Direkt zum Hauptbereich

Höllenkalt von Lilja Sigurðardóttir - Rezension

Rezension

von Sabine Ibing



Höllenkalt 


von Lilja Sigurðardóttir  

Áróra-Reihe, Band 1



Der Anfang: 
Verschwunden. Das hatte ihre Mutter am Telefon gesagt, als sie anrief, und Áróra hörte, wie ihre Stimme sich überschlug, was sie nur dann tat, wenn etwas Ernsthaftes vorgefallen war.

Áróra Jónsdóttir lebt in London und arbeitet als private Ermittlerin im Bereich Wirtschaftskriminalität: Sie spürt Geld auf, das illegal in Steuerparadiesen und auf Offshore-Konten versteckt ist, und sie ist sehr gut in ihrem Job. Zu ihrer Familie hat sie wenig Kontakt, und als ihre Mutter sie bittet, nach Island zu fahren, um zu sehen, warum Áróras Schwester Ísafold  nicht erreichbar ist, geht sie nur ungern auf die Reise. 


Áróra hat andere Interessen

Immer wieder das Gleiche: Ísafold wird von Björn krankenhausreif geschlagen, zusammengetreten, und sie schwört, Björn zu verlassen. Es dauert nie lange, da erliegt sie den Versprechungen ihres Mannes und sie kehrt zu ihm zurück. Áróra hat keine Lust mehr auf die never ending Story – zu viel Zeit und Nerven hat sie investiert. Doch dieses Mal ist es anders. Björn sagt, Ísafold sei ausgezogen, abgehauen. Na endlich, denkt Áróra. Den Nachbarn hat er allerdings erzählt, sie sei zu Besuch bei Verwandten in England. Wurde Ísafold Opfer eines Verbrechens? Hat Björn, dieser Drogendealer, sie nun umgebracht? Ihre Mutter schaltet den Exmann ihrer Cousine ein, den Polizisten Daníel und reist selbst an. Áróra glaubt eher, dass Ísafold irgendwo ihre Wunden leckt, kümmert sich recht wenig um die Suche. Sie befragt die Nachbarn ihrer Schwester und das war es schon. Denn sie hat Hákon kennengelernt, ein interessanter Mann. Während sie in seinem Bett landet, findet sie heraus, dass der soeben haftentlassene Wirtschaftsbetrüge schon wieder krumme Sachen laufen hat. 


Islands dunkle Seite


Nicht, dass sie sich für gewalttätig hielt, sie würde niemals jemanden schlagen außer in Notwehr, doch wenn sie wirklich dazu gezwungen war, dann sparte sie nicht mit ihren Kräften. Ein harter Schlag an eine empfindliche Stelle konnte entscheiden, ob jemand zum Opfer wurde oder nicht.

Im Klappentext heißt es: «und ihre Schwester riskiert alles, um sie zu finden». Áróra riskiert gar nichts und in der Suche ist sie recht oberflächlich, fragt Nachbarn und damit endet ihre Suche. Sie überlässt Daníel die Polizeiarbeit – wovon man als Leser auch nicht viel mitbekommt. Interessant sind zwei Nachbarn, die Ísafold kennen, die einen großen Teil des Romans einnehmen. Es ist Sommer und eiskalt, eben Island. Áróra kümmert sich um Hákon. So haben wir es mit zwei Kriminalfällen zu tun. Áróra beschreibt Island von seiner unschönen Seite, von Kälte und schroffen Menschen, von aufdringlichen und übergriffigen, brutalen Männern, die zu viel trinken, gegen die Áróra sich zu wehren weiß. Eine Frau, die lieber eigene Ziele verfolgt, wenn sie Blut geleckt hat. Dieser Roman ist keine Werbung für Island. Áróra ist teilweise in Schottland aufgewachsen; selbst dort sind Klima und Essen besser als in Island, meint sie. Die Autorin sagte in einem Interview: «In Island leben wir in einer Gesellschaft, die von außen betrachtet sehr gut aussieht. Aber es gibt auch dunkle Ecken. […] Und ich finde, der Kriminalroman ist ein gutes Mittel, um die Schattenseiten einer Gesellschaft zu betrachten. Es gibt eine Menge Wirtschaftskriminalität. Es gibt viel sexuelle Gewalt. Es gibt viel Gewalt gegen Frauen. Es gibt ein großes Drogenproblem. Es gibt so viele Dinge in Island, von denen man im Ausland nichts weiß.» Atmosphäre, Landschaft und Menschen sind hier gut beschrieben, Par excellenz. Gut geschrieben und vielschichtig – allerdings hat mir ein wenig die Spannung gefehlt. Es passiert eine Menge und darum wird es nicht langweilig, aber mitfiebern konnte ich nicht. Keine der Figuren ist ein Sympathieträger. Was mir gefallen hat, ist, dass dieser Krimi nicht im üblichen Schachbrettmuster verläuft, sondern seine ganz eigene Art entwickelt, mit einem intelligenten Ende und einem echten Island-Flair. 


