Direkt zum Hauptbereich

Der Erlkönig von Jérôme Loubry - Rezension

Rezension

von Sabine Ibing



Der Erlkönig 


von Jérôme Loubry


Der Anfang: 

François Villemin öffnete die Tür zum Anatomischen Theater, das ihm die Universität Touer für seine Vorlesung zur Verfügung gestellt hatte, und bat die Studenten, Platz zu nehmen.

‹Ich heiße Sie herzlich willkommen.


Herzlich willkommen liebe Studierende! Der Erzähler ist gesetzt, wir schreiben das Jahr 2019 und gehen sogleich zurück ins Jahr 1949, um bald ins Jahr 1986 zu wechseln, zu Sandrine. Was für ein Psychodrama! Ein Psychothriller, der einen Sog entwickelt, der zumindest mich ab der Mitte nicht mehr losließ! Alles beginnt, als die Journalistin Sandrine sich auf eine kleine Insel vor der Küste der Normandie begibt. Hier verstarb kürzlich ihre Großmutter, die sie nie kennengelernt hatte. Auf dieser Insel wohnen nur eine Hand voll Menschen, skurrile Typen, die das abgeschiedene Eiland bis zu ihrem Tod nicht verlassen werden – ein Versprechen. Eisig und düster empfängt die Insel  Sandrine im Regen,  eine unheimliche Aura umgibt die tote Siedlung. Was macht sie hier?, denkt sie sich. Gleich morgen wird sie verschwinden. Doch dann erfährt sie, das Boot fährt nur einmal wöchentlich. Und die Geschichte um das Kinderheim und über die ertrunkenen Kinder macht die Sache nicht besser ...


Wendungsreich und spannend

Am Midpoint kippt der Plot in eine ganz andere Richtung. Sandrine wird am Strand vom Festland durch einen Jogger aufgefunden; sie hat Blut an ihrer Kleidung, das nicht ihr selbst zugeordnet wird. Kommissar Damien Bouchard ermittelt. Was hat es mit der merkwürdigen Geschichte um den Erlkönig auf sich? Viel mehr wird nicht verraten. Die Geschichte ist wendungsreich, und am Ende hat François Villemin wieder das Wort, schließt seine Vorlesung mit einem einem Schluss, den der Leser so gar nicht erwartet hatte. Ein Einblick in die Tiefenpsychologie, psychische Erkrankungen, die aus einem Erlebnis von Gewalt und / oder Missbrauch herrühren. Das Errichten von Refugien in der eigenen Vorstellung, um Leid zu ertragen. «Les Refuges», wie der Titel des Romans im Original heißt. Spannungsgeladen führt die Handlung den Leser an der Nase herum. Was ist wahr und was ist erdacht? Bojen und Anker setzen, die Fiktion und Erlebnis im Sturm des Ertragbaren miteinander verbinden. Ein fein psychologisch ausgearbeiteter Plot, der hinter die Kulissen einer Art von Psychosen blicken lässt. Meine Empfehlung!


Jérôme Loubry, geboren 1976, lebt nach Stationen im Ausland heute in der Provence. Für Die Hunde von Detroit, sein Debüt, hat er 2018 den Prix Plume libre d’Argent gewonnen. Der Erlkönig wurde 2019 mit dem Prix Cognac du meilleur roman francophone, einem der renommiertesten Krimipreise Frankreichs, ausgezeichnet. Er gilt als der aufsteigende Stern am französischen Krimihimmel.


Jérôme Loubry 
Der Erlkönig
Originaltitel: Les Refuges
Aus dem Französischen übersetzt von Alexandra Baisch.
Thriller, Psychothriller, Kriminalliteratur, französische Literatur
Taschenbuch, 400 Seiten
Ullstein, 2021



Krimis und Thriller

Ich liebe Krimis und Thriller. Natürlich. Spannend, realistisch, gesellschaftskritisch oder literarisch, einfach gut … so stelle ich mir einen Krimi vor. Was ihr nicht oder nur geringfügig bei mir findet: einfach gestrickte Krimis und blutrünstige Augenpuler.
Krinis und Thriller



Kriminalliteratur: Krimis und Thriller - eigentlich ein kunterbuntes Genre

Auf dieser Seite kommen die Kriminalisten zu Wort – die Schreibenden. Was ist Kriminalliteratur? Kann man das in einem Satz beantworten. Nein. Denn diese Genres haben jede Menge Untergenres, die sich teilweise überschneiden oder letztendlich so gar nichts miteinander zu tun haben. Und wer nun neugierig ist, wie viele Untergenres es gibt, was sie ausmachen, wie vielfältig sie in Machart und literarischer Gestaltung sie sind, wie viel Arbeit in ihnen steckt, wissen möchte, was Autor*innen, Verleger*innen zu ihrem Genre zu sagen haben der sollte sich diese Seite ansehen. So verschieden, wie die Autor*innen sind, so verschieden sind ihre Texte. Es lohnt sich auf jeden Fall sie zu lesen, das kann ich garantieren! - Diese Folge hat gerade erste begonnen, Stück für Stück folgen weitere Beiträge:
Krimis und Thriller - eigentlich ein kunterbuntes Genre


