Direkt zum Hauptbereich

Ballade einer vergessenen Toten von Liza Cody - Rezension

Rezension 

von Sabine Ibing




Ballade einer vergessenen Toten 


von Liza Cody


Sie starrt blicklos auf den Rezensionsteil ihrer Zeitung und versucht zu ermessen, wie viel Zeit, Energie und Liebe sie an Craig verschwendet hat. Als sie ihn kennenlernte, hat sie davon geträumt, Schriftstellerin zu werden. Craig aber war bereits Schriftsteller, ein guter, ein erfolgreicher. Sie dachte, von ihm könne sie lernen. Und sie lernte. Sie lernte kochen für einen Schriftsteller, putzen für einen Schriftsteller, Finanzen und Dinnerpartys organisieren für einen Schriftsteller. Dann feuerte er sie.

Amy am Tiefpunkt ihres Lebens angekommen: Noch immer nicht konnte sie sich als bekannte Schriftstellerin durchsetzen, Craig, ihre große Liebe, hat sie gegen eine Jüngere eingetauscht. Wie soll es weitergehen? Da kommt ihr eine Idee, als sie einen Song im Radio hört. Eine ganze Generation war fasziniert von diesen Songs, geschrieben von Elly Astoria, die so tief die Seele der Jugendlichen erfasste. Amy nimmt sich vor, eine Biografie über Elly zu schreiben, Elly Astoria, die Bandleaderin der »SisterHood«, brutal und grausam 1980 ermordet. Eine kurze Karriere einer sehr jungen Frau, die tragisch endete. Der Täter konnte bis heute nicht gefasst werden. Amy beginnt zu recherchieren, versucht, Begleiter aus dem direkten Umfeld von Elly zu interviewen. Was war Elly für ein Mensch? Wie sah ihr tägliches Leben aus? Was für ein Mensch war diese Frau, die so viele Herzen berührte?

Keiner will auspacken

Die alten Bandmitglieder geben sich bedeckt, nicht jede von ihnen ist zu einem Interview bereit, zumindest anfangs nicht. Der ehemalige Manager lebt in den USA. Wie soll Amy an den herankommen, Geld für die Reise hat sie nicht. Ist überhaupt ein Verlag interessiert an dem Stoff? Könnte sie herausfinden, was damals wirklich geschah – oder wer der Mörder ist – das wäre die Story schlechthin!

Als Briony durch die Jalousie auf die dunkle Straße spähte, meinte sie einen Mann zu sehen  ... Seit einiger Zeit waren alle Jalousien ständig heruntergelassen, gegen Blicke und Kameras. Draußen vor dem Haus war immer irgendwer, manchmal eine kleine Menschenmenge.

Wie kam Elly in diese Band? 

Leider ist Elly Astoria eine erfundene Figur, denn Liza Cody schafft es, dass man sich danach sehnt, während des Lesens die Songs zu hören. Elly behauptet, sie sei 18, doch dieses zwergenhafte, unscheinbare Mädchen mit einem einmaligen Gefühl für musikalische Harmonie ist gerade mal 15, als sie den Vertrag bei ihrem Manager unterschreibt. Zu dem Zeitpunkt lebt Ellys Mutter noch, ein Junkie, von Elly liebevoll versorgt. Sie verstirbt kurz danach. Die Band wird berühmt, der Manager hatte den richtigen Riecher. Dieser unbekannte Hanswurst und seine Schwester werden steinreich mit der Band, aber Elly und ihre Bandmitglieder erhalten nur ein paar Krümel vom Kuchen. Produzenten, Styler, eine ganze Maschinerie heftet sich an die Fersen der Band, verdient reichlich. Wollte Elly damals aussteigen, hatte sie eine Solokarriere anvisiert? Wollte sie den Manager loswerden? Und die Bandmitglieder untereinander – zerstritten, getrieben von Eifersucht? Die ersten Frauen beginnen mit Amy zu reden. Doch wem kann sie trauen? Wer tischt Lügen auf und warum? Und manch einer plant ein Comeback mit Erscheinen dieser Biografie - raus aus dem Schatten - nocheinmal von Elly profitieren!

Madelins Auto war ein kleiner Renault, eine Kindermädchenkutsche, wie sie oft dachte. Es passt nicht zu ihrem Selbstbild, zu ihrer neuen Wohnung. Sie sollte längst in der Lage sein, sich beides leisten zu können, sexy Bleibe und sexy Karosse, stattdessen empfing sie Lohn, wo ihr Teilhabe zustand.