Lilja Sigurðardóttir  wurde 1972 in der isländischen Kleinstadt Akranes geboren und wuchs in Mexiko, Spanien und Island auf. Bereits mehrfach ausgezeichnet für ihre Theaterstücke, wurde sie mit ihrer Island-Trilogie auch einem internationalen Publikum bekannt. Der erste Band der Reihe, ›Das Netz‹, erschien 2020 bei DuMont, gefolgt von ›Die Schlinge‹ und ›Der Käfig‹ (beide 2021). 2022 erschien der Thriller ›Betrug‹ und 2023 mit ›Höllenkalt‹ der erste Teil der preisgekrönten Áróra-Reihe.



Lilja Sigurðardóttir
Höllenkalt 
Originaltitel: Helköld sól
Áróra-Reihe, Band 1
Übersetzt aus dem Isländischen von Betty Wahl
Krimi, Kriminalliteratur, Kriminalroman, Island, Wirtschaftskriminalität, Isländische Literatur, Islandkrimi
Taschenbuch, 368 Seiten
DuMont Verlag, 2023




Krimis und Thriller

Ich liebe Krimis und Thriller. Natürlich. Spannend, realistisch, gesellschaftskritisch oder literarisch, einfach gut … so stelle ich mir einen Krimi vor. Was ihr nicht oder nur geringfügig bei mir findet: einfach gestrickte Krimis und blutrünstige Augenpuler.
Krinis und Thriller



Kommentare

Beliebte Posts aus diesem Blog

Rezension - Sex in echt von Nadine Beck, Rosa Schilling und Sandra Bayer

  Offene Antworten auf deine Fragen zu Liebe, Lust und Pubertät Ein Aufklärungsbuch, das locker Fragen beantwortet und kurze Erfahrungsberichte von jungen Menschen einstreut, das alles mit knalligen Illustrationen unterlegt. Du bist, wie du bist, und du bist, wie du bist okay. Das Jugendbuch erklärt, stellt Fragen. Die Lust im Kopf, genießen mit allen Sinnen; was verändert sich am Körper in der Pubertät?, die Vagina, die Monatsblutung, der Penis, Solosex, LGBTQIA, verliebt sein, wo beginnt Sex?, Einvernehmlichkeit, wie geht Sex?, Verhütung, Krankheiten, Sextoys – das Buch spart nichts aus. Informieren, anstatt tabuisieren! Locker und sensibel werden alle Themenfelder sachlich vorgestellt. Prima Antwort auf offene Fragen; ab 11 Jahren. Empfehlung! Weiter zur Rezension:   Sex in echt von Nadine Beck, Rosa Schilling und Sandra Bayer

Rezension - Das Nest von Sophie Morton-Thomas

  Ein Küstenort in Großbritannien, wo das Marschland auf den Ozean trifft, wo Vögel die bessere Gesellschaft sind, lebt Fran eine ereignislose Routine. Sich um den Campingplatz kümmern, der mit Mobilheimen ausgestattet ist, ihren Sohn von der Schule abholen, Abendessen kochen. Mit Dom, ihrem Mann, läuft es nicht mehr so, ihre Schwester lebt mit ihrer Familie in einem Wagen, zahlt keine Miete, dem Schwager hatte sie den Entzug finanziert und jetzt trinkt er wieder, hat keine Arbeit. Freude findet Fran nur an den verschiedenen Vogelarten, die sie am Strand beobachten kann; sie hat auch ein Häuschen zur Beobachtung finanziert. Und nun entdeckt sie ein Nest mit einer seltenen Vogelart, hofft, dass die Jungen ausschlüpfen werden. Und verschwindet die Lehrerin … Ein leiser Thriller. Weiter zur Rezension:    Das Nest von Sophie Morton-Thomashttps

