Rezension
von Sabine Ibing
Der Fluss
von Peter Heller
Der Anfang: Seit zwei Tagen schon rochen sie den Rauch. Zunächst hielten sie es für ein Lagerfeuer und wundert sich, weil sie seit Tagen auf den Seen unterwegs waren und kein Flugzeug gehört und niemanden sonst bemerkt hatten, auch kein anderes Kanu in der Ferne. Die Spuren, die sie bei den Portagen entdeckt hatten, stammten von Wölfen, Elchen, Ottern oder Bären.
Berge, Bücher und das Angeln – drei der Dinge, die Wynn und Jack miteinander verbinden. Die beiden machen sich auf, den Maskwa River in Nordkanada mit dem Kanu zu befahren; sie freuen sich auf lange Tage geruhsamen Paddelns, dazu nächtliches Sterneschauen und Westernlesen. Ein nahender Waldbrand und eine vermisste Frau bringen ihren gesamten Plan durcheinander. Plötzlich stecken sie in diversen Schwierigkeiten.
Kleine Störungen in der Einsamkeit der Natur
Die Schneise, durch die der See abfloss, konnte er nicht erkennen, aber er hatte auf der Landkarte gesehen, wo sie war. Sie lag neben dem Buckel einer Eismoräne, einem zu Urzeiten zusammengewürfelten Felshaufen, der durch das Moos und die Bäume flacher wirkte. … ort entsprang also der Fluss, und anderthalb Meilen später setzten bereits die ersten großen Gefälle ein, eine stufige Stromschnelle, die letztes Jahr vier Kanuten das Leben gekostet hatte …
Der Roman beginnt gemächlich mit einem Naturschauspiel. Wynn und Jack, zwei erfahrene Outdoorsportler, seit Studienbeginn befreundet, wollen auf dem Maskwa River bis hin zur Hudson Bay paddeln. Ein einsames Gebiet im Norden von Kanada, von Flüssen und Seen durchzogen, in dem man tagelang unterwegs sein kann, ohne einer Menschenseele zu begegnen. Fischen, den Sternenhimmel ansehen, Western lesen – so ihr Ziel. Sie begegnen ein paar betrunkenen Typen und von Weitem nehmen sie ein Paar wahr, das sich lauthals streitet. Und dann sind sie wieder ganz allein. Doch es liegt ein Geruch in der Luft … Jack klettert auf einen hohen Baum. Sie hatten recht. Ein Waldbrand kommt auf sie zu. Sie müssen die anderen warnen, fahren zurück. Zunächst ist niemand in Sicht, doch dann treffen sie auf einen verwirrten, leicht verletzten Mann: Pierre. Er jammert, seine Frau sei verschwunden. Hatte ein Bär das Paar angefallen? Was ist geschehen? Wynn und Jack suchen nach der Frau.
Die Spannung steigt stetig
Es gibt keinen Ort, an dem ich jetzt lieber wäre, dachte er. Aber auch: Etwas stimmt nicht. Er spürte es in seinem Nacken, wo sich ihm die Härchen aufstellten wie zu Hause, wenn in den Never Summer Mountains ein Gewitter drohte; oder in Montana, wenn er einem Bären vor die Nase lief. Er hatte ihn schon immer gehabt, diesen sechsten Sinn – manche Menschen haben ihn einfach – , und er hatte ihm mehr als einmal den Arsch gerettet.
Ein Abenteuerroman, der langsam die Stimmung aufbaut. Gewaltige Natur, gewalttätige Menschen. Das Drama kündigt sich in kleinen Nuancen an, stört den Angelausflug in minimalen Dosen, schon der erste Satz weckt die Aufmerksamkeit des Lesers. Hervorragend beschreibt Peter Heller die Natur, ihre Geräusche und Gerüche, auch die Lästigkeit, z.B. Schwärme von Mücken, die sich auf der Haut niederlassen. Ruhe und Ausgeglichenheit macht sich breit. Bis zu dem Punkt, an dem die beiden Männer das Feuer als Gefahr wahrnehmen. Ab diesem Punkt greift die Spannung zu, die sich vorher nur untergründig anbahnt. Die Antagonisten sind vielfältig: die Natur selbst in allen Facetten und der Mensch.
Man ist nie vorbereitet - irgendetwas läuft nie nach Plan
Der Fluss war schon oft befahren worden und von daher gut beschrieben. Andererseits wurde er nicht jedes Jahr befahren, und in Pickle Lake hatte noch keiner gehört, dass es in diesem Sommer schon jemand gewagt hätte. Eine unvermeidliche Portage war vielleicht die größte Herausforderung, die es zu bewältigen galt, und natürlich die Stromschnellen.
Zwei junge Männer weit draußen in der Wildnis, erfahren – sie sind gut vorbereitet, bestens ausgerüstet, auf alle Wenn und Aber eingestellt. Sie haben sich unabhängig auf diversen Blogs über ihre Strecke informiert, ihr Infomaterial wasserdicht verpackt. Und doch kann man sich nie auf alles vorbereiten. Jack und Wynn, zwei Freunde, aber zwei völlig unterschiedliche Typen: Jack, der Antreiber, der Mahner, Wynn, der offene Typ, der nie etwas Böses vermutet. Sie müssen aufeinander vertrauen, ihren Instinkten vertrauen. Außenansichten, Innenansichten, steigende Spannung – und irgendwann legt man das Buch nicht mehr weg! Modern Wilde West, ein Thriller und dichte naturgewaltige Beschreibungen, absolute Empfehlung!
Instinktiv wusste er, dass Verteidigung nichts brachte, nicht so, wie sie es letzte Nacht versucht hatten. Sie mussten auf Angriff schalten.
Peter Heller ist 1959 in New York City geboren. Seine Romane und Sachbücher wurden mehrfach ausgezeichnet. Hellers Debütroman The Dog Stars war ein New York Times-Bestseller, Der Fluss – sein vierter Roman, gehörte zu den meist erwarteten Titeln des Frühjahrs in den USA und stürmte auf Anhieb diverse Charts. Heller lebt in Denver, Colorado.
Peter Heller
Der Fluss
Thriller, Wildnis-Abenteuerroman
Original: The River
Aus dem amerikanischen Englisch von Matthias Strobel
Nagel & Kimche, 2019
272 Seiten, Hardcover mit Schutzumschlag
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