Abgezockt von allen 

Liza Cody präsentiert uns hier die dreckige Wahrheit der Musikszene aus dieser Zeit. Elly wird von allen Seiten vereinnahmt. Das beginnt mit dem Manager und dem Produzenten. Als Ellys Mutter stirbt, zieht die gesamte Band in das Haus ein, das nun Elly gehört – die kleine Elly wird übergriffig vereinnahmt. Sie wird gar nicht gefragt – ruckzuck ist die versiffte Junkie-Bude total renoviert und neu möbliert – Elly fühlt sich fremd im eigenen Haus. Und wenn man es genau nimmt, verschwindet Elly in jedem Kapitel ein Stück mehr. Es geht immer um die anderen – um die, die ihr Geld mit ihr verdienen. Neben Amys Recherchen fließen multiperspektiv Kapitel über die Bandmitglieder ein. Hier hat jeder Dreck am Stecken. Liza Cody schreibt eindringlich, witzig, melancholisch, präzise definiert, sie trifft die Noten und den Rhythmus der jeweiligen Szene punktgenau. – Dieser Roman ist ein Blues. Den Stoff als einen Krimi zu definieren, wäre zu einfach. Natürlich puzzelt hier eine Detektivin ihre Teile zum Ganzen zusammen. Aber ist es letztendlich am Ende wichtig, zu wissen, wer der Mörder ist? Eigentlich nicht. Es geht um die Gesamtkomposition des Dramas, um die Musikszene, das einsame Leben eines Stars, der völlig fremdbestimmt ist in seinem Leben. Ein großartiger, einfühlsamer Roman.


Liza Cody, mit bürgerlichem Namen Liza Nassim, stammt aus London. Sie studierte Kunst an der London Art School und der Royal Academy und arbeitete als Fotografin, Malerin, Wachsfigurendesignerin bei Madame Tussot, Grafikerin und Möbelschreinerin, bevor sie zum Schreiben kam. 1980 erschien ihr erster Krimi, »Dupe«, mit der Privatdetektivin Anna Lee, der mit dem »John Creasey Memorial Prize« für das beste Krimidebüt ausgezeichnet wurde. Die Verfilmung mit Imogen Stubbs war auch im deutschen TV zu sehen. Der erste Roman der Serie, »Bucket Nut« (Was sie nicht umbringt), wurde mit dem »Silver Dagger Award« ausgezeichnet. Ihr Roman »Gimme more« handelt von der Musikbranche. Liza Cody arbeitete als Roadie bei »einer der schlechtesten Bands von London«, wie sie selber sagt. Schon immer wollte sie ein Buch über Musik schreiben, »aber zu beschreiben, wie aufregend Musik ist, ohne dabei idiotisch zu klingen, ist sehr schwierig« (Liza Cody in einem Interview mit Will Simpson, März 2000). Für »Lady Bag« erhielt sie den Deutschen Krimi  Preis (internationale Kategorie) 2015 und mit »Miss Terry«  2. Platz hier in 2017.

Rezension zu Miss Terry:  Miss Terry von Liza Cody

Kommentare

Beliebte Posts aus diesem Blog

Rezension - Feuerwanzen lügen nicht von Stefanie Höfler

  Mischa und Nits sind beste Freunde. Mischa liebt die Poems von Nits. Und der bewundert Mischa, weil er schlau ist und ein wandelndes Lexikon über Tiere zu sein scheint. Lügen geht gar nicht, so Nits Überzeugung. Darum fragt er sich, warum Mischa dem Lehrer weismachen will, er hätte eine Chlorallergie, als der Schwimmunterricht beginnt – Nits erzählt er, die Badehose sei von Mäusen angefressen worden. Überhaupt scheint Mischa in Schwierigkeiten zu stecken – doch wohl eher sein Vater ... Nits betritt in dieser Familie plötzlich eine völlig andere Welt – die der Armut. Aber das ist ein Unterthema – Mischas Vater ist untergetaucht; Mischa und Nits werden ihn nicht im Stich lassen – aber das könnte gefährlich werden ... Spannung, Humor und ein wenig Tragik machen das Buch zu einem Leseerlebnis. Meine Empfehlung ab 11 Jahren für diesen exzellenten Kinderroman.  Weiter zur Rezension:    Feuerwanzen lügen nicht von Stefanie Höfler 

Rezension - Die Windmacherin: Eine Sommergeschichte von Maja Lunde und Lisa Aisato

