Direkt zum Hauptbereich

Die Rote Hand von Jürgen Heimbach - Rezension

Rezension

von Sabine Ibing



Die Rote Hand 

von Jürgen Heimbach


Der Frankfurter Oberstaatsanwalt, Heinz Wolf erklärt am Donnerstag, daß die Attentate auf den Hamburger Waffenhändler Otto Schlüter und den am 3. März in Frankfurt durch eine Sprengladung an seinem Auto getöteten Waffenhändler Georg Puchert die illegal arbeitende französische Abwehrorganisation ›Die Rote Hand‹ (la main rouge) als Täter in Frage kommt.

Ein spannender historischer Thriller, der die Morde an deutschen Waffenhändlern einbindet. Frankfurt in der Nachkriegszeit Ende der Fünfziger, Bornheim, Bahnhofsviertel, immer noch gibt es an manchen Stellen Kriegsruinen, noch nicht alle Häuser sind wieder aufgebaut, die Oper liegt noch in Schutt und Asche. Der  Algerienkrieg der Franzosen ist das Thema, der als Krieg nicht bezeichnet werden darf, Waffengeschäfte, Anschläge des französischen Geheimdienstes, »La main rouge«. Attentate, mitten in Deutschland, ungeahndet, wegen der Diplomatie …

… seit er wieder in Deutschland lebte und dieses Gelände als Hausmeister und Wachmann für Bommel beaufsichtigte, der ihn dafür mehr schlecht als recht entlohnte und in der feuchten, zugigen Wohnung über der kleinen Halle neben der Einfahrt wohnen ließ. Kontrollen, Leibesübungen, der Gang zum Wasserhäuschen. Mehr war nicht.

Arnolt Streich, ein Einzelgänger, der nach seiner Zeit in der Wehrmacht zur Fremdenlegion ging, wie so viele deutsche Soldaten: Indochina und Algerien. Zurück in Frankfurt wohnt er in seiner gammligen »Hausmeisterwohnung«, soll einen Garagenhof bewachen, auf dem der Bauunternehmer Bommel später Wohnhäuser errichten will. Streich besitzt eine einzige Schallplatte, die er den ganzen Tag dudeln lässt, ein Chanson von Edith Piaf: »Mon légionnaire«. Er besucht täglich das Wasserhäuschen* (siehe unten) vor der Tür, kauft dort Zigaretten, geschmuggelte Morris, trinkt ein Bierchen, überschlägt die Schlagzeilen der Zeitungen, hält sich aber abseits von den anderen Stammgästen. Hin und wieder geht er in den Boxclub seines alten Kameraden, der ihm diesen Job mit Wohnung besorgte und einmal im Monat macht er sich fein, parfümiert sich für eine bestimmte Prostituierte. Sein einziges Laster wird ihm zum Verhängnis: Pferdewetten. Denn »La main rouge« hat ihn auf dem Schirm, sie benötigen seine Hilfe.

Für jeden Hunderter einen Finger‹, hörte er den Kleinen sagen.‹Und einen für den Tritt in die Eier‹, ergänzte der Große.›Bleiben nur noch zwei‹, rechnete der Kleine.›Damit kann er auch noch wetten, denke ich, oder? Zwei Finger reichen, um die Scheine zu halten.‹Der Kleine lachte und sagte: ›Wenn sie an einer Hand sind.

Der Roman beginnt in Ruhe, befasst sich mit dem Protagonisten Arnolt Streich – wenn da nicht der Citroën wäre, diese Männer, die ihn ziemlich offen beobachten – ein einsamer Kerl, der grausames erlebte, im Krieg, bei den Fremdenlegionären danach. Er will seine Ruhe haben, ihm steht der Sinn nicht nach Gesellschaft. In seinem Job hat er nicht viel zu tun. Niemand interessiert sich für das Garagengelände: Mal ein wenig fegen, oder die Kinder verscheuchen, die sich hier herumtreiben, Kontrollgänge. Bis dann eines Tages die Leute der »La main rouge« vor ihm stehen. Er soll herausfinden, in welcher Garage ein bestimmtes Auto steht. Mit diesen Typen hat er nichts am Hut. Doch andererseits – Streich steht unter Druck, die Geldeintreiber haben ihm eine letzte Frist gesetzt, und hier wird ihm eine Menge Geld geboten und noch etwas – aber er hat mit denen nichts am Hut.

