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Die verlorenen Wörter von Robert Macfarlane und Jacki Morris - Rezension

Rezension

von Sabine Ibing


Die verlorenen Wörter 

von Robert Macfarlane und Jacki Morris


Star

Turnschuhquietschen, Autowarnfanfaren,
Klingeltonkaskaden kommen auch gesampelt
Nicht heran ans -
Dachfirst-Ritschratsch, gossensmarte
Hiphop eines Starenlieds ...
mitternachtsschwarzen, minenschachtdunklen
Kopfgeneigt – schlagbereit – Funkeln eines Starenaugs.
Reicht denn: Nordlicht unterrichtet Heringsschwärme
Unterrichten Fliegenschwärme unterrichten Tintenwirbel?
Nein, sie würden niemals lernen jenen -
Spukhaft sprudeln-quellen-strudeln-schmelzenden
Formationsflug eines Starenschwarms.



Es gibt Wörter aus der Natur, die kennen wir alle: Eisvogel, Zaunkönig, Glockenblume, Lärche, wir kennen die Pflanzen und Tiere, die dahinterstecken. Doch mal ehrlich, wann hast du dieses Wort das letzte Mal ausgesprochen? Wir beachten die Natur nicht mehr und manche dieser Pflanzen und Tiere sind vom Aussterben bedroht, wir können sie nicht mehr wahrnehmen. In Netzwelt und Betonwüsten verankert vergessen wir, wie schön die Natur sein kann und vernachlässigen unsere Sprache, verlieren Worte, vergessen Wörter. Golden strahlt der Löwenzahn auf dem Fußballplatz, neugierig betrachtet uns der Star von seiner Ehrenloge auf dem Telefonmast. Robert Macfarlanes wunderschöne die Gedichte unterstreichen die Grafiken von Jackie Morris, übersetzt von Daniela Seel ins Deutsche. Der Verlag Matthes & Seitz: »...erkunden zart und zugleich mit spielerischer Wildheit die kapriziösen Blätter des Farns, den verführerischen Glanz einer frisch aus der Hülle gebrochenen Kastanie und die majestätische Ruhe des Reihers, sie steigen mutig hinab ins Nest der Schlange und betten sich auf den rauen Kissen der Heide.« Der Hintergrund zu diesem Buch ist das Wortsterben. Großbritannien hat 56 Prozent seiner Feldvögel verloren, ein Natursterben hat eingesetzt und in der Neuausgabe des »Oxford Junior Dictionary« kann man folglich das Wortsterben beobachten. Wörter wie Eisvogel, Lerche, Rabe, Eichel, Farn, Reiher, Weide, Blauglöckchen, Brombeere, Eichel, Farn, Heide, Kastanie, Natter, Otter, Rabe, Weide, Zaunkönig wurden aussortiert. Stattdessen hat man Begriffe wie blog, celebrity, chatroom voice-mail integriert. Das hat mich mordsmäßig erschreckt! Nicht das Aussortieren von nicht mehr gebräuchlichen Wörtern, einsortieren von neuen Begriffen an sich – das passiert jedes Jahr. Aber das im Juniorwörterbuch etwas aussortiert wird, das vor der Tür steht, im eigenen Garten, da fehlen mir die Worte.

Elsternmanifest:
Läster jedes Nest!
Schwätze, kecker, zank und mecker jederzeit!
Trag in jeden leeren Winkel Streit!
Eklig sei! Greif ein, quatsch rein, stör dabei!
Ruf jeder Elster für jede Elster gegen
jedes andere Viech, das auf Erdenläuft, fliegt, schwimmt und kriecht!

Die Gedichte sind als Beschwörungsformeln konstruiert. Dabei bedient sich die Autorin  der Akrostichons, der Leitenverse. Man benutzt das Akrostichon im Bildungsbereich auch als Eselsbrücken für Zusammenhänge, Schlagwortsammlungen. Die Überschrift wird Buchstabe für Buchstabe sozusagen beschworen: Der erste Buchstabe ist der erste in der ersten Zeile, der Zweite der erste Buchstabe der zweiten Zeile usw. Die ersten Buchstaben jeder Zeile nach unten gelesen ergeben dann wieder die Überschrift. Oder man benutzt die Buchstaben für je den ersten eines Verses. Die Leitbuchstaben sind in der Regel fett und / oder farblich hervorstechend gekennzeichnet. Hut ab vor der Übersetzerin! Sie hat überdies sich viel Mühe gegeben, das Englische zu transportieren. Beispiel aus dem Vers Heide: »Affodill und Mollbeere, Wollgras und  Krähenbeere, gemeinsam wächst mit Durmentill, Mooskissen, der Flechten Gefieder?«  Es gibt eine Menge an altem Wortgut zu entdecken.   

 


Rabe
… was bist du?
Ich bin Rabe! …
Rappt Rabe retour.
Ich bin Rabe! …
Doppelt so flink
wie der Wind, dreimal schneller als jede Bö,
raspelt Rabe zurück.



Die Gestaltung zu jedem Begriff ist gleich: Eine Doppelseite mit einer reduzierten Aquarellzeichnung meist mit Leerraum, verstreute Buchstaben deuten an, dass hier etwas durcheinander geschüttelt wurde, etwas geklaut wurde. Es folgt das Gedicht – die »Beschwörung« links, rechts eine Aquarellzeichnung zu dem Tier oder der Pflanze. Und dann folgt eine doppelseitige Zeichnung. Die Grafiken sind wunderschön, in Naturtönen sehr ästhetisch gestaltet. Ein Buch, das man gern anschaut und gerne darin liest. Es es mit Sicherheit ein wunderbares Geschenk für Naturliebhaber, für Liebhaber der Poesie aber sicher auch Inspiration für schreibende Menschen.



Robert Macfarlane: »Mit den Worten verlieren wir die Natur. Lerche, Stare, Igel, Molche, Wiesel … Eine Esche nicht identifizieren können, eine Schleiereule… Eine fundamentale Lesefähigkeit der Welt ist am Verschwinden. Namen, gute Namen, oft benutzt, helfen uns zu sehen. Und sie helfen uns, zu schützen. Es fällt uns schwer, etwas zu lieben, dem wir keinen Namen geben können. Was wir nicht lieben, das erhalten wir uns nicht.« Er stammt aus Nottinghamshire, studierte Literaturwissenschaft in Cambridge, und begann schon als Kind mit dem Bergsteigen. Sein erstes Buch »Mountains of the Mind« (2003) erhielt zahlreiche Preise, darunter den Somerset Maugham Award. Nach einer wissenschaftlichen Arbeit über Plagiate im 19. Jahrhundert veröffentlichte er 2007 »The Wild Places«. Es wurde von Kritik und Publikum gefeiert und zur Grundlage einer bbc-Dokumentation. 2011 wurde Macfarlane, der auch als Essayist und Kritiker für den Guardian tätig ist, zum Mitglied der Royal Society of Literature ernannt. Macfarlane gilt als wichtigster britischer Autor des Nature Writings. Die verlorenen Wörter, welches mit dem BAMB Beautiful Book Award 2017, dem Hay Festival Book of the Year und dem The Sunday Times Top Ten Bestseller ausgezeichnet wurde.

Jackie Morris ist in Birmingham geboren, lebt als freie Autorin und Künstlerin in Wales. Ihre Illustrationen zu Verlorene Wörter wurden mehrfach ausgezeichnet und brachten dem Buch u. a. den von britischen Buchhändlern vergebenen Titel Schönstes Buch des Jahres ein.

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