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Als der Kaiser ein Gott war von Julie Otsuka - Rezension

Rezension

von Sabine Ibing




Als der Kaiser ein Gott war 


von Julie Otsuka


Der Anfang: Die Bekanntmachung war über Nacht aufgetaucht. An Anschlagbrettern und Bäumen und an den Rückenlehnen der Bushaltestellen. Sie hing bei Woolworth im Schaufenster.

Die Begebenheit, die hier zugrunde liegt, ist schnell erzählt, ein schwarzes Kapitel der US-Amerikanischen Geschichte, das die japanischstämmige Autorin hier prägnant zusammengefasst hat: 1942 lagen die Amerikaner mit Japan im Krieg, der Zweite Weltkrieg – Pearl Harbor wurde angegriffen. So beschloss die amerikanische Regierung, dass alle japanischstämmigen Bürger an der Pazifikküste ein Sicherheitsrisiko für die USA darstellen würden. Ca. 120 000 Menschen wurden deportiert und in Internierungslager gesteckt – von einem Tag auf den anderen.

Ein schwarzer Fleck in der amerikanischen Geschichte

Es gab auch Sprachregelungen: Hier sagten wir Speisesaal und nicht Kantine; Sicherheitsrat und nicht Lagerpolizei; Einwohner, nicht Evakuierte; und nicht zuletzt geistiges Klima und nicht Lagermoral.

An einem sonnigen Frühlingstag im Jahr 1942, in Berkeley, Kalifornien packt die Mutter alles ein. Jeder darf nur so viel mitnehmen, wie er tragen kann. Der Rest wird in Kisten verstaut, ihr Haus soll vermietet werden. Gestern waren sie noch nette Nachbarn, eine gut situierte Familie, völlig integriert in die Gemeinschaft, heute betrachtet man sie als Sicherheitsrisiko - sie sind gefährliche Schlitzaugen. Präzise verknappt, mit einer distanzierten Erzählhaltung und Erzähldistanz aus drei Perspektiven nehmen wir an den Ereignissen teil: Die Mutter, die 10-jährige Tochter und der 7-jährige Sohn  – namenlos. Schon der Auftakt trifft den Leser mitten in die Magenkuhle. Heiter, sonnig zwischen blühenden Bäumen erhält der uralte, humpelnde weiße Hund sein letztes Mal, schläft unter streichelnder Hand ein, bekommt ein Baumgrab. Die Katze wird beim Nachbarn abgegeben, der Vogel soll fliegen – erst der Besen kann ihn davontreiben. Erinnerungen liebevoll in Kisten verpackt, ein letztes Mal berührt. Am nächsten Tag sitzen sie im Bus. Den Vater hatte man kurz zuvor verhaftet, Staatsfeind – abgeführt in Bademantel und Hausschuhen – tags zuvor ein ganz normaler Bürger, der sich nie etwas zu Schulden hatte kommen lassen. Der Vater im Gefängnis, Mutter und Kinder im Internierungslager im Wüstenhochland von Utah. Sie leben in prekären Verhältnissen in Baracken hinter Stacheldraht.

Die Namenlosen

Alle paar Tage kamen die Briefe, zerrissen und zerfetzt, aus Lordsburg, New Mexico. Manchmal waren ganze Sätze von der Zensur mir Rasierklinge ausgekratzt worden, und man verstand die Briefe nicht mehr.
Nichts wird mehr so sein wird wie zuvor. Auch nicht, als sie später in den Heimatort zurückkehren. Mehr als drei Jahre weggesperrt von der Außenwelt, nur Briefkontakt zum Vater ins Gefängnis. Die Geschichte ist fiktiv, aber die Ereignisse und die Beschreibungen stehen für jede Familie, denen dieses Unrecht angetan wurde. Hier wird präzise beschrieben, die Figuren stehen nicht als Charaktere mit inneren Konflikten, sie stehen als Schlitzauge, als japanischstämmig, als vier von vielen Betroffenen.

Sippenhaft

Denn sie sahen wirklich alle gleich aus. Schwarzes Haar. Schlitzaugen. Hohe Wangenknochen. Dicke Brillengläser. Schmale Lippen. Schlechte Zähne. Unerkenbar. Unergründlich.

Sie stehen für das Leid, für Rassismus, für Vorurteil, für Unrecht, für Sippenhaft. Gerade die Entpersonalisierung der Protagonisten steht für die Entpersonalisierung, die der amerikanische Staat durch seine Mithaftung einer ganzen Volksgruppe dem Individuum angetan hat – für eine ganze Generation japanischstämmiger US-Bürger. Hinter diesem kleinen Buch steckt eine große Wucht, sprachlich, wie auch menschlich. Distanziert, asketisch, reduziert, auf den Punkt bringend – ein Roman, an dem man nicht vorbeigehen sollte. Die Aussagekraft ist heute genauso aktuell wie damals!

Bleib im Haus. Geh nicht aus. Sei nur bei Tag unterwegs. Sprich kein Japanisch am Telefon. Meide Menschenansammlungen. Wenn du in der Stadt einen Japaner triffst, grüße ihn nicht auf japanische Art mit einer Verbeugung. Denk daran, du bist in Amerika.

Julie Otsuka, geboren 1962 in Palo Alto (Kalifornien), lebt in New York City. Sie studierte Kunst an der Yale und Creative Writing an der Columbia University. 2002 erschien ihr Debütroman «When the Emperor Was Divine» (Als der Kaiser ein Gott war), der u.a. mit dem ALA Alex Award und dem Asian American Literary Award ausgezeichnet und bisher in elf Sprachen übersetzt wurde. 2004 war sie Guggenheim-Stipendiatin. Ihr zweiter Roman, The Buddha in the Attic (deutsch Wovon wir träumten, Mareverlag, 2012), wurde mit dem PEN/Faulkner Award ausgezeichnet.


Julie Otsuka
Als der Kaiser ein Gott war
Originaltitel: When the Emperor Was Divine
Aus dem amerikanischen Englisch von Irma Wehrli
Roman, historischer Roman
LenosBabel Verlag, 2019, Hardcover, 189 Seiten

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