Rote Hand – das klingt in der Tat nach einem schlechten Kriminalroman. Doch diese Organisation gab es tatsächlich. Sie war eine »von der Auslandsabteilung des französischen Geheimdienstes Direction Générale de la Sécurité Extérieure (DGSE) in den 1950er Jahren betriebene Terrororganisation, die das Ziel verfolgte, Unterstützer der algerischen Unabhängigkeitsbestrebung und führende Mitglieder der Front de Libération Nationale (FLN) in der Zeit des Algerienkrieges zu liquidieren.

Ein spannendes Setting, wirklich gut geschrieben. Frankfurt Bornheim und das Bahnhofsviertel 1959. Später gibt es Ausflüge in die Stadt, in einen Jazzclub, in dem Inge Brandenburg singt – auch die gab es wirklich. Mit der Straßenbahn unterwegs zur Pferderennbahn. Die wirtschaftlichen Verhältnisse werden aufgezeigt, Reichtum auf der einen Seite, Wirtschaft, Kapital, und auf der anderen Seite die Verlierer, Vertriebene, Kriegsversehrte, Witwen, die ihre Kinder durchbringen mussten. Frankfurter Flair und ein Ausflug in die Geschichte, denn die »La main rouge« gab es wirklich, und die historischen Ereignisse um den fiktiven Protagonisten hat es real gegeben. Im Nachwort gibt es dazu noch interessante erläuternde Worte. Waffengeschäfte, ein mieses Geschäft, heute wie damals. Jürgen Heimbach hat nicht nur gut recherchiert, er hat auch einen sehr spannenden Noir-Thriller hingelegt, der athmosphärisch dicht geschrieben, den Leser nicht loslässt. Stück für Stück verdichten sich die Ereignisse, Fäden werden zusammengeführt, gemischt mit Frankfurter Flair der Nachkriegszeit. Ein Thriller erster Sahne, Noir, historisch, superspannend!

*Die Wasserhäuschen gehören zum Frankfurter Stadtbild. Früher war das Trinken von nicht abgekochten Leitungswasser hygienisch bedenklich. Mitte des 19. Jahrhunderts konnte man erstmals Mineralwasser unter Beibehaltung des Gasdrucks in Flaschen abfüllen. Die Wasserhäuschen, für die man eine Genehmigung benötigte, sollten mit dem Verkauf der Wasserflaschen dazu beitragen, dass die Bevölkerung, insbesondere die Arbeiter, weniger Bier und Schnaps verzehrten, Getränke, die man damals aus Gesundheitsgründen dem Wasser vorzog.  Die Bevölkerung bezeichnete das neuartige Mineralwasser als »Bitzelwasser«. Die Wasserhäuschen waren nicht an die offiziellen Ladenschlusszeiten gebunden, verkauften Kioskartikel und wurden zu Treffpunkten in den Quartieren – zeitweise gab es bis zu 800 Trinkhallen in Frankfurt, heute existieren noch ca. 300 Wasserhäuschen.

Jürgen Heimbach, geb. 1961 in Koblenz, lebt mit seiner Familie in Mainz. Nach einer kaufmännischen Ausbildung studierte er Germanistik und Philosophie, betrieb in Mainz ein Off-Theater, organisierte Festivals und Ausstellungen. Heute arbeitet Heimbach als Redakteur für 3sat und schreibt Romane


Die Rote Hand 
Jürgen Heimbach
historischer Noir-Thriller
weissbooks Verlag, 330 Seiten

Kommentare

Beliebte Posts aus diesem Blog

Rezension - Das Nest von Sophie Morton-Thomas

  Ein Küstenort in Großbritannien, wo das Marschland auf den Ozean trifft, wo Vögel die bessere Gesellschaft sind, lebt Fran eine ereignislose Routine. Sich um den Campingplatz kümmern, der mit Mobilheimen ausgestattet ist, ihren Sohn von der Schule abholen, Abendessen kochen. Mit Dom, ihrem Mann, läuft es nicht mehr so, ihre Schwester lebt mit ihrer Familie in einem Wagen, zahlt keine Miete, dem Schwager hatte sie den Entzug finanziert und jetzt trinkt er wieder, hat keine Arbeit. Freude findet Fran nur an den verschiedenen Vogelarten, die sie am Strand beobachten kann; sie hat auch ein Häuschen zur Beobachtung finanziert. Und nun entdeckt sie ein Nest mit einer seltenen Vogelart, hofft, dass die Jungen ausschlüpfen werden. Und verschwindet die Lehrerin … Ein leiser Thriller. Weiter zur Rezension:    Das Nest von Sophie Morton-Thomashttps