Was ist eigentlich Kriminalliteratur? - Ein Abend mit Else Laudan in der Wyborada

Am 08.11.2019 war ich zu einer Mischung aus Lesung und Definition des Begriffs Kriminalliteratur in St. Gallen in der Wyborada zu Gast, im Literaturhaus & Bibliothek in St. Gallen in der Frauenbibliothek und Fonothek Wyborada. Else Laudan sprach zum Thema Kriminalliteratur, erzählte ihren Weg mit ihrem freien Verlag Ariadne, ein Verlag, der ausschließlich literarische Kriminalliteratur von Frauen veröffentlicht. Weiter zum Artikel:    Was ist eigentlich Kriminalliteratur? - Ein Abend mit Else Laudan in der Wyborada 

Interview mit Christina Clemm von Sabine Ibing

  © Sibylle Baier, Antje Kunstmann Verlag Christina Clemm arbeitet als Strafverteidigerin und als Nebenklagevertreterin von Opfern sexualisierter und rassistisch motivierter Gewalt. Deutschlands bekannteste Fachanwältin für Straf- und Familienrecht in Berlin und war Mitglied der Expertenkommission zur Reform des Sexualstrafrechts des BMJV, Aktivistin und politisch aktiv für Geflüchtete und von Gewalt Betroffene. Nach den neuesten Zahlen des BKA ist jede dritte Frau in Deutschland von physischer und/oder sexualisierter Gewalt betroffen. In ihrem Buch «AktenEinsicht – Geschichten von Frauen und Gewalt» nimmt sie uns mit auf eine Reise in die Gerichtssäle der Republik, an die Tatorte, in die Tatgeschehen. Mit  «Gegen Frauenhass» zeigt sie die Mechanismen patriarchaler Gewalt und fordert, dass sich endlich etwas ändert. Hier mein Interview mit Christina Clemm. Weiter:   Interview mit Christina Clemm von Sabine Ibing

Rezension - Lázár von Nelio Biedermann

  «Ein wirklich großer Schriftsteller betritt die Bühne, im Vollbesitz seiner Fähigkeiten.», so wird von ihm geschrieben. Nelio Biedermann schreibt mit 20 Jahren sein erstes Buch und das Manuskript geht in die Versteigerung – die Verlage überbieten sich, es wird in 20 Sprachen verkauft, man redet über ein sechsstelliges Vorschusshonorar – über den neuen Thomas Mann . Uff. Ich war gespannt. Mich konnte der Familienroman nicht überzeugen – leider. Weiter zur Rezension:    Lázár von Nelio Biedermann

Rezension - Motte und die Metallfischer von Sanne Rooseboom und Sophie Pluim

  Der Sommer, in dem Motte ein U-Boot fand, fing ziemlich normal an. Langweilig sogar. Doch auf einmal liegt das Schicksal der ganzen Stadt in ihren Händen. Es sind Ferien, aber Mottes Mutter muss arbeiten, einen Urlaub könnten sie sich nicht leisten. Sie ist als Personalcoach unterwegs: Mode, Schminke, Sport, Gesundheit, Ernährung. Und genau das interessiert Motte so gar nicht. Am Kai zeigt ihr Lukas das Metallfischen – ein perfektes Hobby für Motte, die neben schwarzer Kleidung das Unperfekte an Dingen liebt. Sie kauft sich einen Magneten zum Metallangeln. Vielleicht kann man sich etwas verdienen, wenn man Altmetall zur Altmetallhändlerin bringt; sie sammelt ihre ersten Schätze, die die Mutter eklig findet. Plötzlich hängt etwas ganz Großes an der Angel! Spannender Kinderroman ab 9/10 Jahren. Empfehlung! Weiter zur Rezension:   Motte und die Metallfischer von Sanne Rooseboom und Sophie Pluim

