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Bevor es zu spät ist von Karl Lauterbach - Rezension

Rezension

von Sabine Ibing



Bevor es zu spät ist 


von Karl Lauterbach

Was uns droht, wenn die Politik nicht mit der Wissenschaft Schritt hält



Wer ehrlich ist, wird zugeben, dass die Einspruchsrechte der Kommunen und auch der Landbesitzer zugunsten des Gemeinwohls und in Anbetracht der Energiewende weiter eingeschränkt werden müssen. Das Tempo reicht schlicht nicht aus. Das als Politiker zu fordern ist wenig populär – und kann vom Wähler durch Abwahl ‹bestraft› werden.


Karl Lauterbach, dieses Mal nicht als Gesundheitsexperte, sondern in einem Plädoyer für eine konsequente Klimapolitik – die unverzichtbare Klimawende. Wer sich für die Welt interessiert, der findet hier keine neuen Erkenntnisse zu der Katastrophe, die auf uns zurollt, wenn wir nicht unverzüglich etwas zur Rettung der Welt beitragen – und zwar drastisch. Doch interessant ist der Diskurs zur Koppelung zwischen Wissenschaft und Politik. Warum ist die Politik so zögerlich? Klar, bei harten Einschnitten geht es um Wählerstimmen. Die Wahrheit will ja niemand zur Kenntnis nehmen, insbesondere, wenn sie ins eigene Fleisch schneidet.


Dem Wähler bloß nicht wehtun 

Denk- und Herangehensweisen von Politikern und Wissenschaftler unterscheiden sich – selten sind in der Politik Wissenschaftler vertreten. «Gegenseitige Schuldzuweisungen brächten uns nicht weiter», schreibt Lauterbach – das Ziel ist es jetzt, den Focus auf das Handeln zu richten. Zum ersten Mal seit Beginn der Zivilisation ist das Überleben der Menschen auf der Erde gefährdet. Der sich beschleunigende Klimawandel macht das Erreichen des 1,5-Grad-Ziels mit jedem Tag unwahrscheinlicher. Kipppunkte des Klimawandels und deren Auswirkungen sind bekannt. Doch trotz Erwärmung, Artenschwund, weltweitem Wassermangel oder der Gefahr von Pandemien gilt: Die Politik schafft es nicht, die wissenschaftlichen Erkenntnisse rechtzeitig in Handeln umzusetzen. Letztendlich geht es ums Sesselkleben und die Parteiausrichtung. Parteien müssen sich von den anderen abgrenzen. Auch intern muss ein Politiker bei der Stange bleiben, nicht ausscheren – sonst wird er nicht wieder aufgestellt. Lobbyisten stehen auf der anderen Seite, versuchen zu ködern oder zu torpedieren. Aus der Kasse des Fleischkonzerns Tönnies flossen z.B. neun Mal fünfstellige Spendenbeiträge auf das CDU-Spendenkonto. Je nach politischer Vorliebe suchen sich Volksvertreter dann passende «Experten», die ihre Meinung unterstützen. Genau das ist das Problem: Abgrenzen von anderen, dem Wähler nicht wehtun – auch wenn genau das nötig wäre.


Den Shitstorm überleben


Die Erklärungs- und Überzeugungsarbeit für solche Vorschläge erfordert eine präzise psychologische und ökonomische Vorbereitung.


Etwas lang geraten ist der Exkurs über die Entstehung der Erde und ihre Entwicklung. Wo stehen wir jetzt, was sind die Klimakippelemente und wie befeuern sie sich gegenseitig? Was können wir tun? Dem Volk die Wahrheit sagen und die Menschen mitnehmen. Für viele Politiker ist es einfacher zu schweigen, um nicht im Shitstorm zu versinken und abgewählt zu werden. Renate Kühnast hatte damals vorgeschlagen, dass Kantinen doch einen fleischfreien Tag einführen könnten ... wohlgemerkt könnten. In der Presse wurde sie zerfleischt und am Ende stand: Die Grünen wollen uns vorschreiben, was wir zu essen haben. Das hat der Partei Wählerstimmen gekostet. Anton Hofreiter wurde gerügt, weil er kürzlich sagte, man müsse an manchen Orten überlegen, die verdichtete Bauweise einzuführen, um mehr Wohnraum zu schaffen. Daraus wurde: Die Grünen wollen das Reihenhaus verbieten. Ganz davon ab, dass diese Praxis schon lange von vielen Gemeinden völlig oder punktuell angewandt wird. Wer sich herauswagt, wer die Wahrheit sagt, wird auch von der Presse gekillt. 


