Direkt zum Hauptbereich

American Spy von Lauren Wilkinson - Rezension

Rezension

von Sabine Ibing


American Spy 


von Lauren Wilkinson


Der Anfang: 

Ich öffnete den Safe unter meinem Schreibtisch, schnappte mir meine alte Dienstwaffe und schlich lautlos und elegant zur Schlafzimmertür – bis ich auf einen Legostein trat und den Rest des Weges humpeln musste.


Eine schwarze FBI-Agentin wird von der CIA engagiert und auf den revolutionären Präsidenten von Burkina Faso, Thomas Sankara, angesetzt. Sie lässt sich darauf ein, obwohl sie eher mit seinen politischen Zielen sympathisiert, als ihn ans Messer zu liefern. Natürlich leidet ihr Gewissen gewaltig. So könnte man diese Lebensbeichte zusammenfassen. Ein Agentenroman. Ein interessanter Roman. Wer allerdings auf knallharte Action steht, den den muss ich enttäuschen. Es ist ein Buch der leisen Töne, nicht nur das, man benötigt Geduld. Die Actionszene steht gleich am Anfang. Ein Geräusch mitten in der Nacht. Der Schatten eines Mannes. Im US-Bundesstaat Connecticut dringt ein Killer in das Haus von Marie Mitchell ein. Sie kann ihn entwaffnen und erschießt ihn, ruft die Polizei: Notwehr. Aber sie weiß, wer diesen Mann geschickt hat und dass ihre Vergangenheit als Spionin sie nun einholt. Darum packt sie die Koffer und macht sich mit ihren vierjährigen Zwillingssöhnen mit gefälschten Pässen auf den Weg nach Martinique zu ihrer Mutter Agathe.


Eine Familie voller Agenten

Man kann einen Revolutionär umbringen, aber man kann nie die Revolution umbringen.


Dort angekommen, schreibt ihren Söhnen einen langen Brief, damit sie später verstehen, was passiert ist – sollte sie doch noch von ihren Verfolgern gestellt werden. Sie erzählt ihre Familiengeschichte, beginnend im New York der 1960er-Jahre, erzählt, wie ihre Mutter, Agathe, eines Tages verschwand, da sie eine Spionin war und ihren Job erledigt hatte. Verschwunden ohne ein Wort zu sagen. Marie bleibt mit Schwester Helene, die später unbedingt zum Geheimdienst gehen will, beim Vater zurück, der bei der Polizei arbeitet. Das Verhältnis zwischen den Vater und Helene ist nicht das Beste, er schickt sie irgendwann zur Mutter nach Martinique. Ein weiterer Verlust für Marie. Helene geht später zur Army, stirbt bei einem ominösen Unfall kurz vor ihrer Rückkehr ihres Einsatzes in Vietnam. Marie wird Polizistin und geht zum FBI, berichtet von Diskriminierungen der schwarzen Cops, insbesondere der Frauen; von Übergriffigkeiten der Männer. Beim FBI ist sie zuständig für die Rekrutierung von Informanten aus Bürgerrechtsbewegungen, trifft sich mit ihnen und schreibt ihre Berichte dazu. Als Frau, besonders als schwarze Frau, hat sie keine Möglichkeit des beruflichen Aufstiegs. Daher ehrt es sie, als sie in den 1980er-Jahren von der CIA als zeitlich befristete Auftragnehmerin (Agentin) angeheuert wird. Sie soll sich in die Nähe von Thomas Sankara begeben, sein Vertrauen erarbeiten, möglichst seine Geliebte werden, um Informationen zu erhalten, die man gegen ihn verwenden kann. Denn der amerikanische Geheimdienst unterstützt den amerikafreundlichen Gegenkandidaten Blaise Compaoré, den sie zum Präsidenten von Burkina Faso machen wollen.


Historische Hintergründe

Ich kann euch nur raten, seid keine moralischen Absolutisten. Wenn ihr die Menschen, von denen ich euch hier erzähle, nach dem Lesen in gut und schlecht einteilt, dann habt ihr nicht verstanden, worauf ich hinaus will.


Historisch: Thomas Sankara war als sozialistischer Revolutionär durch einen Staatsstreich Präsident von Obervolta geworden. Er benannte das Land in Burkina Faso («Land des aufrichtigen Menschen») um, und er lehnte eine Rückzahlung der Schulden der Dritten Welt an den Westen ab, brachte eine engagierte Gesundheits- und Frauenpolitik auf den Weg (er verbot u.a. die Beschneidung von Frauen), kämpfte gegen Korruption im Land. Und er war führend, die Accra einzurichten, die Westafrikanische Union, setzte sich gegen die Apartheid in Südafrika ein. 1987 wurde Sankara bei einem Staatsstreich des Militärs unter Führung Blaise Compaoré ermordet, der ihm als Präsident folgte.


