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Der Ursula-Effekt Mercedes Rosende - Rezension

Rezension 

von Sabine Ibing



Der Ursula-Effekt 


von Mercedes Rosende

Die Montevideo-Romane (3)


Der Anfang: 


Ursula zögert nicht, sie versetzt Luz einen Stoß, und beide dringen in den Tunnel ein, dessen Schlund sich hinter ihnen schließt. Zurück bleiben die hellerleuchteten Läden, die bunten Kleider, die Fernseher – die Welt der Menschen.


Ursula López hat mit einem Raubüberfall auf einen Geldtransporter eine gewaltige Menge Geld erbeutet. Sie hat nach dem Raub die Räuber überfallen. Ricardo hat sie mit der Pistole niedergestreckt, der  wollte nämlich seinen Komplizen Germán erschießen; ist mit Letzterem und dem Geld getürmt. Der angeblich feine Anwalt Antinucci ist der Kopf der Gangster, der persönlich den Transporter in die Luft gejagt hat, ein Blutbad hinterließ, weiß nicht, wer diese Frau ist. Ricardo weiß, wer Ursula ist, doch der liegt im Krankenhaus im Coma – fragt sich nur, wann er erwachen wird. Ursula und Germán kennen sich nicht, aber sie müssen sich nun vertrauen. Das Geld landet im Wagen von Ursula, sie schickt Germán damit fort, er soll sich verstecken, sich später bei ihr melden. Anwalt Antinucci, der mit dem Polizeichef gemeinsame Sache macht, wird hinter den beiden her sein, ebenso die ganze Polizei von Montevideo. Doch niemand weiß, wer diese Frau ist. 


Ursula hat es faustdick hinter den Ohren


Ich bin die Frau, die auf einen Anruf wartet, der nicht erfolgt, auf die immer wieder aufgeschobene Veränderung in ihrem Leben, auf ein neues Aussehen, die Frau, die endlich den fetten Schutzpanzer abstreifen und eine andere werden möchte.


Ursula: Eine harmlose, übergewichtige Übersetzerin, die zu Hause arbeitet, lebt im Haus ihrer verstorbenen Eltern, geht einmal in der Woche zu den Weight-Watchern, ansonsten verlässt sie selten das Haus. Eine unauffällige, eher ängstliche Bürgerin im mittleren Alter, auffällig ist lediglich ihre rosafarbene Handtasche. Eine Frau, der noch immer der Vater im Nacken sitzt, das Gespenst, das sie nicht los wird. Ihre Schwester Luz meint, sie hätte es faustdick hinter den Ohren, traut ihr nicht. Papa und die fiese Tante waren zwar auf natürliche Weise gestorben – doch so sicher ist sie sich nicht – schickt eine Privatdetektivin los, Ursula zu observieren ... Ursula ist nicht die typische Heldin; schon gar nicht typisch für eine Verbrecherin. Die Frau, der man nichts zutraut, schon optisch nicht. Sie ist unauffällig. Genau daraus zieht die intelligente Ursula ihren Nutzen. In Stresssituationen ist sie fokussiert, eiskalt und berechnend. Sinkt das Adrenalin, klappt sie auch schon mal zusammen – was sie so menschlich macht. Sie überlegt genau, was zu tun ist. Schmauchspuren – wie kann man die loswerden? Und Ursula hat eine besonders gute Nase, Gerüche brennen sich bei ihr ein. Wird sie observiert, so registriert sie das. Geht stoisch ihren Weg – so jedenfalls glauben das ihre Beobachter, lassen sich von ihr an der Nase herumführen.


Ein literarischer Krimi, ein Gangsterkrimi, der einfach Spaß macht!


Es könnte sich tatsächlich um einen Schutthaufen handeln, wäre da nicht der Herrenhalbschuh, der, wie man nun feststellt, alt und abgewetzt ist. Sie schnuppert und kommt zu dem Ergebnis: Alkohol, Eintopf, Elend. Und Traurigkeit.


Ein komplizierter, wendungsreicher Plot, sehr pfiffig herausgearbeitet mit feiner mit Situationskomik. Interessant ist die literarische Konstruktion: Der Roman beginnt kurz mit einem vorgegriffenen Ereignis, einem direkten Foreshadowing. Ein auktorialer Erzähler berichtet uns aus einer Helikopterperspektive, zoomt herein als anwesender Beobachter szenisch, wechselt in faktische Berichterstattung und gleitet ins Personale, dann lässt er Ursula direkt erzählen, den Leser ansprechen. Literarisch ein Leckerbissen in der Tonalität. Die Erzähltechnik gleicht fast einem Drehbuch. Historisch wird der spektakuläre Gefängnisausbruch von in Montevideo eingeflochten, bei dem 111 Tupamaros im Jahre 1971 einen Tunnel gruben, um aus dem Punta-Carreras-Gefängnis mitten in der Hauptstadt Uruguays zu entfliehen. Ein literarischer Krimi, ein Gangsterkrimi, der einfach Spaß macht!


Mercedes Rosende (*1958 in Montevideo, Uruguay) studierte Recht und Integrationspolitik. Neben ihrer schriftstellerischen Arbeit ist sie als Anwältin und Journalistin aktiv. Für ihre Romane und Erzählungen wurde sie mehrfach ausgezeichnet. 2005 erhielt sie den Premio Municipal de Narrativa für Demasiados Blues, 2008 den uruguayischen Nationalliteraturpreis für La Muerte Tendrá tus Ojos und 2014 den Código Negro für Falsche Ursula. 2019 wurde sie für ihren Roman Krokodilstränen mit dem LiBeraturpreis ausgezeichnet. Sie lebt in Montevideo.



Mercedes Rosende 
Der Ursula-Effekt
Die Montevideo-Romane (3)
Originaltitel: Qué ganas de no verte nunca más
Aus dem Spanischen von Peter Kultzen
Kriminalliteratur, Kriminalroman, Ganster-Krimi, Literarischer Krimi, Uruguayische Literatur, 
Klappenbroschur, 288 Seiten
Unionsverlag, 2021




Krimis und Thriller

Ich liebe Krimis und Thriller. Natürlich. Spannend, realistisch, gesellschaftskritisch oder literarisch, einfach gut … so stelle ich mir einen Krimi vor. Was ihr nicht oder nur geringfügig bei mir findet: einfach gestrickte Krimis und blutrünstige Augenpuler.
Krinis und Thriller



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