Rezension
von Sabine Ibing
Drei Wege
Grafiknovelle
von Julia Zejn»Drei Wege« ist eine Graphic Novel, die drei Frauen aus Berlin im zeitlichen Abstand von je 50 Jahren darstellt. Ihre Lebensläufe werden nicht linear dargestellt, sondern die Frauen wechseln sich in Kapiteln ab. Ida, Marlies und Selin, drei junge Frauen zeigen uns die Welt in der sie leben.
Marlies, lernt der Leser im Jahr 1968 kennen. Sie stammt aus einer Arbeiterfamilie, liest gern und arbeitet in einem Café. Sie würde lieber eine Ausbildung zur Buchhändlerin machen, was der Vater für unnötig hält, weil sie wie die Schwester bald heiraten wird. Sie lernt den Literaturstudenten Wolfgang aus elitären Verhältnissen kennen, der sich im Berliner SDS engagiert und sich nach dem Dutschke-Attentat mit Marlis` Vater über die BILD-Zeitung streitet. Studentenunruhen und der Marxismus-Theorien sind Neuland für Marlis. Sie will auch Gleichberechtigung, glaubt nicht daran, dass sich mit der Befreiung der Arbeiterklasse die Gleichberechtigung von Mann und Frau einziehen wird, wie Wolfgang erklärt.
Selin lebt in der heutigen Zeit und hat gerade ihr Abitur bestanden. Ihre beste Freundin Alina will in Amerika studieren - was denn sonst. Selin und ihr bester Freund Finn wissen so gar nicht, was ihr Ziel ist, sie lassen sich treiben mir finanziellem Rückhalt der Familie. Die Zukunft macht ihnen Angst, obwohl sie abgesichert erscheint. Finn erklärt Selin, eine Frau kann heute machen, was sie will. Kann sie das und überall auf der Welt? Diese Generation steht im Glauben gleichberechtigt zu sein, schaut nicht hin, vernachlässigt das, wofür Generationen von Frauen vorher hart gekämpft haben. Eine feinfühlige Buchhändlerin empfiehlt Selin als Geschenk für eine Freundin, die gerade einen Selbstmordversuch versuchte, Erich Fromms »Haben oder Sein« zu lesen, um wieder Orientierung im Leben zu finden.
Marlis trifft auf Selin wie auch auf Ida. Sie ist die Verknüpfung der Generationen. Drei junge Frauen müssen Entscheidungen treffen, ihren Lebensweg zu gestalten. Drei Gesellschaftsbilder, historische Ereignisse, aber auch die Entwicklung der Frauenbewegung wird automatisch mitgeliefert. Die Zeichnungen sind minimalistisch, wenn es um die Person direkt geht, opulent, wenn es die Zeitgeschichte zeigt, wie Wohnungseinrichtung, Essen, Straßenbilder. Kriegsgeschehen und Straßenkämpfe wirken düster und bedrohlich. Julia Zejn schafft es, mit ihren Bildern Atmosphäre zu schaffen – ein Bild kann mehr als Worte ausdrücken. Ich finde, die Grafiknovelle ist spannend, trifft emotional, beleuchtet historisch die Rolle der Frau in der Gesellschaft, eine geglückte Kombination, die nachdenklich macht.
Julia Zejn, studierte Kommunikationsdesign mit Schwerpunkt Illustration und Animation. Seit 2013
arbeitet sie freiberuflich als Illustratorin, unter anderem für diverse Theaterproduktionen und als Live-Zeichnerin. Sie lebt und arbeitet in Leipzig.
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