Rezension
Sabine Ibing
Going Zero
von Anthony McCarten
Gesprochen von: Johann von Bülow
Ungekürztes Hörbuch, Spieldauer: 12 Std. und 2 Min.
Hat man als Einzelner eine Chance gegen das geballte System? Die junge Bibliothekarin Kaitlyn aus Boston ist entschlossen, es zu versuchen – ihr bleibt keine Wahl. Sie hat sich als Kandidatin für einen Betatest beworben, um 3 Millionen Dollar zu gewinnen. Hierbei muss sie sich lediglich vor dem Überwachungssystem verstecken, unauffindbar sein. Die Firma FUSION, die dem Social-Media-Mogul Cy Baxter gehört, hat für ein Projekt der US-Geheimdienste eine neue Software entwickelt, will sie nun prüfen. Man hat sich 20 Probanden ausgesucht, 10 «Normalos» und 10 Cyber-Fachleute. Wem es gelingt, 30 Tage nicht auffindbar zu sein, dem winkt die Belohnung. Die Teilnehmer werden irgendwann in naher Zukunft eine Nachricht per SMS erhalten. Egal, wo sie sich dann befinden, sie haben ab dem Zeitpunkt 2 Stunden Zeit, unerkannt unterzutauchen – nach Ablauf der Spanne wird FUSION sein Programm starten, sie auffinden. Baxter ist sich ganz sicher, niemand hat eine Chance.
Für Baxter und Kaitlyn steht viel auf dem Spiel
Die riesige Datenbank der Ämter, Polizei, Geheimdienste gepaart mit Social Media, Konsumentendaten, Bankendaten, Videoüberwachung der Städte, private Videoüberwachung, gefüttert mit Gesichtserkennung, physischer Erkennung und einer Menge kleiner Tools spüren sie Menschen auf. Sie sind die Guten, sie wollen die Bevölkerung schützen, die Bösen herausfiltern, Verbrechen verhindern. Baxter und seine Lebensgefährtin Erika Coogan haben ein Trauma, denn Erikas Bruder, der beste Freund von Baxter, wurde bei einem sinnlosen Raubüberfall getötet. Sie wollen die Welt besser machen … Es dauert auch nicht lange und die ersten Probanden werden aufgespürt. Doch die Frau, die nach Baxters Meinung zuerst aus dem Spiel geflogen wäre, entpuppt sich als harte Nuss. Erst voller Anerkennung, dann immer wütender muss Baxter feststellen, dass ein simpler Bücherwurm ihm zu entkommen scheint. Für Baxter steht viel auf dem Spiel. Denn wenn sein Programm nicht funktioniert, wird die Regierung keinen Vertrag mit ihm unterzeichnen. 90 Milliarden soll er für die Software erhalten. – Zu viele Millionen hat er bereits in dieses Projekt investiert – ohne Deal wäre er bankrott.
Dummer Fehler unterlaufen
Kaitlyn ist die Hauptprotagonistin. Ihr und ihrem Versteckspiel widmet sich Anthony McCarten viel Zeit. Die weiteren Probanden werden in kleinen Kapiteln dazwischengeschoben – ihre Vorbereitungen und die Wahl ihrer Vorgehensweise, unentdeckt zu bleiben – welche Fehler ihnen unterlaufen, wie sie aufgefunden werden. Der Mensch ist eben ein Gewohnheitstier ... In der Mitte des Romans bringt ein Twist die Geschichte in eine völlig neue Richtung. Denn Kaitlyn hat ein ganz anderes Ziel …
Datensaugenden Kraken
Digitale Überwachung, und was sie alles kann. Na und, sagt manch einer – ich bin ein braver Bürger. So lange wir einen braven Staat haben, kann man so denken … oder auch nicht. Wo sind die Grenzen der Überwachung und was geht zu weit? Was ist Privatsphäre? Ein Pageturner, ein spannender Thriller um ein Räuber- und Gendarmspiel. Als wenn wir das alles nicht bereits wissen … doch es sicher nicht dumm genau über die datensaugenden Kraken nachzudenken – was geschieht, wenn sämtliches Wissen in einen Topf geschmissen wird! Fesselnd geschrieben mit einer Menge an Personal – und so bleibt Tiefe und Charakter auf der Strecke. Macht nichts, denn das Thema ist das Überwachungssystem und seine Tiefe. Anthony McCarten ist Drehbuchautor, was sehr deutlich dem Plot anzumerken ist – eine typische Heldenreise a la Hollywood. Das Drehbuch hat er bestimmt bereits in der Schublade liegen – und den Film schaue ich mir garantiert ebenso an. Gute Unterhaltung!
