Direkt zum Hauptbereich

i love you heißt noch lange nicht ich liebe dich von Cleo Leuchtenberg - Rezension

Rezension

von Sabine Ibing



i love you heißt noch lange nicht ich liebe dich

von Cleo Leuchtenberg


Der Anfang: Dann kommt der Moment, an dem du nur noch wegwillst. Durch den Hinterausgang verschwinden, rein ins Taxi und ab in den nächsten Flieger. Egal wohin. Du willst nur eins: nicht auf die Bühne.

Hollywood meets Hollywood. Dies ist ein Jugendbuch (auch all-Age) und unter diesem Gesichtspunkt rezensiere ich es. Man kann dem Roman Mainstream vorwerfen und jede Menge Klischees: Reiches Mädchen und zorniger armer Junge verlieben sich – man weiß, wie es ausgeht. Die Eltern des Mädchens hätten lieber das Klavierwunderkind aus dem Bekanntenkreis als Schwiegersohn – der Stolz des abgelehnten, abgerippten Jungen zeigt sich in Unhöflichkeit und Verachtung. Aber trotzdem fand ich die Story gut! Denn der Roman ist verdammt gut geschrieben und führt in eine interessante Welt: Synchronsprecher. Lilly entstammt aus einem Diplomatenhaushalt, muss alle zwei Jahre umziehen, Ottawa, Bukarest und nun Berlin. Neue Schule, neue Freunde. Zudem hat auch noch ihr Freund mit ihr Schluss gemacht – kein Bock auf Fernbeziehung. Die neue Schule ist eine Theaterschule, das Abi steht kurz bevor. Da bekommt sie das Angebot, bei einem Casting für einen Hollywoodfilm als Synchronsprecherin vorzusprechen. Also muss Lilly schleunigst weiter an ihrem »s« arbeiten, das immer noch zu sehr zischt.

Dabei weiß jeder, wahrscheinlich auch die Idioten, die diese schwachsinnigen Drehbücher schreiben, dass Verliebtsein kein erstrebenswerter Zustand ist. Wer will schon vernebelt sein, verrückt, komplett verpeilt, Opfer seiner eigenen Hirnchemie?

Der ewige Looser

Ben ist bereits gesetzt. Er ist die Stimme des männlichen Hauptdarstellers, er spricht seit zwei Jahren alle Rollen des berühmten Teenystars Lex B. Tyson auf Deutsch ein. Kitschfilme … – aber nicht schlecht bezahlt. Und nun bekommt er auch noch so ein knopfäugiges Plüschtier an die Seite gestellt – keinen Profi – eine junge, unverbrauchte Stimme, eine, die Null Ahnung vom Job hat. Ben hat auch ganz andere Sorgen. Er braucht den Job und ganz schnell einen Vorschuss, ansonsten fliegt er aus seiner Bruchbude raus – er hat bereits Mietrückstände und dazu einen sehr rabiaten Vermieter. Der Kühlschrank des Studios eignet sich wunderbar für ihn, um sich Lebensmittel zu organisieren, den eigenen Kühlschrank aufzufüllen. Seine Mutter hat er ewig nicht gesehen und bei seinem Vater und seiner »neuen« Familie fühlte er sich auch nicht wohl. So hat er nach der 12. Klasse die Schule abgebrochen und sein Leben selbst in die Hand genommen. Mehr schlecht als recht.

Kurzer Lagecheck: Alle Brücken hinter mir abgebrochen, kein Geld für die U-Bahn, die Bankkarte längst vom Automaten eingezogen, in der rechten Schuhsohle ein gähnendes Loch. In einem Film wäre sowas vielleicht cool gewesen, mit der richtigen Musik. In der hässlichen Wirklichkeit latsche ich einfach nur nach Hause. Acht Kilometer. Ohne Musik.

Hollywood meets Hollywood

Man hasst sich und man liebt sich, so ist das immer im Film, stellt das Synchronpaar fest, als sie ihre Rolle einsprechen. Während die Protagonisten sich in dieser Dystopie kennenlernen, umkreisen, anzicken, sich näherkommen, passiert genau das parallel mit Lilly und Ben. Eine witzige Idee. Und weil Lilly ganz neu im Job ist, lernt der Leser das Synchronsprechen kennen. Schauspieler sprechen nicht einfach drauf los, sie trainieren ihre Sprache: ein klares s, a, r, ein wichtiges Handwerk – eine klare Aussprache, ohne Zischen, Rollen, Quäken – Bauchstimme, Kopfstimme, das alles ist hartes Training – vor den empfindlichen Mikrofonen im Studio ist dies besonders entscheidend. Eine Stimme gibt Emotion wieder. Ein Schauspieler spielt die Rolle, ein Synchronsprecher spricht »nur« den Text. Der Roman punktet in der Beschreibung dieses Jobs. Hollywood meets Hollywood, eine apokalyptische Actionstory trifft parallel auf die Realität.

