Rezension
von Sabine Ibing
The Big Book of Adventure
von Teddy Keen
So überlebst du in der Wildnis!
So ganz genau weiß ich nicht, was ich von diesem Buch halten soll – nein, es gefällt mir nicht besonders, obwohl es recht gute Teile hat – und dafür lesenswert ist. Es ist eine Mischung aus Sachbuch und Abenteuer-Räuberpistolen. Und genau dieser Mix macht das Buch für mich für diese Altersstufe gefährlich.
Der Autor und Illustrator Teddy Keen erklärt am Anfang, er habe in einer abgelegenen Gegend des Amazonas unter umgestürzten Palmen eine verrostete Kiste gefunden. Darin befanden sich Tagebücher, Notizen und Skizzen. Nehmen wir nur die erste Seite: eine metallene, verrostete Kiste – nun ja, Holz und Kunststoff rosten bekanntlich nicht. In Absatz eins sind die Notizen erstaunlich gut erhalten. – In Absatz zwei sind es brüchige Seiten. Aber darauf will ich eigentlich nicht hinaus. Nur wenn bereits die erste Seite so schlecht lektoriert ist, schnappt man nach Luft. Weiter: Anhand der Notizen entstand dieses Buch. Es lag auch ein Brief an den Finder dabei:
Wenn ihr diese Zeilen lest, heißt das, meine Aufzeichnungen wurden gefunden. ... Denkt daran: Tut Gutes, seid abenteuerlustig und vergesst eure Eltern nicht.
Der letzte Halbsatz war etwas irritierend für mich. Erstmal klingt es ja so – auf jeden Fall für Kinder, als wäre dies eine wahre Geschichte. In diesem Buch finden sich Erzählungen über abenteuerliche Reisen, und eine Menge nützlicher Ratschläge für den Outdoorurlaub, die wirklich gut gelungen sind. Der Leser erfährt alles über wildes Campen, wie man ein Floß, einen Unterschlupf, ein Zelt, ein Baumhaus baut, Schneeschuhe aus Tennisschlägern konstruiert (die man auch auf solche Touren dabei hat …) oder wie man eine improvisierte Zahnbürste baut, wie man Berge besteigt, Flüsse überquert und sich orientiert, wenn man sich verlaufen hat - Tipps zu Knoten, Erste Hilfe, Lagerfeuer und vieles mehr.
«Dieses Buch ist nicht nur ein fesselndes Lese-Abenteuer, sondern randvoll mit tollen Ideen für abenteuerliche Aktionen und inspiriert selbst Couch-Potatoes zu Entdeckungs-Trips in der Natur.» – So der Prestel Verlag. Ja eben! Tolle Ideen: Auch ich wollte schon lange mal einen Grizzly aus nächster Nähe beobachten, den Urwald des Nachts durchstreifen, dabei einem Jaguar direkt in seine Augen blicken oder mich mit einem Krokodil anlegen.
Wann immer du kannst, übernachte draußen in der Wildnis.
Der Autor berichtet von unglaublichen Natur-Erlebnissen: Ein Meteor in der Wüste Namib, ein Braunbär direkt vorm Zelt, das nördliche Polarlicht, ein Pinguin weckte ihn in der Antarktis. Er erklärt uns, wo man Gold findet und wie man es wäscht. Er paddelte monatelang in abgelegenen Flussläufen des Amazonas, in die sich kein Mensch wagt, weiß nicht, ob er jemals zurückkehren wird. Ein Piranha biss ihm seinen kleinen Finger ab. Sein Lieblingsstrand zum Zelten befindet sich auf einer einsamen Insel in Mikronesien.