Rezension - Sex in echt von Nadine Beck, Rosa Schilling und Sandra Bayer

  Offene Antworten auf deine Fragen zu Liebe, Lust und Pubertät Ein Aufklärungsbuch, das locker Fragen beantwortet und kurze Erfahrungsberichte von jungen Menschen einstreut, das alles mit knalligen Illustrationen unterlegt. Du bist, wie du bist, und du bist, wie du bist okay. Das Jugendbuch erklärt, stellt Fragen. Die Lust im Kopf, genießen mit allen Sinnen; was verändert sich am Körper in der Pubertät?, die Vagina, die Monatsblutung, der Penis, Solosex, LGBTQIA, verliebt sein, wo beginnt Sex?, Einvernehmlichkeit, wie geht Sex?, Verhütung, Krankheiten, Sextoys – das Buch spart nichts aus. Informieren, anstatt tabuisieren! Locker und sensibel werden alle Themenfelder sachlich vorgestellt. Prima Antwort auf offene Fragen; ab 11 Jahren. Empfehlung! Weiter zur Rezension:   Sex in echt von Nadine Beck, Rosa Schilling und Sandra Bayer

Rezension - Motte und die Metallfischer von Sanne Rooseboom und Sophie Pluim

  Der Sommer, in dem Motte ein U-Boot fand, fing ziemlich normal an. Langweilig sogar. Doch auf einmal liegt das Schicksal der ganzen Stadt in ihren Händen. Es sind Ferien, aber Mottes Mutter muss arbeiten, einen Urlaub könnten sie sich nicht leisten. Sie ist als Personalcoach unterwegs: Mode, Schminke, Sport, Gesundheit, Ernährung. Und genau das interessiert Motte so gar nicht. Am Kai zeigt ihr Lukas das Metallfischen – ein perfektes Hobby für Motte, die neben schwarzer Kleidung das Unperfekte an Dingen liebt. Sie kauft sich einen Magneten zum Metallangeln. Vielleicht kann man sich etwas verdienen, wenn man Altmetall zur Altmetallhändlerin bringt; sie sammelt ihre ersten Schätze, die die Mutter eklig findet. Plötzlich hängt etwas ganz Großes an der Angel! Spannender Kinderroman ab 9/10 Jahren. Empfehlung! Weiter zur Rezension:   Motte und die Metallfischer von Sanne Rooseboom und Sophie Pluim

Rezension - Lázár von Nelio Biedermann

  «Ein wirklich großer Schriftsteller betritt die Bühne, im Vollbesitz seiner Fähigkeiten.», so wird von ihm geschrieben. Nelio Biedermann schreibt mit 20 Jahren sein erstes Buch und das Manuskript geht in die Versteigerung – die Verlage überbieten sich, es wird in 20 Sprachen verkauft, man redet über ein sechsstelliges Vorschusshonorar – über den neuen Thomas Mann . Uff. Ich war gespannt. Mich konnte der Familienroman nicht überzeugen – leider. Weiter zur Rezension:    Lázár von Nelio Biedermann

Rezension - Dunkle Sühne von Karin Slaughter

  Gesprochen von NinaPetri  Ungekürztes Hörbuch, Spieldauer: 19 Stunden und 55 Minuten  Willkommen in North Falls - einer kleinen Stadt, in der jeder jeden kennt. Das glauben zumindest alle. Bis zum großen Feuerwerk am 4. Juli . Als in dieser Nacht zwei Teenager-Mädchen verschwinden, ist die Stadt in Aufruhr. Für Deputy Emmy Clifton wird der Fall zur Bewährungsprobe – beruflich und persönlich, ihr Vater ist der Sheriff der Kleinstadt. Eines der vermissten Mädchen ist die Tochter ihrer besten Freundin, und Emmy weiß, dass sie sie nach Hause bringen muss, um eine alte Schuld zu begleichen. Doch je tiefer Emmy in die Ermittlungen eintaucht, desto stärker wird ihr bewusst, dass hinter den vertrauten Gesichtern der Kleinstadt dunkle Abgründe lauern. Ein klasse Auftakt für eine Serie,  Copkrimi , Whodunnit , ein düsterer, stimmungsvoller literarischer Krimi aus den ländlichen Südstaaten, gut aufgebaute Charaktere, toxische Männlichkeit , Spannung, Familiendramen, Wendun...