  In dem Land, in dem Tobias lebt, sind endlich wieder bessere Zeiten eingekehrt, und alle Kinder sollen zur Erholung die Sommerferien auf dem Land verbringen. Doch statt zu zweit oder zu dritt auf einem idyllischen Bauernhof, landet der 11-jährige Tobias allein auf einer Insel weit draußen im Meer, wo er bei einer menschenscheuen Frau namens Lothe unterkommt. Lothe wollte kein Ferienkind haben, man hat ihr Tobias aufgedrückt – was die mürrische Frau ihn spüren lässt. Ein Geheimnis gilt es zu lüften, Menschen und Handeln zu verstehen; Freundschaft, Kriegstraumata, vom Dunkel ins Licht gehen … Allage, Jugendbuch ab 12 Jahren. Weiter zur Rezension:    Die Windmacherin: Eine Sommergeschichte von Maja Lunde und Lisa Aisato

Was ist eigentlich Kriminalliteratur? - Ein Abend mit Else Laudan in der Wyborada

Am 08.11.2019 war ich zu einer Mischung aus Lesung und Definition des Begriffs Kriminalliteratur in St. Gallen in der Wyborada zu Gast, im Literaturhaus & Bibliothek in St. Gallen in der Frauenbibliothek und Fonothek Wyborada. Else Laudan sprach zum Thema Kriminalliteratur, erzählte ihren Weg mit ihrem freien Verlag Ariadne, ein Verlag, der ausschließlich literarische Kriminalliteratur von Frauen veröffentlicht. Weiter zum Artikel:    Was ist eigentlich Kriminalliteratur? - Ein Abend mit Else Laudan in der Wyborada 

Rezension - Sex in echt von Nadine Beck, Rosa Schilling und Sandra Bayer

  Offene Antworten auf deine Fragen zu Liebe, Lust und Pubertät Ein Aufklärungsbuch, das locker Fragen beantwortet und kurze Erfahrungsberichte von jungen Menschen einstreut, das alles mit knalligen Illustrationen unterlegt. Du bist, wie du bist, und du bist, wie du bist okay. Das Jugendbuch erklärt, stellt Fragen. Die Lust im Kopf, genießen mit allen Sinnen; was verändert sich am Körper in der Pubertät?, die Vagina, die Monatsblutung, der Penis, Solosex, LGBTQIA, verliebt sein, wo beginnt Sex?, Einvernehmlichkeit, wie geht Sex?, Verhütung, Krankheiten, Sextoys – das Buch spart nichts aus. Informieren, anstatt tabuisieren! Locker und sensibel werden alle Themenfelder sachlich vorgestellt. Prima Antwort auf offene Fragen; ab 11 Jahren. Empfehlung! Weiter zur Rezension:   Sex in echt von Nadine Beck, Rosa Schilling und Sandra Bayer

Rezension - Das Herz eines Schiffes von Elinor Mordaunt

Die spannenden Kurzgeschichten, gespickt mit ein wenig Seemannsgarn haben eins gemeinsam: Hier geht es um Segelschiffe, um Dreimaster. Wir tauchen ein in eine Zeit der rauen Seefahrt. Spannend und atmosphärisch, ein wenig Humor und Seemannsgarn – Kurzgeeschichten über Schiffe und Menschen, die zur See fahren. Meine Empfehlung für den Klassiker mit ausgewählten Erzählungen von Elinor Mordaunt! Weiter zur Rezension:    Das Herz eines Schiffes von Elinor Mordaunt

Rezension - Devil’s Kitchen von Candice Fox

  Die Feuerwehrleute von «Engine 99» gelten als die Besten in New York – mutig, unerschrocken, verehrt. Was niemand ahnt: Sie sind parallel eine beinharte Gang, denn sie legen Brände, um im Chaos Vorbereitungen zu treffen, um später Banken und Juweliere auszurauben. Das könnte immer so weiterlaufen, wenn Bens Lebenspartnerin Luna und ihr Sohn nicht verschollen wären und er seine Kumpel nicht im Verdacht hätte, sie getötet und verscharrt zu haben. Er will es wissen! Und dafür ist er bereit, die Bande auffliegen zu lassen, sich selbst ans Messer zu liefern. Er bietet dem FBI an, wenn sie «seine Familie» finden, herausfinden, was mit Frau und Kind passiert ist, wer verantwortlich ist, dann packt er aus. Und so wird die freiberufliche Ermittlerin Andrea Nearland auf die Truppe angesetzt. Blockbuster – Spannung, die niemals abfällt! Klasse Thriller! Weiter zur Rezension:    Devil’s Kitchen von Candice Fox

Rezension - Splendido. Primavera/Estate: Italienische Küche für Frühling und Sommer von Juri Gottschall und Mercedes Lauenstein

