Direkt zum Hauptbereich

Ein Teil von ihr von Karin Slaughter - Rezension

Rezension

von Sabine Ibing



Ein Teil von ihr 


von Karin Slaughter


Sprecher: Nina Petriungekürztes Hörbuch, Spieldauer: 16 Std. und 56 Min.


Es ist meine Schuld‹ sagte Laura.Andy spürte, wie sich ihre rissigen Lippen unwillkürlich öffneten. ›Was ist deine Schuld?‹›Dass du hier bist, hier festsitzt.‹Andy wies mit dem ausgestreckten Arm auf das Restaurant. ›Im Risen-Dine?‹Ihre Mutter ließ den Blick von Andys Scheitel bis zu ihren Händen wandern, die sich unruhig auf der Tischplatte bewegten. Schmutzig braunes Haar, zu einem schlampigen Pferdeschwanz gebunden. Dunkle Ringe unter den müden Augen. Bis aufs Fleisch abgebissene Fingernägel. Die Knochen ihres Handgelenks standen hervor. Die blasse Haut war hellgrau wie das Wasser, in dem die Würstchen für die Hotdogs warm gehalten wurden. …Fünf Nächte in der Woche saß Andy zusammen mit vier anderen Frauen in einem dunklen, stickigen Raum, nahm Notrufe entgegen, überprüfte Autokennzeichen und Führerscheine und teilte Aktennummern zu. Gegen sechs Uhr morgens schlich sie dann zum Haus ihrer Mutter zurück und verschlief den größten Teil des Tages.›Ich hätte niemals zulassen dürfen, dass du hierher zurückkommst‹, sagte Laura.

Ich lese / höre Karin Slaughter sehr gern. Ihre Psychothriller entwickeln sich immer gemächlich und das Hauptaugenmerk liegt auf den Protagonisten. Das ist auch dieses Mal so. Ein Strang spielt in der heutigen Zeit, der längere geht zurück in die Vergangenheit. Andrea, auch Andy genannt, hatte ihr Kunststudium in New York abgebrochen, sich dort den Lebensunterhalt mit kellern verdient, aber auch das langte vor und hinten nicht. So ging sie zurück ins Elternhaus, lebt nun ziellos ihr Leben, arbeitet in der Nachtschicht der Notrufzentrale außerhalb von Savannah in Georgia. Eines Tages greift in einem Einkaufszentrum ein durchgeknallter Typ eine Gruppe von Frauen an, in der sich Mutter und Tochter befinden, schießt. Zu Andys Überraschen schreitet ihre Mutter, Laura, ein, überwältigt den Killer anscheinend fachgerecht und tötet ihn eiskalt. War diese Killerin, die Andy gesehen hat etwa ihre Mutter, die nette Therapeutin, die mit einem Anwalt verheiratet ist? Sie kann es nicht fassen. Kurz darauf dringt ein Einbrecher ins Haus ein, es kommt wieder zum Kampf, an dem Andy beteiligt ist. Ihre Mutter schickt sie fort – sie muss unverzüglich aufbrechen – ganz weit weg, nach Idaho fahren – gibt ihr einen Garagenschlüssel, ein Adresse, einen Autoschlüssel. Dort findet Andy einen uralten Wagen, Reisegepäck, eine Menge Geld und eine Handvoll Pässe vor, mit dem Foto ihrer Mutter aus Jugendzeit – Andy ähnlich. Wer ist ihre Mutter wirklich?

Bitte hören Sie auf!‹
Andy blinzelte. Sie rieb sich mit den Fäusten die Augen. Etwas scheuerte rau an ihren Lidern. Glas? Dreck? Blut?
»Bitte!«, rief Laura noch einmal.
Andy blinzelte wieder.
Ein Mann richtete eine Waffe auf die Brust ihrer Mutter. Keine Polizistenwaffe, sondern eine mit einer Trommel wie im Wilden Westen. Er war auch entsprechend gekleidet – schwarze Jeans, schwarzes Hemd mit Perlmuttknöpfen, schwarze Lederweste und schwarzer Cowboyhut. Der Waffengurt hing tief auf seinen Hüften. Ein Halfter für die Feuerwaffe, eine lange Lederscheide für ein Jagdmesser.

