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Crossing the Lines - Uns gehört die Nacht von Manfred Theisen - Rezension

Rezension

von Sabine Ibing



Crossing the Lines - Uns gehört die Nacht 


von Manfred Theisen


Eine Geschichte aus dem Lockdown - ein Jugendroman über die Frustration, abends eingesperrt zu sein, den Nervenkitzel des Rebellierens durch das Austesten von Grenzen – der Reiz, etwas Verbotenes zu tun. Köln, Lockdown ab 21 Uhr, Kontaktbeschränkungen, abendliche Ausgangssperre. Das riecht nach Frust. Und weil es draußen nach Frühling durftet, verlassen einige Jugendliche heimlich nachts das Zuhause. Nacht für Nacht treffen sich Lilu und Leon mit anderen Jugendlichen aus Köln auf der Straße. Sie durchstreifen auf E-Scootern die menschenleere Stadt, immer auf der Flucht vor Polizisten und den Ordnungsamtsleuten. Mit denen geben sie sich Rennen, denn die E-Scootern passen in Gassen, in die Polizeiautos nicht hineinkommen. Doch die Jugendlichen lassen sich auf immer schlimmere Abenteuer ein.


Endlich passiert hier mal was 

Leon, Lilu, Chiara und Alexander sind dicke Freunde, letztere ein Paar. Leon und Lilu kennen sich seit dem Sandkasten – er ist verliebt in sie, für Lilu es er lediglich der beste Freund und Nachbar. Bei einer dieser nächtlichen E-Scooter-Rennen mit ganzen Trupps von Jugendlichen, werden sie geschnappt. Auf der Polizeistation lernt Lilu Summer kennen, der sich geheimnisvoll gibt, der in einem Tattoo-Studio arbeitet. Endlich ein interessanter Junge, denkt Lilu, der sich obendrein für sie interessiert. Summer schlägt der Clique abenteuerliche Aktionen vor. Endlich passiert hier mal was ... auch wenn die Unternehmen risikoreich sind und wahrlich nicht mehr als Ordnungsstrafe abzutun sind. Leon ist eifersüchtig – und Summer fordert ihn heraus! 


Zu unglaubwürdig


Es war der ansteckende Mix aus Übermut und Gewalt. Die Zeit im Land stand still, aber hier passierte etwas. Sie waren Helden, keine Loser …


Gruppendynamik – ja, man lässt sich zu etwas hinreißen ... Die meisten dieser Jugendlichen in diesem Roman sind Gymnasiasten – und natürlich lassen auch die sich manchmal zu hohlen Dingen überreden – aber für die beschriebenen Aktionen habe ich diese Gruppe für zu intelligent und brav eingeschätzt. Das passte für mich nicht zusammen. Das Katz-und-Maus-Spiel mit der Polizei auf E-Scootern fand ich witzig, rebellisch, sportlich, vorstellbar. Diese Jugendlichen stehen kurz vor der Volljährigkeit und lassen sich zu Einbrüchen und Vandalismus überreden? Vielleicht einmal ... Sie erzählen den Eltern ziemlich viel über den Mist, den sie machen und die reagieren allesamt recht cool. Isn’t it? Glaube ich nicht. Keine Selbstreflexion – nicht mal im Gespräch mit den Eltern. Hier gibt es ein wenig Standpauken – eher: Wir wissen die ganze Zeit schon, dass du nachts heimlich das Haus verlässt ... Dem Homeschooling mit abendlicher Ausgangssperre ausbrechen zu wollen, das ist nachvollziehbar, ebenso das heimliche Treffen, die Rollerrennen. Alles, was aber folgt, von Nacht zu Nacht steigernd – das war mir zu viel Geglotz. Die Nummer mit dem Zoo, ok. Aber alles, was danach kam, dem konnte ich nicht mehr folgen. Das Rennen am Ende des Jugendromans war der Gipfel und die Fahne obendrauf setzte das plötzliche Verwinden – entfliegen eines der Akteure ... mehr will ich nicht verraten. Das letzte Kapitel geht einen Schritt in die Zukunft, und mit dem hat es der Autor dann ganz mit mir verdorben. Die Figuren waren mir zu klischeehaft, zu holzschnittig, wirkten ziemlich aufgesetzt, hatten keine Tiefe. Ein wenig Coming-of-Age, Verliebtsein, Identitätssuche steckte drin. Benötigt man ein Abi oder nicht? Spannend ist die Geschichte; aber sie konzentriert sich lediglich auf die nächtlichen Ausflüge, die Action. Leons Mutter ist verstorben und er muss sich gemeinsam mit dem Vater um seinen schwer behinderten Bruder kümmern, was für beide eine hohe Belastung darstellt. Thema angerissen ... Abi ja oder nein. Angerissen. Lius Eltern arbeiten im Theaterbereich – das Geld ist klamm in der Pandemie, weil es keine Jobs gibt. Angerissen. Die Gedanken der Jugendlichen. Angerissen.