Kommentare

Beliebte Posts aus diesem Blog

Was ist eigentlich Kriminalliteratur? - Ein Abend mit Else Laudan in der Wyborada

Am 08.11.2019 war ich zu einer Mischung aus Lesung und Definition des Begriffs Kriminalliteratur in St. Gallen in der Wyborada zu Gast, im Literaturhaus & Bibliothek in St. Gallen in der Frauenbibliothek und Fonothek Wyborada. Else Laudan sprach zum Thema Kriminalliteratur, erzählte ihren Weg mit ihrem freien Verlag Ariadne, ein Verlag, der ausschließlich literarische Kriminalliteratur von Frauen veröffentlicht. Weiter zum Artikel:    Was ist eigentlich Kriminalliteratur? - Ein Abend mit Else Laudan in der Wyborada 

Rezension - Drainting: Die Kunst, malen und zeichnen zu verbinden von Felix Scheinberger

  Als Drainting bezeichnet Felix Scheinberger die intuitive Kombination von Malen und Zeichnen. Damit hebt er die jahrhundertealte heute vollkommen unnötige Trennung zwischen Flächen malen und Linien zeichnen auf und verbindet das Beste aus beiden Welten. Früher machten wir einen Unterschied zwischen Zeichnen und Malen und damit fingen die Schwierigkeiten an. Wo es nämlich gar keine Umrisslinien gibt, gilt es, diese abstrakt zu (er)finden. Die intuitive Kombination aus Zeichnen (Drawing) und Malen (Painting) garantiert gute Ergebnisse und unendlichen Spaß! Eine gute Einführung erklärt das Knowhow und Grundsätzliches zum Malen und Zeichnen – gute Ideen, die man selbst umsetzen kann. Empfehlung! Weiter zur Rezension:    Die Kunst, malen und zeichnen zu verbinden von Felix Scheinberger 

Rezension - Sex in echt von Nadine Beck, Rosa Schilling und Sandra Bayer

  Offene Antworten auf deine Fragen zu Liebe, Lust und Pubertät Ein Aufklärungsbuch, das locker Fragen beantwortet und kurze Erfahrungsberichte von jungen Menschen einstreut, das alles mit knalligen Illustrationen unterlegt. Du bist, wie du bist, und du bist, wie du bist okay. Das Jugendbuch erklärt, stellt Fragen. Die Lust im Kopf, genießen mit allen Sinnen; was verändert sich am Körper in der Pubertät?, die Vagina, die Monatsblutung, der Penis, Solosex, LGBTQIA, verliebt sein, wo beginnt Sex?, Einvernehmlichkeit, wie geht Sex?, Verhütung, Krankheiten, Sextoys – das Buch spart nichts aus. Informieren, anstatt tabuisieren! Locker und sensibel werden alle Themenfelder sachlich vorgestellt. Prima Antwort auf offene Fragen; ab 11 Jahren. Empfehlung! Weiter zur Rezension:   Sex in echt von Nadine Beck, Rosa Schilling und Sandra Bayer

Rezension - Der Kaffeedieb von Tom Hillenbrand

  Gesprochen von Hans Jürgen Stockerl Ungekürztes Hörbuch, Spieldauer: 12 Std. und 7 Min. Wir schreiben das Jahr 1683. Der junge Engländer Obediah Chalon, Spekulant, Händler und Filou, hat sich in London gerade mit der Investition von Nelken verspekuliert und eine Menge Leute um ihr Geld gebracht, das mit gefälschten Wechseln. Conrad de Grebber, Direktoriumsmitglied der Vereinigten Ostindischen Compagnie bietet Obediah  die Möglichkeit, der Todesstrafe zu entgehen: Er wird auf eine geheime Reise geschickt, um etwas zu stehlen: Kaffeepflanzen. Spannender Abenteuerroman rund um den Kaffee. Empfehlung! Weiter zur Rezension:   Der Kaffeedieb von Tom Hillenbrand

Rezension - Lügen, die wir uns erzählen von Anne Freytag

  Helene hätte ihren Mann, Georg, verlassen können – damals – für Alex. Aber sie hat es nicht getan. Und jetzt hat ihr Mann sie verlassen – weil er sich in eine andere verliebt hat. ‹Es ist einfach passiert.›, sagt er, zieht bei Mariam ein. Aber vielleicht ist das Ende gar kein Ende? Vielleicht ist es ein Anfang für die Mittvierzigerin. Vielleicht ist sie gekränkt weil Georg einfach ging – eifersüchtig, eben auch, weil die Kinder diese junge Yogalehrerin mögen. Doch gleichzeitig ist sie jetzt frei – vielleicht für Alex, denn die beiden haben sich seit ihrer Studienzeit in Paris nie aus den Augen verloren. Eine verdammt gut geschriebene Familiengeschichte. Empfehlung!  Weiter zur Rezension:     Lügen, die wir uns erzählen von Anne Freytag