Du meinst, eine Synchronrolle?«, fragte Stella-Marie.»Richtig. Sie suchen eine junge und engagierte Schauspielerin, keine Profi-Sprecherin. Jung und engagiert heißt übersetzt: Wir lassen dich viel arbeiten und zahlen wenig. Aber es ist eine Chance.

Klare Charaktere, zugespitzte Story

Letztendlich schlingert die Geschichte ganz dicht am Kitsch vorbei, die konsequent nach Hollywood-Art aufgebaut ist. Das liegt klar an der Sprache. Denn die nimmt der Story den Schnulz, den Klimbim. Reiches, erfolgreiches Mädchen – armes Mädchen, immer wieder muss sie umziehen, neue Freunde suchen, den Schmerz des Verlassenseins ertragen, mit dem Neid der anderen umgehen, mit Eltern, die keine Zeit haben für sie, aber helikoptermäßig alles überwachen, durch Personal abschirmen, regeln, schicke Villa. Armer Junge – frecher Junge, einer, der genauso einsam ist, weil er Nähe nicht zulassen will, die Angst, schon wieder von jemandem verlassen zu werden, den man liebt, sitzt tief in der Seele. Und weil er dabei so rotzig ist, sich selbst schützen will, eckt er an, wirkt wie ein unsympathischer Looser, versiffte Bruchbude. Klare Charaktere, zugespitzte Story von Anfang an – man weiß, wie es ausgeht, es gibt keine Grauzonen. Jugendliche lieben eindeutige Muster, in denen sie sich auskennen. Soaps. Und genau darum stört mich das an diesem Buch nicht – denn es ist richtig gut gemacht! Die Sprache ist literarisch schnörkellos, ohne Kitsch – sie geht trotz allem an manchen Stellen am Ende ins Herz. Es gibt humorvolle Stellen und der Roman ist spannend, obwohl man ja eigentlich die letzten Seiten kennt, ohne sie gelesen zu haben. Immer wieder geht es um die Schauspielerei und das Synchronsprechen, realistisch beschrieben, interessant. Ja, und Hollywood meets Hollywood, die Stimmen treffen am Ende auf ihre Filmstars, die in der Realität auch ganz anders wirken. Ein spannendes Buch für Jugendliche, aber auch für Erwachsene zu empfehlen, die auf gute Soaps stehen. Eine prima Drehbuchvorlage … zwei Filme in einem.

Wer ist eigentlich Cleo Leuchtenberg? Ich vermute mal Cleo steht für Claudia und Leuchtenberg für Lisa. Denn Cleo Leuchtenberg ist das Pseudonym der beiden Autorinnen Lisa-Maria Dickreiter und Claudia Brendler. Claudia Brendler ist Musikerin, Schriftstellerin, Autorencoach. Lisa-Maria Dickreiter ist als Schriftstellerin wohlbekannt. Sie schloss ein Drehbuchstudium ab, besuchte sie die Leondinger Akademie für Literatur in Linz. Mit ihrem Literatur-Debüt »Vom Atmen unter Wasser« wurde sie 2011 mit dem Thaddäus-Troll-Preis ausgezeichnet. Sie schreibt Drehbücher und Kinderbücher (u. a. die Serie »Max und die Wilde Sieben«, »Berti und seine Brüder«) und sie erhielt auf beiden Seiten eine Menge Preise. Gemeinsam schreiben sie unter diesem Namen erstmals Bücher für Jugendliche und junge Erwachsene.


i love you heißt noch lange nicht ich liebe dichCleo Leuchtenberg
Oettinger, 336 Seiten
ab 14 Jahre

Weitere Rezension zu Lisa-Maria Dickreiter
Berti und seine Brüder – Die Schokoladenkugel des Bösen von Lisa-Marie Dickreiter, Andreas Götz und Niklai Renger