Politischer Einfluss durch FBI und CIA

Und Jungs, ich war ja auch FBI-Agentin. Was ihr über euren Großvater und Mr. Ali denkt, trifft also auch auf mich zu. Fred Hampton, Bunchy Carter, Anna Mae Aquash – alle gehörten zu Organisationen, deren Infiltrierung von der Regierung damit gerechtfertigt wurde, sie seinen Kommunisten und Staatsfeinde. Alle waren US-amerikanische Staatsbürger, die ermordet wurden, nachdem sich jemand wie ich vom FBI eingemischt hatte.


Letztendlich geht es hier um Kommunistenjagd im eigenen Land, und um das Einmischen von großen Staaten in innere Angelegenheiten von kleinen Staaten, bis hin zum Kippen von Regierungen. In Zeiten des sogenannten Kalten Krieges waren alle Staaten, die sozialistisch oder kommunistisch geführt wurden, oder auch nur einen Hauch, dessen erahnen ließen, Ziel der USA, sie zu attackieren, zu infiltrieren, Paramilitärs mit Waffen zu beliefern, um Regierungen zu kippen. Gleichzeitig beschreibt Lauren Wilkinson die Schwierigkeit, als schwarzer Mensch in einem Job zu bestehen, der von Weißen dominiert wird, als Frau, als schwarze Frau, in einem Job auszuhalten, der absolut von Männern dominiert wird, weißen Männern, die an allen Schaltstellen sitzen. In sofern ist der Roman sehr lesenswert. Resümierend würde ich die Geschichte als Lebensbeichte oder Tagebuch  bezeichnen, aber nicht als Thriller. Es geht zunächst tief in die Familie, bis der Agentenjob beginnt. Der Anfang zieht in die Story hinein, doch dann flacht sie ab, zieht sich ellenlang. Die ausführliche, distanzierte Berichterstattung von Maria hat mich das Buch oft aus der Hand legen lassen. Mir fehlt die Dynamik, das Element der Spannung. Da Lauren Wilkinson ihren Plot in wechselnde Zeitebenen angelegt hat, ist schnell klar, worauf die Geschichte hinläuft, und insofern ist auch kein Thrill in der Geschichte angelegt. Interessant zu lesen, aber die Spannung bleibt nach den ersten Seiten leider liegen.


Lauren Wilkinson, aufgewachsen in New York City, lebt in der Lower East Side. Sie lehrte Schreiben an der Columbia University und am Fashion Institute of Technology. Ihre Texte sind im Granta Magazine erschienen. American Spy ist ihr erstes Buch.


Lauren Wilkinson 
American Spy
Originaltitel: American Spy
Roman, Thriller, Agentenroman
Aus dem amerikanischen Englisch übersetzt von Jenny Merling, Antje Althans, Anne Emmert und Katrin Harlass
352 Seiten
Tropen Verlag, 2020




Krimis und Thriller

Ich liebe Krimis und Thriller. Natürlich. Spannend, realistisch, gesellschaftskritisch oder literarisch, einfach gut … so stelle ich mir einen Krimi vor. Was ihr nicht oder nur geringfügig bei mir findet: einfach gestrickte Krimis und blutrünstige Augenpuler.
Krinis und Thriller

Kommentare

Beliebte Posts aus diesem Blog

Rezension - Sex in echt von Nadine Beck, Rosa Schilling und Sandra Bayer

  Offene Antworten auf deine Fragen zu Liebe, Lust und Pubertät Ein Aufklärungsbuch, das locker Fragen beantwortet und kurze Erfahrungsberichte von jungen Menschen einstreut, das alles mit knalligen Illustrationen unterlegt. Du bist, wie du bist, und du bist, wie du bist okay. Das Jugendbuch erklärt, stellt Fragen. Die Lust im Kopf, genießen mit allen Sinnen; was verändert sich am Körper in der Pubertät?, die Vagina, die Monatsblutung, der Penis, Solosex, LGBTQIA, verliebt sein, wo beginnt Sex?, Einvernehmlichkeit, wie geht Sex?, Verhütung, Krankheiten, Sextoys – das Buch spart nichts aus. Informieren, anstatt tabuisieren! Locker und sensibel werden alle Themenfelder sachlich vorgestellt. Prima Antwort auf offene Fragen; ab 11 Jahren. Empfehlung! Weiter zur Rezension:   Sex in echt von Nadine Beck, Rosa Schilling und Sandra Bayer

