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Waldinneres von Mónica Subietas - Waldinneres

Rezension

Sabine Ibing



Waldinneres 


von Mónica Subietas


Er hatte seinen Schützling zurücklassen müssen, um dessen Leben zu retten. Nun hastete er  hangabwärts, um zu der Holzfällerhütte zu gelangen, bevor das Licht genauso schnell schwand wie die Wärme des Tages.


Ein jüdischer Kaufmann aus Linz schickt seine Familie während der Nazizeit über eine Fluchtroute in die Schweiz. Er selbst will zunächst seine Kunstsammlung in Sicherheit bringen und nachkommen. Doch es ist zu spät – auf der Rückseite jedes Bildes setzt er sein Siegel und macht sich eine Liste aller Werke. Zumindest ein Bild will er retten: «Waldinneres» von Gustav Klimt. Er nimmt es aus dem Rahmen, rollt es zusammen, versteckt es im Hohlraum seines Spazierstocks, macht sich auf den Weg nach Zürich. Auf der Flucht geht etwas schief, Fluchthelfer Hermann Messmer und sein Flüchtling, die voneinander den Namen nicht kennen, verlieren sich. Der Schleuser allerdings hat den Gehstock bei sich.


Wem gehört dieses Kunstwerk?

Siebzig Jahre später wird Gottfried Messmer von einer Bank in Zürich gebeten, als Erbe das abgelaufene Schließfach seines verstorbenen Vaters aufzulösen. Darin findet er einen Gehstock, mit einem echten Klimt. Wie kam sein Vater, ein armer Schlucker, an dieses Bild? Anbei liegt ein Brief an den Sohn, er möge es dem rechtmäßigen Besitzer zurückgeben – der Name sei ihm unbekannt. Wie er zu dem Bild kam, bleibt dem Sohn verschlossen.


Die Welt befand sich im Krieg, und die Schweiz verschanzte sich hinter ihrer Neutralität, die zunehmend Risse bekam. Anfang August hatte der Bundesrat in dürren Sätzen die Schließung der Grenze für Juden  beschlossen: ‹Aufzunehmen sind vorläufig nur noch Ausländer, die aus politischen oder anderen Gründen wirklich an Leib und Leben gefährdet sind und keinen anderen Ausweg als die Flucht nach der Schweiz haben, um sich der Gefahr zu entziehen. Flüchtlinge nur aus Rassegründen, z. B. Juden, gelten nicht als  politische Flüchtlinge.› Obwohl die Entscheidung im ganzen Land zu Protesten geführt hatte, war der Beschluss zum Ende desselben Monats bestätigt worden. ‹Das Boot ist voll›.


In jeder Ecke lauerndet der Zufall

Anfangs hat mir der Roman gut gefallen. Immer mehr Unlogik trat zu Tage und insgesamt findet sich Zufall auf Zufall zusammen – das Zürich der zufälligen Begegnungen – irgendwann habe ich nur noch mit dem Kopf geschüttelt. Unlogisch erscheint, dass der Jude Jakob Sander seine Frau mit den Kindern 1942 allein auf die Fluchtroute schickte. Nun gut, habe ich gedacht ... Dass Sander seinen Nachnamen wechselt und niemals nach Kriegsende sein Eigentum (Grundbesitz, Geschäft, Kunst usw.) zurückverlangt, in Zürich als armer Schlucker lebt, erscheint ebenso unglaubwürdig. Es gibt eingefügte geschichtliche Vignetten, aber in den Figuren setzt die Autorin rein gar nichts um. Weder darin, wie Familie Sander das Leben in Linz empfindet, warum sie sich spät entscheiden zu gehen (Linz war ein Zentralpunkt der Nazis), noch wird die Flucht geschildert. Genau das wäre interessant gewesen. Man nimmt den Juden die Habe weg, dann flüchten sie lieber, retten ihr Leben ... – es klingt zu oberflächlich. Eigentlich ist keine der Figuren für mich stimmig. Warum erfährt der Sohn so spät von dem Gehstock? Sehr konstruiert – damit er dem Eigentümer über den Weg laufen kann. Ein Nebencharakter, der gleich so markant heraussticht, so viel Platz bekommt ... natürlich ahnt der Leser sofort ... Das ist für mich ungeschickt angelegt. Dies ganze Gewusel die vielen Nebencharaktere, Nebenstränge war irgendwann langweilig für mich, man ahnte, worauf es zuläuft – irgendwo war immer der Zufall drin. Die Krönung: ein im betrunkenen Kopf zufällig gezeugtes Kind. Och nee! Wechselnde Perspektive und zeitliche Sprünge, teilweise recht unlogische Handlungen werden dank eines in jeder Ecke lauernden Zufalls verbunden. Die Figuren sind ziemlich leblos, oberflächlich. Spannung mag durch den ständigen Tumult zwischen den agierenden Personen entstehen – leider erinnerte mich das eher an einen Klamaukfilm, allerdings ohne Humoreinlage. 


Eine unglaubwürdige, schwache Geschichte mit noch schwächeren Charakteren

Wie kann man das Buch einordnen? Historisch zum Thema Nationalsozialismus? Dafür sind diese Anteile zu gering. Ein Jude, der seinen Rucksack packt und eine kleine Szene im Wald, in der Fluchthelfer und Flüchtling getrennt werden. Ein Kriminalroman? Ein Toter, Handel mit Raubkunst – das hätte Thema sein können. Auch hier reicht es nicht. Ein Roman um die Kunstszene? Nur angekratzt. Ein Zürichroman? Nein, dort laufen sich die Protagonisten lediglich ganz zufällig alle über den Weg. Ein Roman – das passt. Ein klasse Thema, aus dem man viel hätte machen können. Leider ist dies eine unglaubwürdige, sehr schwache Geschichte mit noch schwächeren Charakteren. Schade. Eine Story, die unter die Haut gehen sollte. So geschrieben lässt sie mich kalt, aber genervt zurück. Fishing in verschiedenen Themen, die aber nicht auserzählt werden. «Waldinneres» von Gustav Klimt gehörte wirklich zur Raubkunst der Nazis und um dieses Bild gab es einen gewaltigen Rechtsstreit. Eine andere Geschichte, die mit dem Roman nichts zu tun hat.


Mónica Subietas, geboren 1971 in Barcelona, lebt seit 2008 in Zürich. Sie ist Kulturjournalistin und Editorial Designerin, außerdem arbeitet sie in der Leseförderung mit Gruppen von Erwachsenen und Kindern im Vorschulalter. Vor ihrem Umzug nach Zürich lebte sie in Barcelona, Madrid und New York. Neben Spanisch und Katalanisch spricht sie fließend Englisch und Deutsch. »Waldinneres« ist Mónica Subietas’ erster Roman.



Mónica Subietas
Waldinneres 
Übersetzt aus dem Spanischen von Lisa Grüneisen
Zeitgenössische Literatur, Spanische Literatur, Raubkunst, Nationalsozialismus
Hardcover mit Schutzumschlag, 256 Seiten
S. Fischer Verlag, 2022




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