Rezension - So weit der Fluss uns trägt von Shelley Read

  Am Fuße der Elk Mountains in Colorados strömt der Gunnison River an einer alten Pfirsichfarm vorbei. Hier lebt in fünfter Generation in den 1940ern die 17-jährige Victoria mit ihrem Vater, dem Onkel und ihrem Bruder Seth. In der Stadt begegnet sie Wilson Moon, und beide fühlen sich sofort zueinander hingezogen. Dramatische Ereignisse zwingen Victoria, selbst das Leben in die Hand zu nehmen. Ein wenig schwülstig, doch gut lesbar, atmosphärisch, ein Familienroman, ein Coming-of-age – gute Unterhaltung … eine Hollywood-Geschichte. Die Pilcher-Fraktion wird begeistert sein!  Weiter zur Rezension:    So weit der Fluss uns trägt von Shelley Read

Rezension - Der Gott des Waldes von Liz Moore

Im August 1975 findet wie jedes Jahr ein Sommercamp in den Adirondack Mountains für Kinder und Jugendliche statt. Als Barbara eines Morgens nicht wie sonst in ihrer Koje liegt, beginnt eine großangelegte Suche nach der 13-Jährigen. Barbara ist keine gewöhnliche Teilnehmerin: Sie ist die Tochter der reichen Familie Van Laar, der das Camp und das umliegende Land in den Wäldern gehören. Viele Jahre zuvor verschwand hier der achtjährige Bear, ihr Bruder, der seit 14 Jahren vermisst wird. Hängen die Vermisstenfälle zusammen? Liz Moore zeigt mit ihrem literarischen Krimi ein Gesellschaftsbild, bei dem Frauen nichts zu sagen haben. Spannender Gesellschaftsroman, ein komplexer Kriminalroman. Empfehlung! Weiter zur Rezension:    Der Gott des Waldes von Liz Moore

Rezension - Detektivbüro LasseMaja – Das Weltraumgeheimnis von Martin Widmark und Helena Willis

  (Detektivbüro LasseMaja, Bd. 37)  Es gibt hochfliegende Pläne im Ort Valleby: Ein Astronaut macht mit seiner Raumkapsel in der Kleinstadt Station und will als Nächstes den Planeten Neptun ansteuern. Und laut tönt er, er suche Astronaut:innen, die ihn begleiten. Bewerber will er einem Astronauten-Test unterziehen, danach bestimmt er, wer mitfliegen darf! Natürlich benötigt er auch Spenden für sein Projekt. Die Detektiv:innen Lasse und Maja hören genau zu. Und bei dem, was der Mann so erzählt, kommt schnell der Verdacht, dass an der Geschichte etwas faul ist und der Typ ein Betrüger ist. Das teilen sie dem Dorfpolizisten mit – doch der hat gerade keine Zeit für sie. Ein Dieb geht um … Spannender, witziger Kinderkrimi ab 8 Jahren, Empfehlung!  Weiter zur Rezension:   Detektivbüro LasseMaja – Das Weltraumgeheimnis von Martin Widmark und Helena Willis 

Rezension - Lindis und der verschwundene Honigtopf von Viola Eigenbrodt

Bendix, der Häuptling des Keltendorfs Taigh, ist außer sich: Jemand hat seinen Honigtopf gestohlen! Lindis, der Ziehsohn der Dorfdruidin Kundra und dessen Freunde Finn und Veda wollen der Sache auf den Grund gehen. War der Dieb hinter der wertvollen Amphore her oder hinter deren speziellem Inhalt? War es einer der fahrenden Händler? Und dann ist auch noch die kleine Tochter der Sklavin verschwunden! Unter dem Vorwand, fischen gehen zu wollen, machen sich die drei Jugendlichen heimlich auf die Suche nach den Händlern und kommen dabei einem Geheimnis auf die Spur … Weiter zur Rezension:    Lindis und der verschwundene Honigtopf von Viola Eigenbrodt 

Rezension - Osso – Geschichte einer Freundschaft von Michele Serra und Alessandro Sanna

  Ein alter Mann lebt in einem Haus am Waldrand, mit Blick auf die Stadt. Eines Tages kommt ein hungriger Hund zum Haus, der sich nicht herantraut. Der Mann stellt Futter hin und geht zurück ins Haus. Jeden Tag kommt der Hund am Morgen und am Abend, und weil er so knochendürr ist, nennt der Mann ihn Osso, schließt den Streuner ins Herz. Eine wunderschön erzählt und illustrierte Geschichte über die Beziehung Mensch und Hund. Allage, ab 10 Jahren – Empfehlung! Weiter zur Rezension:    Osso – Geschichte einer Freundschaft von Michele Serra und Alessandro Sanna