Direkt zum Hauptbereich

Der Mond und die Feuer von Cesare Pavese - Rezension

Rezension

von Sabine Ibing



Der Mond und die Feuer 


von Cesare Pavese


Der Anfang: Es hatte einen Grund, dass ich in dieses Dorf zurückgekehrt bin, hierher und nicht nach Canelli, nach Barbaresco oder Alba. Hier bin ich geboren; das ist fast sicher; wo ich geboren bin, weiß ich nicht; es gibt in diese Gegend weder ein Haus noch ein Stück Land oder Gebeine, von denen ich sagen könnte ›Das war ich, bevor ich geboren wurde.‹

Cesare Pavese, der bekannte piemontesische Romancier ist nun in einer zeitgemäßen Neuübersetzung wieder aufgelegt worden. Der Icherzähler, Anguilla (Sein Spitzname – Aal), ein Findelkind, aufgewachsen auf einem Bauernhof  im Dorf Gaminella, in den Hügeln des Langhe, war als junger Mann Anfang der 1940-er in die USA ausgewandert und kehrt nach zwanzig Jahren in sein Dorf zurück. Wer sind seine Eltern? Er weiß es nicht, und die Zieheltern gingen auch nicht zärtlich mit ihm um, sie benötigten das Kostgeld, dass sie von der Fürsorge für den Jungen erhielten und gleichzeitig beuteten sie ihn als gratis-Arbeitskraft aus. Ein Mann ohne Wurzeln, der sich an keinem Ort heimisch fühlt. Die Menschen, die ihn damals geschunden haben, leben nicht mehr, die Kinder von ihnen, mit denen er aufwuchs, sind verschwunden. Anguilla macht sich auf die Suche nach Erinnerungen.

Ein Rückkehrer sucht nach seinen Wurzeln

In Gaminella war ich nichts, auf der Mora lernte ich ein Handwerk. Hier erwähnte niemand mehr die fünf Lire von der Gemeinde.

Den Menschen kann sich der Erzähler entziehen, aber nicht der Landschaft, den Hügeln des Piemonts, er zieht immer wieder den Vergleich mit Amerika, unendlich erscheinenden Flächen gegen sanfte Hügel. Die Haselnusssträucher seiner Kindheit sind verschwunden, immer mehr Wein wird angebaut, wohlschmeckender Barolo. Auf der Suche nach seiner Kindheit trifft Anguilla auf seinen alten Freund Nuto, der einst mit seiner Klarinette jedes Fest bereicherte. Auch er musste wählen – die Tischlerei war ihm sicherer als ein Musikerleben. Von Nuto erfährt der Erzähler einiges über die Ereignisse der Zeit des Faschismus und des Widerstandes, der Zeit nach dem Duce. Eine Zeit des gegenseitigen Mordens. Eine Spaltung der Gesellschaft, in der der Bruder zum Feind mutiert. Hier wird viel mit Andeutungen gearbeitet, nichts völlig ausgesprochen, das Thema steht nur am Rand, aber es wird immer wieder eingeflochten, und man erfährt auch, warum der Erzähler nach Amerika flüchtete. Für die Landbevölkerung an sich hat sich seit der Zeit nicht viel verändert, man plagt sich ab für eine Handvoll Lire, alleingelassen vom Staat.

Was bleibt ist das Land, die Erde, der Geruch

Ein gut gepflegter Weinberg ist wie ein lebendiger, gesunder Körper, der atmet und schwitzt. Und wieder dachte ich, als ich mich umsah, an jene Büschel von Bäumen und Röhricht, jene Wäldchen, jene Hänge – all die Namen von Dörfern und Orten rundherum –, die nutzlos sind und keine Ernte geben und doch haben auch sie ihr Schönes – jedem Weinberg seine Wildnis –, es macht Freude, das Auge darauf ruhen zu lassen und zu wissen, wo die Nester sind.

