Direkt zum Hauptbereich

Das Flüstern der Bäume von Michael Christie - Rezension

Rezension

von Sabine Ibing



Das Flüstern der Bäume 


von Michael Christie


Mit hohen Erwartungen die Familiensaga begonnen und ziemlich schnell mit dem holzigen Stil des Autors in Konflikt geraten. So könnte man unsere erste Begegnung bezeichnen. Der Stil wird nicht besser, inklusive der Metaphern, die etwas für die Witzsammlung sind. Immer wieder tauchen Passagen auf, die mir nicht gefielen, holzig, pathetisch und Szenen, die wie eine Kaugummiblase aufgeblasen wurden. Wenn wir schon bei aufgeblasen sind – das ist die ganze Geschichte. Eine Familiengeschichte über vier Generationen, die in ein Waldstück verwoben sind. Der Nachwuchs im Baum zeigt sich durch den äußersten Ring im Querschnitt. Und so beginnt die Geschichte bei der Jüngsten und rückt Generation für Generation nach hinten.


Der Roman beginnt in der Zukunft, im Jahr 2038. Die Biologin Jacinda Greenwood arbeitet in einem Naturreservoir in Kanada als Naturführerin auf Greenwood Island. Hier stehen die letzten großen Bäume, der letzte Primärwald auf Erden. Und weil sie so einzigartig sind, muss man für diese Führung ziemlich viel Geld hinlegen. Die Führer und sonstiges Personal unterliegen harten Regeln, und natürlich, sie sind unterbezahlt, leben in ärmlichen Baracken, wobei die Reichen in Luxushütten untergebracht sind, Essen erhalten, das die Arbeiter noch nie gesehen haben, wie zum Beispiel Lachs. Die Touristen bewundern die Bäume, machen Fotos von sich auf ihre Smartphones und posten sie in soziale Netzwerke. Hier begann ich das erste Mal zu zweifeln. Da beschreibt einer die Zukunft mit heutigen Technologien und Verhaltensweisen. Nicht vorstellbar für mich.


Familiäre Verstrickung

Ich bin gekommen, weil diese ganze Insel dir gehören könnte, Jake. Rechtmäßig dir gehören, meine ich. Ich bin hier, weil ich dir helfen will, das in die Tat umzusetzen.

 

Jacinda lebt in der Zeit nach dem «Großen Welken», bei dem ein Großteil der Bäume durch Pilzbefall, Insektenplagen und Dürre vernichtet wurde. Ein vorstellbares Szenario. Ihre Mutter war eine berühmte Bratschistin, die bei einem Zugunglück ums Leben kam, als Jak, wie sie genannt wird, acht Jahre alt war, und ihr Vater, ein Schreiner, Liam Greenwood, verstarb bei einem Arbeitsunfall. Jak hat keine Erinnerungen an sie. Viele Menschen sind auf der Flucht vor der Dürre, die die Welt beherrscht, Armut für die Meisten bedeutet. Immer mehr Reiche ziehen sich nach Kanada zurück, weil hier die Welt noch halbwegs in Ordnung ist. Papier ist sehr teuer und gedruckte Bücher sind wertvolle Handelsware. Die «Baumkathedrale von Greenwood» ist ein Erbe der Greenwood-Familie. Jacindas Nachname ist identisch. Aber was heißt das schon? Sie hält es für reinen Zufall, bis ihr Exverlobter anreist und ihr das Tagebuch ihrer Großmutter überreicht und der Anwalt ihr erklärt, sie sei die Erbin und seine Kanzlei möchte ihr helfen, das Erbe anzufechten. Damit könne sie auf einen Schlag ihre Schulden tilgen. 


Es passieren Dinge, die findet man nicht mal bei Harry Potter

In Wahrheit aber sind alle Familienlinien von der höchsten bis zur niedrigsten irgendwo entstanden, an irgendeinem bestimmten Tag. Selbst die größten Bäume müssen einmal hilflos im Wind kreiselnde Samen gewesen sein und dann Schösslinge, die sich nur zaghaft aus dem Boden schieben. Wir wissen das so genau, weil in der Nacht des 29. April 1908 eine Familie vor unseren Augen Wurzeln schlug. Wir erwachten mitten in die Apokalypse hinein.