Kommentare

Beliebte Posts aus diesem Blog

Rezension - Sex in echt von Nadine Beck, Rosa Schilling und Sandra Bayer

  Offene Antworten auf deine Fragen zu Liebe, Lust und Pubertät Ein Aufklärungsbuch, das locker Fragen beantwortet und kurze Erfahrungsberichte von jungen Menschen einstreut, das alles mit knalligen Illustrationen unterlegt. Du bist, wie du bist, und du bist, wie du bist okay. Das Jugendbuch erklärt, stellt Fragen. Die Lust im Kopf, genießen mit allen Sinnen; was verändert sich am Körper in der Pubertät?, die Vagina, die Monatsblutung, der Penis, Solosex, LGBTQIA, verliebt sein, wo beginnt Sex?, Einvernehmlichkeit, wie geht Sex?, Verhütung, Krankheiten, Sextoys – das Buch spart nichts aus. Informieren, anstatt tabuisieren! Locker und sensibel werden alle Themenfelder sachlich vorgestellt. Prima Antwort auf offene Fragen; ab 11 Jahren. Empfehlung! Weiter zur Rezension:   Sex in echt von Nadine Beck, Rosa Schilling und Sandra Bayer

Rezension - Wolfssommer von Hans Rosenfeldt

  Ein atmosphärisch dichter und spannender Schweden-Krimi von Hans Rosenfeldt, bekannter Krimiautor und Drehbuchautor (skandinavische TV-Serie «Die Brücke», britische Fernsehserie «Marcella» über Netflix) erwartet uns mit dem Auftakt einer neuen Serie. Die Erwartungen waren hoch. Rosenfeldt hat geliefert. Die Kleinstadt Haparanda, nahe der finnischen Grenze, wird zufällig zum Schauplatz eines Drogendeals. Wer hat die Drogen und das Geld, wer wird sie am Ende bekommen? Der einzige der durchblickt, ist der Leser – Dank Mehrperspektivität. Denn alle Protagonisten tappen im Dunkeln – wissen nichts voneinander. Ein komplexer und spannungsreicher Thriller! Weiter zur Rezension:    Wolfssommer von Hans Rosenfeldt

Rezension - Kalte Füße von Francesca Melandri

  Im Winter 1942/43 flohen italienische Soldaten in Schuhen mit Pappsohlen vor der Roten Armee, Zehntausende erfroren. Der «Rückzug aus Russland» hat sich als Trauma im kollektiven Gedächtnis Italiens eingebrannt - auch in der Familie von Francesca Melandri, einer der wichtigsten Autorinnen Italiens. Ihr Vater hat ihn überlebt. Doch erst als Anfang 2022 Bilder und Orte des Kriegs in der Ukraine omnipräsent sind, wird ihr klar: Der Vater ist vor allem in der Ukraine gewesen. Sie tritt mit ihrem verstorbenen Vater in ein Zwiegespräch, wobei sie den Krieg damals mit dem Heutigen in der Ukraine vergleicht. Und es ist eine Abrechnung mit der italienischen Linken. Empfehlung, unbedingt lesen! Weiter zur Rezension:    Kalte Füße von Francesca Melandri 

Rezension - Die Grille in der Geige von Anna Haifisch

  Eines Sommers findet eine wandernde Grille im Wald eine alte Geige . «Wie praktisch!», ruft sie und zieht in das geräumige Instrument ein. Sie töpfert und zieht Nudeln und des Nachts zupft sie die Saiten, erfreut alle Insekten und Mäuse in der Umgebung mit ihrer Musik. Doch als ein bitterkalter Winter das Land überzieht, stürmen die Insekten das Heim der Grille , zerhacken es und zünden es an … Ein humorvolles Bilderbuch ab 4 Jahren – Empfehlung! Weiter zur Rezension:    Die Grille in der Geige von Anna Haifisch 

Rezension - Lázár von Nelio Biedermann

  «Ein wirklich großer Schriftsteller betritt die Bühne, im Vollbesitz seiner Fähigkeiten.», so wird von ihm geschrieben. Nelio Biedermann schreibt mit 20 Jahren sein erstes Buch und das Manuskript geht in die Versteigerung – die Verlage überbieten sich, es wird in 20 Sprachen verkauft, man redet über ein sechsstelliges Vorschusshonorar – über den neuen Thomas Mann . Uff. Ich war gespannt. Mich konnte der Familienroman nicht überzeugen – leider. Weiter zur Rezension:    Lázár von Nelio Biedermann

Was ist eigentlich Kriminalliteratur? - Ein Abend mit Else Laudan in der Wyborada