Mal so nebenbei:
Palantir ist eine Firma, deren Hauptgeschäft die Überwachung von Individuen ist und die sich auf die Fusion von getrennten Datenbeständen spezialisiert hat. Deutsche Gerichte hatten dem kürzlich Einhalt geboten. Die Software HessenData sollte Daten dreier polizeilicher Datenbanken zusammenführen, mit denen es möglich wäre, z.B. Vereinsmitglieder eines Sportvereins zu überprüfen. Verbrecher dingfest machen oder besser: Straftaten verhindern. Und das alles mit Hilfe einer Software, die Muster, die für ermittelnde Beamte nicht offensichtlich sind per Mausklick in sekundenschnelle aufdeckt: Wurden zwei Menschen am gleichen Tag am gleichen Ort von der Polizei kontrolliert? Mit wem gibt es Verwandtschaftsverhältnisse? Wohnen sie im selben Haus? Das System glaubt nicht an Zufälle. Verschiedene Quellen ergeben ein Gesamtprofil von Verdächtigen. Oder man wird aus Versehen selbst zum Verdächtigen, weil man einen kennt, der einen kennt. Das System soll angeblich Verbrechen verhindern. In Bayern ist die Software Palantir Gotham als «Verfahrensübergreifende Recherche- und Analyseplattform (Vera)» im Einsatz. Das Fraunhofer Institut stufte sie zwar als technisch ausgereift ein, doch der Landesdatenschutzbeauftragte hatte verfassungsrechtliche Bedenken, bezeichnete die Art und Weise der Zusammenführung dieser Daten als «hoch problematisch». Denn für die eingesetzten Algorithmen aus den Bereichen Big Data, Künstliche Intelligenz und Machine Learning liegen noch keine oder unzureichende gesetzliche Regelungen vor. Palantir wurde für die enge Zusammenarbeit mit der Trump-Regierung kritisiert, die u.a. die Software zur Verfolgung minderjähriger Migrant:innen und ihrer Eltern in den USA entwickelte und einsetzte. Das Überschreiten ethischer Grenzen gehört bei dieser Firma zum Geschäftsmodell. Palantirs Firmengründer ist der rechtskonservative Milliardär Peter Thiel, der u. a. prekären die Ideologie des «Longtermism» vertritt. Diese Technologie wird als wert-neutral angepriesen, was sie eben nicht ist. Die Firma lässt sich gern durch Staatsgelder unterstützen. Von wegen «wir sind die Guten» … Das nur so am Rande – falls einer glaubt, dieser Roman wäre Utopie …
Anthony McCarten, geboren 1961 in New Plymouth/Neuseeland, schrieb als 25-Jähriger mit Stephen Sinclair den Theaterhit «Ladies Night». Es folgten Romane und Drehbücher, für die er schon mehrere Male für einen Oscar nominiert war (u.a. zu den internationalen Filmen «The Theory of Everything» und «Darkest Hour» und «Bohemian Rhapsody»). Er lebt in London. Er erhielt eine Oscar-Nominierung «estes Drehbuch für «Die zwei Päpste», 2020.
Going Zero
Gesprochen von: Johann von Bülow
Ungekürztes Hörbuch, Spieldauer: 12 Std. und 2 Min.
Aus dem Englischen übersetzt von Manfred Allié und Gabriele Kempf-Allié
Diogenes Verlag 2023, Audible
Diogenes Verlag 2023, Seiten: 464
Krimis und Thriller
Ich liebe Krimis und Thriller. Natürlich. Spannend, realistisch, gesellschaftskritisch oder literarisch, einfach gut … so stelle ich mir einen Krimi vor. Was ihr nicht oder nur geringfügig bei mir findet: einfach gestrickte Krimis und blutrünstige Augenpuler.
Krinis und Thriller
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