Der zweite Strang beginnt im Sommer 1986. Jane, die heute Laura heißt – die Mutter von Andy – stammt aus einer betuchten Familie, die einen Chemiekonzern unterhält, sie ist eine bekannte Klavierspielerin und sie ist zusammen mit ihrem Bruder in terroristische Kreise geraten. Ein paar Jugendliche folgen in Affenliebe dem charismatischen Nick, der angeblich die Welt verbessern will. Lauras Vater ist geschäftlich gesehen ein Verbrecher. Aber nicht nur das – privat ist er einerseits ein zauberhafter Daddy und andererseits ein brutaler Schläger, ein scharfer Hund, der alles bestimmt. Die Kinder hassen ihn, besonders Jane leidet täglich unter ihm. Diesen Mann wollen sie bloßstellen, aber nicht nur das … Nick ist ein Soziopath, letztendlich das Abziehbild von Janes Vater.

Beide Stränge laufen zunächst parallel, aber auch Andy erfährt immer mehr über ihre Mutter. Die zweiunddreißjährige Andy entwickelt sich im Verlauf zu einer erwachsenen Frau, die bisher wie ein Teeny lustlos durch das Leben stapfte. Zeitgleich wird beschrieben, wie aus Jane später Laura wurde. Eine verführte junge Frau, die sich von ihrer großen Liebe verblenden ließ. Nick hatte die gesamte Gruppe im Griff, er ließ das Jojo hoch und runtschnappen, bestimmte, wer lief, wer stehen blieb. Es geht um Radikalisierung. Was treibt einen jungen Menschen dazu, sich derart zu radikalisieren, Idealen nachzulaufen, die keine sind. Verführung durch charismatische Typen, wie sie den richtigen Trigger treffen, um jemanden mitzuziehen. Die Verführer dieser Welt: Terroristen, Sektenführer, politische Führer, Ideenführer, usw. nicht immer haben sie ein ehrbares Ziel. Fein beschreibt Karin Slaughter, welche Art von Charakter diese Verführer besitzen und welche Art von Charakter sich ihnen unterwirft. Denken wir an Groß Britanien, USA, Ungarn usw., es sind immer die gleichen Charaktere, die verführen: charismatisch, wortbrutal, sexistisch, durchsetzungsfähig, es sind Typen, die alles versprechen, die ihre Anhänger belügen, keinen Widerspruch dulden, es sind Narzissten, die brutal alles umpflügen.

Für mich ist dieser Psychothriller sehr gut gelungen, man muss sich aber auf Karin Slaughter einlassen können. Ihre Erzählweise ist intensiv und es dauert, bis sie vor dem Leser die einzelnen Charaktere ausgerollt hat. Wendungen und Action sind bei ihr immer eingebaut.


Karin Slaughter ist eine der weltweit populärsten und gefeiertsten Schriftstellerinnen. Ihre Bücher wurden in 33 Sprachen übersetzt. Ihr Gesamtwerk beinhaltet die Grant County und Will Trent-Reihen, außerdem Cop Town- Stadt der Angst, das für den renommierten Edgar-Krimipreis nominiert wurde, sowie den psychologischen Thriller Pretty Girls. Karin Slaughter stammt aus Georgia und lebt zurzeit in Atlanta.

Weitere Rezensionen zu Thrillern von Karin Slaughter

Die gute Tochter von Karin Slaughter



Kommentare

Beliebte Posts aus diesem Blog

Rezension - Wolfssommer von Hans Rosenfeldt

  Ein atmosphärisch dichter und spannender Schweden-Krimi von Hans Rosenfeldt, bekannter Krimiautor und Drehbuchautor (skandinavische TV-Serie «Die Brücke», britische Fernsehserie «Marcella» über Netflix) erwartet uns mit dem Auftakt einer neuen Serie. Die Erwartungen waren hoch. Rosenfeldt hat geliefert. Die Kleinstadt Haparanda, nahe der finnischen Grenze, wird zufällig zum Schauplatz eines Drogendeals. Wer hat die Drogen und das Geld, wer wird sie am Ende bekommen? Der einzige der durchblickt, ist der Leser – Dank Mehrperspektivität. Denn alle Protagonisten tappen im Dunkeln – wissen nichts voneinander. Ein komplexer und spannungsreicher Thriller! Weiter zur Rezension:    Wolfssommer von Hans Rosenfeldt