Es gibt eine Menge guter Tipps in dem Buch, die wirklich brauchbar sind: Die Survival Box, in der alles überlebenswichtige Werkzeug zusammengestellt wird, Ausrüstung, Zeltformen, «das große Geschäft» im Freien (man suche sich einen Platz mit guter Aussicht), Rucksäcke packen, Orientierungssinn schärfen, Packen für eine Fahrradtour, Tipps, wie man mit einfachen Mitteln einen Fisch fängt, haltbare Knoten und Holzverbindungen mit Seilen festigen. Die Natur erleben, nachts den Sternenhimmel erforschen, auf Geräusche achten, alles das ist lobenswert. Es gibt ein Kapitel, das sich mit Wohnstätten von Naturvölkern befasst, und dem Bau von Behausungen im Freien. Nur ohne Axt wird man hier nicht weiterkommen. Fahrradtouren sind eine klasse Idee – nur, muss man gleich so weit reisen? Mit dem Fahrrad durch Afrika.
Manchmal musste ich mein Lager im Geheimen oder gar in feindlicher Umgebung aufschlagen ... alles gepackt für eine schnelle Flucht.
Interessant ist sicher auch die Anleitung, Flöße zu bauen, damit auf reißenden Flüssen zu fahren. Nur wie kommt man in der Wildnis an Baumstämme, Segel, Seile und Bretter? Und gehört nicht handwerkliches Geschick und Erfahrung dazu, diese haltbar zu bauen und Erfahrung, sich mit solch einem Gerät auf das Wasser zu begeben? Immerhin kommt der immer der Rat, man sollte einen Erwachsenen mitnehmen. In Sri Lanka, berichtet der Erzähler, sei ihm ein Floß zerbrochen, er schwamm um sein Leben: «Die Krokodile umkreisten mich schon». Gestrandet auf einer einsamen Insel im Pazifik, wurde der Autor durch eine Flaschenpost gerettet … mehr muss man dazu nicht sagen, oder? Beim Zelten in der Wüste zeigt das Buch, was vielleicht wirklich hinter diesem Konzept steckt: Erlebe deine Abenteuer zu Hause im Garten! Hier wird gezeigt, wie man am Ast eines Baums ein Beduinenzelt baut, mit Decken und Kissen innen ausstaffiert.
Die Grafiken sind klasse, daran gibt es nichts auszusetzen. Gut und detailliert sind die sachlichen Grundlagen zeichnerisch umgesetzt, die abenteuerlichen Passagen sind atmosphärisch geprägt.
Es gibt eine Menge Outdoortipps und das finde ich gut, Tipps, wie man Sand- und Schneesturm überlebt. Mir hätte ein im Nahbereich fokussiertes Buch besser gefallen, ganz ohne Gruselmärchen. Ich mag Sachbücher. Ich mag Abenteuergeschichten, in denen die Helden Abstruses erleben, Robinson-Geschichten. Aber vermischt, kommt es bei mir nicht gut an. Ein Kind ist in der Lage, Abenteuergeschichten nachzuspielen, abends im Dunkeln durch den Garten zu schleichen, einem Panter ins Gesicht zu blicken, einer gefährlichen Schlange zu entkommen. Hier durchgemengt sich aber Fantasie mit Wirklichkeit. Durch den Touch, es handele sich hier um ein Sachbuch, mag es Kindern vorgaukeln, es wäre ganz normal, in Kanada mitten im Bärengebiet sein Zelt aufzuschlagen. Bitte dran denken, Nahrungsmittel mit einem Seil in den Baum hängen, die Bären werden durch den Geruch angelockt, ihr wollt doch nicht, dass die Bären euer Frühstück fressen, erklärt der Autor. Nein, würde ich sagen, viel Leckeres hockt da im Zelt. Afrika, Amazonas, Tundra, Wüste, wilde Flüsse … klasse Ideen für Abenteuergeschichten. Jedoch in der Realität wird solch eine Reise nur ganz wenigen möglich sein. Auf das Trinkwasser wird hier leider nur selten eingegangen. Monate in der Wildnis mit nur einem Rucksack unterwegs – aber wo bekommt man das Wasser her? Einfach aus dem Fluss trinken? Zum Abkochen braucht man ein Feuer. Mit dem Fahrrad durch Afrika, von Ägypten nach Kapstadt – durch Krisengebiet und Kriegsgebiet, na holla.