  Lauenstein und Gottschall laden wieder dazu ein, die Vielfalt und Hochwertigkeit der regionalen italienischen Küche zu entdecken. Eine Reise durch Italien mit Fotos von Landschaften und Menschen, von hervorragenden Rezepten. Die Frühjahrs-Sommerküche überzeugt durch die Qualität der Zutaten, denn das ist der Grundstock des Geschmacks. 70 Rezepte zu saisonalen Besonderheiten, Ursprüngen, Küchengeschichten, italienische Kultur und Feste – saisonale Schätze und Spezialitäten spielen zu bestimmten Anlässen eine große Rolle. Wieder ein sehr gutes Kochbuch, das Liebhaber der italienischen Küche im Regal stehen haben sollten. Weiter zur Rezension:    Splendido. Primavera/Estate: Italienische Küche für Frühling und Sommer von Juri Gottschall und Mercedes Lauenstein 

Rezension - Übung in Gehorsam von Sarah Bernstein

  Eine junge Frau aus einer Anwaltskanzlei aus der Stadt und zieht auf die Bitte von ihrem Bruder, der von Frau und Kindern verlassen wurde, zu ihm in ein Land im hohen Norden; sie kann von dort ihren Job weiter erledigen. In dem abgelegenen Dorf in einem nördlichen Land lebten bereits die jüdischen Vorfahren der Familie; es ist ihnen dort nicht gut ergangen. Als jüngstes von zahlreichen Geschwistern scheint es der jungen Frau nichts auszumachen, sich als Haushälterin des Bruders aufzuopfern. Eine komplexe Geschichte, Sarah Bernstein ist eine feine Beobachterin, alles ist offen; ist diese Erzählerin zuverlässig? Das Gehirn des Lesenden ist in Arbeit, viel Interpretation ist an vielen Stellen offen. Klasse! Weiter zur Rezension:    Übung in Gehorsam von Sarah Bernstein

Rezension - Grazie Roma von Daniel Gottschlich, Sebastian Späth und Dimitrios Katsavaris

  Wie ich mein Sternerestaurant zurückließ, in Italien Inspiration für neue Gerichte fand und mich am Ende selbst überraschte Daniel Gottschlich erhielt als erster Koch das Stipendium an der Deutschen Akademie in Rom – die bedeutendste Auszeichnung für deutsche Künstler im Ausland. Ein Koch, als Künstler? Man argumentierte mit dem von Joseph Beuys geprägtem «erweiterten Kunstbegriff», der das Kreative mit dem Künstlerischen gleichsetzt. Tage des Austauschs und der Inspiration, Stunden voller kreativer Eindrücke und künstlerischer wie musischer Erlebnisse. Im Mittelpunkt aber stand: die ausgezeichnete italienische Küche. Neben dem Reisebericht und den Eindrücken gibt es 30 Rezepte. Das erzählende Sachbuch ist eine Mischung aus Reiseliteratur und Kochbuch. Inspirierte Italienische Küche, Kulinarisches der mediterranen Küche, Lieblingsrezepte, Weltküche. Ein gelungenes Buch! Empfehlung! Rezension:   Grazie Roma von Daniel Gottschlich, Sebastian Späth und Dimitrios Katsavaris...

Rezension - Die Witwe von Helene Flood

  Gesprochen von Cornelia Tillmanns Ungekürztes Hörbuch, Spieldauer 10 Std. und 41 Min. Eine gutbürgerliche Nachbarschaft in Oslo, Evy ruft ihrem Mann nach: «Fahr vorsichtig!» Wenige Minuten später erleidet Erling wieder einen Fahrradunfall und stirbt im Krankenhaus. Ein Herzinfarkt? Zurück bleiben Evy, mit der er seit fünfundvierzig Jahren verheiratet war und seine drei Kinder. Der Unfall lässt Fragen offen, denn wo sind die Herzmedikamente, sein Terminkalender, und wo ist sein Fahrrad? Die Polizei ermittelt, da Erling ohne diese Dinge aufgefunden wurde. Ein Testament schockiert die Familie: Erling hat kurz vor seinem Tod fast sämtliches Bargeld in Immobilien investiert. Evy ist die Alleinerbin. Sie erfährt von Erlings Freund, dass Erling der Meinung war, jemand wolle ihn umbringen – wahrscheinlich eins seiner geldgierigen Kinder. Und darum sei auch Evy in Gefahr. Ein Kriminalroman, der unaufgeregt bis zur letzten Seite dahinplätschert, sich mit den Inneneinsichten von Evy befasst...