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Der Dachs von Christian Buder - Rezension

Rezension

von Sabine Ibing




Der Dachs 

von Christian Buder



Der Anfang: 
Die Ereignisse, die sich Anfang des Jahres 2014 in dem kleinen beschaulichen Ort Penec in der Bretagne zutrugen, hatten ihren Ursprung bereits Monate vorher, genau genommen begannen sie kurz vor Weihnachten 2013, an einem kühlen Montag, als alle Bewohner Penecs, die nichts Besseres zu tun hatten, zu Carrefour strömten, um sich für die Feiertage mit Pastis, tiefgefrorenem Truthahn, Escargots de Bourgogne, Krabben, Hummer und natürlich Rotwein einzudecken. Charlotte Morvan hatte ihre gesamten Rabattmarken eingelöst.

Der Roman beruht auf wahren Begebenheiten, so lesen wir gleich zu Beginn. Ein kleiner fiktiver Hafenort in der Bretagne, in dem es plötzlich rund geht. Eine Migrantin und ihr Baby liegen tot am Strand. Hat sie allein versucht, mit dem Boot nach Großbritannien zu kommen? Gendarm der Gendarmerie Maritime Ronan Prad ist ein typischer Einzelgänger. Seine Frau Camille war vor dreizehn Jahren aufs Meer gefahren; sie und ihr Bott verschwanden spurlos. Schon wieder ist ein Fischer samt Boot spurlos verschwunden, ebenfalls kürzlich eine gesamte Familie. Ronan Prad will die Suche nach dem Fischer nicht aufgeben und so ortet die Marine ein verschollenes Boot am Grund des Meeres. Trotz stürmischer See taucht Ronan hinunter, entgeht dabei nur knapp einem Mordanschlag und macht eine grausige Entdeckung. Ihm wird nun klar, dass er es mit mächtigen Feinden zu tun hat. Eine junge, ehrgeizige Polizistin ist in Ronans Einheit versetzt worden. Weshalb lässt sich eine Frau, die die Karriereleiter im Eiltempo nach oben steigt, in ein kleines Kaff versetzen? 

Ronan Prad über sich selbst: Ich kann Menschen nicht ausstehen. Ich ertrage sie nicht. Daran ändert auch nichts, dass ich selbst zu ihnen gehöre. Ich bin nicht besser oder schlechter als die meisten von ihnen. Vielleicht liegt es an meinem Beruf, dass ich mir kein schöneres Bild von meiner Spezies machen konnte. Mein Vater sagte mir, ich hätte niemals zur Armee und erst recht nicht zur Polizei gehen dürfen. Das sei kein Beruf. Mein Vater hat mir nie verziehen, dass ich mich auf die andere Seite geschlagen hatte. Er war Strafverteidiger.

Ein gutes Geschäft


Der Bürgermeister der Stadt hat überall seine Finger im Spiel, wird ständig von einer Handvoll früherer Fremdenlegionäre als Security begleitet. Ein Bürgermeister mit Security, wo gibt es denn sowas? Alle Fäden der Ermittlung führen ins Rathaus ... Etwas stinkt hier gewaltig. Der Fischfang läuft mau, und mit dem Schmuggeln von Flüchtlingen, die sich an der Atlantikküste sammeln, um nach Großbritannien zu gelangen, lässt sich gutes Geld verdienen. Es ist schwierig geworden, sich auf, in und unter Lkws zu verstecken, da diese vor dem Tunnel genau durchleuchtet, mit Hunden abgesucht werden. Das Boot ist die naheliegende Lösung.