Rezension - Das Nest von Sophie Morton-Thomas

  Ein Küstenort in Großbritannien, wo das Marschland auf den Ozean trifft, wo Vögel die bessere Gesellschaft sind, lebt Fran eine ereignislose Routine. Sich um den Campingplatz kümmern, der mit Mobilheimen ausgestattet ist, ihren Sohn von der Schule abholen, Abendessen kochen. Mit Dom, ihrem Mann, läuft es nicht mehr so, ihre Schwester lebt mit ihrer Familie in einem Wagen, zahlt keine Miete, dem Schwager hatte sie den Entzug finanziert und jetzt trinkt er wieder, hat keine Arbeit. Freude findet Fran nur an den verschiedenen Vogelarten, die sie am Strand beobachten kann; sie hat auch ein Häuschen zur Beobachtung finanziert. Und nun entdeckt sie ein Nest mit einer seltenen Vogelart, hofft, dass die Jungen ausschlüpfen werden. Und verschwindet die Lehrerin … Ein leiser Thriller. Weiter zur Rezension:    Das Nest von Sophie Morton-Thomashttps

Was ist eigentlich Kriminalliteratur? - Ein Abend mit Else Laudan in der Wyborada

Am 08.11.2019 war ich zu einer Mischung aus Lesung und Definition des Begriffs Kriminalliteratur in St. Gallen in der Wyborada zu Gast, im Literaturhaus & Bibliothek in St. Gallen in der Frauenbibliothek und Fonothek Wyborada. Else Laudan sprach zum Thema Kriminalliteratur, erzählte ihren Weg mit ihrem freien Verlag Ariadne, ein Verlag, der ausschließlich literarische Kriminalliteratur von Frauen veröffentlicht. Weiter zum Artikel:    Was ist eigentlich Kriminalliteratur? - Ein Abend mit Else Laudan in der Wyborada 

Interview mit Christina Clemm von Sabine Ibing

  © Sibylle Baier, Antje Kunstmann Verlag Christina Clemm arbeitet als Strafverteidigerin und als Nebenklagevertreterin von Opfern sexualisierter und rassistisch motivierter Gewalt. Deutschlands bekannteste Fachanwältin für Straf- und Familienrecht in Berlin und war Mitglied der Expertenkommission zur Reform des Sexualstrafrechts des BMJV, Aktivistin und politisch aktiv für Geflüchtete und von Gewalt Betroffene. Nach den neuesten Zahlen des BKA ist jede dritte Frau in Deutschland von physischer und/oder sexualisierter Gewalt betroffen. In ihrem Buch «AktenEinsicht – Geschichten von Frauen und Gewalt» nimmt sie uns mit auf eine Reise in die Gerichtssäle der Republik, an die Tatorte, in die Tatgeschehen. Mit  «Gegen Frauenhass» zeigt sie die Mechanismen patriarchaler Gewalt und fordert, dass sich endlich etwas ändert. Hier mein Interview mit Christina Clemm. Weiter:   Interview mit Christina Clemm von Sabine Ibing

Rezension - Lázár von Nelio Biedermann

  «Ein wirklich großer Schriftsteller betritt die Bühne, im Vollbesitz seiner Fähigkeiten.», so wird von ihm geschrieben. Nelio Biedermann schreibt mit 20 Jahren sein erstes Buch und das Manuskript geht in die Versteigerung – die Verlage überbieten sich, es wird in 20 Sprachen verkauft, man redet über ein sechsstelliges Vorschusshonorar – über den neuen Thomas Mann . Uff. Ich war gespannt. Mich konnte der Familienroman nicht überzeugen – leider. Weiter zur Rezension:    Lázár von Nelio Biedermann

Rezension - Motte und die Metallfischer von Sanne Rooseboom und Sophie Pluim

  Der Sommer, in dem Motte ein U-Boot fand, fing ziemlich normal an. Langweilig sogar. Doch auf einmal liegt das Schicksal der ganzen Stadt in ihren Händen. Es sind Ferien, aber Mottes Mutter muss arbeiten, einen Urlaub könnten sie sich nicht leisten. Sie ist als Personalcoach unterwegs: Mode, Schminke, Sport, Gesundheit, Ernährung. Und genau das interessiert Motte so gar nicht. Am Kai zeigt ihr Lukas das Metallfischen – ein perfektes Hobby für Motte, die neben schwarzer Kleidung das Unperfekte an Dingen liebt. Sie kauft sich einen Magneten zum Metallangeln. Vielleicht kann man sich etwas verdienen, wenn man Altmetall zur Altmetallhändlerin bringt; sie sammelt ihre ersten Schätze, die die Mutter eklig findet. Plötzlich hängt etwas ganz Großes an der Angel! Spannender Kinderroman ab 9/10 Jahren. Empfehlung! Weiter zur Rezension:   Motte und die Metallfischer von Sanne Rooseboom und Sophie Pluim

