Bucheckern, Bernstein Brausepulver - Die Danziger Kindheit von Günter Grass von Elżbieta Pałasz - Rezension
Rezension
von Sabine Ibing
Bucheckern, Bernstein Brausepulver - Die Danziger Kindheit von Günter Grass
von Elżbieta Pałasz
Dieses Kinderbuch wurde von Janusz Gorski, einem Universitätsprofessor an der Kunstakademie Danzig, an seine Studenten in Auftrag gegeben wurde. Elżbieta Pałasz erzählt die Kindheit von Günter Grass in drei Kapiteln: 1934, 1938, 1939. Joanna Czaplewska und Katja Widelska illustrierten den Text in Collage- und Montagetechniken, was ihnen sehr gut gelungen ist. Das Buch ist für das Alter 9-11 Jahre ausgewiesen. Diese Altersgruppe wird allerdings auf allen Ebenen von diesem Kinderbuch völlig überfordert sein: Sprache, Verständnis und Inhalt – ich würde es auf 12-14 Jahre hochstufen. Ohne Eltern sollte man das Buch nicht lesen, denn hier haben wir einen Text mit Selbstverständnis, das niemals in dieser Altersstufe vorhanden ist. Die Mutter von Grass stammt vom Volk der Kaschuben ab, ein westslawisches Volk, das als Minderheitsethnie verfolgt wurde. Das wiederum habe ich erst als Erwachsene gelernt, in meiner Kindheit stand der Begriff Kaschube für eine zwielichtige Person. Leider wird über die Kaschuben in diesem Buch nichts erklärt, die Familie vom Onkel ist eine Kaschubenfamilie, sehr nette Menschen, aber man hat nur Umgang mit ihnen, weil sie mit der Mutter verwandt sind. Und irgendwann in diesem Buch ist 1939 der Kaschubenonkel verschwunden – niemand in der Familie verliert ein Wort darüber. – Es folgt keine Erklärung für die Kinder.
Günter mochte das gleichförmige Rauschen des Meeres, das Möwengeschrei, den vernebelten Horizont und die Sonne. Er saß im Sand, kleckerte seine Burgen und kümmerte sich nicht darum, dass die See oder der übermütige Fuß seiner Schwester sie zunichte machten. Dann baut er sie eben neu und immer wieder ... Meer und Sand, das genügte.
Günter lebt etwas außerhalb von Danzig. Wir beginnen in der Schule. Die Lehrerin erklärt den Kindern, wo die deutschen Kolonien liegen (keine Erklärung darüber, was Kolonien sind – die Schrift an der Tafel ist Sütterlin, auch dazu keine Erklärung). Günter erzählt etwas über die Waren des Kolonialwarengeschäfts seiner Eltern. Wir erfahren auch, dass er manchmal im Verkauf aushilft und als er ins Gymnasium kommt, eine teure Angelegenheit für die Eltern (auch hierzu keine Erklärung), soll er sich sein Taschengeld verdienen. Er treibt die Schulden bei den Kunden der Eltern ein, die anschreiben ließen. Auch hier keine Erklärung, dass dies damals üblich war. Wir erfahren eine Menge über das Leben von Danzig zu dieser Zeit. Danzig, eine freie Stadt, die weder zu Polen, noch zu Deutschland gehörte. Keine Erklärung zum Warum.
Günter musste daran denken, wie seine Mutter, aufgebracht über den Umgang der Regierung mit den Juden, gesagt hatte: ›Das sind doch auch Menschen!
Günters Vater war bereits seit 1936 NSDAP-Mitglied. Eines Tages muss Günter eine Gans nach Danzig zu Verwandten bringen und schlendert mit einem Freund durch die Stadt – wenn man schon mal hier ist. Überall hängen rote Fahnen mit Hakenkreuzen. Es gibt Geschrei, die Kinder vermuten, dort würde sich ein Nazitrupp mit Polen prügeln. Es sind jugendliche Nazis, die Schaufenster jüdischer Geschäfte einschlagen, die Polizei schaut zu. – Keine Gedanken der Kinder, keine Reflexion. Ach die da – man geht weiter. An dieser Stelle habe ich geschluckt. Unvorstellbar, irgendetwas muss in den Köpfen der Kinder vorgegangen sein: Beifall, Unverständnis oder Abscheu. Und dann hängt plötzlich Hitlers Foto neben dem dem Bild von Beethoven. im Wohnzimmer und man darf sich nicht mehr mit der Kaschubenverwandtschaft treffen. Alles ohne Erklärung. Der Krieg beginnt und natürlich wollen alle Jungen Soldaten werden.
Auf der einen Seite gibt es schöne Beschreibungen aus dieser Zeit, das Leben vor dem Zweiten Weltkrieg. Die Illustrationen sind sehr fein. Aus der Sicht des Kindes Günter ist das alles klar, und für uns Erwachsene Leser auch. Und wer die Bücher von Günter Grass gelesen hat, der findet immer wieder den kleinen Jungen mit der Blechtrommel. Nach »Kleckerburg« wurde der Titel benannt, aber im Buch sucht man vergeblich nach Bucheckern und Brausepulver. Auch Anspielungen auf »Katz und Maus«, »Hundejahre«, »Aus dem Tagebuch einer Schnecke« und »Beim Häuten der Zwiebel« finden sich. Das wird sogar am Ende erwähnt. Zum Verständnis für Nicht-Grass-Leser wären Fußnoten interessanter gewesen. Und ich glaube nicht, dass 9-11 Jährige die Grass-Kollektion gelesen haben. Ein Kinderbuch interessant für Grass-Fans, aber an Kindern total vorbeigeschrieben. Es gibt sehr gute Kinderserien als Buch und CD’s, die sich mit berühmten Musikern, Schriftstellern, Wissenschaftlern, Malern beschäftigen, die kindgerecht einen Weg in die Vergangenheit bereiten. Dieser Band gehört nicht dazu. Ich mag dieses Buch, aber ich würde es keinem Kind schenken.
Original Günther Grass, aus »Kleckerburg«:
… Das hab ich hin und her geschleppt,
im Rhein versenkt, bei Hildesheim begraben;
doch Taucher fanden und mit Förderkörben
kam Strandgut Rollgut hoch, ans Licht.
Bucheckern, Bernstein, Brausepulver,
dies Taschenmesser und dies Abziehbild,
ein Stück vom Stück, Tonnagezahlen …
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