Die Kipppunkte erklären


Grundsätzlich sind fast alle Bürgerinnen und Bürger der Meinung, die Energiewende müsse kommen. Die wenigsten aber sind bereit, diese gigantischen zusätzlichen Investitionen zu zahlen. Dabei führt kein noch so hoher CO2-Preis an ihnen vorbei.


Der Politik muss es gelingen, die Menschen zu überzeugen. Verzicht ist unabdingbar – für jeden! Nur das will niemand hören. Karl Lauterbach gibt einige Vorschläge, wie der Klimakollaps zu retten sei. Er erwähnt auch umstrittene Meinungen, die man noch genau analysieren muss, wie die Holzbauweise. Fleischverzicht muss erklärt werden – mit mehr Verzicht kann sich auch das Tierwohl in der Tierhaltung verbessern. Ein völliger Verzicht ist derzeit politisch nicht durchsetzbar. Der Klimawandel mit Veränderung des Wetters, Hitze, Dürre, Wetterkapriolen. Wasserknappheit wird auf manche Regionen zukommen; selbst in unseren Regionen, wenn die Gletscher schmelzen. Durch den Raubbau von Grundwasser gibt es bereits heute massive Probleme. Auf der anderen Seite wird Starkregen mit Überschwemmungen wie im letzten Jahr zunehmen.


Die Bereitschaft, die Veränderungen im Lebensstil zu akzeptieren


Aus einer einzigen Bodenprobe aus dem Permafrost Sibiriens aktivierte der französische Genetiker Jean-Michel Claverie im Jahr 2015 im Labor zwei bislang unbekannte Riesenviren. Sie hatten tiefgefroren über dreißigtausend Jahre in einer kleinen Höhle überdauert.


Durch die Erwärmung der Erde sind plötzlich Tropenkrankheiten in Europa angekommen; Insekten und Pflanzen, die Menschen, Tieren und Pflanzen schaden, können überleben, weil es im Winter nicht mehr kalt genug wird. Was passiert, wenn der Permafrost schmilzt? Milzbrand, Spanische Grippe, Pocken usw. das alles ist bereits heute in Sibirien gefunden worden. Ganz sicher schlummern einige gefährliche Überraschungen in den Böden. Karl Lauterbach erklärt kurz die Kipppunkte des Klimawandels, die Auswirkungen, und welch drastischen Maßnahmen wir uns stellen müssen, um das Schlimmste zu verhindern. Aber er fagt sich: «Wenn ein großer Teil der Bevölkerung nicht einmal dazu bereit ist, sich impfen zu lassen ... – wie wäre es dann erst um die Bereitschaft bestellt, jene Veränderungen im Lebensstil zu akzeptieren, die für das Erreichen des 1,5 Grad-Ziels unabdingbar sind?» Ein Sachbuch zum Klimawandel und um die Wichtigkeit von Zusammenarbeit von Politik und Wissenschaft – eine offene und ehrliche Meinung. Ein Buch das verdeutlicht, an welcher Zeitenwende wir stehen und was zu tun ist – unter Verzicht von jedem von uns.


Prof. Dr. med. Karl Lauterbach, geboren 1963, zählt zu den profiliertesten deutschen Politikern. Er ist Direktor des Instituts für Gesundheitsökonomie und Klinische Epidemiologie der Universität Köln, seit 2008 zudem Professor an der Harvard School of Public Health. Der Experte für Gesundheits- und Sozialpolitik wurde 2005 Mitglied des Bundestages, bis 2019 war er stellvertretender Vorsitzender der SPD-Fraktion. Er ist Autor mehrerer Bücher, darunter der Bestseller «Der Zweiklassenstaat». Seit Dezember 2021 ist Karl Lauterbach Bundesminister für Gesundheit.



Karl Lauterbach
Bevor es zu spät ist
Was uns droht, wenn die Politik nicht mit der Wissenschaft Schritt hält
Sachbuch, Klimawandel, Politik, Wirtschaft
Gebunden mit Schutzumschlag, 288 Seiten
Rowohlt, 2022




Sachbücher

Hier stelle ich Sachbücher vor, die im Prinzip nichts mit Fachliteratur zu tun haben. Eben Sachbücher jeder Art, die ein breites Publikum interessieren könnte.
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