Rezension
von Sabine Ibing
Arthur und die Farben des Lebens
von Jean-Gabriel Causse
Der Anfang: Licht aus einer Wellenlänge von fünfhundertzwanzig Nanometern trifft auf die Zapfen in Arthur Astorgs Netzhaut. Sofort jagt ein elektrischer Impuls durch sein Gehirn in das V4-Areal seiner Hirnrinde.
Der ewige Verlierer
Arthur Astorg, ein Mann, der sich keine Sorgen machte: Guter Job als Vertriebsleiter, Frauen finden ihn attraktiv, Rugbyspieler, eine wundervolle Frau an seiner Seite. Das war einmal:. Heute: Job weg, Frau weg, Scheidung, Haare weg und dann auch noch der Führerschein. Was bleibt, ist ein Bäuchlein und der Beaujolais, davon nicht zu wenig. Beim Arbeitsamt bekommt er die letzte Chance, denn auch dort ist sein Kontingent fast aufgebraucht. Man schickt ihn zur Buntstiftfabrik »Cluzel«, sie suchen einen Vertriebsleiter. Das Vorstellungsgespräch geht in die Hose.
Wusstest du, dass ›crayon‹, also Buntstift, vom altfranzösischen Wort créon stammt, das ›Kreide‹ bedeutet?« Arthur machte eine kurze Pause, ehe er Cluzel in seinem lyrischsten Tonfall den Gnadenstoß versetzt: »Mit Kreide wird kreiert. Wir stehen hier also am Ursprung der Kreation.
Gaston Clusel kann Arthur nicht leiden, gibt ihm die Chance, die Fertigungsstraße zu leiten, da das Arbeitsamt als Eingliederungsmaßnahme für Langzeitarbeitslose das volle Gehalt für ein Jahr übernimmt. Doch ein paar Wochen später geht die Firma in den Konkurs. Arthur gibt seine letzte Anweisung: Die Arbeiter sollen sämtliche Pigmente in die letzte Charge zu geben. Einen pinkfarbenen Stift aus dieser Produktion steckt er ein. Sehnsüchtig schaut er zu Hause durch das Fenster, auf die andere Straßenseite, schwärmt für Charlotte, die dort drüben mit ihrer Tochter Louise wohnt.
Und so wissen nur die Angestellten des Senders und Charlottes engstes Umfeld, dass die Stimme, die den Hörern beispielsweise erklärt, dass Blau, anders, als wir es empfinden, vom rein physikalischen Standpunkt aus betrachtet eine wärmere Farbe ist als Rot, einer Frau gehört, die weder Rot noch Blau jemals gesehen hat.
Eine Welt ohne Farben
Charlotte ist blind, sie ist Spezialistin für Farben, hat eine eigene Radiosendung. Arthur lauscht gern dieser Stimme, ahnt aber nicht, dass dies die Nachbarin ist, noch dass sie sehbehindert ist. - Plötzlich verschwinden auf der Welt die Farben. Die Menschen sehen nur noch hellgrau und dunkelgrau. Das Volk verfällt in Depression: Kleidung ist grau, das Essen schmeckt nicht mehr, alles ist grau, Tapeten sind grau, alle Autos sind grau … schaut man aus dem Fenster, ist alles Grau, Bäume, Blumen, Himmel. Autos krachen zusammen, da die Ampelfarben nicht mehr erkennbar sind. Die Weltwirtschaft wackelt, niemand kauft etwas, niemand fährt in den Urlaub, Restaurants schließen. LSD ist plötzlich angesagt. Lediglich Karl Lagerfeld jubiliert:
Endlich Schluss mit diesen vulgären Menschen, die lauter vulgäre Farben tragen. Endlich kehrt unsere Welt an den Ursprung der Ästhetik zurück.
Die Magie der Farben
Auch die Werbung stellt sich ein: »Im Moment haben wir graue Vorhänge mit dunkelgrauen Kreisen im Angebot.« Arthur schafft es endlich, Charlotte anzusprechen, schenkt Louise den pinkfarbenen Stift. Doch Charlotte empfindet den nach Rotwein riechenden Tölpel als unangenehm. Louise
beginnt zu malen, sieht plötzlich Pink. Das Mädchen und der Stift in Einheit besitzen magische Kraft: Wer Louise Zeichnung betrachtet, kann wieder Pink sehen. Jeder Mensch will nun die Zeichnungen von Louise anschauen. Die Welt ist jetzt im Rosarausch! Eine Farbe ist wieder aufgetaucht! Arthur kombiniert, sucht nach den restlichen Stiften der letzten Charge. Kann Louise der Welt die Farben zurückbringen?Beim Gang durch die Residenz bemerkte Arthur hier und da rosafarbene Wände. Es sind klare Rosatöne darunter, wie Bonbonrosa oder Pompadourrosa, die hochkomplexeren Schattierungen von Nymphenrosa, aber auch frische Nuancen wie Heckenrose oder Schweinchenrosa.
Ein Roman voller Poesie und französischem Charme
Dummerweise ist nun die chinesische Mafia hinter Louise her, die ein Geschäft wittert, sie hetzen eine Triade auf das Trio Louise, Charlotte und Arthur. Sie müssen fliehen.
Dies ist ein wundervoller Roman, mit Leichtigkeit geschrieben, voller Poesie und französischem Charme, mit erzählerischer Kraft gestaltet. Ein Rausch der Sinne, ein Rausch der Farben im Kopf. Man erfährt ganz nebenbei eine Menge über die geschichtliche Bedeutung von Farben und Kleiderordnung. Jean-Gabriel Causse mahnt, wie die Farben auf der Welt bereits heute verschwinden: Smoking und kleines Schwarzes, Häuser von innen und außen weiß. Lasst uns die Farben zurückholen, Traditionen in Asien und Afrika haben sie für uns bewahrt. Ein Buch, das man an sich drückt, sicher noch einmal von vorn liest, es ist ja ein schmaler Band. Die Sprache ist luftig wie ein Sommerhimmel, der Leser reitet hindurch, wundert sich, dass er schnell am Ende angekommen ist. Garantiert auch ein Stoff für Jugendliche, ein sogenannter Familienroman.
Jean-Gabriel Causse wohnt in Tokio und arbeitet als Farbdesigner für bekannte Modemarken, wie Jil Sander und er designt Farbgestaltungen für Gebäude. In Paris besitzt er ein Modelabel für Kleidung in besonderen Farbtönen.
Kommentare
Kommentar veröffentlichen