Rezension - Hase Hollywood und das Geheimnis des Drachenlandes von Stefan Rasch, Simon Rasch und Anja Abicht

  Ein mächtiges Kinderbuch! Schwer an Gewicht, eine lange witzige, fantasievolle Geschichte. Der Hase Hollywood und seine Freunde betreiben ein Gasthaus in einer einsamen Bucht am Ende der Welt. Eines Tages taucht ein gefürchteter Piratenkapitän bei ihnen auf und vergisst doch glatt seinen Seesack unter dem Tisch. Darin befindet sich alte Schatzkarte und ein geheimnisvoller rosa Glitzerball. Der Ball entpuppt sich als Ei, aus dem ein kleiner Drachen schlüpft. Und damit beginnt eine abenteuerliche Reise zur Schatzinsel, denn auf der Karte sind auch die Drachen verzeichnet, den das Hasen-Team zu seinen Eltern bringen möchte. Sehr feine Illustrationen, grundsätzlich eine gute Geschichte, aber grobe handwerkliche Fehler für den Kinderroman. Weiter zur Rezension:     Hase Hollywood und das Geheimnis des Drachenlandes von Stefan Rasch, Simon Rasch und Anja Abicht 

Rezension - Der Freund von Tiffany Tavernier

  Mit dem Haus im Grünen hat sich Thierry einen Traum erfüllt. Zusammen mit Élisabeth genießt er die Ruhe und Abgeschiedenheit des Wohnens nahe einem Wald. Die einzigen Nachbarn weit und breit, gleich nebenan, Guy und Chantal. Eins Tages im Morgengrauen stürmt die Polizei das Gelände. Die Nachbarn und gute Freunde, werden in Handschellen abgeführt. Was haben sie getan? Journalisten belagern das Gelände. Ein psychologischer Kriminalroman , der sich mit den Folgen der «Opfer» befasst, denn letztendlich sind die schockierten Freunde auch Opfer des Massenmörders. Weiter zur Rezension:    Der Freund von Tiffany Tavernier

Rezension - Yrsa von Alexandra Bröhm

  Journey of Fate (Yrsa. Eine Wikingerin 1)  Yrsa ist eine junge Wikingerin , die sich nach dem Tod der alleinerziehenden Mutter seit vier Jahren allein um ihrem Bruder Sjalfi kümmert. Als sie eines Tages von der Jagd nach Hause kommt, ist Sjalfi verschwunden. Verzweifelt macht sie sich auf die Suche und den gefährlichen Weg nach Haithabu . Denn es heißt, es würden Kinder entführt und versklavt. Unterwegs lernt sie Krieger kennen. Ihr Traum war immer schon, eine Kämpferin zu werden. Der Krieger Avidh hat es ihr besonders angetan. Ich würde den Roman ins Genre Young Adult einordnen. Wer softe Literatur, einen Liebesroman zur Entspannung mag, liegt hier richtig.  Weiter zur Rezension:    Yrsa von Alexandra Bröhm

Rezension - Rath von Volker Kutscher

  Gelesen von David Nathan Ungekürztes Hörbuch, Spieldauer: 21 Std. und 49 Min. Gereon und Charlotte Rath warten im Herbst 1938 nur noch auf den richtigen Moment, Deutschland zu verlassen, um nach Amerika zu gehen. Sie treffen sich heimlich in Hannover , denn Charly lebt immer noch in Berlin und Gereon, der als verstorben gilt, wohnt inkognito in Rhöndorf am Rhein , weil er seinen im Sterben liegenden Vater nicht im Stich lassen will. Charly sucht ihren ehemaligen Pflegesohn Fritze, der ausgerissen ist und unter Mordverdacht steht. Als sich die Lage zuspitzt, muss Gereon sein Versteck verlassen und Charly zu Hilfe kommen, nach Berlin reisen. Der 10. und letzte Band der Gereon Rath-Reihe - wie immer hochspannend, historisch gut recherchiert. Noirliteratur , ein feiner literarischer Krimi ! Empfehlung!  Weiter zur Rezension:    Rath von Volker Kutscher