Interview mit Christina Clemm von Sabine Ibing

  © Sibylle Baier, Antje Kunstmann Verlag Christina Clemm arbeitet als Strafverteidigerin und als Nebenklagevertreterin von Opfern sexualisierter und rassistisch motivierter Gewalt. Deutschlands bekannteste Fachanwältin für Straf- und Familienrecht in Berlin und war Mitglied der Expertenkommission zur Reform des Sexualstrafrechts des BMJV, Aktivistin und politisch aktiv für Geflüchtete und von Gewalt Betroffene. Nach den neuesten Zahlen des BKA ist jede dritte Frau in Deutschland von physischer und/oder sexualisierter Gewalt betroffen. In ihrem Buch «AktenEinsicht – Geschichten von Frauen und Gewalt» nimmt sie uns mit auf eine Reise in die Gerichtssäle der Republik, an die Tatorte, in die Tatgeschehen. Mit  «Gegen Frauenhass» zeigt sie die Mechanismen patriarchaler Gewalt und fordert, dass sich endlich etwas ändert. Hier mein Interview mit Christina Clemm. Weiter:   Interview mit Christina Clemm von Sabine Ibing

Was ist eigentlich Kriminalliteratur? - Ein Abend mit Else Laudan in der Wyborada

Am 08.11.2019 war ich zu einer Mischung aus Lesung und Definition des Begriffs Kriminalliteratur in St. Gallen in der Wyborada zu Gast, im Literaturhaus & Bibliothek in St. Gallen in der Frauenbibliothek und Fonothek Wyborada. Else Laudan sprach zum Thema Kriminalliteratur, erzählte ihren Weg mit ihrem freien Verlag Ariadne, ein Verlag, der ausschließlich literarische Kriminalliteratur von Frauen veröffentlicht. Weiter zum Artikel:    Was ist eigentlich Kriminalliteratur? - Ein Abend mit Else Laudan in der Wyborada 

Rezension - Was danach kommt von Anika Suck

  Karmen passt einen Moment beim Autofahren nicht auf und verursacht einen Verkehrsunfall mit tragischem Ausgang – ein Kind ist tot. Es sind nur ein paar Sekunden, die Karmens Leben in seinen Grundfesten erschüttern. Denn im darauffolgenden Prozess muss sie sich einer Schuld stellen. Von der Presse Kindsmörderin getauft und von der Empörungsgesellschaft vorverurteilt, wird sie auch von ihrem sozialen Netz fallen gelassen. Am Ende muss Karmen selbst entscheiden, ob sie schuldig ist oder nicht. Mich konnte das Buch nicht überzeugen, da für mich die Darstellung der Geschichte absoluter Gerichts-Nonsens ist. Weiter zur Rezension:    Was danach kommt von Anika Suck  

Rezension - Flusslinien von Katharina Hagena

  Gesprochen von Ruth Reinecke, Chantal Busse, Julia Nachtmann, Jesse Grimm Ungekürztes Hörbuch, Spieldauer 11 Std. und 15 Min. Margrit Raven ist hundertzwei und wartet auf den Tod. Früher war sie Stimmbildnerin , jetzt lebt sie in einer Seniorenresidenz an der Elbe . Die Erinnerungen und Ausflüge in einen Park halten Margrit am Leben - und die Besuche ihrer zornigen Enkelin Luzie, die sich kurz vor dem Abitur von der Schule abgemeldet hat. Sie übernachtet nun allein in einer Hütte für Sportler an der Elbe, will Tätowiererin werden. Und dann ist da noch Arthur. Wenn er gerade niemanden zur Dialyse fährt, sucht er mit einer Metallsonde den Strand der Elbe ab, erfindet Sprachen, kämpft für gefährdete Arten und ringt mit einer Schuld. Zu viel hier und da gefischt, irgendwie zusammengekocht, ein Einheitsbrei, bei dem mir die Tiefe zu einem Thema fehlte. Sprachlich gut, das haut es raus – aber alles zu weit ausgewalzt. Weiter zur Rezension:    Flusslinien von Katharina Hag...

Rezension - A GOOD GIRL’S GUIDE TO MURDER von Holly Jackson

Ein überraschend guter Jugendkrimi ab 14 Jahren! Für ein Schulprojekt will Pippa, genannt Pip, den Vermisstenfall «Andie Bell» rekonstruieren, wobei sie die Bedeutung der Printmedien und Social Media untersuchen will. Andie Bell war fünf Jahre zuvor in einer Nacht verschwunden. Ihr Freund Sal Singh wurde verdächtigt, denn es gabt einige Spuren, die zu ihm führten, die Medien fuhren sich auf ihn ein. Sal Singh hatt kurz darauf Suizid begonnen, sich an einem Baum aufgehängt. Für den gesamten kleinen Ort und für die Polizei war die Sache klar: Andie ist ermordet worden, Sal bringt sich um und gesteht somit den Mord. Pip will genau wissen, was damals geschah. Weiter zur Rezension:  A GOOD GIRL’S GUIDE TO MURDER von Holly Jackson