Rezension
von Sabine Ibing
Fischers Frau
von Karin Kalisa
Der Anfang:
Was einmal war, es – hätte gewesen sein sollen.
Dass in ihrem Leben alle Tage gleich von einem Heute in ein Morgen übergehen, dass jedes Gestern das gleiche Gesicht wie ein Heute oder ein Morgen tragen solle und alle diese Gestern Heute und Morgen einen Zeitraum bildeten, in dem nichts zu fürchten, nichts zu wünschen und zu wollen sein würde, solange nur die Vergangenheit außen vor bliebe, genau dies war der einzige Wunsch, der in Mia Sunds Leben Platz hatte. Und weil es der einzige war, dachte sie, er könne erfüllt werden; nur dieser eine.
Sie hätte wissen müssen, dass die Vergangenheit nicht mit sich handeln ließ.
Der Roman begann für mich zunächst einmal spannend. Mia Sund hatte früher einen anderen Namen, ein anderes Leben, in der Fälscherwerkstatt ihres Vaters. Sie hatte ihren Namen geändert, war ein wenig herumgezogen und hat dann das Fach Textilien und archäologische Fasern studiert, arbeitet nun als Kuratorin für Fasernarchäologie in einem Museum in Greifswald. Eines Tages bringt ihr Chef einen Fischerteppich zu ihr, der per Post angekommen war; sie soll ihn untersuchen: «Nicht, dass es eine Fälschung ist» – mit diesem Satz klappt das Vergangene in Mia auf. Der Teppich schillert in einem ungewöhnlich kräftigen Grün, seidig. Die Machart deuten auf einen Ostsee-Fischerteppich hin, doch Farbe und Faser ist ungewöhnlich auch die Muster weichen ein wenig ab. In seinem Flor irrlichtern Hunderte von Grüntönen, segeln Koggen unter mysteriösen Flaggen, tanzen kleine Wellen in den Augen der Fische und die ornamentale Borte ist ein Name eingewebt. Mia ist fasziniert von dem Teppich, und sie will der Herkunft auf den Grund gehen, reist nach Zagreb zur Herkunftsadresse. Karin Kalisa erzählt die Geschichte der Pommerschen Fischerteppiche: 1928 zwingt ein dreijähriges Fangverbot die Fischer, sich umzuorientieren. Unter Anleitung eines österreichischen Tapisseristen setzen sie sich an die Webstühle und knüpfen Teppiche. Der Mann lehrt sie die Knoten, auf die es ankommt, Senneh und Smyrna – das Handwerk der Perser. Die sogenannten «Perser von der Ostsee» mit ihren Fischermustern entwickeln sich europaweit zum Verkaufsschlager. Das ist in diesem Roman sehr gut und detailreich recherchiert.
Für mich hat sich nicht alles verwoben - zu viele lose Faden, zu viel Unrundes
Hatte sie es nicht immer gewusst, dass eine Vergangenheit, mit der man gebrochen hatte, vielleicht lange nichts von sich hören ließ, sehr lange nicht, dann aber doch? Weil mit ihr gebrochen zu haben, nicht hieß, dass sie gebrochen war. Weil eine Entscheidung in der Gegenwart nicht mir nichts dir nichts einen Zustand der Vergangenheit erzeugte. Natürlich blieb sie einem auf den Fersen, nicht sesshafter als man selbst, und würde ihren Platz zurückverlangen. Wo sollte sie sonst hin? Sie hatte ja nur diesen. In ihrer Erschöpfung fühlte Mia mit einem Mal fast so etwas wie Erbarmen mit ihrer Vergangenheit. ‹Dann fang mal an›, sagte sie.
Mit den kleinen Wellen, die sich an der Hafenmauer brachen, schwappten Erinnerungsbilder in ihr hoch und vergingen.