Spannend aber nicht tiefgreifend

Wie fühlen sich die Jugendlichen unter dem Lockdown, was genau geht in den Köpfen vor? Das fehlt mir völlig. Homeschooling – das gibt es; aber was ist das Problem? Kein Wort dazu. Hier wurde eine Menge Potential verschenkt. Wenn Manfred Theisen tiefer in die Figuren eingestiegen wäre, hätte man die Aktionen nicht in der Form gebraucht. Vielleicht hätte er uns auch erklären können, was Summer dazu treibt, diese Clique in den Ruin zu treiben, weshalb er sich überhaupt mit ihnen abgibt. Der Autor löst das, indem er ihn «wegfliegen» lässt, Irrealität in den Raum stellt – aber das Tatoo bleibt real. In diesem Roman herrscht zwar Lockdown ab 21 Uhr, aber tagsüber können sich die Jugendlichen treffen. Mir hätte es besser gefallen, die Sicht auf den totalen Lockdown zu richten. Spannend ja, hier gibt es idiotische Aktionen, eine nach der anderen, nicht unbedingt logisch nachvollziehbar. Zwischendurch gibt es Passagen voller Jugendsprache, was den Nachteil haben wird, dass dieser Roman nicht bleiben wird, weil man die Sprache in 5-10 Jahren nicht mehr versteht. Für mich ein mittelmäßiger Jugendroman, da mir die gesamte Auseinandersetzung mit dem eigenen Handeln fehlt, zu viele Fragen offen bleiben, am Ende andererseits zu viele beantwortet werden, was auch noch klischeehaft konstruiert ist. Der Loewe Verlag gibt eine Altersempfehlung ab 12 Jahren. Das halte ich für zu jung. Für mich Empfehlung ab 14 Jahren.


Manfred Theisen wurde 1962 in Köln geboren, studierte Germanistik, Anglistik und Politologie. Er leitete in Köln eine Zeitungsredaktion, forschte für das Deutsche Innenministerium in Russland, Kasachstan und Kirgisien und recherchierte für seine Romane in Israel und den arabischen Staaten. Heute lebt er mit seiner Familie als freier Autor in Köln. Seine Romane wurden in mehrere Sprachen übersetzt, ausgezeichnet und auf die Empfehlungslisten der Rundfunkanstalten gesetzt.



Manfred Theisen
Crossing the Lines - Uns gehört die Nacht
Jugendroman, Jugendbuch, Lockdown, Kinder- und Jugendliteratur
Broschur, 240 Seiten
Loewe Verlag, 2022
Altersempfehlung: ab 12 Jahren (Verlag) von mir: ab 14 Jahren







Kinder- und Jugendliteratur

Kinder- und Jugendliteratur hat mich immer interessiert. Selbst seit der Kindheit eine Leseratte, hat mich auch die Literatur für Kinder nie verlassen. Interesse privat, später als Pädagogin, als Leserin, als Mutter oder Oma. Kinder- und Jugendbücher kann man immer lesen! Hier geht es zu den Rezensionen.
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