Rezension - Sex in echt von Nadine Beck, Rosa Schilling und Sandra Bayer

  Offene Antworten auf deine Fragen zu Liebe, Lust und Pubertät Ein Aufklärungsbuch, das locker Fragen beantwortet und kurze Erfahrungsberichte von jungen Menschen einstreut, das alles mit knalligen Illustrationen unterlegt. Du bist, wie du bist, und du bist, wie du bist okay. Das Jugendbuch erklärt, stellt Fragen. Die Lust im Kopf, genießen mit allen Sinnen; was verändert sich am Körper in der Pubertät?, die Vagina, die Monatsblutung, der Penis, Solosex, LGBTQIA, verliebt sein, wo beginnt Sex?, Einvernehmlichkeit, wie geht Sex?, Verhütung, Krankheiten, Sextoys – das Buch spart nichts aus. Informieren, anstatt tabuisieren! Locker und sensibel werden alle Themenfelder sachlich vorgestellt. Prima Antwort auf offene Fragen; ab 11 Jahren. Empfehlung! Weiter zur Rezension:   Sex in echt von Nadine Beck, Rosa Schilling und Sandra Bayer

Rezension - Kalte Füße von Francesca Melandri

  Im Winter 1942/43 flohen italienische Soldaten in Schuhen mit Pappsohlen vor der Roten Armee, Zehntausende erfroren. Der «Rückzug aus Russland» hat sich als Trauma im kollektiven Gedächtnis Italiens eingebrannt - auch in der Familie von Francesca Melandri, einer der wichtigsten Autorinnen Italiens. Ihr Vater hat ihn überlebt. Doch erst als Anfang 2022 Bilder und Orte des Kriegs in der Ukraine omnipräsent sind, wird ihr klar: Der Vater ist vor allem in der Ukraine gewesen. Sie tritt mit ihrem verstorbenen Vater in ein Zwiegespräch, wobei sie den Krieg damals mit dem Heutigen in der Ukraine vergleicht. Und es ist eine Abrechnung mit der italienischen Linken. Empfehlung, unbedingt lesen! Weiter zur Rezension:    Kalte Füße von Francesca Melandri 

Rezension - Die Grille in der Geige von Anna Haifisch

  Eines Sommers findet eine wandernde Grille im Wald eine alte Geige . «Wie praktisch!», ruft sie und zieht in das geräumige Instrument ein. Sie töpfert und zieht Nudeln und des Nachts zupft sie die Saiten, erfreut alle Insekten und Mäuse in der Umgebung mit ihrer Musik. Doch als ein bitterkalter Winter das Land überzieht, stürmen die Insekten das Heim der Grille , zerhacken es und zünden es an … Ein humorvolles Bilderbuch ab 4 Jahren – Empfehlung! Weiter zur Rezension:    Die Grille in der Geige von Anna Haifisch 

Rezension - Lázár von Nelio Biedermann

  «Ein wirklich großer Schriftsteller betritt die Bühne, im Vollbesitz seiner Fähigkeiten.», so wird von ihm geschrieben. Nelio Biedermann schreibt mit 20 Jahren sein erstes Buch und das Manuskript geht in die Versteigerung – die Verlage überbieten sich, es wird in 20 Sprachen verkauft, man redet über ein sechsstelliges Vorschusshonorar – über den neuen Thomas Mann . Uff. Ich war gespannt. Mich konnte der Familienroman nicht überzeugen – leider. Weiter zur Rezension:    Lázár von Nelio Biedermann

Was ist eigentlich Kriminalliteratur? - Ein Abend mit Else Laudan in der Wyborada