 

Die Insel wurde von Harris Greenwood 1934 während der Weltwirtschaftskrise als Schnäppchen erworben und seine Tochter, Willow Greenwood ist die Mutter von Liam Greenwood, die das Island gestiftet hat und so von den Holtcorps vermarktet wird. Aber die Familiengeschichte und die Verflechtung von Jake ist noch wesentlich vertrackter ... Die Familie der Geenwoods ist mit dem Wald verbunden: Geschäfte, Rückzugsort, Freveltaten, Kompliziertes. Waisenkinder die sich Wald durchschlagen, Bruderhass, ein entführtes, ausgesetztes Baby, Eisenbahn- und Autounfälle, die zum Tod führen, Liebschaften, fliegende Bücher, Superwomen, einfach zu viel und zu viel Zufall – und es passieren Dinge, die sind dermaßen unglaubwürdig! Irgendwann habe ich nur noch die Augen verdreht. Auch das noch! Und es bleiben Fragen offen. Was mich ebenfalls nervte, war die Sprunghaftigkeit der Kapitel. Ich habe nichts gegen Perspektivwechsel und Ortswechsel – aber das hier ging teilweise holterdiepolter. Die Figuren sind starr, ohne Tiefe, es sind böse oder gute Menschen, schwarz oder weiß, Grautöne kennt der Autor nicht. Die Sprache ist hölzern und manchmal pathetisch so konstruiert, dass mir das Verständnis für den Inhalt fehlte. Oder Metaphern, die einem die Fußnägel hochrollen lassen: «Seine Augen sehen aus als seien sie herausgekratzt, in Schweineschmalz gebraten und wieder in die Höhlen gedrückt worden.» Davon gibt es jede Menge! Grimmsmärchen sind tiefer in den Figuren und die Storys glaubwürdiger. Wer hier eine ökologische Message vermutet, den muss ich enttäuschen, auch wenn der Anfang das verspricht. Es erwartet den Leser leider nur eine Räuberpistole. Wer sich für den Baumreichtum, die Abholzung in Amerika interessiert, und was dies für Mensch und Umwelt bedeutet, dem kann ich einen wirklich guten Familienroman aus Kanada zum Thema empfehlen: Aus hartem Holz von Annie Proulx.


Michael Christie, in Thunder Bay, Ontario, geboren, studierte Psychologie und arbeitete in der Obdachlosenhilfe, bevor er 2011 sein Debüt »The Beggar’s Garden« veröffentlichte. Sein zweiter Roman »Das Flüstern der Bäume« wurde mehrfach nominiert, u.a. für den bedeutendsten kanadischen Literaturpreis, den Scotiabank Giller Prize. Michael Christie lebt mit seiner Familie in einem selbst gezimmerten Holzhaus auf der Insel Galiano vor Vancouver.


Michael Christie 
Das Flüstern der Bäume
Originaltitel : Greenwood
Aus dem kanadischen Englisch übersetzt von Stephan Kleiner
Familiensaga, Roman, kanadische Literatur
Gebundene Ausgabe, 560 Seiten
Penguin Verlag 2020


Zeitgenössische Literatur

Hier verbirgt sich manche Perle der Literatur. Ich lese auch mal einen Bestseller, natürlich, aber mein Blick ruht  immer auf den kleinen Verlagen, auf den freien Verlagen. Sie trauen sich was - und diese Werke sind in der Regel besser als der Mainstream der meistgekauften Bücher …
Zeitgenössische Romane

Kommentare

Beliebte Posts aus diesem Blog

Rezension - Sex in echt von Nadine Beck, Rosa Schilling und Sandra Bayer

  Offene Antworten auf deine Fragen zu Liebe, Lust und Pubertät Ein Aufklärungsbuch, das locker Fragen beantwortet und kurze Erfahrungsberichte von jungen Menschen einstreut, das alles mit knalligen Illustrationen unterlegt. Du bist, wie du bist, und du bist, wie du bist okay. Das Jugendbuch erklärt, stellt Fragen. Die Lust im Kopf, genießen mit allen Sinnen; was verändert sich am Körper in der Pubertät?, die Vagina, die Monatsblutung, der Penis, Solosex, LGBTQIA, verliebt sein, wo beginnt Sex?, Einvernehmlichkeit, wie geht Sex?, Verhütung, Krankheiten, Sextoys – das Buch spart nichts aus. Informieren, anstatt tabuisieren! Locker und sensibel werden alle Themenfelder sachlich vorgestellt. Prima Antwort auf offene Fragen; ab 11 Jahren. Empfehlung! Weiter zur Rezension:   Sex in echt von Nadine Beck, Rosa Schilling und Sandra Bayer

