesmissbrauchs verhaftet worden war, einige Schüler hatten ihn angezeigt und er wird zu einer Haftstrafe verurteilt. Kurz danach trifft Max durch Zufall auf seine alten Freunde aus dem Internat wieder. Er nimmt mit seinem besten Freund Simon wieder engen Kontakt auf und bleibt in guter Verbindung mit den anderen. Was er nun erfährt, hat nichts mit Weather-Davis zu tun – Simon fragt: Hat DER dich auch ...? Max ist entsetzt – er hat nichts geahnt von alledem – klar, die Schläge und Strafen – aber Missbrauch von Lehrern? Nun wird ihm einiges klar; Verhaltensweisen, Rückzug von Freunden. Aber niemand will darüber reden. Und Simon möchte nicht, dass jemand von seinem Unglück erfährt. Max ist der Meinung, dass dies öffentlich gemacht werden muss.
Was macht dieses Erziehung aus einem Menschen?
Und Weapons Davis wird Dienst haben.› (Crimble)
‹Was heißt das?› (Max)
‹Das heißt, wasch dir die Hände.›
‹Hab ich heute Morgen schon.›
‹Mach es nochmal. Schrubb sie, bis die Haut abgeht.›
‹Meist du das ernst?›
Er legte seinen Schraubenzieher hin und sah mir in die Augen. ‹Todernst.
Ein Roman, der sich mit der Härte und Unmenschlichkeit der englischen Eliteinternate beschäftigt: Leiden, harte Disziplin, Strafe, Prügel; Kinder, die gebrochen werden, um sie zu dem zu machen, was man von ihnen erwartet. Niemand redet darüber. Ein Tabu-Thema. Es geht sogar so weit, dass jemand, der schwer unter dieser Erziehung bis ins Erwachsenenleben leidet, meint, sein Schülerleben sei hart, aber gerecht gewesen – loyal zu Weather-Davis hält. Was macht das aus Menschen? Funktionierende, empathielose Zyniker bringt eine solche Erziehung hervor, oder psychisch gebrochene Menschen, die mit ihren Traumata kämpfen: English Monsters. Die Elite des Landes wird so getrimmt. Wollen wir hoffen, dass sich hier einiges geändert hat.
Gute Unterhaltung
Dann und wann besuche ich ein Online-Forum für Ehemalige der Schule auf dem Berg. Sie nennen sich Überlebende. ... Ich erfahre Namen von den Stars der Szene, die ich nie kennengelernt habe. Psychotische Trinker. Bösartige Hausmütter. Der Sadismus von Sutton Senior scheint alles zu übersteigen.
Das ist nicht der erste Roman, der die englischen Internate aufs Korn nimmt. Das Buch lässt sich spannend lesen. Es fehlte mir allerdings ein wenig an Tiefe zu einzelnen Schülern, gut ausgearbeitet sind lediglich Max und Simon. Max hat nichts geahnt. Wirklich? Leider laufen viele angesprochenen Dinge ins Leere und werden nicht mehr aufgegriffen. Der Großvater baut Max eine Holzbox für Süßigkeiten, die jeder mitbringen muss – obwohl ja Süßigkeiten verboten sind. Die von Max hat einen doppelten Boden für Geheimnisse. Leider wird diese Holzkiste nie wieder erwähnt. Wie so vieles, das angerissen aber nicht auserzählt wird. Andere Dinge kommen in die Wiederholungsschleife, werden mir zu breit ausgerollt. Ein guter Roman, auf jeden Fall, aber kein großer Wurf. Zum Thema gab es bereits Besseres.
James Scudamore, geboren 1976, hat mehrere preisgekrönte Romane geschrieben. Da sein Vater für eine Chemiefirma arbeitete, wuchs er unter anderem in Japan, Ecuador, Brasilien und England auf. Scudamore studierte Moderne Sprachen in Oxford und an der University of East Anglia. Er lebt mit seiner Frau und den drei Kindern auf einer Farm mit Käserei in Oxfordshire.
English Monsters
Originaltitel: English Monsters, 2020
Aus dem Englischen übersetzt von Ulrike Wasel und Klaus Timmermann
Roman, zeitgenössische Literatur, Drama, englische Literatur, Internatsgeschichte, Kindesmissbrauch
Hardcover, 464 Seiten
hanserblau Verlag, 2021
Zeitgenössische Literatur
Hier verbirgt sich manche Perle der Literatur. Ich lese auch mal einen Bestseller, natürlich, aber mein Blick ruht immer auf den kleinen Verlagen, auf den freien Verlagen. Sie trauen sich was - und diese Werke sind in der Regel besser als der Mainstream der meistgekauften Bücher …Zeitgenössische Romane
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