Ich wartete auf einen Kick, die Beziehung zur Vergangenheit, die am Anfang vorgestellt wurde. Viele Handlungsstränge werden leider nicht zusammengeknüpft, lose Fäden bleiben hängen. Fragen bleiben offen. Mit den Charakteren und ihren Motiven wurde ich nicht warm, verstand ihre Beweggründe nicht; manche Protagonisten werden von Wellen verschluckt, sind mittendrin abgesoffen. Thema, wie findet eine verlorene Seele zum Glück und ins Leben zurück? So meine Ahnung. Und die anderen Figuren? Alles bleibt schemenhaft. Es gibt schöne Momente in diesem Roman, sehr feine Passagen, doch insgesamt konnte mich der Stil der Autorin nicht begeistern. Eine teils altertümliche Sprache macht den Text sperrig, Beispiel: «Als wäre die Möglichkeit einer unmittelbaren Aufkündigung eine, vielleicht sogar die entscheidende Ermöglichungsbedingung für ihr freiheitlich-kollektives Glück gewesen, hatte man sich auf Jamme ohne Verzweiflung, ohne Lamento, ohne Nostalgie, dafür mit Effizienz und Grazie davongemacht.» Interessant war zum Ende hin die Geschichte der Teppichknüpferin des grünen Teppichs, die in mehreren Teilen dazwischengeschoben ist – ein völlig anderer Erzählstil, voll Schwung. Doch leider wurden die Teile mit dem Holzhammer eingeschlagen, passen nicht in Fluss der Geschichte, und es klingt, als wäre es ein eine externe Erzählung, die aufgeteilt mit Gewalt irgendwie unterzubringen war. Und anfangs hatte mich die zart beginnende Liebesgeschichte tangiert, endlich etwas Lebendiges in diesem Buch, das mich berührte. Doch auch das wird am Ende zerfleddert, nicht auserzählt. Gut, Mia ist anfänglich eine «tote» Seele, energielos, mit abgestorbenen Gefühlen, in einem Leben gefangen, das nicht ihrem selbst entspricht. Und genauso klingt für mich die Story, schleppt sich hin, wie Mia sich durch den Tag schleppt. An dem Punkt, an dem sie aufwacht, ist der Roman zu Ende. Und zugegeben, die Teppiche haben mich nicht gereizt – bestimmt mag dies meine Unlust an diesem Buch befeuert haben. Das Ende ist zerfasert wie ein jahrhundertealter Teppich, holprig, abrupt und konnte mich nicht überzeugen. Dieser Roman und ich konnten keine Freunde werden, was nicht heißt, dass er nicht gut ist. Literarisch gut geschrieben und eine Menge Leser konnte der Stoff begeistern. Es geht in diesem Roman auch oft um die Frage, was echt ist, was falsch, was gefälscht. Genau deswegen gibt es kein echt gut oder nicht so prickelnd zu diesem Buch von mir – nur ein: falsche Adresse für meinen Geschmack.
Karin Kalisa, geboren 1965, lebt nach Stationen in Bremerhaven, Hamburg, Tokio und Wien seit einigen Jahren im Osten Berlins. Sowohl als Wissenschaftlerin als auch mit dem Blick einer Literatin forscht sie in den Feldern asiatischer Sprachen, philosophischer Denkfiguren und ethnologischer Beschreibungen. Nach Karin Kalisas erstem Roman «Sungs Laden» erschienen ihre Wintererzählung «Sternstunde» und ihre weiteren Romane «Radio Activity» und «Bergsalz»
Fischers Frau
Zeitgenössische Literatur, Fasernarchäologie, Pommersche Fischerteppiche, Ostseeperser
Hardcover mit Schutzumschlag, 256 Seiten
Droemer Verlag, 2022
Zeitgenössische Literatur
Hier verbirgt sich manche Perle der Literatur. Ich lese auch mal einen Bestseller, natürlich, aber mein Blick ruht immer auf den kleinen Verlagen, auf den freien Verlagen. Sie trauen sich was - und diese Werke sind in der Regel besser als der Mainstream der meistgekauften Bücher …Zeitgenössische Romane
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