Warum ist er hier, fragt sich der Icherzähler immer wieder. Das Land zieht ihn an, der Kreislauf der Jahreszeiten, Erntezeiten und Mythen, die damit verbunden sind. Das Johannisfeuer, das man am Ackerrain anzündet, der Mondzyklus, der Mensch, der Mond, das Wachstum, eingebunden in die Jahreszeiten. Am Ende der Erzählung wird auch der letzte Fixpunkt verschwunden sein, den Anguilla wiedergefunden hatte. Zurück bleibt Natur. Eine melancholische Erzählung der Nachkriegszeit, die vielleicht in der Zerrissenheit des Autors den Zustand von Cesare Pavese widerspiegelt, der im Jahr des Erscheinens Suizid verübt. Schön zu lesen, eine Erzählung im lyrischen Schwung, an der Oberfläche sanft schaukelnd, nach unten tiefe Haken gehängt, an denen man festhängt, nachdenkt, bevor man sich weiterschaukeln lässt.

Wenn ich das Klavier hörte, betrachtete ich zuweilen meine Hände und begriff, dass zwischen mir und den Herrschaften, zwischen mir und den Frauen ein ziemlicher Abstand lag. Noch heute, obwohl ich seit beinahe zwanzig Jahren keine Schwerarbeit mehr mache und meinen Namen flüssig schreibe, wie ich es nie geglaubt hätte, begreife ich, wenn ich meine Hände ansehe, dass ich kein Herr bin und dass alle merken können, dass ich mit der Hacke angefangen habe. Doch habe ich gelernt, dass selbst die Frauen gar nicht darauf achten.

Cesare Pavese, 1908 geboren, wuchs in Santo Stefano Belbo, Piemont und in Turin auf. Als er sechs Jahre alt war, starb sein Vater. Nach dem Philologiestudium übersetzte er englische und amerikanische Literatur ins Italienische, wie z.B. Moby Dick von Herman Melville, Werke von John Dos Passos, William Faulkner, Sherwood Anderson, Sinclair Lewis, Daniel Defoe, James Joyce und Charles Dickens. Seit 1930 schrieb Pavese Beiträge über amerikanische Literatur für die Zeitschrift La Cultura und übernahm 1934  dort die Stelle von Ginzburg in der Redaktion, da er verhaftet worden war, wie auch andere Mitglieder der antifaschistischen Gruppe Giustizia e Libertà. 1935 wurde Cesare Pavese wegen seiner antifaschistischen Haltung verhaftet und für acht Monate nach Brancaleone in Kalabrien verbannt. Er war der Freund und erste Lektor von Italo Calvino. 1938 arbeitete Pavese für das Verlagshaus Einaudi in Turin und übernahm 1943 die Leitung des Büros in Rom. Pavese gilt als bedeutsamer Vertreter des Neorealismo. Zu seinen bekanntesten Büchern zählen neben »Der Mond und die Feuer« (1950) »Die einsamen Frauen« (1949) und sein Tagebuch »Das Handwerk des Lebens« (1952). Pavese gewann 1950 den Literaturpreis Premio Strega für »Der schöne Sommer« (La bella estate). Im August desselben Jahres, auf dem Höhepunkt seines literarischen Erfolgs, nahm er sich in einem Turiner Hotelzimmer das Leben.

Kommentare

Beliebte Posts aus diesem Blog

Was ist eigentlich Kriminalliteratur? - Ein Abend mit Else Laudan in der Wyborada

Am 08.11.2019 war ich zu einer Mischung aus Lesung und Definition des Begriffs Kriminalliteratur in St. Gallen in der Wyborada zu Gast, im Literaturhaus & Bibliothek in St. Gallen in der Frauenbibliothek und Fonothek Wyborada. Else Laudan sprach zum Thema Kriminalliteratur, erzählte ihren Weg mit ihrem freien Verlag Ariadne, ein Verlag, der ausschließlich literarische Kriminalliteratur von Frauen veröffentlicht. Weiter zum Artikel:    Was ist eigentlich Kriminalliteratur? - Ein Abend mit Else Laudan in der Wyborada 

Rezension - Italien: Food. People. Stories von Haya Molcho & Söhne

  Haya Molcho begibt sich mit ihren Söhnen auf eine italienische Reise von Triest bis nach Sizilien, wobei sie lokale Produzent:innen und Köch:innen besuchen, die über die unterschiedlichsten Facetten der italienischen Kochkunst erzählen und uns ihre liebsten Rezepte verraten. Im zweiten Teil der kulinarischen Reise gibt es italenische Rezepte der Familie, typisch Neni. Levantinische Küche trifft auf italienische Originalrezepte; dabei auch traditionelle italienische Gerichte im Original. Reiseliteratur, Kulinarisches mit vielen Rezepten, Italienische Küche, Levante-Küche – Empfehlung. Weiter zur Rezension:   Italien: Food. People. Stories von Haya Molcho & Söhne