Rezension - Das Nest von Sophie Morton-Thomas

  Ein Küstenort in Großbritannien, wo das Marschland auf den Ozean trifft, wo Vögel die bessere Gesellschaft sind, lebt Fran eine ereignislose Routine. Sich um den Campingplatz kümmern, der mit Mobilheimen ausgestattet ist, ihren Sohn von der Schule abholen, Abendessen kochen. Mit Dom, ihrem Mann, läuft es nicht mehr so, ihre Schwester lebt mit ihrer Familie in einem Wagen, zahlt keine Miete, dem Schwager hatte sie den Entzug finanziert und jetzt trinkt er wieder, hat keine Arbeit. Freude findet Fran nur an den verschiedenen Vogelarten, die sie am Strand beobachten kann; sie hat auch ein Häuschen zur Beobachtung finanziert. Und nun entdeckt sie ein Nest mit einer seltenen Vogelart, hofft, dass die Jungen ausschlüpfen werden. Und verschwindet die Lehrerin … Ein leiser Thriller. Weiter zur Rezension:    Das Nest von Sophie Morton-Thomashttps

Was ist eigentlich Kriminalliteratur? - Ein Abend mit Else Laudan in der Wyborada

Am 08.11.2019 war ich zu einer Mischung aus Lesung und Definition des Begriffs Kriminalliteratur in St. Gallen in der Wyborada zu Gast, im Literaturhaus & Bibliothek in St. Gallen in der Frauenbibliothek und Fonothek Wyborada. Else Laudan sprach zum Thema Kriminalliteratur, erzählte ihren Weg mit ihrem freien Verlag Ariadne, ein Verlag, der ausschließlich literarische Kriminalliteratur von Frauen veröffentlicht. Weiter zum Artikel:    Was ist eigentlich Kriminalliteratur? - Ein Abend mit Else Laudan in der Wyborada 

Interview mit Christina Clemm von Sabine Ibing

  © Sibylle Baier, Antje Kunstmann Verlag Christina Clemm arbeitet als Strafverteidigerin und als Nebenklagevertreterin von Opfern sexualisierter und rassistisch motivierter Gewalt. Deutschlands bekannteste Fachanwältin für Straf- und Familienrecht in Berlin und war Mitglied der Expertenkommission zur Reform des Sexualstrafrechts des BMJV, Aktivistin und politisch aktiv für Geflüchtete und von Gewalt Betroffene. Nach den neuesten Zahlen des BKA ist jede dritte Frau in Deutschland von physischer und/oder sexualisierter Gewalt betroffen. In ihrem Buch «AktenEinsicht – Geschichten von Frauen und Gewalt» nimmt sie uns mit auf eine Reise in die Gerichtssäle der Republik, an die Tatorte, in die Tatgeschehen. Mit  «Gegen Frauenhass» zeigt sie die Mechanismen patriarchaler Gewalt und fordert, dass sich endlich etwas ändert. Hier mein Interview mit Christina Clemm. Weiter:   Interview mit Christina Clemm von Sabine Ibing

Rezension - Lázár von Nelio Biedermann

  «Ein wirklich großer Schriftsteller betritt die Bühne, im Vollbesitz seiner Fähigkeiten.», so wird von ihm geschrieben. Nelio Biedermann schreibt mit 20 Jahren sein erstes Buch und das Manuskript geht in die Versteigerung – die Verlage überbieten sich, es wird in 20 Sprachen verkauft, man redet über ein sechsstelliges Vorschusshonorar – über den neuen Thomas Mann . Uff. Ich war gespannt. Mich konnte der Familienroman nicht überzeugen – leider. Weiter zur Rezension:    Lázár von Nelio Biedermann

Rezension - Motte und die Metallfischer von Sanne Rooseboom und Sophie Pluim

  Der Sommer, in dem Motte ein U-Boot fand, fing ziemlich normal an. Langweilig sogar. Doch auf einmal liegt das Schicksal der ganzen Stadt in ihren Händen. Es sind Ferien, aber Mottes Mutter muss arbeiten, einen Urlaub könnten sie sich nicht leisten. Sie ist als Personalcoach unterwegs: Mode, Schminke, Sport, Gesundheit, Ernährung. Und genau das interessiert Motte so gar nicht. Am Kai zeigt ihr Lukas das Metallfischen – ein perfektes Hobby für Motte, die neben schwarzer Kleidung das Unperfekte an Dingen liebt. Sie kauft sich einen Magneten zum Metallangeln. Vielleicht kann man sich etwas verdienen, wenn man Altmetall zur Altmetallhändlerin bringt; sie sammelt ihre ersten Schätze, die die Mutter eklig findet. Plötzlich hängt etwas ganz Großes an der Angel! Spannender Kinderroman ab 9/10 Jahren. Empfehlung! Weiter zur Rezension:   Motte und die Metallfischer von Sanne Rooseboom und Sophie Pluim

