Direkt zum Hauptbereich

Aufstand der Umlaute von Kirsten Lassig und Daniel Trepsdorf - Rezension

Rezension

von Sabine Ibing


Aufstand der Umlaute 


von Kirsten Lassig und Daniel Trepsdorf

und weshalb das Eszett sich diesem anschloss 


Im «Haus der Sprache» wohnen die Buchstaben des Alphabets: In den schönsten Zimmern haben es sich die Vokale gemütlich gemacht, die «kantigen Konsonanten-Kumpels» bewohnen das Dachgeschoss mit schöner Aussicht, MMs, NNs LLs und SSs bekamen Doppelzimmer. Und über dem Toreingang prangt der Satz: 


Franz jagt im komplett verwahrlosten Taxi quer durch Bayern.



Alle Buchstaben des Alphabets kommen darin vor! Nun, nicht alle. Die Anhängsel fehlen: Das Eszett [ɛsˈt͜sɛt] und die Umlaute nämlich müssen im dunklen, feuchten, schimmligen Keller wohnen, werden als Buchstaben zweiter Klasse wahrgenommen, die oben haben sie nicht gern. 


Du hast es sicher schon gemerkt: Die Buchstaben des Alphabets grenzen die Umlaute und und das Eszett [ɛsˈt͜sɛt] ganz schön aus. Das fühlt sich ziemlich nach Schikane, nach Mobbing an. ... Wenn die Kinder im Unterricht das Abc aufsagen, dann gibt es die Umlaute und das Eszett [ɛsˈt͜sɛt] gar nicht!



Die Missachteten sind sauer und überlegen sich eine Gemeinheit. Das Eszett [ɛsˈt͜sɛt] ä, ö und ü locken die anderen Buchstaben auf eine Hängebrücke und bringen sie ins Schwingen, so dass alle darauf erschrecken und manche herunterpurzeln. Das intelligente i fühlt sich mit seinem Kopfschmuck ein wenig zugehörig zu den Gepunkteten und macht einen Vorschlag. Nur gemeinsam sind die Buchstaben etwas wert, bringen sich zur Entfaltung. Fehlt einer von ihnen, bricht das gesamte Konstrukt der Wörter zusammen. Am Ende haben das alle verstanden. Und das Schild über dem Tor wird ersetzt: «Zwölf Boxkämpfer jagen Viktor quer über den großen Sylter Deich.» Auf der einen Seite ist das Buch originell, aber auf der anderen Seite ist es mir zu verkopft und es wird mir zu viel mit dem Zeigefinger gewackelt. 


Buchstaben verwandeln unsere Gedanken, Gefühle, Erkenntnisse und Ideen in eine Wirklichkeit, die auch für andere erfahrbar ist. Das trägt dazu bei, die Fremdheit der Welt zu überwinden und die Andersartigkeit unserer Mitmenschen zu verstehen.



Würde man schlicht die Geschichte herausnehmen, wäre das Buch für mich gelungen. Doch die Erzählung wird immer wieder unterbrochen von langatmigen Einschüben des Erklärens und Moralisierens. Kinder sind nicht dumm – sie begreifen die Message auch ohne Ausführung. Mir fehlt der Elan und der Spaß in der Story. Die Brüche lenken von der Geschichte ab, die Darlegungen sind sehr prätentiös und langatmig. Ich denke, dass die meisten Kinder zwischen sieben und zehn Jahren nach der ersten Seite vor Langeweile zuklappen. Das Buch ist anspruchsvoll, hat eine Menge Text, den man als Kind erstmal einmal wegstecken muss. Wenn z.B. erklärt wird, warum das h so beliebt ist – weil es den «selbstverliebten Vokalen» hilft, einen längeren Klang zu haben. Buchstaben und Sprache, Klänge – um hier in die Tiefe zu gehen, sollte man zunächst ein gutes Lese- und Schreibverständnis besitzen, ein Verständnis für Sprache entwickelt haben. Einige Buchstaben werden erklärt, ein weiterer Bruch. Das habe ich aber schon besser gesehen. Meiner Meinung nach ist dieses Buch frühstens ab 10 Jahren geeignet. Mit der Empfehlung des Hirnstoff Verlags, ab 7 Jahren, kann ich nicht mitgehen. Der Zusammenhang zwischen Ausgrenzung und Mobbing im System der Buchstaben macht für mich nur einen Sinn, wenn man die eigentliche Story herausgenommen hätte: Die Geschichte des Kampfes der Buchstaben. Mit den langatmigen Erklärungen drumherum fehlt mit der emotionale Zugang zur Geschichte und zum Thema Ausgrenzung.


Die witzigen Illustrationen von Kirsten J. Lassig sind hervorragend, lockern die trockene Geschichte auf und bringen Spaß und Farbe in die Story. 


Daniel Trepsdorf, ist als Demokratieverstärker und Menschenrechtsbildner in Mecklenburg-Vorpommern unterwegs. Als Autor von Fachbüchern hat er sich intensiv mit Rassismus, Rechtsextremismus und Gewalt auseinandergesetzt.