Rezension - Hase Hollywood und das Geheimnis des Drachenlandes von Stefan Rasch, Simon Rasch und Anja Abicht

  Ein mächtiges Kinderbuch! Schwer an Gewicht, eine lange witzige, fantasievolle Geschichte. Der Hase Hollywood und seine Freunde betreiben ein Gasthaus in einer einsamen Bucht am Ende der Welt. Eines Tages taucht ein gefürchteter Piratenkapitän bei ihnen auf und vergisst doch glatt seinen Seesack unter dem Tisch. Darin befindet sich alte Schatzkarte und ein geheimnisvoller rosa Glitzerball. Der Ball entpuppt sich als Ei, aus dem ein kleiner Drachen schlüpft. Und damit beginnt eine abenteuerliche Reise zur Schatzinsel, denn auf der Karte sind auch die Drachen verzeichnet, den das Hasen-Team zu seinen Eltern bringen möchte. Sehr feine Illustrationen, grundsätzlich eine gute Geschichte, aber grobe handwerkliche Fehler für den Kinderroman. Weiter zur Rezension:     Hase Hollywood und das Geheimnis des Drachenlandes von Stefan Rasch, Simon Rasch und Anja Abicht 

Rezension - Der Freund von Tiffany Tavernier

  Mit dem Haus im Grünen hat sich Thierry einen Traum erfüllt. Zusammen mit Élisabeth genießt er die Ruhe und Abgeschiedenheit des Wohnens nahe einem Wald. Die einzigen Nachbarn weit und breit, gleich nebenan, Guy und Chantal. Eins Tages im Morgengrauen stürmt die Polizei das Gelände. Die Nachbarn und gute Freunde, werden in Handschellen abgeführt. Was haben sie getan? Journalisten belagern das Gelände. Ein psychologischer Kriminalroman , der sich mit den Folgen der «Opfer» befasst, denn letztendlich sind die schockierten Freunde auch Opfer des Massenmörders. Weiter zur Rezension:    Der Freund von Tiffany Tavernier

Rezension - Yrsa von Alexandra Bröhm

  Journey of Fate (Yrsa. Eine Wikingerin 1)  Yrsa ist eine junge Wikingerin , die sich nach dem Tod der alleinerziehenden Mutter seit vier Jahren allein um ihrem Bruder Sjalfi kümmert. Als sie eines Tages von der Jagd nach Hause kommt, ist Sjalfi verschwunden. Verzweifelt macht sie sich auf die Suche und den gefährlichen Weg nach Haithabu . Denn es heißt, es würden Kinder entführt und versklavt. Unterwegs lernt sie Krieger kennen. Ihr Traum war immer schon, eine Kämpferin zu werden. Der Krieger Avidh hat es ihr besonders angetan. Ich würde den Roman ins Genre Young Adult einordnen. Wer softe Literatur, einen Liebesroman zur Entspannung mag, liegt hier richtig.  Weiter zur Rezension:    Yrsa von Alexandra Bröhm

Rezension - Rath von Volker Kutscher

  Gelesen von David Nathan Ungekürztes Hörbuch, Spieldauer: 21 Std. und 49 Min. Gereon und Charlotte Rath warten im Herbst 1938 nur noch auf den richtigen Moment, Deutschland zu verlassen, um nach Amerika zu gehen. Sie treffen sich heimlich in Hannover , denn Charly lebt immer noch in Berlin und Gereon, der als verstorben gilt, wohnt inkognito in Rhöndorf am Rhein , weil er seinen im Sterben liegenden Vater nicht im Stich lassen will. Charly sucht ihren ehemaligen Pflegesohn Fritze, der ausgerissen ist und unter Mordverdacht steht. Als sich die Lage zuspitzt, muss Gereon sein Versteck verlassen und Charly zu Hilfe kommen, nach Berlin reisen. Der 10. und letzte Band der Gereon Rath-Reihe - wie immer hochspannend, historisch gut recherchiert. Noirliteratur , ein feiner literarischer Krimi ! Empfehlung!  Weiter zur Rezension:    Rath von Volker Kutscher