Rezension - Dunkle Momente von Elisa Hoven

  Spieldauer: 9 Stunden und 11 Minuten gesprochen von Nina Kunzendorf Eva Herbergen ist Strafverteidigerin mit ganzer Seele. Ihre Aufgabe ist es, Menschen vor Strafe zu bewahren; egal, was sie getan haben. Als Strafverteidiger muss man sich an das Recht halten; man darf seinen Klienten keine Tipps geben, wie sie ihre Tat vertuschen könnten oder sie zu Falschaussagen auffordern. Womit kann ein Strafverteidiger am besten leben, fragte ich mal einen Freund, der diesen Job macht. Keinem Klienten glauben, sagte er. Sie lügen dich alle an. Alle. Und die, die nicht lügen, verschweigen eben die Hälfte; und das ist genauso schlimm. Ich glaube, er hat recht. Denn Eva Herbergergeht dem ein oder anderen auf den Leim. Und sie beschreibt ihre Dämonen, die Fälle, die sie gern im tiefsten Keller verstecken möchte. Neun Fälle, Strafverteidigung, Strafrecht, Recht, Gesetz – ein sehr guter Roman. Weiter zur Rezension:    Dunkle Momente von Elisa Hoven 

Rezension - #Erstkontakt von Bruno Duhamel

  Doug, ein ehemaliger Fotograf lebt von der Öffentlichkeit zurückgezogen in den schottischen Highlands. Niemand liked seine Fotos, er ist frustriert, darum hat er seit 17 Monaten nichts veröffentlicht. Doch dann fotografiert er durch Zufall am See vor seiner Haustür ein seltsames Wesen – und teilt den Schnappschuss im sozialen Netzwerk «Twister». Danach geht er duschen, kommt zurück, kann es nicht fassen: «150.237 Personen haben auf ihren Post reagiert; 348.069 mal geteilt». Sofort bereut er seinen Post. Er ahnt, was nun geschehen wird, er hat Büchse die Pandora geöffnet … Ein herrlicher Comic, Graphic Novel, fast ein Cartoon, nimmt mit schwarzem Humor Social Media und Aktivist:innen diverser Gruppen auf die Schippe. Weiter zur Rezension:    #Erstkontakt von Bruno Duhamel

Rezension - Mäc Mief und die stinkbesonderen Unterhosen von Carola Becker, Ina Krabbe

  Wer hat die Superschaf-Unterhose geklaut? Finn ist sauer! Jemand hat seine stinkbesonderen Unterhosen von der Leine gestohlen. Sein Freund Mäc Mief muss den Dieb aufspüren, denkt sich Finn. Das schottische Schaf Mäc Mief liebt nichts mehr, als auf seiner Weide zu stehen und in Ruhe saftiges Gras zu fressen. Aber für seinen Lieblingsmenschen Finn geht die Spürnase auf die Suche. Gemeinsam mit seiner Freundin, Hütehund Bonnie, versuchen sie a la Sherlock Holms und Watson der Unterhosenbande auf die Spur zu kommen.  Weiter zur Rezension:    Mäc Mief und die stinkbesonderen Unterhosen von Carola Becker, Ina Krabbe

Rezension - Die Schanze von Lars Menz

  Ein nächtliches Dorf, nur die beleuchtete Skischanze ragt empor. Mit einem elektrischen Viehtreiber wird ein Mann zur Schanze getrieben. Am höchsten Punkt stößt ihn sein Peiniger hinab – ein Seil um den Hals. Es beginnt relativ spannend, allerdings ausufernd grausam. Nach der Eingangsszene werden einige Personen vorgestellt, ihre Beziehung untereinander, Erinnerungen an damals. Eigentlich ist nichts passiert, als man bei Seite 250 von 300 angelangt ist. Literarisch ein wenig ungelenk, spannungslos; es ermittelt auch niemand. Schnell glaubt man zu wissen, wer der Mörder ist – und am Ende ist es wirklich genau diese Person. Zu offensichtlich gleich am Anfang ein Hinweis. Der Grund ist nicht erarbeitet, wirkt dann völlig deplatziert. Den Thriller kann sich sparen; zumal eine Message gibt es nicht. Weiter zur Rezension:    Die Schanze von Lars Menz