Kirsten J. Lassig, ist u.a. als Illustrator und Fotograf in Dresden beschäftigt. Am College of Communication in London studierte er Fotografie und wuchs im sächsischen Riesa auf.



Kirsten Lassig, Daniel Trepsdorf 
Aufstand der Umlaute
und weshalb das Eszett sich diesem anschloss 
Kinderbuch
Gebunden, 64 Seiten, 21,5 x 30,0
Hinstorff Verlag, 2020
Altersempfehlung: ab 7 Jahre (Verlag) – meine Empfehlung: frühstens ab 10 Jahren



Kinder- und Jugendliteratur

Kinder- und Jugendliteratur hat mich immer interessiert. Selbst seit der Kindheit eine Leseratte, hat mich auch die Literatur für Kinder nie verlassen. Interesse privat, später als Pädagogin, als Leserin, als Mutter oder Oma. Kinder- und Jugendbücher kann man immer lesen! Hier geht es zu den Rezensionen.
Kinder- und Jugendliteratur

Kommentare

Beliebte Posts aus diesem Blog

Rezension - Sex in echt von Nadine Beck, Rosa Schilling und Sandra Bayer

  Offene Antworten auf deine Fragen zu Liebe, Lust und Pubertät Ein Aufklärungsbuch, das locker Fragen beantwortet und kurze Erfahrungsberichte von jungen Menschen einstreut, das alles mit knalligen Illustrationen unterlegt. Du bist, wie du bist, und du bist, wie du bist okay. Das Jugendbuch erklärt, stellt Fragen. Die Lust im Kopf, genießen mit allen Sinnen; was verändert sich am Körper in der Pubertät?, die Vagina, die Monatsblutung, der Penis, Solosex, LGBTQIA, verliebt sein, wo beginnt Sex?, Einvernehmlichkeit, wie geht Sex?, Verhütung, Krankheiten, Sextoys – das Buch spart nichts aus. Informieren, anstatt tabuisieren! Locker und sensibel werden alle Themenfelder sachlich vorgestellt. Prima Antwort auf offene Fragen; ab 11 Jahren. Empfehlung! Weiter zur Rezension:   Sex in echt von Nadine Beck, Rosa Schilling und Sandra Bayer

Rezension - Wolfssommer von Hans Rosenfeldt

  Ein atmosphärisch dichter und spannender Schweden-Krimi von Hans Rosenfeldt, bekannter Krimiautor und Drehbuchautor (skandinavische TV-Serie «Die Brücke», britische Fernsehserie «Marcella» über Netflix) erwartet uns mit dem Auftakt einer neuen Serie. Die Erwartungen waren hoch. Rosenfeldt hat geliefert. Die Kleinstadt Haparanda, nahe der finnischen Grenze, wird zufällig zum Schauplatz eines Drogendeals. Wer hat die Drogen und das Geld, wer wird sie am Ende bekommen? Der einzige der durchblickt, ist der Leser – Dank Mehrperspektivität. Denn alle Protagonisten tappen im Dunkeln – wissen nichts voneinander. Ein komplexer und spannungsreicher Thriller! Weiter zur Rezension:    Wolfssommer von Hans Rosenfeldt

Rezension - Kalte Füße von Francesca Melandri

  Im Winter 1942/43 flohen italienische Soldaten in Schuhen mit Pappsohlen vor der Roten Armee, Zehntausende erfroren. Der «Rückzug aus Russland» hat sich als Trauma im kollektiven Gedächtnis Italiens eingebrannt - auch in der Familie von Francesca Melandri, einer der wichtigsten Autorinnen Italiens. Ihr Vater hat ihn überlebt. Doch erst als Anfang 2022 Bilder und Orte des Kriegs in der Ukraine omnipräsent sind, wird ihr klar: Der Vater ist vor allem in der Ukraine gewesen. Sie tritt mit ihrem verstorbenen Vater in ein Zwiegespräch, wobei sie den Krieg damals mit dem Heutigen in der Ukraine vergleicht. Und es ist eine Abrechnung mit der italienischen Linken. Empfehlung, unbedingt lesen! Weiter zur Rezension:    Kalte Füße von Francesca Melandri 

Rezension - Die Grille in der Geige von Anna Haifisch

  Eines Sommers findet eine wandernde Grille im Wald eine alte Geige . «Wie praktisch!», ruft sie und zieht in das geräumige Instrument ein. Sie töpfert und zieht Nudeln und des Nachts zupft sie die Saiten, erfreut alle Insekten und Mäuse in der Umgebung mit ihrer Musik. Doch als ein bitterkalter Winter das Land überzieht, stürmen die Insekten das Heim der Grille , zerhacken es und zünden es an … Ein humorvolles Bilderbuch ab 4 Jahren – Empfehlung! Weiter zur Rezension:    Die Grille in der Geige von Anna Haifisch 