Rezension - Hase Hollywood und das Geheimnis des Drachenlandes von Stefan Rasch, Simon Rasch und Anja Abicht

  Ein mächtiges Kinderbuch! Schwer an Gewicht, eine lange witzige, fantasievolle Geschichte. Der Hase Hollywood und seine Freunde betreiben ein Gasthaus in einer einsamen Bucht am Ende der Welt. Eines Tages taucht ein gefürchteter Piratenkapitän bei ihnen auf und vergisst doch glatt seinen Seesack unter dem Tisch. Darin befindet sich alte Schatzkarte und ein geheimnisvoller rosa Glitzerball. Der Ball entpuppt sich als Ei, aus dem ein kleiner Drachen schlüpft. Und damit beginnt eine abenteuerliche Reise zur Schatzinsel, denn auf der Karte sind auch die Drachen verzeichnet, den das Hasen-Team zu seinen Eltern bringen möchte. Sehr feine Illustrationen, grundsätzlich eine gute Geschichte, aber grobe handwerkliche Fehler für den Kinderroman. Weiter zur Rezension:     Hase Hollywood und das Geheimnis des Drachenlandes von Stefan Rasch, Simon Rasch und Anja Abicht 

Rezension - Der Freund von Tiffany Tavernier

  Mit dem Haus im Grünen hat sich Thierry einen Traum erfüllt. Zusammen mit Élisabeth genießt er die Ruhe und Abgeschiedenheit des Wohnens nahe einem Wald. Die einzigen Nachbarn weit und breit, gleich nebenan, Guy und Chantal. Eins Tages im Morgengrauen stürmt die Polizei das Gelände. Die Nachbarn und gute Freunde, werden in Handschellen abgeführt. Was haben sie getan? Journalisten belagern das Gelände. Ein psychologischer Kriminalroman , der sich mit den Folgen der «Opfer» befasst, denn letztendlich sind die schockierten Freunde auch Opfer des Massenmörders. Weiter zur Rezension:    Der Freund von Tiffany Tavernier

Rezension - Yrsa von Alexandra Bröhm

  Journey of Fate (Yrsa. Eine Wikingerin 1)  Yrsa ist eine junge Wikingerin , die sich nach dem Tod der alleinerziehenden Mutter seit vier Jahren allein um ihrem Bruder Sjalfi kümmert. Als sie eines Tages von der Jagd nach Hause kommt, ist Sjalfi verschwunden. Verzweifelt macht sie sich auf die Suche und den gefährlichen Weg nach Haithabu . Denn es heißt, es würden Kinder entführt und versklavt. Unterwegs lernt sie Krieger kennen. Ihr Traum war immer schon, eine Kämpferin zu werden. Der Krieger Avidh hat es ihr besonders angetan. Ich würde den Roman ins Genre Young Adult einordnen. Wer softe Literatur, einen Liebesroman zur Entspannung mag, liegt hier richtig.  Weiter zur Rezension:    Yrsa von Alexandra Bröhm

Rezension - Rath von Volker Kutscher

  Gelesen von David Nathan Ungekürztes Hörbuch, Spieldauer: 21 Std. und 49 Min. Gereon und Charlotte Rath warten im Herbst 1938 nur noch auf den richtigen Moment, Deutschland zu verlassen, um nach Amerika zu gehen. Sie treffen sich heimlich in Hannover , denn Charly lebt immer noch in Berlin und Gereon, der als verstorben gilt, wohnt inkognito in Rhöndorf am Rhein , weil er seinen im Sterben liegenden Vater nicht im Stich lassen will. Charly sucht ihren ehemaligen Pflegesohn Fritze, der ausgerissen ist und unter Mordverdacht steht. Als sich die Lage zuspitzt, muss Gereon sein Versteck verlassen und Charly zu Hilfe kommen, nach Berlin reisen. Der 10. und letzte Band der Gereon Rath-Reihe - wie immer hochspannend, historisch gut recherchiert. Noirliteratur , ein feiner literarischer Krimi ! Empfehlung!  Weiter zur Rezension:    Rath von Volker Kutscher