Gut, dann bleiben wir in Europa, nehmen uns die brauchbaren Tipps aus dem Buch: Wild zelten am Meer. Das wird nur an wenigen Stellen möglich sein – erlaubt ist es fast nirgends. Am Strand schlafen und Feuer anzünden, das kann teuer werden, wenn man erwischt wird. Die Polizei kontrolliert nachts fast alle Strände. Wer allerdings einmal mit dem Fahrrad durch Bayern gefahren ist, durch andere europäische Länder, der weiß, wie abenteuerlich das sein kann – wie abenteuerlich es ist, auf sogenannten Fahrradwegen nach Karte zu fahren und im Nirgendwo steckenzubleiben – in völlig unwegsames Gelände zu geraten, man trifft auf genug Getier. Warum nicht Skandinavien, Schottland, Irland, Mittelmeerländer, Polen, es gibt genügend Abenteuer auch dort zu finden.
So gut wie Rucksackpacken und Survival Box usw. detailliert dargestellt werden, so wenig wird hier über Reisevorbereitung und Gefahren berichtet. Abenteuer erleben! Schneller als Krokodile schwimmen, in den Abgrund springen, bevor die gefährlichste Schlange der Welt einen erwischt. An einer Stelle im Buch ist mir klargeworden, welche Absicht sich hinter diesem Konzept verbirgt: Nimm das alles nicht ernst – das sind Anregungen, um sie im Garten nachzuspielen. Gut, dann packen wir den Rucksack mit Survival Box und allem, rüsten uns mit gefährlichen Messern aus und schneiden ein paar Äste vom Apfelbaum ab, um uns ein Zelt zu bauen, machen auf Papas gepflegtem Rasen ein Lagerfeuer … Couchpotatos sollen Lust bekommen, hinauszugehen, ein Abenteuer in der Wildnis zu erleben. Und der Autor hinterlässt den Eindruck, als wäre es ein Kinderspiel, mal über die Alpen zu wandern, völlig untrainiert. Es braucht bloß Turnschuhe und eine gute Ausrüstung …
Der Verlag übernimmt ausdrücklich keinerlei Haftung für mögliche Verletzungen oder Schäden, die bei der Durchführung von in diesem Buch geschilderten Aktivitäten entstehen können.
Ich habe mich die ganze Zeit gefragt, ob der Satz ironisch gemeint war oder als juristische Absicherung. Die Outdoortipps sind klasse, keine Frage. Wer sich dafür interessiert, wird seinen Spaß mit dem Buch haben. Es wird immer wieder erklärt, man solle bei den Reisen einen Erwachsenen mitnehmen (doppelte Absicherung des Verlags). Das empfehle ich auch für dieses Kinder- und Jugendbuch. Denn ohne Erklärung zu den realen Verhältnissen mag ich keinen Achtjährigen an das Buch heranlassen. Was mir völlig fehlt, ist die Reisevorbereitung, denn die ist meistens länger als die Reise selbst. Fitness und Training ist ein weiteres Thema, das in keiner Weise angesprochen wird. Ein englischer Titel für Achtjährige? Und warum hat man dann nicht den englischen Originaltitel übernommen? Auch darüber könnte man streiten. Der Originaltitel gibt auch einen anderen (passenden) Sinn für das Buch. Ob es eine Couch-Potato vom Sofa hebt? Ich glaube, die kann man eher damit locken, erst mal in der näheren Umgebung in Europa zu beginnen, zwischen Bär, Dachs, Fuchs und Wolf in hiesigen Wäldern, bei den Rentieren im Norden, mit dem Kajak auf dem Fjord, auf der Suche nach Nessy in den Highlands.
Teddy Keen ist Autor, Lektor und Art Director in Nord-London.
Teddy Keen
The Big Book of Adventure (dt.)
So überlebst du in der Wildnis!
Originaltitel: The Lost Book of Adventure
Aus dem Englischen von Ute Löwenberg
Sachbuch? Thema Outdoor
Prestel Verlag
Hardcover, Pappband, 192 Seiten, 21,0 x 27,0 cm
Ab 8 Jahren
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