Reisen Sie mit «London Tours»

«Legio patria nostra» (Die Legion ist unser Vaterland) – die Legionäre halten fest zusammen. Auch Ronan Prad hat vor langer Zeit dort gedient, kennt sich aus mit diesen Jungs, denen nur der Befehl heilig ist. Ein komplexer, vielschichtiger Kriminalroman, der realitätsnah die Situation schildert. Fischer, die kein sicheres Einkommen mehr erzielen, weil die Meere überfischt sind, von großen Firmen beherrscht werden, die mit großen Booten wochenlang weit hinausfahren können. Wovon leben? Flüchtlinge nach England kutschen – mit einer guten Tat viel Geld verdienen ... Und in diesem Krimi tauch die Firma «London Tours» auf – eine Organisation, die angeblich gratis die Flüchtlinge überführt – aus reiner Menschlichkeit. Das ist natürlich nicht gut für das Geschäft. Ronan Prad fragt sich natürlich, ob es diese Typen überhaupt gibt, und wenn ja, ob es ernsthafte Idealisten sind. Zumindest tragen immer wieder Asylsuchende das entsprechende T-Shirt, wie auch die Tote vom Strand. 


Bretagne pur in sich selbst

Demokratie ist nichts anderes. Willensbildung ist kein Akt der Freiheit und der Selbstreflexion. Das verkaufen nur Politiker, weil sie selbst daran glauben wollen, von mündigen Bürgern gewählt zu werden. Ein Politiker hat keine Überzeugung. Er glaubt an das, was er braucht, um gewählt zu werden. Sie sind austauschbar. Hohle Gefäße, in die man alles füllen kann. Und der freie Bürger glaubt, dass sein Starpolitiker tatsächlich von dem überzeugt ist, was er sagt. Der brave Bürger glaubt zu wählen, doch seine Entscheidung ist schon lange vorher getroffen worden.

Realistisch beschreibt Christian Buder «La Jungle» (in den Außenbezirken von Calais), eine riesige Zeltstadt, in der jeder nur ein Ziel hat: Großbritannien. Flüchtlinge, die von hier aus versuchen, auf die Insel zu gelangen – Unsummen dafür auf den Tisch legen. Das Geschäft mit dem Menschenschmuggel ist ein einträgliches Geschäft, das bandenmäßig betrieben wird. Staatsgewalt und das organisierte Verbrechen gehen in diesem Roman Hand in Hand. Ein intelligenter Plot mit vielen Wendungen – ein Noir-Krimi, Politkrimi, aus der Bretagne – garantiert kein langweiliger, plüschiger Regiokrimi. Empfehlung! Ein bissiger Gendarm der Gendarmerie Maritime – das spüren gleich am Anfang des Krimis: Wilderer, die sich an einem Dachs zu schaffen machen ... nicht mit Ronan. Ein aufrechter Mensch, mit dem man sich besser nicht anlegt, wenn es um die Gerechtigkeit geht. Ein gut austarierter Charakter. Am Ende gibt es ein Glossar für französische Fachbegriffe wie Flic oder Gabelle. Glücklicherweise sprechen die Protagonisten untereinander in einer Sprache – nicht wie in vielen Regiokrimis von deutschen Autor:innen verwendet das Schischi-Französich: wobei unverständlicherweise Sätze in Französisch eingeblendet werden, die ins Deutsche übersetzt werden, oder auch nicht. Dieser Kriminalroman benötigt kein Schischi, denn er ist Bretagne pur in sich selbst. Mich hätte allerdings interessiert, auf welchen wahren Fall der Krimi basiert. Das hat der Autor leider nicht erwähnt. Ich hoffe nicht auf einen Präsidentschaftskandidaten ... ;-)


Christian Buder wurde 1968 in Memmingen geboren. Er studierte zuerst Betriebswirtschaft und dann Philosophie in Marburg, Paris und Chicago. Als freier Autor und Journalist schrieb Christian Buder Artikel für DIE ZEIT und überregionale Zeitungen. Er lebt mit seiner Frau und seinen Kindern abwechselnd in Deutschland und in der Bretagne.




Christian Buder
Der Dachs
Krimi, Politkrimi, Noir-Krimi, Kriminalroman, Bretagne
Klappenbroschur, 462 Seiten
rütten & loening Verlag, 2022





Krimis und Thriller

Ich liebe Krimis und Thriller. Natürlich. Spannend, realistisch, gesellschaftskritisch oder literarisch, einfach gut … so stelle ich mir einen Krimi vor. Was ihr nicht oder nur geringfügig bei mir findet: einfach gestrickte Krimis und blutrünstige Augenpuler.
Krinis und Thriller

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