Rezension - Lázár von Nelio Biedermann

  «Ein wirklich großer Schriftsteller betritt die Bühne, im Vollbesitz seiner Fähigkeiten.», so wird von ihm geschrieben. Nelio Biedermann schreibt mit 20 Jahren sein erstes Buch und das Manuskript geht in die Versteigerung – die Verlage überbieten sich, es wird in 20 Sprachen verkauft, man redet über ein sechsstelliges Vorschusshonorar – über den neuen Thomas Mann . Uff. Ich war gespannt. Mich konnte der Familienroman nicht überzeugen – leider. Weiter zur Rezension:    Lázár von Nelio Biedermann

Was ist eigentlich Kriminalliteratur? - Ein Abend mit Else Laudan in der Wyborada

Am 08.11.2019 war ich zu einer Mischung aus Lesung und Definition des Begriffs Kriminalliteratur in St. Gallen in der Wyborada zu Gast, im Literaturhaus & Bibliothek in St. Gallen in der Frauenbibliothek und Fonothek Wyborada. Else Laudan sprach zum Thema Kriminalliteratur, erzählte ihren Weg mit ihrem freien Verlag Ariadne, ein Verlag, der ausschließlich literarische Kriminalliteratur von Frauen veröffentlicht. Weiter zum Artikel:    Was ist eigentlich Kriminalliteratur? - Ein Abend mit Else Laudan in der Wyborada 

Rezension - Motte und die Metallfischer von Sanne Rooseboom und Sophie Pluim

  Der Sommer, in dem Motte ein U-Boot fand, fing ziemlich normal an. Langweilig sogar. Doch auf einmal liegt das Schicksal der ganzen Stadt in ihren Händen. Es sind Ferien, aber Mottes Mutter muss arbeiten, einen Urlaub könnten sie sich nicht leisten. Sie ist als Personalcoach unterwegs: Mode, Schminke, Sport, Gesundheit, Ernährung. Und genau das interessiert Motte so gar nicht. Am Kai zeigt ihr Lukas das Metallfischen – ein perfektes Hobby für Motte, die neben schwarzer Kleidung das Unperfekte an Dingen liebt. Sie kauft sich einen Magneten zum Metallangeln. Vielleicht kann man sich etwas verdienen, wenn man Altmetall zur Altmetallhändlerin bringt; sie sammelt ihre ersten Schätze, die die Mutter eklig findet. Plötzlich hängt etwas ganz Großes an der Angel! Spannender Kinderroman ab 9/10 Jahren. Empfehlung! Weiter zur Rezension:   Motte und die Metallfischer von Sanne Rooseboom und Sophie Pluim

Rezension - Was danach kommt von Anika Suck

  Karmen passt einen Moment beim Autofahren nicht auf und verursacht einen Verkehrsunfall mit tragischem Ausgang – ein Kind ist tot. Es sind nur ein paar Sekunden, die Karmens Leben in seinen Grundfesten erschüttern. Denn im darauffolgenden Prozess muss sie sich einer Schuld stellen. Von der Presse Kindsmörderin getauft und von der Empörungsgesellschaft vorverurteilt, wird sie auch von ihrem sozialen Netz fallen gelassen. Am Ende muss Karmen selbst entscheiden, ob sie schuldig ist oder nicht. Mich konnte das Buch nicht überzeugen, da für mich die Darstellung der Geschichte absoluter Gerichts-Nonsens ist. Weiter zur Rezension:    Was danach kommt von Anika Suck  

Rezension - Aggie und der Geist von Matthew Forsythe

  Aggie freut sich darauf, endlich in ihr eigenes Haus einzuziehen – bis sie feststellt, dass dort bereits ein Geist wohnt. Das Zusammenleben läuft mehr schlecht als recht; nirgendwo hat sie ihre Ruhe. Also stellt Aggie Regeln auf. Doch der Geist hält sich leider nicht gerne an Regeln, bricht sie alle. Aggie fordert ihn völlig entnervt zu einem Wettkampf in Tic-Tac-Toe heraus – wer gewinnt, bekommt das Haus. Ein herrliches Bilderbuch an 4 Jahren, das mit viel Humor geschrieben ist und eine Menge Diskussionen zum Zusammenleben bietet. Weiter zur Rezension:    Aggie und der Geist von Matthew Forsythe

Rezension - Es war einmal ein Schneesturm von Richard Johnson

  Bei einem Spaziergang geraten Vater und Sohn in einen Schneesturm und verlieren sich aus den Augen. Der kleine Junge kann den Weg nach Hause nicht zurückfinden, er irrt umher, sucht Schutz in einer Höhle und legt sich am Abend schlafen. Ein Bilderbuch , das ohne Worte auskommt, bei dem der Lesende gefordert ist. Das Buch ist absolut sprachfördernd, fantasiefördernd und kulturübergreifend – klasse für den Kindergarten , in Gruppen zu lesen – zu Hause an einem schmuddligen Wintertag am warmen Ofen. Ein atmosphärisches Kinderbuch ab 4 Jahren. Empfehlung!  Weiter zur Rezension:    Es war einmal ein Schneesturm von Richard Johnson