Am 08.11.2019 war ich zu einer Mischung aus Lesung und Definition des Begriffs Kriminalliteratur in St. Gallen in der Wyborada zu Gast, im Literaturhaus & Bibliothek in St. Gallen in der Frauenbibliothek und Fonothek Wyborada. Else Laudan sprach zum Thema Kriminalliteratur, erzählte ihren Weg mit ihrem freien Verlag Ariadne, ein Verlag, der ausschließlich literarische Kriminalliteratur von Frauen veröffentlicht. Weiter zum Artikel:    Was ist eigentlich Kriminalliteratur? - Ein Abend mit Else Laudan in der Wyborada 

Rezension - Motte und die Metallfischer von Sanne Rooseboom und Sophie Pluim

  Der Sommer, in dem Motte ein U-Boot fand, fing ziemlich normal an. Langweilig sogar. Doch auf einmal liegt das Schicksal der ganzen Stadt in ihren Händen. Es sind Ferien, aber Mottes Mutter muss arbeiten, einen Urlaub könnten sie sich nicht leisten. Sie ist als Personalcoach unterwegs: Mode, Schminke, Sport, Gesundheit, Ernährung. Und genau das interessiert Motte so gar nicht. Am Kai zeigt ihr Lukas das Metallfischen – ein perfektes Hobby für Motte, die neben schwarzer Kleidung das Unperfekte an Dingen liebt. Sie kauft sich einen Magneten zum Metallangeln. Vielleicht kann man sich etwas verdienen, wenn man Altmetall zur Altmetallhändlerin bringt; sie sammelt ihre ersten Schätze, die die Mutter eklig findet. Plötzlich hängt etwas ganz Großes an der Angel! Spannender Kinderroman ab 9/10 Jahren. Empfehlung! Weiter zur Rezension:   Motte und die Metallfischer von Sanne Rooseboom und Sophie Pluim

Rezension - So weit der Fluss uns trägt von Shelley Read

  Am Fuße der Elk Mountains in Colorados strömt der Gunnison River an einer alten Pfirsichfarm vorbei. Hier lebt in fünfter Generation in den 1940ern die 17-jährige Victoria mit ihrem Vater, dem Onkel und ihrem Bruder Seth. In der Stadt begegnet sie Wilson Moon, und beide fühlen sich sofort zueinander hingezogen. Dramatische Ereignisse zwingen Victoria, selbst das Leben in die Hand zu nehmen. Ein wenig schwülstig, doch gut lesbar, atmosphärisch, ein Familienroman, ein Coming-of-age – gute Unterhaltung … eine Hollywood-Geschichte. Die Pilcher-Fraktion wird begeistert sein!  Weiter zur Rezension:    So weit der Fluss uns trägt von Shelley Read

Rezension - Wenn das Wasser steigt von Dolores Redondo

  1983 , der Polizist Noah Scott ist besessen davon, den Serienmörder Bible John zu erwischen. Er steht im Verdacht, Frauen, die aus Diskotheken verschwanden, nie wieder auftauchten, ermordet zu haben. Seit Jahren ist Noah an dem Fall dran, und er glaubt, den Täter identifiziert zu haben. Er folgt John Clyde und es gelingt ihm, auf seinem persönlichen Friedhof die Handschellen anzulegen – doch dann krampft sich etwas in seiner Brust zusammen und es wird schwarz vor seinen Augen … Ein spanischer literarischer Thriller vom Feinsten! Weiter zur Rezension:    Wenn das Wasser steigt von Dolores Redondo

Rezension - Was danach kommt von Anika Suck

  Karmen passt einen Moment beim Autofahren nicht auf und verursacht einen Verkehrsunfall mit tragischem Ausgang – ein Kind ist tot. Es sind nur ein paar Sekunden, die Karmens Leben in seinen Grundfesten erschüttern. Denn im darauffolgenden Prozess muss sie sich einer Schuld stellen. Von der Presse Kindsmörderin getauft und von der Empörungsgesellschaft vorverurteilt, wird sie auch von ihrem sozialen Netz fallen gelassen. Am Ende muss Karmen selbst entscheiden, ob sie schuldig ist oder nicht. Mich konnte das Buch nicht überzeugen, da für mich die Darstellung der Geschichte absoluter Gerichts-Nonsens ist. Weiter zur Rezension:    Was danach kommt von Anika Suck