Rezension - Zipfelmaus und die grandiose Gartenschule von Uwe Becker und Ina Krabbe

  Im Schrebergarten von Frau Bienenstich herrscht helle Aufregung: Maulwurf schlägt vor, dass alle zur Schule gehen sollen, um lesen und schreiben zu lernen. Zipfelmaus wohnt in Frau Bienenstichs Garten in einem Puppenhaus, das im Gartenhäuschen steht. Die Zipfelmaus sitzt sie in ihrem Schaukelstuhl, futtert Haferflocken und Rosinen und lässt sich die Sonne auf das Fell scheinen. Nun will sie den Tieren das Lesen und Schreiben beibringen. Zum Vorlesen ab 6 Jahren, zum selbstlesen ab 2. Klasse. Weiter zur Rezension:    Zipfelmaus und die grandiose Gartenschule von Uwe Becker und Ina Krabbe

Rezension - Mut tut gut von Ulrike Marten-Öchsner und Emma Öchsner

  Habe ich ein Bilderbuch in der Hand, fange ich sogleich an zu blättern, um die Illustrationen aufzusaugen. Der erste Eindruck – denn ein Bilderbuch lebt von seinen Bildern. Und dies hier, ist das Erste seit Jahren, das mich völlig enttäuscht hat. Aber von vorn. Die kleine Maus Anton besucht die Großeltern. Während sie gemeinsam auf der Terrasse sitzen, pustet der Wind die Waldzeitung vom Tisch. Anton springt auf, ist dabei, die Seiten wieder einzufangen, liefert den Zuschauern am Gartenzaun ein belustigendes Schauspiel. Bilderbuch ab 4 Jahren. Weiter zur Rezension:  Mut tut gut von Ulrike Marten-Öchsner und Emma Öchsner 

Rezension - Romina Casagrande Feuer auf den Bergen

  Mächtig sind die Berge, hart ist das Leben der Landwirte an der Grenze zwischen Italien und Österreich. Luce lebt in den späten Siebzigern mit ihrem Vater und Bruder versteckt im Wald. Nachts riskieren die Männer auf alten Schmugglerpfaden ihr Leben, doch die Welt verändert sich schnell. – Der Junge mit dem Wolfshund, der sich Hase nennt, der mit dem Auto verunfallte, will nicht zurück nach Hause. Er glaubt, er kann im Wald überleben; bloß nicht in ein Heim gesteckt werden. Zunächst klappt das Überleben in einer Höhle, doch im Winter wird es schwierig; er bricht in eine alte Hütte ein. Luces Familie gehört dieses Haus. Sie greifen greift ihn auf – und er darf bei ihnen bleiben. Guter Heimatroman zum Thema Freiheitskampf für Tirol. Weiter zur Rezension:    Feuer auf den Bergen von Romina Casagrande

Rezension - Unser Deutschlandmärchen von Dincer Gücyeter

  Eine türkische Familiengeschichte, die mit der Urgroßmutter und der Großmutter einleitend beginnt. Die nächste Generation wandert nach Deutschland aus – das gelobte Land, wo Milch und Honig fließt. Der Traum, den viele «Gastarbeiter» träumten: Arbeiten, viel Geld verdienen, nach Hause zurückkehren und ein Haus bauen. Und dann wurden aus den Gästen Einwohner. In Deutschland die Türken – in der Türkei die Deutschen – entwurzelt, nirgendwo wirklich zu Hause. Eine Familie, die sich bemüht hat, sich zu integrieren. Ein Zwiegespräch zwischen Sohn und Mutter – zwei völlig verschiedene Generationen, aber auch eine Abrechnung mit der deutschen Gesellschaft und eine mit dem Heimatland und dem Machismo, mit der Erniedrigung der Frauen. Ein hervorragender Gesellschaftsroman, ein Bildungsroman über Migration, Rassismus und Misogynie – meine Empfehlung! Weiter zur Rezension:     Unser Deutschlandmärchen von Dincer Gücyeter