Am 08.11.2019 war ich zu einer Mischung aus Lesung und Definition des Begriffs Kriminalliteratur in St. Gallen in der Wyborada zu Gast, im Literaturhaus & Bibliothek in St. Gallen in der Frauenbibliothek und Fonothek Wyborada. Else Laudan sprach zum Thema Kriminalliteratur, erzählte ihren Weg mit ihrem freien Verlag Ariadne, ein Verlag, der ausschließlich literarische Kriminalliteratur von Frauen veröffentlicht. Weiter zum Artikel:    Was ist eigentlich Kriminalliteratur? - Ein Abend mit Else Laudan in der Wyborada 

Rezension - Motte und die Metallfischer von Sanne Rooseboom und Sophie Pluim

  Der Sommer, in dem Motte ein U-Boot fand, fing ziemlich normal an. Langweilig sogar. Doch auf einmal liegt das Schicksal der ganzen Stadt in ihren Händen. Es sind Ferien, aber Mottes Mutter muss arbeiten, einen Urlaub könnten sie sich nicht leisten. Sie ist als Personalcoach unterwegs: Mode, Schminke, Sport, Gesundheit, Ernährung. Und genau das interessiert Motte so gar nicht. Am Kai zeigt ihr Lukas das Metallfischen – ein perfektes Hobby für Motte, die neben schwarzer Kleidung das Unperfekte an Dingen liebt. Sie kauft sich einen Magneten zum Metallangeln. Vielleicht kann man sich etwas verdienen, wenn man Altmetall zur Altmetallhändlerin bringt; sie sammelt ihre ersten Schätze, die die Mutter eklig findet. Plötzlich hängt etwas ganz Großes an der Angel! Spannender Kinderroman ab 9/10 Jahren. Empfehlung! Weiter zur Rezension:   Motte und die Metallfischer von Sanne Rooseboom und Sophie Pluim

Rezension - Was danach kommt von Anika Suck

  Karmen passt einen Moment beim Autofahren nicht auf und verursacht einen Verkehrsunfall mit tragischem Ausgang – ein Kind ist tot. Es sind nur ein paar Sekunden, die Karmens Leben in seinen Grundfesten erschüttern. Denn im darauffolgenden Prozess muss sie sich einer Schuld stellen. Von der Presse Kindsmörderin getauft und von der Empörungsgesellschaft vorverurteilt, wird sie auch von ihrem sozialen Netz fallen gelassen. Am Ende muss Karmen selbst entscheiden, ob sie schuldig ist oder nicht. Mich konnte das Buch nicht überzeugen, da für mich die Darstellung der Geschichte absoluter Gerichts-Nonsens ist. Weiter zur Rezension:    Was danach kommt von Anika Suck  

Rezension - Aggie und der Geist von Matthew Forsythe

  Aggie freut sich darauf, endlich in ihr eigenes Haus einzuziehen – bis sie feststellt, dass dort bereits ein Geist wohnt. Das Zusammenleben läuft mehr schlecht als recht; nirgendwo hat sie ihre Ruhe. Also stellt Aggie Regeln auf. Doch der Geist hält sich leider nicht gerne an Regeln, bricht sie alle. Aggie fordert ihn völlig entnervt zu einem Wettkampf in Tic-Tac-Toe heraus – wer gewinnt, bekommt das Haus. Ein herrliches Bilderbuch an 4 Jahren, das mit viel Humor geschrieben ist und eine Menge Diskussionen zum Zusammenleben bietet. Weiter zur Rezension:    Aggie und der Geist von Matthew Forsythe

Rezension - Es war einmal ein Schneesturm von Richard Johnson

  Bei einem Spaziergang geraten Vater und Sohn in einen Schneesturm und verlieren sich aus den Augen. Der kleine Junge kann den Weg nach Hause nicht zurückfinden, er irrt umher, sucht Schutz in einer Höhle und legt sich am Abend schlafen. Ein Bilderbuch , das ohne Worte auskommt, bei dem der Lesende gefordert ist. Das Buch ist absolut sprachfördernd, fantasiefördernd und kulturübergreifend – klasse für den Kindergarten , in Gruppen zu lesen – zu Hause an einem schmuddligen Wintertag am warmen Ofen. Ein atmosphärisches Kinderbuch ab 4 Jahren. Empfehlung!  Weiter zur Rezension:    Es war einmal ein Schneesturm von Richard Johnson